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Das Desaster am Ende jeder Szene - wirklich notwendig?

Begonnen von Arcor, 01. Juni 2018, 12:26:36

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Arcor

Ich habe mir letztens den Schreibratgeber Rock your Writing von Cathy Yardley gekauft und durchgeschmökert. Ich finde ihn im großen und ganzen richtig klasse und hoffe, dass ich damit mal ein wenig mehr Struktur in mein oftmals doch etwas chaotisches Plotting bekomme.  :omn:

Ein Problem habe ich aber doch: In Rock your Plot schreibt sie, dass jede Szene mit einem sogenannten "Desaster" enden muss, also der Charakter entweder sein Scene Goal nicht erreicht (No), es noch schlimmer kommt als gedacht (No and furthermore) oder er es erreicht, aber nur zu einem Preis oder nicht ganz so wie gehofft (Yes, but). Die Prämisse muss ihrer Meinung nach sein "Always increase conflict", außer in den Revelation-Szenen am Ende.

Ich finde diesen Gedanken und die Umsetzung ... schwierig. Natürlich sollten die Szenen nicht einfach so für sich stehen, sondern in Zusammenhang mit der Handlung und den Figuren und ihren Zielen. Dass jedes Kapitel so enden soll, kann ich auch auf jeden Fall nachvollziehen, viele Szenen ebenfalls. Aber jede Szene? Ich würde zum Beispiel schätzen, dass man in den allermeisten erfolgreichen Büchern Szenen findet, die in keiner Weise den Konflikt zuspitzen und im Desaster enden. Harry Potter fällt mir auf die Schnelle ein, wo viele Szenen primär der Unterhaltung und dem Weltenbau dienen. Oder die Szenen treiben den Konflikt voran, dies wird aber erst später deutlich, weil der Leser so früh noch nicht die Informationen hat, die ihn befähigen, dies zu erkennen. Das wäre meiner Einschätzung nach aber nicht das Desaster, wie Cathy Yardley es versteht, weil der Leser es ja am Szenenende noch gar nicht erkennt.

Kann mir da jemand auf die Sprünge helfen? Verstehe ich diesen Punkt des Schreibratgebers falsch oder plotte ich falsch?  ??? Und schreibt ihr wirklich nur Szenen, die im Desaster enden?
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Faye - Finding Paradise

Araluen

Also zum einen muss das Wort Desaster nicht so dramatisch verstanden werden, wie es das Wort suggeriert. Wichtig ist, dass beim Leser kein Gefühl der Zufriedenheit entsteht wie am Ende des Romans. Dann legt er das Buch nämlich weg. Das passiert dann, wenn die Szene erfolgreich aufgelöst wird - der Prota sein Ziel für diese Szene erreicht.

Bsp. (Blöd aber funktional): Tom geht in den Supermarkt um Eier für den Geburtstagskuchen seiner Freundin zu kaufen.
Positives Ende: Tom geht in den Laden, kauft Eier und backt in der nächsten Szene seinen Kuchen. Spannung? Gegen Null. Liest der Leser weiter? Vermutlich nicht.
Desaster: Tom geht in den Laden. Eier sind ausverkauft. Ziel nicht erreicht, Spannung bleibt oben, denn niemand weiß, wie Tom jetzt seinen Kuchen backen soll. Liest der Leser weiter? Vermutlich.
Tom geht in den Laden und die schöne Blondine von nebenan schnappt ihm die letzte Packung weg -> Handgemenge -> Eier kaputt, Hausverbot, wütende Nachbarin. Das fetzt würdeich sagen.
Tom geht in den Laden und kriegt seine Eier und eie SMS -> Schwiegermutter kommt auch zum Kaffee... Panik bei Tom. Lesen wir weiter? Klar, der Mensch liebt es drohende Katastrophen zu verfolgen.

Wir sehen: Der Leser liest immer weiter, wenn es noch kein zufrieden stellendes Ende gibt und das ist das Desaster. Es schürt den Konflikt und hält die Spannung hoch. Dabei muss es keine Katastrophe im eigentlichen Sinne sein und das Desaster wie in unserem Eierbeispiel (das zu einem superspannenden noch ungeschriebenen Thrilergehört  :rofl:) auch nicht zwingend zum roten Faden oder Hauptkonflikt gehören.

