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Spannung erzeugen: Worauf muss man achten?

Begonnen von Trippelschritt, 09. November 2016, 08:49:39

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Trippelschritt

Jeder gute Geschichtenerzähler weiß, wie er zu erzählen hat, damit die Zuhörer atmelos an seinen  Lippen hängen. Leider weiß er das oft nur intuitiv. Autoren sind Geschichtenerzähler, aber im Gegensatz zu den Kollegen, die ihre Geschichten vortragen und nur einen Versuch haben, dürfen Autoren die Spannungserzeugung in unzähligen Überarbeitungsschritten optimieren. Aber wie erzeugt man Spannung?
Und da geht es mir nicht nur um Thriller (dazu gibt es einen thread), sondern um das Grundsätzliche, denn auch ein sanfter Liebesroman baucht Spannung, weil sonst der Leser einschläft.

Wie wichtig Spannung ist, muss ich hier im forum gar nicht betonen. Ich habe die Suche laufen lassen und kam auf sechs seiten Spannung allein in Workshop. Aber alles behandelt Einzelelemente und nirgendwo habe ich etwas gefunden, dass einem Autor hilft, eine spannende Geschichte zu schreiben. Und das Schöne daran ist: Es betrifft Bauch- wie Planschreiber gleichermaßen.

Wie macht ihr das?

Ich bin gespannt
Trippelschritt

Araluen

Technik würde ich nicht nennen, was ich da habe. Aber ich versuche es einmal zu bschreiben. Damit ich Spannung erzeuge, muss für mich die Szene greifbar sein. Der Leser soll sich im Grunde als Teil der Szene fühlen und in sie hinein gesaugt werden, nicht indem ich ihn direkt anspreche, sondern dafür sorge, dass er sich in die Figuren absolut hinein versetzen kann. Und dann sagt in meinen Augen das Ungeschriebene mehr als tausend Worte. Ich überlasse es dem Leser gerne selbst, sich manche Aspekte zu erschließen. Für mich erzeugt es Spannung, wenn ich als Leser eigene Theorien aufstelle und dann der Auflösung dieser Theorien (Dabei kann es sich auch um Kleinigkeiten, Subplots oder Hintergründe handeln) entgegenfiebere. Da mir das selbst gefällt, versuche ich das auch in meine Geschichten mit einfließen zu lassen.

Lazlo

Das, was Araluen sagt, unterschreibe ich natürlich. Erstmal ist es wichtig, sich mit der Person, die sich in der Szene befindet, zu identifizieren. Der Leser muss mitfiebern, bangen und hoffe, dass er da irgendwie wieder heil aus der Situation herauskommt. Dazu muss ich ihn mit allen Sinnen die Szene durchleben zu lassen. z.B. steht im Dunkeln, schwitzt aus allen Poren, hört einzig seinen Herzschlagen und seinen keuchenden Atem usw. Dann lege ich auch gerne falsche Fährten aus oder lasse den Leser eine Zeitlang im Ungewissen, um die Spannung zu erhöhen.

canis lupus niger

#3
Indem der Leser sehr nahe am Perspektivträger gehalten wird, kann er nur das wahrnehmen, was dieser Perspektivträger wahrnimmt. Aber auch alles das, bis hin zu unbewussten Wahrnehmungen leisester Töne. Er kann ebenso überrascht und erschreckt werden, wie der POV. Was sieht der POV? Was hört er? Im Gegensatz vielleicht zu seinen Erwartungen? Er betritt z.B. eine Wohnung auf der Suche nach einer anderen Person. Wider Erwarten ist sie nicht da. Er ruft den Namen, er geht von Raum zu Raum. Dabei fällt sein Blick auf dies und das, alles Dinge ohne Bedeutung. Das Äquivalent zum Synthesither-Gebrummel im Film. Man kann "hören", was ihm durch den Kopf geht. Nebensächlichkeiten, aber immer wieder berühren seine Gedanken die fehlende Person. Womöglich sieht er aber auch etwas Unerwartetes, das ihn in Sorgen versetzt. Die Spüliflasche in der Küche ist vielleicht umgekippt und tröpfelt auf den Fußboden. Eine Scherbe liegt auf dem Teppich im Wohnzimmer. Dabei ist der Gesuchte doch so ordentlich. Wo steckt er nur? UND DANN! Dann sieht der POV etwas, das er nicht erwartet hat. Vielleicht die Füße von jemandem, der hinter dem Vorhang steht? Oder von jemandem, der hinter der Badezimmertür auf dem Fußboden liegt? Oder hört er einen Aufprall von jemandem, der aus dem Fenster klettern wollte und dabei abgestürzt ist?

