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Unsere Wahrnehmung und unsere Texte

Begonnen von Elona, 07. März 2018, 07:11:31

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Aphelion

#30
Ich neige zu blumigen Beschreibungen. Bei der Mondscheinsonate von Beethoven würde ich z.B. die Wellenbewegungen und das sehnend-melancholische Ziehen der Melodie beschreiben. Musik "erzählt" oft etwas. Wenn ich ein reales oder fiktives Musikstück beschreibe, fühle ich mich hinein und versuche das zu beschreiben, was die Musik transportiert - und vor allem, wie die Reize auf eine bestimmte Figur in einer bestimmten Situation wirken.

In einer Kurzgeschichte, deren Namen ich vergessen habe, himmelt die Protagonistin in Feierlaune zuerst den Klarinettenspieler einer Jazzband an und findet das Saxophon schrecklich. Später geht es ihr schlechter und auf einmal findet sie einen Zugang zu den traurig quakenden Saxophonklängen.

Wie bei visuellen Reizen lassen sich aber auch objektivere Beschreibungen einsetzen: Lautstärke, Rhythmus, Tempo, Klangfarbe, Tonart, Tonhöhe, Ausdruck etc.

Wenn sich jemand unter einem Menuett nichts vorstellen kann, muss es eben beschrieben werden - genauso, wie Gegenstände oder Architekturtypen manchmal beschrieben werden müssen, weil nicht jeder mit den Begriffen etwas anfangen kann. Wie bei anderen Sinnen kommt es aber auch darauf an, ob es überhaupt wichtig ist, dass es sich um ein Menuett handelt. In einem historischen Roman mit einem passenden Setting sollte der Begriff schon auftauchen; wenn die große Schwester genervt ist, weil ihr kleiner Bruder zum zehnten Mal denselben Teil dieses dämlichen Dudidu-Hoppsassa-Stücks am Klavier versemmelt, kommt es auf den korrekten Namen nicht an.

Churke

Zitat von: Sanjani am 09. März 2018, 16:12:02
Musik so zu beschreiben, dass ein Musiker sie spielen kann, das halte ich für ein Gerücht.
Ich denke, du unterschätzt die Musiktheorie. Tonart, Tempo, Thema, Vortrag (legato, adagio, alla turca...) Stimmen, Begleitung, Rhythmus, Komposition... Für Otto Normalverbraucher halt reines Chinesisch.  ::)

ZitatUnd ich finde auch ehrlich gesagt, dass die Art des Musikstücks überhaupt nichts über das Stück aussagt.
Bei einem Menuett kennst du auf jeden Fall das Tempo. Außerdem ist es wahrscheinlich mehrstimmig und etwas pompös

Fledermaus

Hm, spannend, ich bin jetzt echt ins Grübeln geraten! Da könnte wirklich etwas dran sein :hmmm:
Bei mir ist es so, dass ich mir persönlich richtig schwer tue, mir etwas bildlich vorzustellen. Dieses "innere mentale Bild" habe ich nur in Ausnahmefällen und mit einiger Anstrengung, und wenn dann auch nur sehr bruchstückhaft. Es ist aber echt schwer zu erklären.

Als Beispiel: Wenn ich mir angenommen meine Mutter vorstellen will, kommt da kein Bild vor meinem inneren Auge, sondern eher Begriffe/Wörter, die sie beschreiben. Also ihre Haarfarbe, Augenfarbe, Haltung, etc ... Aber auf jeden Fall kein "Bild" wie bei einem Foto. Anderes Beispiel: Wenn jemand "Spielplatz" sagt, "baue" ich mir nicht im Kopf das Bild eines Spielplatzes, sondern denke automatisch an diesen einen bestimmten Spielplatz, auf dem ich als Kind immer war. Und dazu kommen dann Begriffe, wie "rote Rutsche, Schaukel aus Autoreifen, kleine, bunte Hütte ..." Und so sehr ich es auch versuche, ich kann mental nicht das Bild irgendeines Spielplatzes aufbauen. Kennt das vielleicht noch jemand? :o Ich habe sogar schon gemutmaßt, dass ich vielleicht Aphantasie habe, also ein fehlendes bildliches Vorstellungsvermögen (das Phänomen ist aber nicht wirklich wissenschaftlich erforscht, soweit ich weiß).