Also ja, jede Szene sollte für den POV in einem Desaster enden. Denn sobald erzufrieden ist, ist es der Leser auch ud legt das Buch weg.

Alana

#2
Das Ende einer Szene laut Cathy muss nicht mit einem Desaster enden, es soll nur nicht mit einem vollen Erfolg enden, da der Leser das Buch sonst weglegt. Ihr Tipp ist, jede Szene abzuschließen mit der Frage, hat die Figur in dieser Szene ihr Szenenziel erreicht? Die Antwort auf diese Frage darf nie einfach nur ja lauten, sonst sinkt der Spannungsbogen ab und der rote Faden hängt durch. Die Antwort sollte laut Cathy immer sein:

Nein
Ja, aber ...
Nein, und außerdem ...

Cathy hat wirklich viele tolle Tipps in ihren Büchern, aber man sollte auch das nicht dogmatisch behandeln bzw. versuchen, den Mechanismus zu durchschauen, der dahintersteht. Hier ist es meiner Meinung nach, dass jede Szene den roten Faden der Geschichte behalten, den Plot vorantreiben und die Spannung oben halten muss. Dazu brauchst du aber kein Desaster am Ende der Szene. Alles, was die genannten Dinge gewährleistet, ist in Ordnung. Meistens passt es für mich mit Cathys Tipps, manchmal aber nicht. Dann versuche ich, etwas anderes zu finden, das das Kapitel auf eine Art abschließt, so dass die Spannung erhalten bleibt etc.

Generell finde ich aber, dass Cathys Tipp gut und richtig ist und man auf diese Art einen dichten Plot erhält, der von Szene zu Szene spannend bleibt und nicht durchhängt. Man bemüht sich einfach viel mehr, Fäden, Subplots etc. durchzuflechten, wenn man versucht, wirklich für jedes Kapitel das No/ No and furthermore / Yes but Schema zu beachten.
Alhambrana

zDatze

Ich kenne die Methode als "Yes, but & No, and" und sehe sie als nützliches Tool, das man einsetzen kann aber nicht zwangsweise muss. Es hilft dir den Spannungsbogen oben zu halten und ich erkenne das Muster besonders oft bei jenen Büchern, die als Page-Turner angepriesen werden, oder auch, wenn ein Buch sehr episodenhaft geschrieben ist.

Endet die Szene in einem Desaster, dann führt das oft dazu, dass sofort weitergelesen wird. Das kann wunderbar funktionieren, oder aber auch total eintönig werden, wenn es zu viel verwendet wird. Das ist ja nichts anderes als ein Cliffhanger - und auch hier gilt, die Dosis macht das Gift. Nicht jede Szene muss ein Desaster am Ende haben. Nicht jede Szene braucht Action oder einen Cliffhanger, um die Spannung oben zu halten und manchmal sind es gerade die leiseren Töne (und Szenen), die erst wirklich klar machen, was auf dem Spiel steht.

Wenn dir die Methode hilft, den Spannungsbogen besser zu gestalten, dann hast du ein nützliches Tool gefunden. Allerdings gilt auch hier: eine Methode alleine ist kein Allheilmittel. Es kommt darauf an, was für ein Problem du damit beheben magst. :)

Cailyn

Ja, stimmt, es darf einfach kein voller Erfolg sein. Einfach deshalb nicht, weil jede Szene in eine andere übergreifen und zum Weiterlesen anregen sollte. Manchmal kann auch etwas erfolgreich abgeschlossen werden - darauf folgt aber ein "aber". Bsp: Wir haben den hinterhältigen Folterer erledigt, aber - was für ein Mist auch - jetzt ist der Ausgang der Hütte blockiert und wir kommen nicht mehr raus. Solche Desaster bemerkt man manchmal in Büchern gar nicht, weil z.B. das Kapitel endet, nicht aber die Szene. Das Kapitel könnte dort enden, wo der Folterer erledigt wird, und das Desaster - dass sie nicht unbemerkt aus dem Haus kommen - folgt im nächsten Kapitel.

In meinen Plots gibt es manchmal auch Szenen, in denen wirklich alles super scheint. Aber das mache ich dann so übertrieben, dass der Leser auf jeden Fall merkt, dass dem nicht so ist. Also Suspense schaffen, so dass der Leser ahnt, dass noch lange nicht alles vorbei ist wie es scheint.