Spannend kann aber auch der Plotverlauf sein. Der Perspektivträger bemüht sich, ein Ereignis zu verhindern (oder herbeizuführen) und muss dabei etliche Probleme bewältigen. Und die Zeit wird knapp! Er macht und tut, und es wird immer enger, je näher das Fristende kommt. Es muss realistisch infrage stehen, ob das Ziel erreichbar ist.

HauntingWitch

#4
Ich habe mal gelesen: Spannung ist, wenn mehr Fragen offen sind, als beantwortet werden. Woanders habe ich gelesen, dass Spannung entsteht, wenn körperlich, existenziell oder emotional eine ernsthafte Gefahr für die Figur, der man gerade folgt, besteht. Ich denke, es ist eine Mischung aus beidem. Der "Trick" wäre daher, nicht gleich alles zu offenbaren, sondern Informationen nach und nach aufzudecken. Zum Beispiel in Canis' Beispiel könnte man beschreiben, was er sieht und dass diese oder jene Gegenstände nicht dort stehen, wo erwartet. Man sagt aber nicht, dass jemand hinter dem Vorhang ist, bis der Protagonist davor steht. Aber ich nehme mal an, das wissen wir alle, zumindest intuitiv.  ;D

Die Schwierigkeit, die ich dabei sehe, ist, zu wissen, wann man die Informationen richtig verteilt. Woher weiss ich als Autor, ob ich zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Geschichte zu viel oder zu wenig preisgebe? Ich muss ja so viel erzählen, dass der Leser mitkommt und die Orientierung behält, aber nicht so viel, dass es berechenbar wird (weil er dann die Antworten auf die Fragen kennt, ergo Spannung ist raus). Zu spüren, wo die Schwelle ist, wie viel Information genau richtig ist, das finde ich das Schwierige. Dafür habe ich noch keinen Trick gefunden.

Aber was heisst "Tricks", Methode hat das bei mir auch keine. Ich schreibe einfach und hoffe, dass mein Gefühl etwa stimmt. Danach helfen dann die Betaleser.

Sternsaphir

Also ich habe bemerkt, dass ich, je näher ich beim Perspektivträger bleibe und dadurch die Sicht und das Wissen des Lesers einschränke, mehr Spannung erzeuge.
Dadurch, dass ich nicht alle Fragen und Rätsel sofort löse, erhalte ich die Spannung.
Ein weiteres Element sind für mich Plotwendungen, also weg von der linealgeraden Handlung, wo man schon am Anfang weiß, wie das Ende aussehen wird. Das können sowohl einzelne Figuren betreffen (z.B. der hilfreiche Freund entpuppt sich als Verräter) als auch ganze Erzählstränge, die plötzlich eine andere Richtung einnehmen (z.B. Prota befreit Dorf aus der Hand einer böse Hexe und sie hassen ihn trotzdem dafür).
Je weniger man den Plot vorhersehen kann, desto spannender wird er.

Trippelschritt

Mir fällt auf, dass sich in den Beiträgen zwei Spannungsgruppen herausschälen. Die eine hat estwas mit dem Plot zu tun. Die andere wirkt auf der Ebene einer Szene. Das sind auf jeden Fall schon mal unterschiedliche Maßstäbe, die es zu berücksichtigen gilt. Ob die Spannungserzeugnis auch auf unterschiedliche Methoden zurückgreifen muss, ist dabei noch nicht klar.