Oder ich bin einfach nicht wirklich ein visueller Typ. Beim Lernen ist das ähnlich, ich muss beim Lernen den Stoff immer handschriftlich selbst zusammenfassen, um ihn mir zu merken. Also vielleicht bin ich eher ein haptischer Typ? :hmmm: Dafür würde auch sprechen, dass ich bildhauerisch alles besser darstellen kann als gemalt/gezeichnet. Und aus dem Kopf etwas zeichnen funktioniert kaum (obwohl ich Kunst studiert habe ;D). Ich brauche immer eine Vorlage.

Aber: Wenn ich etwa ein Buch in meinem Regal suche, mich aber nicht an Titel oder Autor erinnere, finde ich es über das Cover, weil das z.B. blau/weiß war oder so etwas. Allerdings entsteht auch da kein Bild vor meinem inneren Auge, sondern ich erinnere mich eben an die Begriffe "blau, weiße, verschnörkselte Schrift", etc. Oder wenn ich bei einer Prüfung sitze und mir ein Begriff nicht einfällt, erinnere ich mich oft trotzdem daran, dass er im Skriptum auf Seite 50 links unten steht. Trotzdem taucht dann kein Bild des Skriptums vor meinem inneren Auge auf, sondern eben nur die Begriffe "Seite 50, weißes Papier, schwarze Schrift, links unten, fett gedruckt, rot unterstrichen", etc.

Vielleicht also ein haptisch/begrifflicher Typ oder so etwas? :hmmm: (Das mit dem "begrifflich " ist natürlich kein Lerntyp, beschreibt aber gut, was ich meine.)

Aber jedenfalls, die Parallele zu den Texten: Ein Betaleser hat sich mal beschwert, dass er sich meine Szenen und Charaktere kaum bildlich vorstellen kann. Und ja, da ist schon etwas dran. Schließlich habe ich beim Schreiben auch nicht wirklich ein Bild im Kopf. Ich bediene mich immer aus einer Art "Werkzeugkasten" in meinen Erinnerungen. Wenn also z.B. ein Charakter in einem Einfamilienhaus der oberen Mittelschicht wohnt, entsteht bei mir zwangsläufig im Kopf die Beschreibung eines ganz bestimmten Hauses, nämlich das der Mutter eines Freundes. Und ich kann es auch nicht wirklich visuell beschreiben, als ob ich gerade selbst drinstehen würde, sondern eben nur mit Begriffen. "Zweistöckig, viele Glasfronten, weißes Sofa, steht in einer Kleingartensiedlung ..."
Aber ein auditorischer Lerntyp (wegen den Begriffen) bin ich eigentlich überhaupt nicht :hmmm:

Ja, und wenn dann eben Orte beschrieben werden müssen, an die ich keine Erinnerungen habe, weil sie in anderen Welten sind und bei uns so gar nicht existieren können, wird es schwer. Ich kann mir dann natürlich behelfen, indem ich irgendetwas zusammenschustere, aber es ist halt echt blöd, wenn man sich selbst nicht wirklich visuell mitten reinfühlen kann. Deshalb versuche ich meist, das alles eher vage zu halten. Und deshalb mag ich auch Beschreibungen von Gerüchen, Geräuschen, Gefühlen (innere Monologe!) und so weiter viel lieber.

Minna

@Fledermaus:

ZitatBei mir ist es so, dass ich mir persönlich richtig schwer tue, mir etwas bildlich vorzustellen. Dieses "innere mentale Bild" habe ich nur in Ausnahmefällen und mit einiger Anstrengung, und wenn dann auch nur sehr bruchstückhaft.
Das ist bei mir hunderprotzentig genauso. Ich träume auch nicht in Bildern, sondern eher so als würde ich mir selbst eine Geschichte erzählen. Entsprechend schwer fällt mir dass dann immer mit den visuellen Beschreibungen in der Geschichte.

Was ich generell noch in die Diskussion mit einwerfen möchte: visuell, auditiv, kinästhetisch ect. sind auch nur Oberbegriffe. In allen Bereichen haben Menschen auch ein persönliches Wahrnehmungsprofil und nehmen manche Teilbereiche stärker wahr als andere. Zum Beispiel: Ich kann anhand des Geruches sagen, ob Brot schimmelig ist- der Rest meiner Familie isst es noch fröhlich weiter. (Bei genauerer Untersuchung habe ich aber immer recht). Außerdem nehme ich süßliche Gerüche, wie Blumen sehr deutlich wahr- mein Mann gar nicht. Dafür kann er mir an Hand des Raumgeruches sagen, wer sich vorher darin aufgehalten hat, während Menschen für mich gar keinen Eigengeruch haben. das selbe gilt für den Seh-, Tast-,Hör- und Geschmackssinn.