Alana

Zitat von: Cailyn am 01. Juni 2018, 13:03:38
In meinen Plots gibt es manchmal auch Szenen, in denen wirklich alles super scheint. Aber das mache ich dann so übertrieben, dass der Leser auf jeden Fall merkt, dass dem nicht so ist. Also Suspense schaffen, so dass der Leser ahnt, dass noch lange nicht alles vorbei ist wie es scheint.

Jup, ganz genau diese Methode habe ich in meinem aktuellen Roman auch schon angwendet. :)
Alhambrana

Arcor

Zitat von: Araluen am 01. Juni 2018, 12:45:34
Also ja, jede Szene sollte für den POV in einem Desaster enden. Denn sobald erzufrieden ist, ist es der Leser auch ud legt das Buch weg.

Ich finde eben das zu kurz gegriffen. Natürlich sollen Charaktere leiden, denn wir wollen ja mitfiebern und sehen, wie sie Probleme meistern und Konflikte lösen. Aber diese Äußerungen klingen für mich danach, dass der Autor nie nie niemals den Charakter Erfolg haben darf, außer am Ende. Ich persönlich freue mich auch für Charaktere, wenn sie Erfolg haben, und lese mit einem glücklichen Grinsen auf dem Gesicht weiter.
Ich nehme einfach mal ein eigenes Beispiel, weil ich gerade deswegen Probleme mit diesem Aufbau habe:
Ein Prota von mir möchte mit seinem Schiff fortsegeln, hat aber Diebesgut an Bord und sein Schiff soll durchsucht werden. Dass er das Diebesgut noch an Bord hat, ist später relevant und soll da Nachteile mit sich bringen (sprich Desaster). In der Szene soll er aber Erfolg haben, das Diebesgut verstecken und ungeschoren davonkommen (ergo kein Desaster).
Wäre so etwas jetzt schlechter Aufbau/schlechtes Plotting, weil kein Desaster vorhanden ist, nur weil mein Prota in der Szene mit dem Szenenziel Erfolg hat?

Zitat von: Alana am 01. Juni 2018, 12:53:24
Cathy hat wirklich viele tolle Tipps in ihren Büchern, aber man sollte auch das nicht dogmatisch behandeln bzw. versuchen, den Mechanismus zu durchschauen, der dahintersteht. Hier ist es meiner Meinung nach, dass jede Szene den roten Faden der Geschichte behalten, den Plot vorantreiben und die Spannung oben halten muss. Dazu brauchst du aber kein Desaster am Ende der Szene. Alles, was die genannten Dinge gewährleistet, ist in Ordnung. Meistens passt es für mich mit Cathys Tipps, manchmal aber nicht. Dann versuche ich, etwas anderes zu finden, das das Kapitel auf eine Art abschließt, so dass die Spannung erhalten bleibt etc.
Danke, Alana, das beruhigt mich etwas, dass du das so siehst. Denn ich kann mich schon damit anfreunden, dass eine Szene die Spannung oben hält (zum Beispiel durch eine neu aufgeworfene Frage/eine frische Information etc.), der Charakter aber trotzdem sein Szenenziel erreicht (siehe mein Beispiel von oben).

Zitat von: Alana am 01. Juni 2018, 12:53:24Generell finde ich aber, dass Cathys Tipp gut und richtig ist und man auf diese Art einen dichten Plot erhält, der von Szene zu Szene spannend bleibt und nicht durchhängt. Man bemüht sich einfach viel mehr, Fäden, Subplots etc. durchzuflechten, wenn man versucht, wirklich für jedes Kapitel das No/ No and furthermore / Yes but Schema zu beachten.
Das finde ich gerade interessant, weil ich mich eh frage, wie Cathy scene meint. Szene ist ja ein eher relativer Begriff. Meint man damit den Abschnitt bis zur nächsten Leerzeile, bis zum nächsten Perspektivwechsel oder wenn Ort und Zeit gewechselt werden?

