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Mehrere Epochen in ein und derselben Welt

Begonnen von zDatze, 05. Dezember 2016, 21:14:24

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Tex

#15
Ui, genau mein Thema. Meine Geschichten spielen alle in derselben Welt, teilweise aber mehrere Jahrhunderte (oder mehr) versetzt.
Zu deinen Fragen: Gerade als Leser liebe ich es, wenn ich verweise auf frühere Geschichten, die ich bereits kenne, habe. Denn so bekomme ich das Gefühl, auch wirklich in derselben Welt zurück zu sein und nicht einfach nur auf einem ähnlichen Planeten. Auch das Vergessen ist dabei kein Problem, solange du es begründen kannst. Wissen geht immer wieder verloren, Artefakte erst recht. Du brauchst nur einen plausiblen Grund, weshalb Magie, die in den meisten Welten ja doch mindestens mal ein recht starkes Werkzeug ist, vergessen wird. Ich habe das zum Beispiel so gelöst, dass Magie eine zeitlang nicht nutzbar war, da man sich in einem Krieg gegenseitig mit allen Mitteln daran gehindert hatte, Magie zu verwenden. So waren die nun unnützen Kenntnisse der Magie nach drei Generationen verloren. Aber auch antimagischer Fanatismus o.Ä. könnten dafür verantwortlich sein.
Natürlich fließen aber auch die Personen der Vergangenheit in meine Geschichten mit ein. Gerade wenn sie legendäre Taten vollbracht haben. Hat dein Prota des ersten Buches beispielsweise nach langer Tyrannei den Kaiser gestürzt und damit den Weg zur Demokratie geebnet, in der dein neuer Prota lebt, wäre es unlogisch, wenn man nicht zumindest in einigen Legenden und Liedern von ihm hören würde.
Nun zur "Verewebung" der Geschichten: Da kommt es ganz darauf an, inwiefern die Bücher einem bestimmten Stil entsprechen und wieviel der ersten Geschichte für die Zweite wichtig ist. Ist dein erstes Buch mittelalterorientierte High Fantasy, deine zweite nun aber Fantasy Fiction o.Ä., sollten sich die Bücher auch unabhängig voneinander lesen lassen, da die Zielgruppe teilweise eine Andere ist. Siedeln sich beide im selben Genre an und sind auch stilistisches und thematisch ähnlich, kannst du mehr des ersten Bandes in den Zweiten mit einbauen und vorraussetzen, dass der Leser zuerst den ersten Band liest. Gerade das wird aber den Leser wohl nicht stören, sondern eher sogar freuen. Denn (zumindest für mich kann ich das sagen) der Leser kann sich so viel mehr mit der Welt identifizieren und weiß, was er von der Welt erwarten kann.

Trippelschritt

Das geht mir auch so. Meine Pentamuria-Trilogie ist das Ende eines gewaltigen Zuklusses, und die Paranaea-Trilogie beschreibt den Anfang desselben. Allerdings auf einem anderen Kontinent. Es war sogar noch ein weiteres Doppelprojekt mit zwei Parallelbänden geplant, aber da kam mir eine andere Idee dazwischen, und jetzt muss ich ers teinmal unbedingt eine Wahnsinnsserie schreiben. Aber selbst in dieser Serie gibt es eine Seeschlange namens Foss, sie in den anderen beiden Zyklen auch vorkommt und damit andeutet, dass alles ohnehin immer nur ein und dieselbe Welt/Magie/Philosophie ist. Neija?

Trippelschritt

Teben von Westend

Ich persönlich hab nur eins gemerkt: ich hatte in meinem ersten Roman häufig den Hang dazu, alles viel zu ausgiebig zu erklären, und das nicht gerade geschickt. Absatzweise hab ich da über die unterschiedlichen Epochen geschrieben. Mittlerweile lasse ich vieles weg bzw. konzentriere mich auf das Wichtigste, das ich dann über die Charaktere selbst einführe.