Und was die Lerntypen angeht, das ist auch nur eine Theorie von vielen, die es in tausend Variationen gibt- zum Beispiel gibt es manchmal noch den kommunikativen oder den Schreib/Lese Lerntyp. Also keine Panik, wenn du dich da nicht genau einsortieren kannst.

Fledermaus

Zitat von: Minna am 10. März 2018, 21:07:18
@Fledermaus:

ZitatBei mir ist es so, dass ich mir persönlich richtig schwer tue, mir etwas bildlich vorzustellen. Dieses "innere mentale Bild" habe ich nur in Ausnahmefällen und mit einiger Anstrengung, und wenn dann auch nur sehr bruchstückhaft.
Das ist bei mir hunderprotzentig genauso. Ich träume auch nicht in Bildern, sondern eher so als würde ich mir selbst eine Geschichte erzählen. Entsprechend schwer fällt mir dass dann immer mit den visuellen Beschreibungen in der Geschichte.

Was ich generell noch in die Diskussion mit einwerfen möchte: visuell, auditiv, kinästhetisch ect. sind auch nur Oberbegriffe. In allen Bereichen haben Menschen auch ein persönliches Wahrnehmungsprofil und nehmen manche Teilbereiche stärker wahr als andere. Zum Beispiel: Ich kann anhand des Geruches sagen, ob Brot schimmelig ist- der Rest meiner Familie isst es noch fröhlich weiter. (Bei genauerer Untersuchung habe ich aber immer recht). Außerdem nehme ich süßliche Gerüche, wie Blumen sehr deutlich wahr- mein Mann gar nicht. Dafür kann er mir an Hand des Raumgeruches sagen, wer sich vorher darin aufgehalten hat, während Menschen für mich gar keinen Eigengeruch haben. das selbe gilt für den Seh-, Tast-,Hör- und Geschmackssinn.

Und was die Lerntypen angeht, das ist auch nur eine Theorie von vielen, die es in tausend Variationen gibt- zum Beispiel gibt es manchmal noch den kommunikativen oder den Schreib/Lese Lerntyp. Also keine Panik, wenn du dich da nicht genau einsortieren kannst.

Ich freue mich jedenfalls, jemanden zu finden, der das ähnlich empfindet! :) Mit den Teilbereichen und den Variationen hast du natürlich völlig recht. Das kann man wohl einfach nicht so in klare Schubladen stecken, weil es von Mensch zu Mensch völlig unterschiedlich ist.
Aber interessant, dass du auch Träume aufgegriffen hast. Oft träume ich z.B. von einem Menschen, und obwohl der Mensch im Traum völlig anders aussieht, weiß ich trotzdem, dass es dieser Mensch war. Sehr seltsam :hmmm: Und auch sehr interessant. Das hat mich wie gesagt wirklich alles sehr zum Nachdenken gebracht.

Evanesca Feuerblut

@Fledermaus , das finde ich sehr interessant! Ich wurde mal von meinem Dozenten für irgendwas mit "American Literature" zusammengestaucht. Wir lasen Colson Whiteheads "Zone One" und er wollte wissen, wie wir uns den Prota vorgestellt haben, bevor
Sorry but you are not allowed to view spoiler contents.

Ich habe mir einen Rüffel dafür eingefangen, dass ich offen und ehrlich gesagt habe, dass mangels auch nur angedeuteter Beschreibung des Protagonisten er für mich gar kein Gesicht hatte. Da war einfach ein graues Männchen und das Gesicht verschwommen in meinem Kopfkino. Das ist zwar nicht ganz so extrem wie bei dir, aber eben doch so, dass ich Schwierigkeiten damit habe. Auch bei meinen eigenen Charakteren trainiere ich mühsam, um sie als Menschen/menschähnlich aussehende Wesen zu visualisieren und nicht z.B. als Trickfilmfiguren.
Der Grund?
Ich bin gesichtsblind. Für mich sind Gesichter in meiner eigenen Wahrnehmung einfach nicht sonderlich präsent und ich erkenne Leute an anderen Dingen wieder. Meist auf unbewusster Ebene. Gang, Geräusch ihrer Schritte, sowas.
Wenn ich also mal Leute beschreibe, dann meist:
- Augenfarbe (die fällt mir immer auf)
- Haarfarbe (das ist das drumrum)
- eventuell besondere Merkmale wie Narben oder Sommersprossen o.ä.
- aber ob die jetzt eine ovale Gesichtsform haben, eine runde oder sonst was für eine ... weiß ich meist selbst nicht