Zitat von: zDatze am 01. Juni 2018, 13:00:12
Wenn dir die Methode hilft, den Spannungsbogen besser zu gestalten, dann hast du ein nützliches Tool gefunden. Allerdings gilt auch hier: eine Methode alleine ist kein Allheilmittel. Es kommt darauf an, was für ein Problem du damit beheben magst. :)
Danke, das ist eine wichtige Anmerkung. Ich werde michd ann wohl nochmal an meine Szenenplanung setzen und schauen, wo vielleicht auch ohne Desaster Spannung erzeugt wird.
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Faye - Finding Paradise

Malinche

#7
Ich benutze diese Methode mittlerweile sehr gern, wenn ich plotte und meinen Szenenplan ausarbeite - das heißt, ich klopfe wirklich jede Szene darauf ab, ob es am Ende ein Desaster gibt (was ich, wie hier auch schon gesagt wurde, aber lediglich im Hinblick darauf verstehe, ob sie mit einem "nein", "nein und außerdem" oder einem "ja, aber" endet). Da das ja immer in Bezug auf das Scene Goal gedacht ist, klappt das bei mir eigentlich sehr gut - ich habe das Gefühl, dass ich dadurch wirklich eine bessere Dynamik in die Geschichte bekomme.

Ich mache das auch umgekehrt beim Überarbeiten, z.B. jetzt gerade für meine Gestohlene Stadt, und da ist es wirklich spannend zu merken, dass ich diese Elemente überall da habe, wo ich mit einer Szene auch zufrieden bin. Ruhige Szenen habe ich trotzdem viele, aber es gibt eben in jeder eine gewisse Entwicklung und einen Grund, bei der nächsten weiterzulesen (also, zumindest theoretisch).

Als ich bei Cathy Yardley zum ersten Mal von dieser Methode gelesen habe, kam es mir auch sehr krass und schwer umzusetzen vor. Aber wie schon gesagt wurde, es ist ja nicht so, dass jede Szene in einem sprichwörtlichen Desaster enden muss und dadurch nur noch Action herrscht, es geht einfach darum, dass das jeweilige Scene Goal nicht vollumfänglich erreicht wird. Dieses Goal kann auch etwas ganz Kleines, scheinbar Undramatisches sein ("Er will, dass sie ihm die Tür öffnet"), und entsprechend steht dann auch das Desaster immer in Relation dazu ("Nein - sie öffnet ihm die Tür nicht" oder "Nein, sie öffnet ihm die Tür nicht und gießt ihm außerdem vom Fenster aus noch einen Kübel Schmutzwasser über den Kopf").

[EDIT, weil es sich mit Arcor überschnitten hat] Das Beispiel mit dem Diebesgut ist cool. Ich kenne jetzt natürlich den genauen Kontext nicht, aber ich glaube, das wäre dann vielleicht ein Fall für ein "ja, aber"-Ende einer Szene: Ja, er hat das Diebesgut erfolgreich versteckt, aber Person XY von der Durchsuchung hat ihn weiterhin auf dem Kieker, zum Beispiel. Oder: Ja, er hat das Diebesgut erfolgreich versteckt, musste sich dabei aber von Figur AB helfen lassen und hat darum nun einen Mitwisser, der ihm gefährlich werden könnte. So in der Art halt. Oder auch einfach: Ja, er hat das Diebesgut erfolgreich versteckt, aber es ist eben noch immer an Bord und könnte jederzeit entdeckt werden.
»Be suspicious of the lemons.« (Roxi Horror)

Churke

Zitat von: Arcor am 01. Juni 2018, 12:26:36
Kann mir da jemand auf die Sprünge helfen? Verstehe ich diesen Punkt des Schreibratgebers falsch oder plotte ich falsch?  ??? Und schreibt ihr wirklich nur Szenen, die im Desaster enden?

Ich habe den Ratgeber nicht gelesen, aber ich finde den Gedanken rundum logisch. Es geht darum, die Erwartungshaltungen des Lesers zu durchkreuzen. "Rock your Writing".
Und es gilt wie bei jeder Regel: Wenn du weißt, wozu sie gut ist, dann weißt du auch, wozu sie schlecht ist, und wann du dich besser nicht daran hältst.
Wenn eine Figur etwa auf eine epische Niederlage zurennt, wäre es völlig falsch, ihr dabei Steine in den Weg zu legen. Das ist wie Napoleon in Russland: Es läuft alles super...  :psssst:

Zitat von: Arcor am 01. Juni 2018, 13:18:31
Ich nehme einfach mal ein eigenes Beispiel, weil ich gerade deswegen Probleme mit diesem Aufbau habe:
Ein Prota von mir möchte mit seinem Schiff fortsegeln, hat aber Diebesgut an Bord und sein Schiff soll durchsucht werden. Dass er das Diebesgut noch an Bord hat, ist später relevant und soll da Nachteile mit sich bringen (sprich Desaster). In der Szene soll er aber Erfolg haben, das Diebesgut verstecken und ungeschoren davonkommen (ergo kein Desaster).
Wäre so etwas jetzt schlechter Aufbau/schlechtes Plotting, weil kein Desaster vorhanden ist, nur weil mein Prota in der Szene mit dem Szenenziel Erfolg hat?