Liebe Grüße
Trippelschritt

Elona

Mal ein paar Gedanken in den Raum geworfen:

Um auf dein Beispiel mit dem Geschichtenerzähler zurückzukommen. Es gibt jene Personen, die ein unglaubliches Talent haben, egal was sie erzählen, du hängst an ihren Lippen. Da kommt es auf die Art und Weise wie an (Ebene der Szene), nicht unbedingt auf das Was. Dann gibt es andere, da interessiert dich das Was (Plot).
Denkbar, dass es beim Schreiben das Gleiche ist. Leider habe ich gerade für das ,,keine Spannung, aber der Schreibstil zieht einen einfach mit" kein konkretes Beispiel. Aber ich erinnere mich, dass ich diesen Effekt schon hatte. Kein Interesse für den Inhalt, aber das Wie es geschrieben war, ließ es mich doch lesen, einfach weil ich es mochte.

Ich denke, dass beste Ergebnis wäre, wenn man beides vereinen würde, aber das ist schwierig, da am Ende die Wahrnehmung darüber subjektiv ist.

Meine Vermutung wäre, dass der Plot jedoch nicht ausreichend wäre, gerade auf das Schriftliche bezogen, egal wie spannend er auch ist, wenn er einfach nur abgehandelt werden würde. Und da kämen wir dann zu den Vorschlägen die hier bereits erwähnt worden sind und auch dazu, ein Mittelmaß zu finden. Ich z.B. neige zur Geheimniskrämerei.  :hmhm?:

Oder ich habe gerade allgemein etwas missverstanden, auch denkbar.  :rofl:

HauntingWitch

@Trippelschritt: Ich verstehe nicht ganz, was du meinst. So wie ich das sehe, kann man doch alle diese Techniken oder Arten der Spannungserzeugung sowohl innerhalb einer einzelnen Szene anwenden als auch auf den ganzen Plot (ob miteinander oder unabhängig voneinander).

Trippelschritt

Ich meine erst einmal gar nichts (klar, habe ich eine eigene Meinung, aber die möcht eich niemandem einfach so aufs Auge drücke), sondern beziehe mich nur auf die bisherigen Beitrage. Aber ich vermute stark, dass Methoden, die auf Basis einer Szene wirken, nicht unbedingt für die Grobstruktur geeignet ist. Ein ganz einfaches Beispiel, bei dem ich mir sicher bin. Es ist möglich Spannung durch Action zu erzeugen. Auch wenn nicht jede Action gleich zu Spannung führt. Aber es geht. Action ist aber unmöglich für eine Spannung, die über die ganze Geschichte halten soll.

Was hierher noch nicht erwähnt wurde - oder ich habe es überlesen - ist die Arbeit mit Konflikten. Und Konflikte gibt es auf jeder Maßstabsebene. Der Zentralkonflikt ist immer der für den ganzen Roman und er wird am Ende aufgelöst - oder auch nicht. Aber es gibt auch jede Menge Konflikte auf dem Weg dahin. Ich weiß selber nicht, weil ich das immer intuitiv mache, ob es eine Einheitsmethode für den Umang mit Konflikten gibt oder  ob das viel komplizierter ist. Ich weiß nur, die Konfliktlösungen müssen sich unterscheiden, denn sonst wird es langweilig.

Liebe Grüße
Trippelschritt

Elona

Ich hatte zwar an Konflikte gedacht, aber aus dem gleichen Grund wie
Zitat von: TrippelschrittEin ganz einfaches Beispiel, bei dem ich mir sicher bin. Es ist möglich Spannung durch Action zu erzeugen. Auch wenn nicht jede Action gleich zu Spannung führt. Aber es geht. Action ist aber unmöglich für eine Spannung, die über die ganze Geschichte halten soll.
sie nicht genannt.

Konflikte bedeutet nicht zwangsläufig Spannung. Sie mögen die Grundlage sein (auch für die Geschichte selbst), aber dennoch landen wir damit wieder bei wie man sie in einer Szene umsetzt. 
Ein Konflikt kann in seiner Idee noch so toll sein, aber wenn er nicht entsprechend rübergebracht wird, erzeugt er auch keine Spannung. Im schlimmsten Fall wird er noch nicht einmal wahrgenommen. Beispiel (häufig auch schon in Rezensionen gelesen): Der Autor gibt an das der Prota ein Problem mit xyz hat, aber eben dieses Problem (Konflikt) kann der Leser nicht nachempfinden. Damit bleibt es eine Behauptung des Autors, die er nicht schafft in seinem Text/seiner Geschichte zu transportieren. Spannung kann man das nicht nennen, denke ich. 