Das Gleiche gilt übrigens für Gefühle. Die meiste Zeit fühle ich mich, wenn man von körperlichen Empfindungen (warm, kalt, Hunger) absieht, mehr oder weniger neutral. Außer, ich werde von einer starken Emotion überrollt (wenn ich mitfühle, dann so empathisch, dass ich weine oder körperliche Schmerzen fühle. Wenn ich traurig bin, dann bis zum Weinkrampf, aber ich kann eben nicht ein bisschen traurig oder ein bisschen fröhlich/ein bisschen mitfühlend sein) Also werde ich auch eher keine Charaktere mit permanenter Gefühlskulisse schreiben - oder aber sie durch ein so heftiges und dramatisches Wechselbad der Gefühle schicken, bis es bei mir als Autorin wehtut. Dann weiß ich, dass ich auf einem guten Weg bin. Solange ich mich im Umkehrschluss nicht ausschalte beim Schreiben, weil ich mich zu gut in Kopfschmerzen hineinversetze oder so.

Schreiben mit anderen Sinnen kann man aber üben, zumindest versuche ich es so, indem man systematisch mal versucht, einen Sinn auszuknipsen und zu schauen, was dann mit dem Rest passiert. Eine meiner Romanfiguren kann als Mensch nur grob unterscheiden, ob es um sie herum hell oder dunkel ist. Also bin ich, wenn ich in ihrem Kopf stecke, darauf angewiesen, taktile Wahrnehmungen, Geräusche und Gerüche zu schreiben.
Dann starre ich nicht auf den Bildschirm, sondern auf die weiße Wand und tippe blind. Das hilft, mich reinzufühlen.

Aber es ist grundsätzlich nicht einfach, aus bestimmten Mustern auszubrechen.
Ich hatte mal eine Unterhaltung mit einer Kollegin, die überhaupt nicht verstanden hat, warum manche Autor*innen oft mit Träumen arbeiten - sie fände es total unrealistisch, so träumt doch niemand.
Wie es sich herausgestellt hat: Sie träumt nicht so.
Ich dagegen schon. Also baue ich auch gelegentlich Träume, so wie ich sie erfahre, in meine Romane ein. Wer aber selbst kaum träumt, wird auch die Romanfiguren kaum oder gar nicht träumen lassen.

Ixys

@ Mönchen: Wenn ich Musik (oder auch Gerüche) beschreibe, verknüpfe ich das ganz häufig (oft auch synästhetisch) mit anderen körperlichen Wahrnehmungen oder Erinnerungen. Zum Beispiel löst der Geruch nach Staub eine Kindheitserinnerung aus, die mit einem bestimmten Gefühl verbunden ist. Oder Ich vergleiche einen Klang mit einer haptischen Wahrnehmung (sanfte Klaviermusik, die sich anfühlt, als würden dir Blütenblätter über die Wange streichen/ Ein Bassrhythmus, der sich anfühlt wie ein Erdbeben...)

Zitat von: Evanesca Feuerblut am 11. März 2018, 09:47:36
Auch bei meinen eigenen Charakteren trainiere ich mühsam, um sie als Menschen/menschähnlich aussehende Wesen zu visualisieren und nicht z.B. als Trickfilmfiguren.
@Evanesca Feuerblut : Das finde ich spannend, wenn ich lese, sehe ich zwar Bilder, aber in meiner Vorstellung ist alles immer so ein bisschen Comicartig. Wenn ich zeichne, sieht alles auch immer ein bisschen nach Comic aus. Ich kann auch immer überhaupt nicht verstehen, wenn manche Leute beim Lesen sagen "Der Charakter sieht für mich aus wie dieser und jener Schauspieler". Schon lustig, wie unterschiedlich unsere Wahrnehmung funktioniert.
Stones taught me to fly
Love taught me to lie
         Damien Rice, "Cannonball"

Topaz

Danke euch allen für eure Meinungen. Das sich aus einem Text herauslesen lässt, welcher Sinnestyp der Autor ist, dass werde ich doch gleich mal beim Lesen von meinem nächsten Buch nachprüfen.