Frage: Warum wählst du diese Szeneneinteilung? In einer Szene beschreibst du eine erfolgose Durchsuchung. Aus der Perspektive des Durchsuchten.
Warum nicht so: Vorherige Szene endet damit, dass Soldaten das Auslaufen des Schiffs verhindern und es durchsuchen wollen. Schnitt. Cliffhanger.
Nächste Szene: Durchsuchung des Schiffs. Die Soldaten finden zwar keine Diebesbeute, aber dafür Schmuggelware, deren Ausfuhr verboten ist. Der Protagonist wird verhaftet. Schnitt. Cliffhanger.
Nächste Szene: Der Protagonist wird peinlich befragt. Dann ergeben die Ermittlungen, dass die Konterbande vom Maat an Bord gebracht wurde, der sich privat was dazu verdienen wollte. Der Protagonist darf gehen, aber der Maat wurde verhaftet und ohne Maat kann das Schiff nicht auslaufen...
Das geht dann irgendwann in Richtung Seifenoper. Vorher sollte man einen Punkt machen und dem Helden einen Plan zugestehen, der ausnahmsweise mal funktioniert.   

Alana

#9
ZitatDenn ich kann mich schon damit anfreunden, dass eine Szene die Spannung oben hält (zum Beispiel durch eine neu aufgeworfene Frage/eine frische Information etc.), der Charakter aber trotzdem sein Szenenziel erreicht (siehe mein Beispiel von oben).

Ich denke, genau das ist es ja, was Cathy mit Yes, but meint. Die Figur hat ihr Szenenziel erreicht, das ist schön, aber jetzt muss irgendwas passieren, damit der Plot weitergeht. In deinem Beispiel wäre das ein Sturm, der aufzieht und alles zu zerstören droht, oder einfach nur eine Erinnerung daran, dass es jetzt erst richtig losgeht, weil die Figur jetzt dank des Diebesguts den Plan vom Anfang endlich in die Tat umsetzen kann, was weiß ich. (Wobei ich das ehrlich gesagt nicht so stark finde, wenn ich überlege, ob mich das als Leser wirklich bei der Stange halten würde.) Oder manchmal einfach nur ganz "billig" ein "und er konnte kaum glauben, was er am Horizont erspähte". Ich sage billig, weil ich das meist nicht schön finde, sondern es mir lieber ist, wenn das But am Ende der Szene schon in der Szene oder im bisherigen Plot angelegt ist. Aber wenn es gut gemacht ist und dadurch ein Kontrast zum sonstigen Ende der Szene entsteht, kann sowas auch gut funktionieren. Die Schwierigkeit ist dann, diese Spannung gleich am Anfang der nächsten Szene mit der Antwort auf die Frage, was da am Horizont auftaucht, nicht wieder fallen zu lassen.

Wenn du Zweifel hast, würde ich es an deiner Stelle einfach mal testen. Schreib die Szene so, wie du sie dir vorstellst, mit positivem Ende. Dann schreib sie noch etwas weiter mit einem Yes, but Ende, vielleicht sogar mit und ohne Desaster. Wahrscheinlich stellst du fest, dass Letzteres besser funktioniert als ein reines Yes-Ende, ist zumindest meine Vermutung.
Alhambrana