Der schicke Avatar zu meiner Linken (<---) bspw. zeigt das Wappen der Handelskompanie von Westend. Als ein Kapitän derselbigen auf das Mitglied einer Volksgruppe traf, die von der Kompanie ausgebeutet wurde, habe ich absatzlang erklärt, was genau vorgefallen ist. Heute würde ich das ganz anders machen. Der eine würde dem anderen vllt. an die Kehle springen und diese Geschehnisse nur kurz andeuten. Das reicht denke ich schon.

Ausführliche Erläuterungen hebe ich mir für den Anhang auf. Wen es interessiert, der kann ja reingucken. Wer nicht, den will ich während dem Fließtext nicht langweilen.

Yamuri

#18
@zDatze:

Wie du ja weißt, hab ich ein Projekt, das sich quasi über ein Jahrzehnt hinweg zieht. Das liegt darin begründet, dass ich die Zeitabläufe realistisch darstelle, was wiederum bedeutet, eine Reise die zwei Wochen dauert, wird nicht auf einen Tag gestaucht, sondern dauert eben zwei Wochen. In diesem Projekt ist alles weniger schnellebig als bei uns und da die Konflikte überregional stattfinden, wird viel herum gereist. Berichterstattung ist nicht so einfach wie bei uns und das alles bedeutet einfach, dass sich die Ereignisse über einen längeren Zeitraum erstrecken. Meine Kapitel sind daher eher episodenhaft, aber nicht wie in einer Serie aufgebaut. Dennoch habe ich Ereignisse, die quasi vor dem Zeitabschnitt spielen, der abgebildet wird. Die Weltgeschichte ist ja schon länger.

Ich handhabe das so, dass ich einzelne Informationen einstreue, immer dann, wenn sie relevant sind für das Verhalten und wenn ich vorhabe das Ganze irgendwann vielleicht noch etwas größer auszubauen, in einem andren Buch. Die 5 Hauptbände sind ja ganz bewusst ein wenig wie eine Legendenerzählung und Ausschnitt einer Weltchronik und werden in ihrer Komposition so auch ein Einzelfall bleiben. Mir ist dabei bewusst, dass es sicher viele geben wird die das eventuell bekriteln, aber es würde sich anders falsch anfühlen.

Ich finde es übrigens toll Multiversen zu schaffen und alle Geschichten miteinander zu verweben, gerne auch Welt übergreifend. Ich habe beispielsweise in einem Projekt einfach mal erwähnt, dass ein Chara ein Buch liest, an dem ich auch schreibe, wodurch ich indirekt Werbung für andere Bücher machen kann, die ich selbst schreibe. :) Sowas finde ich auch so sehr spannend. Auch würde ich sagen: lass ruhig Aspekte aus andren Geschichten derselben Welt einfließen, oder deute Legenden an, ganz besonders dann, wenn du vorhast darüber auch zu schreiben. Kann mir vorstellen, dass das eine indirekte Werbung für die andren Bände sein kann, weil es wie ein kleiner Teaser auf ein andres deiner Projekte wäre.
"Every great dream begins with a dreamer. Always remember, you have within you the strength, the patience, and the passion to reach for the stars to change the world."
- Harriet Tubman

FeeamPC

Mehrere Epochen habe ich auch, aber ich springe in der Zeit. 7 Bände in Reihe in der "Neuzeit" mit Anspielungen auf frühere Geschichte, eine Prota darin, die einen Zeitsprung von mehr als 1000 Jahren macht und aus der Zeit vor dem Reich stammt, mehrere Kurzgeschichten, deren Inhalt sich über 1000 Jahre verteilt, jetzt eine Geschichte, die ca. 700 Jahre vor den ersten Bänden spielt, dann ein Band, der ca. 200 Jahre vor den ersten spielt, und am Schluss gehe ich die 1000 Jahre zurück in die Vergangenheit und schreibe den Anfang.
Vielleicht kommt ganz am Ende dann noch einmal eine Fortsetzung der ersten 7 Bände, da sind nämlich etliche interessante Leute, die bestimmt noch eine Geschichte zu erzählen haben.
Warum so bunt durcheinander?
Weil sich der Weltenbau erst beim Schreiben ergeben hat. Und weil die erwähnten Rückblick-Bände zu kritischen Zeiten spielen, in denen wesentliche Grundlagen gelegt wurden, die darum hochspannend sind.
Natürlich sind diese früheren Geschichten so geschrieben, dass man sie auch für sich alleine lesen kann.