Ich finde Düfte und Geschmack für mich am schwierigsten zu schreiben.
Am häufigsten schreibe ich "sieht, entdeckt, erkennt, schaut genau hin". Das mache ich auch mit meinen Kindern "schau mal". Seit mir das ein Autor mal gesagt hat, dass ich doch mit allen Sinnen schreiben soll, achte ich darauf. Und seither sage ich auch zu meinen Kindern bewusst "hör mal, da wird gebaggert" statt "schau ein Bagger, der baggert". Oder "riech mal, die Krokusse" statt "schau mal Krokusse". Das ist eine ganz schöne Umstellung aber es eröffnet auch im Alltag neue Erlebniswelten. Diese Alltagsübung macht es mir inzwischen (manchmal) leichter in meinen Texten mehr Sinne in die Beschreibungen mit einzubeziehen.

Was mir beim Durchlesen des Threads aufgefallen ist: Das Parfüm von Patrick Süskind ist ein Buch in dem es von vorne bis hinten um Düfte und Geruch geht. Das musste ich mal in der Schule lesen und jetzt habe ich es nochmal auf meine Leseliste zum Analysieren gesetzt. Vielleicht hilft es dem einen oder anderen hier für Düfte und Gerüche weiter.

Über diesen Blogartikel zum Beschreiben von Düften bin ich heute gestolpert. Was sich nicht alles findet, wenn man plötzlich danach schaut.
Quintessenz war: Statt zu versuchen den Geruch von Schweiß zu beschreiben, soll man doch lieber schreiben, "er roch verschwitzt vom Rennen". Damit könnten die meisten Leser mehr anfangen als mit einer olfaktorisch detaillierten Beschreibung des Schweisgeruches.
Ich werde es ausprobieren.

Fledermaus

@Evanesca Feuerblut huh, spannend! Dein Beispiel könnte von mir sein. Das mit den Gefühlen kenne ich nicht, finde es aber auch sehr interessant. Ich habe noch nie so richtig darüber nachgedacht - deswegen ist dieser Thread ein toller Gedankenanstoß, wie man unterschiedliche Charaktere auch unterschiedlich "wahrnehmen" lassen kann.

Zitat von: Evanesca Feuerblut am 11. März 2018, 09:47:36
Schreiben mit anderen Sinnen kann man aber üben, zumindest versuche ich es so, indem man systematisch mal versucht, einen Sinn auszuknipsen und zu schauen, was dann mit dem Rest passiert. Eine meiner Romanfiguren kann als Mensch nur grob unterscheiden, ob es um sie herum hell oder dunkel ist. Also bin ich, wenn ich in ihrem Kopf stecke, darauf angewiesen, taktile Wahrnehmungen, Geräusche und Gerüche zu schreiben.
Dann starre ich nicht auf den Bildschirm, sondern auf die weiße Wand und tippe blind. Das hilft, mich reinzufühlen.
Ich habe schon mal versucht, aus der Perspektive eines blinden Charakters zu schreiben, und mich dafür eben auch hauptsächlich auf Geräusche, Tastsinn und Gerüche konzentriert. Ob es mir wirklich nachvollziehbar gelungen ist, weiß ich nicht, aber das Schreiben fiel mir eigentlich erstaunlich leicht ... Eventuell deshalb, weil ich eben selbst nicht wirklich in Bildern denke. Vielleicht sollte ich mal probieren, lieber andere Sinne "auszuschalten", um das mit der visuellen Wahrnehmung besser hinzukriegen :hmmm: Jedenfalls ein cooler Tipp, danke!

Mönchen

#39
Also ich finde das auch total interessant!

Zitat von: Ixys am 11. März 2018, 20:25:27
@ Mönchen: Wenn ich Musik (oder auch Gerüche) beschreibe, verknüpfe ich das ganz häufig (oft auch synästhetisch) mit anderen körperlichen Wahrnehmungen oder Erinnerungen. Zum Beispiel löst der Geruch nach Staub eine Kindheitserinnerung aus, die mit einem bestimmten Gefühl verbunden ist. Oder Ich vergleiche einen Klang mit einer haptischen Wahrnehmung (sanfte Klaviermusik, die sich anfühlt, als würden dir Blütenblätter über die Wange streichen/ Ein Bassrhythmus, der sich anfühlt wie ein Erdbeben...)