Araluen

In deinem Szenenbeispiel arbeitest du stark mit Suspense, so wie es @Cailyn schon angesprochen hat. Gut, das Diebesrgut wird nicht gefunden, aber er hat immernoch Diebesgut dabei. Für den Leser ist es nur eine Frage der Zeit, bis er auffliegt (Suspense). Weder für Leser noch für POV sinkt die Spannung. Schließlich weiß auch der POV, dass er Diebesgut dabei hat und bei der nächsten Gelegenheit damit auffliegen kann. Richtig aufgelöst wird das Ganze erst, wenn er das Diebesgut los wird. Außerdem hast du bei der Betrachtung deines Beispiels das Pferd ein wenig von hinten aufgezäumt, weshalb es so wirkt, als hättest du kein Desaster. Es ist aber da  ;D
ZitatEin Prota von mir möchte mit seinem Schiff fortsegeln, hat aber Diebesgut an Bord und sein Schiff soll durchsucht werden. Dass er das Diebesgut noch an Bord hat, ist später relevant und soll da Nachteile mit sich bringen (sprich Desaster). In der Szene soll er aber Erfolg haben, das Diebesgut verstecken und ungeschoren davonkommen (ergo kein Desaster).
Das Ziel deines Protas in der Szene ist nämlich nicht, nicht mit dem Schmugglergut aufzufliegen. Sein Ziel ist es das Hafenbecken, vermute ich mal, auf einem Schiff zu verlassen.  Du schreibst ja selbst: Prota möchte mit einem Schiff fortsegeln. Das ist das Ziel. Das Diebesgut ist ein Attribut, was du erst danach noch hinzugefügt hast, um den Schwierigkeitsgrad zu erhöhen. Das ist ihm gelungen, ABER das Schiff wurde durchsucht. Er hat seinen Preis gezahlt, die Zeitverzögerung und verdammt viel Adrenalin vermutlich während er dem "Beamten" hinterherdackelte. Das mag nur minimal sein und keine Katastrophe im eigentlichen Sinn, aber es ist ein kleines Desaster, das die Suspense und damit die Spannung hoch treibt. Denn der Leser weiß nun, was dem Prota jederzeit wieder blühen kann, solange er sein Diebesgut dabei hat und dass es beim nächsten Mal schlecht ausgehen kann. Jetzt will er wissen, ob er es wirklich schafft, sein Ziel zu erreichen.
Ein voller Erfolg wäre es gewesen, wenn er aufs Schiff gegangen und los gesegelt wäre, ohne, dass ihn irgendwer auch nur dabei angeschaut hat. Und ich bin mir ziemlich sicher, dann würde niemand mehr weiterlesen.

Feuertraum

Ehrlich gesagt sehe ich es einen kleinen Tucken anders. Mal davon abgesehen, dass diese Technik schon im 20. Jahrhundert ein gern genutztes Stilmittel war (sprich es hat schon einige Jährchen mehr auf den Buckel) und besagte Autorin das Rad nicht neu erfunden hat, so behaupte ich dennoch: Nein, nicht jede Szene muss mit einem "Ja" oder "Nein, aber ..." Desaster enden.
Ich bin schon davon überzeugt, dass es auch Situationen gibt, in denen der Prota den einen oder anderen Erfolg am Ende einer Szene vorweisen kann, dann weiter durch die Geschichte wandert und da dann plötzlich etwas passiert.
Natürlich sollen Konflikte die Geschichte aufrechterhalten, und natürlich ist es ein legetimes Stilmittel, einen Konflikt zu verschlimmern bzw. mit anderen zu verknüpfen (ein gutes Beispiel dafür ist der Song "Freitag der 13. von Reinhard May) oder auch einen Konflikt lösen, wobei dann aber 2 - 3 neue dadurch auftauchen. Diese Methode ist übrigens ein sehr beliebtes Stilmittel bei den Drei Fragezeichen.
Aber ein stets und ständiges: Jetzt bekommt Held "aufs Maul" (symbolisch gesehen) und in der nächsten Szene erneut. Und dann wieder. Und schließlich nochmal. Und weils so schön ist, passiert das in den weiteren 27 Szenen ebenfalls.
Selbst im richtigen Leben passieren positive Dinge, lösen sich Konflikte mal in Wohlgefallen auf. Seinem Prota jedoch keine Ruhe zu gönnen und  immer nur "Hau drauf" ist in meinen Augen ein falsches Stilmittel.
Was hat eigentlich He-Man studiert, dass er einen Master of the universe hat?

Aphelion

#12
Ich finde, dass eine gewisse Spannung auch am Ende der Szene wichtig ist, aber ich finde es falsch, diese Spannung auf drei Varianten reduzieren zu wollen (oder krampfhaft alle Möglichkeiten einer der drei Varianten zuordnen zu wollen).