Oneira

Ich schreibe sehr gerne so, dass die handelnden Charaktere ein paar Aspekte der Geschichte des Landes lernen müssen, um ihr Ziel zu erreichen. Zum Teil drehen sich meine Erzählungen auch darum, dass alte Ereignisse aus der Vergangenheit jetzt wieder zum Problem werden und sich eben nur kaum noch einer daran erinnert. Heißt aber nicht, dass ich nur Geschichts-Exkurse schreibe, sondern eher Brotkrumen.
Ich habe mich bisher eher an die Idee mit den Folge-Bänden gehalten, wenn ich so eine Idee zur Geschichte meiner Welt hatte. Allerdings habe ich auch Spaß daran, einen meiner Charaktere die alten Aufzeichnungen eines Anderen finden zu lassen, der wesentlich früher gelebt hat. So lässt sich die Geschichte der Welt ganz gut mit den "aktuellen" Geschehnissen kombinieren und außerdem gibt es dann, falls ich Lust habe, auch noch die Geschichte des Landes zu schreiben, schon einen Charakter, bei dem ich ansetzen kann: Den Autor dieser alten Aufzeichnungen!
Bücher sind der einzige Ort, an dem man den Charakter eines Menschen mit einem Federstrich ändern kann.

Wahtaria

Interessante Fragen!
Bei mir gibt es durch die Magie, die Möglichkeit in die Zeit zu reisen. Dadurch spielt die Geschichte automatisch in mehreren Epochen. Das war mir sehr wichtig, weil ich die Vergangenheit der Welt, die für meine Geschichte sehr wichtig ist, erlebbar machen wollte für die Leser. So wird es auch vorkommen das bestimmte Figuren einerseits in der Zeitreise aktiv auftauchen, aber auch in Schriften, Geschichten und Legenden behandelt werden.
Finde das sehr interessant und mag es damit zu spielen.
Auch finde ich es als Leser toll, mehrere Abenteuer in einer Welt zu erleben, auch wenn es nur wenige zusammenhängende Fäden gibt.

Oneira

Zitat von: Wahtaria am 05. Juli 2020, 10:04:23
Interessante Fragen!
Bei mir gibt es durch die Magie, die Möglichkeit in die Zeit zu reisen. Dadurch spielt die Geschichte automatisch in mehreren Epochen. Das war mir sehr wichtig, weil ich die Vergangenheit der Welt, die für meine Geschichte sehr wichtig ist, erlebbar machen wollte für die Leser. So wird es auch vorkommen das bestimmte Figuren einerseits in der Zeitreise aktiv auftauchen, aber auch in Schriften, Geschichten und Legenden behandelt werden.
Finde das sehr interessant und mag es damit zu spielen.
Auch finde ich es als Leser toll, mehrere Abenteuer in einer Welt zu erleben, auch wenn es nur wenige zusammenhängende Fäden gibt.

Zeitreisen fand ich auch schon immer sehr interessant, aber ich habe irgendwie noch keine Möglichkeit gefunden, es so zu schreiben, dass es nicht verwirrend wird. Lässt du einen Hauptcharakter durch die Zeitreisen führen und alles andere passiert quasi nebenbei? Ich hoffe, du verstehst, was ich meine. Ich schreibe gerne aus der Sicht von mehreren Charakteren und wenn die dann unabhängig voneinander Zeitreisen antreten, wird es chaotisch. Hättest du da vielleicht einen Tipp für mich?
Bücher sind der einzige Ort, an dem man den Charakter eines Menschen mit einem Federstrich ändern kann.