Trippelschritt

#11
Völlig Deiner Meinung. Deshalb würde es mich ja auch interessieren, mit welchen Mitteln du durch Konflikte Spannung erzeugst. Und vor allem wie du es bei  kleinen und bei den großen machst, denn diese Nebendiskussion entzündete sich ja an der Frage, ob es im Kleinen funktioniert wie im Großen. Oder ob es nicht gleich funktioniert?

Liebe Grüße
Trippelschritt

Elona

Na fein, dann wieder ein paar Gedanken. Einiges wurde ja auch schon erwähnt. Sollte ich dich dann immer noch nicht verstanden haben, gebe ich es auf.  :rofl:
Ich schreibe meine Geschichten auch aus dem Bauch heraus, von daher ist es schwierig da eine allgemein gültige Aussage zu treffen. Wenn ich es aber analysieren müsste, würde ich folgendes Unterstellen:

Ein Konflikt für sich betrachtet bedeutet nicht gleich Spannung. Er ist etwas allgemeiner und weckt lediglich Interesse, was wiederum subjektiv ist. Jede Geschichte wird durch ihre Charaktere getragen. Lassen diese den Leser kalt, interessiert sie der beste Plot/Konflikt nicht mehr*.

Die Spannung, die in einem Konflikt liegen kann, wird erst durch die einzelnen Szenen zum Leben erweckt. Die Szene ist also die kleinste Einheit, von der der Plot aber lebt und in ihr werden (in meinen Augen) andere Maßstäbe angesetzt.

Spannung innerhalb einer Szene erzeuge ich durch den PoV Charakter. Er braucht Tiefe und der Leser die Nähe zu ihm.  Erst wenn der Leser etwas mit den Charakteren anfangen kann, machen die übergeordneten Ebenen (Plotverlauf und Wendungen) Sinn (im Hinblick auf o.g.*).
Daneben ist aber auch der Erzählstil wichtig. Die Art und Weise, wie die Geschichte erzählt wird, was ebenfalls in den Szenen liegt. Wenn der Leser mit dem Stil nicht warm wird, kann da noch so viel Spannung drinnen stecken, er wird es nicht merken (können).

Spannung auf der nächsten Ebene: Der Plot ist nicht nur der Geschichtsverlauf an sich (würde ich als Hauptebene ansehen, von der herunter gebrochen wird), er gibt den Szenen auch Struktur. Eben falsche Hinweise, offene Fragen usw.

Beides kann, vorausgesetzt richtig eingesetzt, Spannung erzeugen. Dennoch sind es unterschiedliche Ansätze. Szene spricht direkt die Emotion bzw. Empathie an, der strukturelle Ansatz geht ,,sachlicher" an die Geschichte heran. 

Fazit für mich: Im Prinzip ist Spannung nichts anderes, als mit den Charakteren mitfiebern. Das zu schaffen ist eine Kunst und wird durch Tiefe und Nähe zu ihnen erzeugt. Fehlt das bereits, kann man sich die Arbeit für den Rest sparen.
In meinen Augen ist also nicht nur die Methode eine andere, sondern beinhaltet zusätzlich noch eine andere Wertigkeit.

Trippelschritt

Nachdem zu diesem so wichtigen Handwerksaspekt so wenige Beiträge eingegangen sind, vermute ich zwei Ursachen: den Nano-Wettbewerb und eine bisherige mangelnde Beschäftigung mit dieser Frage. Um den Einstieg zu erleichtern für jeden, den das Thema interessiert und der nicht so recht weiß, wo er schauen soll, gebe ich mal zwei Literaturangaben.

Hans Peter Roentgen: Spannung - Der Unterleib der Literatur BoD (eignet sich hervorragend für den Einstieg)

Francois Truffaut (1993) Mr. Hitchcock, wie haben sie das gemacht, Heyne

Liebe Grüße
Trippelschritt


Culham

Unvorhersehbarkeit. Das war der Grund warum ich schon vom ersten Game of Thrones Buch vor zehn? Jahren begeistert war. Hauptfiguren können sterben. Man wusste nie "och, das ist der Held der Geschichte, dem passiert schon nichts". Ich mag es wenn der Hauptcharakter nicht der beste Schwertkämpfer oder begabteste Magier ist, sondern sich wirklich durchbeißen muss.