Darüber hinaus ist Spannung um der Spannung Willen nicht immer sinnvoll. Manche Szenen können fast komplett für sich stehen - und das ist auch in Ordnung so. Ich finde es sogar schade, wenn Lesenden nur noch ein Gefühl von schneller-höher-schöner-weiter-schlimmer-dramatischer vermittelt werden soll. Sollen wir die Leute jetzt auch noch in den Literatur-Burnout treiben? :d'oh: ;)

Der Ratgeber beschreibt ganz klar eine bestimmte Art von Literatur. Literatur kann aber auch ‌in Momenten verweilen. Die Kunst besteht mMn darin, die richtige Mischung zu finden, wobei "richtig" je nach Stil, Thema, Handlung und angestrebtem Effekt verschieden sein kann.

Alana

#13
ZitatIch finde es falsch, diese Spannung auf drei Varianten reduzieren zu wollen (oder krampfhaft alle Möglichkeiten einer der drei Varianten zuordnen zu wollen).

Ich auch, aber da muss ich jetzt das Buch mal verteidigen, das übrigens einer der tollsten, hilfreichsten Schreibratgeber ist, die ich kenne. Es geht nicht darum, irgendwas zu reduzieren, es geht darum, Autoren einfache, leicht merkbare und gut anwendbare Tipps an die Hand zu geben. Das hat Cathy hier gemacht und wenn man den Sinn dahinter als das Wichtige erkennt, dann kann man diese Regel für sich im Kopf behalten, ohne verkrampft einem dogmatischen Schema zu folgen, was niemals Cathys Rat und auch nicht ihre Absicht ist. Wer Ratgeber oder generell Tipps mit dem Wunsch studiert, feste Regeln zu finden, die immer gleich sind, geht falsch an die Sache ran. Was man versuchen kann, ist, sich ein Repertoire an Leitlinien zuzulegen, die einem helfen, die eigene Story auf Schwachstellen abzuklopfen und sie so gut wie möglich zu schreiben. Und genau das will Cathy hier auch tun.

ZitatSollen wir die Leute jetzt auch noch in den Literatur-Burnout treiben?

Da allerdings stimme ich dir absolut zu. Ich kann Bücher nicht ausstehen, die mich von einer Katastrophe in die nächste hetzen und empfinde den Tipp einiger Ratgeber, dass alles von Kapitel zu Kapitel schlimmer werden muss, als absolut kontraproduktiv. Aber diese groben Anhaltspunkte, die Cathy liefert, lassen sich auf alle Arten von Romanen anwenden, wenn man sie abstrahiert. Nicht immer, denn natürlich ist sie auch nicht perfekt und manchmal ist es schwer, ihre Regeln auf alles anwenden zu wollen. Aber das muss man ja auch nicht und das verlangt sie auch nicht. Dann muss man sich eben nach anderen Möglichkeiten umsehen und vielleicht noch weitere Ratgeber lesen oder in Foren diskutieren. Von wegen Burn-Out: wie ich oben schon beschrieb, was das sogenannte Desaster am Ende einer Szene darstellt, kann vollkommen unterschiedlich und gar nicht desaströs sein. Es können auch winzige Details sein, die nicht mal dramatisch sind. So lange sie den Leser wirklich interessieren und dadurch die Spannung hochhalten.
Alhambrana

Dämmerungshexe

ZitatIch kann Bücher nicht ausstehen, die mich von einer Katastrophe in die nächste hetzen und empfinde den Tipp einiger Ratgeber, dass alles von Kapitel zu Kapitel schlimmer werden muss, als absolut kontraproduktiv.

Mal davon abgesehen, dass, wenn einem nur Katastrophen und Schicksaslsschläge einfallen, um Spannung zu erzeugen, man sowieso eine ganzes Spektrum an Emotionen außer Acht lässt.
Ich denke jeder Wandel (sei es nun ein Twist, zusätzliche Infos oder eine charakterliche Weiterentwicklung, o.ä.) tut hier grundlegend den Dienst, insoweit er neue Fragen aufwirft. Zum Beispiel kann auch die Tatsache, dass sich zwei Figuren, die der Leser schon seit langem zusammen sehen will, endlich zusammenkommen, Spannung erzeugen, weil man weiß, dass das Zusammenkommen und das Zusammenbleiben zwei sehr unterschiedliche Dinge sein können - Wie geht es mit denen weiter? Wie werden die anderen Figuren reagieren?
,,So basically the rule for writing a fantasy novel is: if it would look totally sweet airbrushed on the side of a van, it'll make a good fantasy novel." Questionable Content - J. Jacques