Nikki

Ein super interessanter Thread für alle, die einen Romankomplex ins Auge fassen.

ZitatWie handhabt ihr das, wenn ihr mehrere Romane zeitlich (einige Jahrzehnte) versetzt in derselben Welt ansiedelt?

Ad hoc fällt mir ein Beispiel ein, das man auf Folgendes runterbrechen kann: Werden und Sein.

Wie meine ich das? Mein Romankomplex erstreckt sich über mehrere Jahrtausende, was in Jahr 0 gerade erst entsteht, kann im Jahr 3046 fertiggestellt oder bereits wieder zerstört sein. Im Band 2 geht die Prota an einer Statue vorbei, die in Band 3 (in einer Rückblende) erst gebaut wird.

Anderes Beispiel: Die eine Welt ist ein Matriachat, in Band 1 und Band 2 ist das einfach eine Gegebenheit, die so hingenommen wird, in Band 3 erfährt man die Entstehungsgeschichte zu diesem politischen Konstrukt, wieso und warum.

Anderes Beispiel (wow, ich habe einen Lauf): In Band 2 tritt erstmals eine Volksgruppe von Aussätzigen auf. In einem Spin-Off, quasi ein Prequel, erfährt man, dass es diese Aussätzigen nicht immer gegeben hat, sondern durch politische Zerrüttungen gewisse Abspaltungen entstanden sind und diese stigmatisiert wurden.

ZitatOder findet ihr es doof, wenn man als AutorIn sich so ausgibig in ein und derselben Welt austobt und ständig eine Gesichte mit x anderen Geschichten (wie nah und fern auch immer) verwoben ist?

Vom leserischen und schreiberischen Standpunkt her kann ich nur sagen: Überhaupt nicht. Wenn ich mir als Autor*in so viel Mühe gemacht habe, eine interessante Welt zu schaffen, wieso sollte ich ihre Möglichkeiten dann nicht ausschöpfen? Als Leserin freue ich mich, wenn das Universum weiterlebt, in das ich mich "verlesen" habe.  :)

Aber: Mir scheint, die Fragestellung ist eine andere als die obere. Nur weil zwei Geschichten in derselben Welt stattfinden, müssen sie nicht zwangsläufig miteinander verwoben sein. Die Geschichten können unabhängig voneinander im selben Universum spielen, ohne dass ihre Konflikte und Figuren einander je tangieren.

Oneira

@Nikki
Das mit den Prequels habe ich auch schon ins Auge gefasst, aber das ist für mich eben einfacher zu realisieren. Ich frage mich eben immer: Wenn ich in einem einzigen Buch Rückblenden und so etwas einbaue, ab wann wird es einem Leser zu verwirrend? Und ist es allgemein zu verwirrend?
Ich habe als Autor(in) die Wahl: Entweder ich verflechte in einem Werk mehrere Zeitstränge oder ich schreibe alle Zeitalter chronologisch oder ich schreibe Pre- und Sequels. Manchmal habe ich Lust auf Option 1, aber ich frage mich eben, wie ich es anstelle, dass das nie verwirrend wird. Ich habe als Autor ja einen perfekten Überblick über alle Geschehnisse vorher und nachher, aber mein Problem ist, finde ich, ich kann mich nicht in den Leser hineindenken. War das, was ich ihm jetzt erzählt habe, zu viel oder zu wenig an (verwirrenden) Verflechtungen?
Ich hoffe, ihr versteht, was ich meine. Wie löst ihr das? Über Testleser, die euch Feedback geben?
Bücher sind der einzige Ort, an dem man den Charakter eines Menschen mit einem Federstrich ändern kann.

Nikki

ZitatWenn ich in einem einzigen Buch Rückblenden und so etwas einbaue, ab wann wird es einem Leser zu verwirrend? Und ist es allgemein zu verwirrend?