Zitat von: Evanesca Feuerblut am 11. März 2018, 09:47:36
Auch bei meinen eigenen Charakteren trainiere ich mühsam, um sie als Menschen/menschähnlich aussehende Wesen zu visualisieren und nicht z.B. als Trickfilmfiguren.
@Evanesca Feuerblut : Das finde ich spannend, wenn ich lese, sehe ich zwar Bilder, aber in meiner Vorstellung ist alles immer so ein bisschen Comicartig. Wenn ich zeichne, sieht alles auch immer ein bisschen nach Comic aus. Ich kann auch immer überhaupt nicht verstehen, wenn manche Leute beim Lesen sagen "Der Charakter sieht für mich aus wie dieser und jener Schauspieler". Schon lustig, wie unterschiedlich unsere Wahrnehmung funktioniert.

Ja, dass ein Geruch Gefühle, oder Erinnerungen auslösen kann, ist bei mir auch so.
Aber auch ein Geschmack kann das, wie mein Beispiel mit den Zimtsternen, die nach Weihnachten schmecken und das wohlige Gefühl von zu Hause in mir erwecken.

Musik kann ich überhaupt nur anhand körperlicher Reaktionen beschreiben. Wie den Bass, den man spürt, oder die Gänsehaut, die diese auslöst, oder eben die Gefühle und Erinnerungen.

Ich habe dagegen beim lesen sofort ein Bild von einer Person vor Augen.
Dabei habe ich dann oft das Problem, wenn das Buch dann z.B. verfilmt wird, dass ich da total enttäuscht sitze und denke: WAAAAS? Der sieht doch ganz anders aus!!  :no:


Zitat von: Topaz am 11. März 2018, 22:47:24
Was mir beim Durchlesen des Threads aufgefallen ist: Das Parfüm von Patrick Süskind ist ein Buch in dem es von vorne bis hinten um Düfte und Geruch geht. Das musste ich mal in der Schule lesen und jetzt habe ich es nochmal auf meine Leseliste zum Analysieren gesetzt. Vielleicht hilft es dem einen oder anderen hier für Düfte und Gerüche weiter.

Über diesen Blogartikel zum Beschreiben von Düften bin ich heute gestolpert. Was sich nicht alles findet, wenn man plötzlich danach schaut.
Quintessenz war: Statt zu versuchen den Geruch von Schweiß zu beschreiben, soll man doch lieber schreiben, "er roch verschwitzt vom Rennen". Damit könnten die meisten Leser mehr anfangen als mit einer olfaktorisch detaillierten Beschreibung des Schweisgeruches.
Ich werde es ausprobieren.

Danke für den Link und den Tipp. Das Buch "Das Parfüm" habe ich auch. Werd ich auf jeden Fall nochmal rein schauen. 
Wobei ich bei der Aufschlüsselung der verschiedenen Bestandteile eines Duftes dann auch wieder raus bin.

Den Geruch von Schweiß würde ich auch nie näher beschreiben (wollen) *Iiiihhhhh*
Höchstens auch, dass jemand eine Wolke seines Schweißgeruchs umgibt, oder eine Fahne seines Schweißgeruchs hinter sich her zieht, oder so.
Da würde ich vielleicht noch Adjektive benutzen, wie der scharfe, sauere, oder alte Geruch von Schweiß.
Mehr möchte ich von Schweiß nicht lesen, oder schreiben. 

Da finde ich, muss man auch nicht weiter beschreiben.
Wie z.B. auch nicht bei Mundgeruch, einer Alkoholfahne, oder Zigarettengeruch.
Aber auch nicht bei angenehmen Gerüchen. Wie der Geruch nach einem Sommerregen, frisch gemähtes Gras etc, da muss für mich nichts näher beschrieben werden.

Ich meinte eher den positiven Geruch eines Love Interests.
Da habe ich so meine Probleme. Sowohl beim lesen, als auch beim schreiben.