Darauf gibt es leider keine universale Antwort, denn: Es gibt mehr als nur den einen Leser, auf jeden Menschen wirkt jedes Wort unterschiedlich. Du kannst an Leser*innen geraten, die Rückblenden kategorisch ablehnen, oder an solche, die sie für ein elegantes Stilmittel halten.

ZitatWie löst ihr das? Über Testleser, die euch Feedback geben?

Ganz genau. Nur durch unterschiedliche Meinungen kannst du herausfinden, ob deine Intentionen fruchten. Es gibt immer 3 "Aggregatzustände" deines Texts: der in deinem Kopf (das, was du ausdrücken möchtest), der niedergeschriebene (das, was dasteht) und der gelesene (das, was Leser*innen im Kopf haben, wenn sie deinen Text lesen).

Es gilt dann immer abzuschätzen, inwieweit der gelesene Text von dem in deinem Kopf abweicht und wie viel Abweichung verschmerzbar ist. Wenn du bspw. einen rechtschaffenen Polizisten schreiben willst, ein*e Leser*in aber die Figur als Gauner interpretiert, hast du ein Problem. Wenn dein besagter rechtschaffene Polizist als jemand ausgelegt wird, der überwiegend in Grauzonen operiert, aber dennoch Opfern zu ihrem Recht verhilft, dann ist das weniger gravierend.

Nur im Gespräch bekommst du heraus, ob deine Strategie aufgeht und dann musst du überlegen, inwiefern du auf das entsprechende Feedback eingehen kannst und willst.

Churke

Wenn von Epochen die Rede ist, fällt es mir schwer, das als eine Welt im literarischen Sinne anzusehen, da die Epochen nur dann Sinn ergeben, wenn jede von ihnen ein eigenes Setting definiert. Sie stellen damit literarisch getrennte Welten da. Das mächtige Königreich aus der ersten Geschichte ist in der zweiten vielleicht eine Republik, in der dritten Geschichte eine Diktatur, in der vierten ein ferngesteuerter Klientelstaat usw.. Spiegelbildlich ändern sich auch die Gesellschaften und die Protagonisten.

Oneira

Zitat von: Nikki am 07. Oktober 2020, 14:31:30
Darauf gibt es leider keine universale Antwort, denn: Es gibt mehr als nur den einen Leser, auf jeden Menschen wirkt jedes Wort unterschiedlich.

Okay, du siehst das also auch so. Das finde ich eben immer etwas schwierig.

Zitat von: Nikki am 07. Oktober 2020, 14:31:30
Es gibt immer 3 "Aggregatzustände" deines Texts: der in deinem Kopf (das, was du ausdrücken möchtest), der niedergeschriebene (das, was dasteht) und der gelesene (das, was Leser*innen im Kopf haben, wenn sie deinen Text lesen).
Das ist mal eine treffende Beschreibung, gefällt mir!

Zitat von: Nikki am 07. Oktober 2020, 14:31:30
Nur im Gespräch bekommst du heraus, ob deine Strategie aufgeht und dann musst du überlegen, inwiefern du auf das entsprechende Feedback eingehen kannst und willst.
Was das angeht, finde ich es auch schwierig, wenn die Testleser genau solche Sachen nicht richtig in Worte fassen können. Aber solche Gespräche sind eigentlich immer ganz interessant und aufschlussreich, das stimmt.
Bücher sind der einzige Ort, an dem man den Charakter eines Menschen mit einem Federstrich ändern kann.

Nikki

ZitatWas das angeht, finde ich es auch schwierig, wenn die Testleser genau solche Sachen nicht richtig in Worte fassen können.

Das ist wirklich von (Test-)Leser*in zu (Test-)Leser*in unterschiedlich. Manche können genau den Finger auf die Stellen legen, die (für sie) nicht funktionieren, von anderen kriegst du nur ein generelles Feedback. Sieh es aber auch so: Ein Text kann gar nicht so schlecht sein, wenn generell positives Feedback zurückkommt. Denn das bekommst du nur (von ehrlichen Leuten), wenn der Text für sie funktioniert. Ein*e Leser*in muss nicht in Worte fassen können, wieso ein Text der eigenen Meinung nach gut ist (wäre natürlich toll zu wissen, wieso und warum genau, aber das ist eher ein Bonus  ;) ärgerlich wird es nur, wenn jemand sagt "gefällt mir nicht. ist halt so.") Manche lesen genauer als andere, manche legen den Wert auf unterschiedliche Dinge, wie das Gesamtfeedback unterm Strich lautet, sollte für uns Autor*innen wichtig sein.

Jetz mal am Beispiel der Rückblenden: Du hast dich dazu entschieden, einen Roman zu schreiben, dessen markantes Stilmittel die Rückblende ist. Nun ist da ein*e Leser*in von 10 und sagt: Pfoah, Rückblenden gehen gar nicht, voll ätzend. Diese Person könnte dir womöglich sogar ein paar Stellen nennen, wo die Rückblende besonders auffällt, und bietet dir sogar Alternativvorschläge, die Hand und Fuß haben. Nun hast du dich aber dafür entschieden, deinen Roman überwiegend über Rückblenden zu konstruieren. 9 von 10 Leser*innen finden das gut bzw. haben nichts daran auszusetzen. Wirst du jetzt wegen dieser einen Person deinen gesamten Roman umschreiben? Ich würde es nicht tun, denn a) habe ich im Vorfeld die Entscheidung getroffen, ich möchte einen Roman mit Rückblenden schreiben b) beim Großteil der Leute kommt der gut an und c) selbst wenn ich ihn nach den (guten) Vorschlägen der kritischen Stimme überarbeiten würde, weiß ich eins mit Sicherheit: 9 von 10 Leuten können den neuen Roman genauso gut finden, dann kommt die 10. Person mit ihrer (vermutlich in ihren Augen berechtigten) Kritik und prompt befinde ich mich in einem Teufelskreis, in dem ich es allen rechtmachen will, aber das nie erreichen werde. Das Ergebnis wird sein, dass ich todunglücklich bin, weil ich eigentlich nur einen Roman mit Rückblenden schreiben wollte, aber die eine Kritik einer Einzelperson, die ganz andere Ansprüche und Ziele hat als ich, über das Feedback der anderen und meine eigenen Bedürfnisse als Autor*in gestellt habe.

Oneira

#29
Zitat von: Nikki am 16. Oktober 2020, 17:13:08
ärgerlich wird es nur, wenn jemand sagt "gefällt mir nicht. ist halt so."

Ja, genau das meine ich. Und ich hatte auch schon Leute, die gesagt haben: Hm, ist ganz gut, aber ich kann dir nicht sagen, was du besser machen kannst. Aber das ist allgemein ein Problem, nich nur bei Rückblenden im Roman.

Zitat von: Nikki am 16. Oktober 2020, 17:13:08
9 von 10 Leser*innen finden das gut bzw. haben nichts daran auszusetzen. Wirst du jetzt wegen dieser einen Person deinen gesamten Roman umschreiben?

Hm, kommt vermutlich drauf an, ob ich das tun würde. Manchmal hat ja auch ein Testleser eine Idee, wie es ein bisschen besser geht, ohne dass ich das Problem gnaz und gar weglasse. Wenn man diesem einen von 10 Kritikern auf halbem Weg entgegen kommt, nehme ich so eine Möglichkeit gerne an. Aber kommt auch allgemein auf das Problem an...

Aber was die Rückblenden angeht: Da frage ich mich schon bei der Planung eines Romans, wie ich so etwas anstellen kann, noch bevor ich überhaupt die Möglichkeit habe, es einem Testleser vorzulegen. Mir vorzustellen, welche Möglichkeit, etwas zu schreiben, am besten ankommt, bevor ich es gemacht habe, finde ich auch schwierig.
Bücher sind der einzige Ort, an dem man den Charakter eines Menschen mit einem Federstrich ändern kann.