Zitat von: Ixys am 09. März 2018, 15:18:41
ich bin super sensibel für Gerüche, wenn es darum geht wie Personen riechen. Sei es Parfüm, Shampoo, Aftershave, ein bestimmtes Waschmittel, oder die Lederjacke, die jemand ständig trägt, die meisten Menschen, die ich näher kenne, würde ich am Geruch wiedererkennen. Sowas baue ich manchmal auch ganz gerne in meine Texte ein.
Wenn es aber um Gerüche in der Umgebung geht blende ich die wohl ganz häufig aus, beziehungsweise nehme zum Beispiel Essensgerüche nur dann bewusst wahr, wenn ich gerade hungrig bin.

Bei Frauendüften geht es noch. Egal ob Parfüm, Shampoo, Deo, Bodylotion etc.
Da fällt mir noch einiges ein wie blumig, oder fruchtig. Der Duft nach Vanille, oder Kokos etc

Bei Männerdüften dagegen: gähnende Leere.
Herb. Das einzige Wort, dass mir da noch einfällt.
Den Duft der Lederjacke finde ich ein super Beispiel. Auch das Waschmittel.
Und der Eigengeruch, der dabei noch mit einspielt, ergibt dann eben den einzigartigen Geruch.

Es gibt z.B. ein Männerparfüm, dass rieche ich meterweit gegen den Wind, weil ich so darauf abfahre. Das riecht für mich auch an jedem Mann gleich (gut!)
Beschreiben könnte ich den nicht, höchstens die Reaktion darauf.

Ich habe mal irgendwo gelesen: ein gutes Parfüm ist wie ein Orgasmus für die Nase  :vibes:

Sanjani

@Churke: Wenn ich Menuett höre, denke ich an die zweistimmigen Bach-Menuette, die ich als Klavieranfängerin gespielt habe. Von vielstimmig und pompös ist das meilenweit entfernt :)

@Fledermaus: Ich freue mich gerade zu hören, dass das kein Phänomen ist, das nur Menschen trifft, die nicht sehen können. Ich hab mich jedenfalls in deiner Beschreibung der Dinge sofort wiedergefunden. Mir ist es mal in einer Prüfung so gegangen, dass ich genau wusste, wo die Antwort im Skript steht, aber die Antwort selbst fiel mir nicht mehr ein. Mit Orten, an denen ich noch nicht war, geht es mir genauso wie dir. Aktuell bastle ich ziemlich erfolglos an dem Labor herum, das ich in einer Geschichte zu einem Standort erklärt habe. Bei mir geht das manchmal über Träume, aber ich kann es nicht willentlich herbeiführen. Ich mache es dann auch oft so wie du und benutze einen Werkzeugkasten :) Auch an Episoden aus meinem Leben erinnere ich mich übrigens genauso, auch nicht haptisch oder auditiv, sondern meist rein kognitiv. Erst wenn ich länger darüber nachdenke oder mit jemand ins Gespräch komme, kann ich mich auch emotional wieder erinnern.
Die einzige blinde Kuh im Tintenzirkel :)

Tigermöhre

Ich bin auch kein visueller Typ und habe wenig innere Bilder. Ich bin dadurch auch immer sehr fasziniert, wenn hier andere Bilder von ihren Protas posten. Ich habe keine Ahnung, wie meine Protas aussehen. ;) Beim Schreiben neige ich darum auch zu sprechenden Köpfen und muss sehr bewusst an Umgebungsbeschreibungen denken. Mir selber ist es eben nicht wichtig, wie der Raum aussieht.

Ich bin dafür der auditive und olfaktorische Typ. Z. B. finde ich es extrem anstrengend, Filme anzukucken. Meistens sitze ich daneben, höre zu und mache etwas nebenbei. Manchmal weiß ich den ganzen Film über nicht, wie die Charaktere aussehen, weil ich keinmal hinkucke. :rofl:
Gerüche nehme ich meistens sehr genau wahr. Ich kann z. B. sämtliche Menschen in meiner näheren Umgebung am Geruch erkennen, rieche schon zwei Tage vorher, wenn meine Kinder krank werden etc. (Interessanterweise stören mich die meisten natürlichen Gerüche überhaupt nicht. Verschwitzte Menschen in der Bahn? überhaupt kein Problem. Aber die Dekoabteilung bei Ikea ist die Hölle für mich.)
Ich muss nur aufpassen, wieviele Gerüche ich in eine Geschichte reinbringe. Als ich mich mal an eine Romance gewagt hatte, kommentierte das eine Freundin, dass der LI ja ziemlich stinkt. :rofl: