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Erzählkunst

Begonnen von Trippelschritt, 08. Juli 2016, 21:09:04

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Feuertraum

Zitat von: Cailyn am 10. Juli 2016, 13:07:13
Einzige Ausnahme finde ich die Dialoge. Dort sollte man schon sprachlich geschickt versuchen, jeder Figur eine eigene Sprache angedeihen zu lassen. Finde ich äusserst herausfordernd.
D'Accord. Allerdings sollte man nicht zwangsweise einen Menschen mit Hauptschulabschluss und jahrelangem Hartz-IV-Bezug von vornherein mit einer "einfachen" Sprache ausstatten, während man einem Intellektuellen nicht immer das Hochprosaische anhängen sollte.

@ Trippelschritt: Was für mich zur guten Erzählkunst zählt, das ist die Sprachmelodie, der Worte Klang.
Auch wenn meine Vorposter mit ihren Erklärungen recht haben, so messe zumindest ich der Sprachmelodie eine nicht unerhebliche Bedeutung  bei. Zwar werde ich nicht unbedingt nur wegen der Melodie alles andere vernachlässigen, aber sie spielt schon eine recht große Rolle in meinem Schreibstil. Und ja, sie geht sogar so weit, dass ich lieber ein Wort wiederhole, als dass ich "das Gesetz"TM, dass man Wortwiederholungen auf Teufel komm raus vermeiden soll, ignoriere, wenn sie der Geschichte und dem Lese-/Melodienfluss empfindlich stören.
Was hat eigentlich He-Man studiert, dass er einen Master of the universe hat?

Maubel

@Feuertraum Da muss ich Ihnen zustimme. Ich empfinde den Klang auch sehr wichtig. Gerade, wenn man mit einem persönlichen Erzähler oder sogar in der Ich-Perspektive arbeitet, sollte man dieses "Gesetz" nicht mit Scheuklappen verfolgen. Manchmal klingt der ganze Satz einfach melodischer, wenn eben doch mal zwei "unds" sich darin befinden oder gewisse Vokabeln wiederholt werden. Generell halte ich mich schon daran, aber für die Melodie opfere ich durchaus einmal literarisch korrekten Stil. Das liest sich meinerseits flüssiger, als exakte aber hochgestochene Texte. Die sind zwar ganz toll mit ihren Metaphern etc und künstlerisch wertvoll, aber durch das Buch quäle ich mich häufig doch.
Große Erzählkunst hat meiner Meinung nach z.B. J.K. Rowling. Harry Potter hat sicher keinen literarischen Stil, aber die Dinger haben sich immer in einem weg gelesen und das lag eben an dem "einfachen" Stil, in dem die einzelnen Wörter gar nicht mal so wichtig waren.

Trippelschritt

@ Feuertraum
Es gehören - oder können gehören - noch viele Dinge zur Erzählkunst. Manche könen sich sogar gegenseitig ausschließen, weil sie nicht für alle Richtungen gleich gelten. Wegen Sprchmelodie habe ich angefangen zu schreiben. Ursula LeGuins erster Band der Erdsee-Trilogie hatte mich so gepackt, dass ich versucht habe, die ersten anderthalb Seiten ins Deutsche zu übersetzen und frustriert aufgab, weil es mir nicht gelang das zu retten, was mich so faszinierte.

@ Maubel
Es ist immer schwierig an Beispielen etwas zu belegen. Ich weiß beispielsweise mittlerweile gar nicht mehr, was literarischer Stil ist. Und dabei gehören Toni Morrison und Name grade weg - die kanadische Autorin mit ihren Kurgeschichten, beide Nobelpreisträgerinnen zu meinen Lieblingsautorinnen. Diese beiden Damen schreiben für mich wie viele andere Autorinnen auch, nur unendlich viel besser.
Und Frau Rowling? Ihre ersten beiden Bücher waren auf eine ganz besondere Art geschrieben. Aber dann wurde es Genremainstream. Ich habe sie trotzdem alle gelesen, weil ich wissen wollte, wie es weiterging. Aber wirklich beeindruckt haben mich nur ihre ersten beiden Bände. Die hatten diesen Zauber und es hat einige Zeit gekostet, bis ich herausgefunden hatte, woran er bestand. (ich lese übrigens auch ihre Kriminalromane)

Liebe Grüße
Trippelschritt


Fianna

Zitat von: Trippelschritt am 10. Juli 2016, 16:15:40
Aber dann wurde es Genremainstream. Ich habe sie trotzdem alle gelesen, weil ich wissen wollte, wie es weiterging. Aber wirklich beeindruckt haben mich nur ihre ersten beiden Bände. Die hatten diesen Zauber und es hat einige Zeit gekostet, bis ich herausgefunden hatte, woran er bestand.
Das wäre doch jetzt der perfekte Moment für einige positiven erläuternden Beispiele  ;)

Cailyn

Zitat von: Trippelschritt am 10. Juli 2016, 13:51:36
Und die Figuren? Im Schreibratgeber steht, wie man interessante Menschen erfindet, die einen packen können. Aber sie sagen einem nicht, wie man sie einführt. Und für mich ist das der entscheidende Start in das Faszinosum Erzählkunst. Die Einführung und die Art, sie denken und sprechen zu lassen.
Ich denke, es gibt so viele Wege, das zu bewerkstelligen, dass es keine übergeordneten Tipps dafür gibt. Daher findet man das auch nicht in Schreibratgebern. Das würde wohl den Rahmen sprengen. Ich glaube grundsätzlich, dass das WIE schliesslich der Knackpunkt bei allem ist. Gerade wenn man viele "Gesetzmässigkeiten" berücksichtigen möchte, muss man dies alles gleichzeitig tun. Aber vermutlich muss man halt irgendwo man anfangen zu schreiben und sich mal auf eine Sache konzentrieren - z.B. die Figur - und dann bei der Überarbeitung alle anderen Punkte nach und nach reinnehmen. z.B. erst Sympathie erwecken mit Figur, die in eine kleine missliche Lage kommt (ist jetzt ein Beispiel unter vielen), dann bei der Überarbeitung vielleicht die Spannung erhöhen, indem der Figur noch eine Schwäche angehängt wird. Dann merkt man vielleicht, dass alles zu schnell geschieht. Also dehnt man den Text etwas. Dann merkt man, man hat vielleicht zu viel Narratives und zu wenig Dialoge. Also mehr Dialoge rein, um die Lebendigkeit zu erhöhen (oder umgekehrt). Und so geht das dann weiter. Die Figur kann man nicht einzeln betrachten, sondern sie steht ja immer im Kontext zum Plot, Setting etc. Darum ist das so ein Multitasking-Ding.

Ich glaube nicht, dass man diese Art von Arbeit in einem Schreibratgeber wirklich übermitteln kann, weil einfach zu viele Sachen gleichzeitig ablaufen. Aber dafür gibt es ja die Checklisten, wo man anhand verschiedener Punkte ein und dieselbe Szene überarbeiten kann. Immer wieder aus einer anderen Perspektive heraus (ich meine jetzt nicht Erzählperspektive, sondern i.S.d. Betrachtung).

Die Einführung von Figuren finde ich ohnehin etwas vom Schwierigsten, weil man nie wissen kann, ob man zu viel oder zu wenig zeigt. Da man als Autor mit der Geschichte so vertraut ist, ist es fast unmöglich, sich 1:1 in einen Leser hineinzuversetzen. Ich versuche nach meinem Erstentwurf neuerdings eine längere Pause zu machen, damit ich bei der Überarbeitung den Text zumindest ein wenig so lesen kann wie jemand Fremdes. Klappt auch nicht wirklich, aber ein bisschen hilft es mir schon.

Übrigens finde ich es auch extrem hilfreich zu analysieren, was einem selber an Büchern fasziniert. Oder auch das Gegenteil. Wenn mich ein Buch oder ein Film nervt, beginne ich auch öfters zu überlegen, was zu meiner Kritik führt. 

Schneerabe

#20
ZitatUnd die Figuren? Im Schreibratgeber steht, wie man interessante Menschen erfindet, die einen packen können. Aber sie sagen einem nicht, wie man sie einführt. Und für mich ist das der entscheidende Start in das Faszinosum Erzählkunst.
ZitatIch denke, es gibt so viele Wege, das zu bewerkstelligen, dass es keine übergeordneten Tipps dafür gibt. Daher findet man das auch nicht in Schreibratgebern. Das würde wohl den Rahmen sprengen.

Also mich dolcht, dass es in Sol Steins Schreibratgeber einige Tipps für den ersten Eindruck einer Figur gab.  :hmmm: Was mir im Gedächtnis geblieben ist, war das man starke Figuren vielleicht in einer Situation einführt in der sie schwächer wirken oder ihre schwäche hervorgehoben wird und mit schwachen Figuren macht man es umgekehrt, um den Leser so im Laufe der Zeit zu überraschen. Fand ich ganz reizvoll.

(edit) @Cailyn
ZitatIch habe das bei meinem letzten Projekt so gemacht. Habe es ziemlich banal geschrieben, einfache Worte und Sätze und dachte, das Aufpolieren mache ich später. In der letzten Überarbeitungsrunde hab ich dann jeden einzelnen Satz angeschaut und versucht, literarisch klingen zu lassen. Da gab es dann tolle Metaphern, geschwungene poetische Ausdrucke etc. Kam überhaupt nicht an. Ein Lektor, den ich persönlich kenne, hat mir auch mal gesagt, das wird in der Bücherszene als ein typischer Anfängerfehler angesehen, wenn man versucht, in der Genre-Literatur literarisch zu schreiben.
Das hat mich doch ein wenig deprimiert, ich mag 'literarisch kligende' und sprachlich etwas anspruchsvollere Fantasy nämlich sehr und finde es eher frustrierend, dass viele Bücher diesbezüglich so überaus schlicht gehalten sind... gerade weil es Fantasy ist - das Gernre in dem man auch mal dicker auftragen könnte.  ;D
Andererseits klingt das 'Im-Nachinein-Aufpolieren' für mich auch ein wenig... unnatürlich? oder eher verkrampft, wenn ich es beim ersten mal quasie ganz autentisch mit meinen Worten schreibe und erst im Nachhinein Metaphern und co herausschnitze... naja kann ich mir vorstellen, dass das irgendwie deplatziert wirkt, aber ansonsten hab ichs schon gerne etwas blumiger im englischen gibt es dafür sogar einen namen - Purple Prose? Fand ich ganz süß.
Aber vielleicht gehöre ich in der Hinsicht auch eher zu einer Minderheit, letztlich ist der Stil wie du sagst eben Geschmackssache.  ;)
"To hell or to Connacht."

Cailyn

Schneerabe
Das Zitat ist aus meinem Text, nicht von Macpheana  ;).
Ich wollte damit auch nur hinweisen, dass der Markt literarische Sprache nicht wünscht. Ich selber lese gerne schöne Sätze. Ich bin Freundin von Schachtelsätzen, wenn sie denn gut gemacht sind. Aber selber schreib ich nicht mehr so, weil ich was vermarkten möchte. Und da geht schon der Tenor durch die Verlage, dass Genre-Literatur eher einfach gehalten sein soll. Aber man kann sich ja auch in diesem Rahmen kreativ bewegen. Auch da gibt es viele Abstufungen von super zu mässig. Ein guter Schreibstil muss ja nicht zwingend komplex und poetisch sein. Gerade betreffend Wortwahl gibt es da sicher einiges, was man austüfteln kann, auch wenn die Sätze einfach gehalten werden. So als Beispiel.

Fianna

Zur Figureneinführung nutze ich zuerst die simpelsten Hauptfakten, beispielsweise die Figur ist a) ein Söldner der b) in einer bestimmten Ebene joblos gestrandet ist. Ich verbinde das mit eine Grundgefühl, das die Figur hat (da gehen dann vielleicht nochmal so ein paar Andeutungen über die Figur mit hinein), und überlege mir, welches Gefühl ich mit der Beschreibung dieser Szene bei Leser auslösen will.
Allerdings ist das ganze direkt mit einem (inneren) Konflikt oder eine sonstigen Problem oder einer Aufgabe verbunden, und ich gucke auch, dass ich ein bisshen entgegen der Lesererwartung bleibe. Ich nehme eine Situation, die einerseits gut den Charakter der Figur zeigt, andererseits aber einen Aspekt von ihr transportiert, der nicht 0815 ist. Der Leser soll sich denken "Aha, jetzt reagiert der so und so, typisch, wenn die schon so anfängt", und es ist dann das Gegenteil oder besser noch etwas komplett Unerwartetes.
Im Prinzip nutze ich eine Mischung aus Minimalismus in der Informationsermittlung in Verbindung mit einem Gefühl (sowohl auf Seite der Figur als auch auf Seite des Lesers) und einem Konflikt oder Überraschungsmoment.

Kati

Die Frage ist interessant, aber ich denke, die Antwort ist wirklich einfach: Üben, üben, üben. Man kann als Autor viele Ratgeber lesen, Tipps von Autoren, die man gern liest berücksichtigen und reflektieren, wie man arbeitet und schreibt und das ist auch alles absolut sinnvoll, aber wenn man dann nicht schreibt – und zwar mit dem Mut, etwas Mittelmäßiges zu produzieren – wird man nicht besser im Erzählen werden. Ich halte die praktische Übung für sehr viel wichtiger, als theoretisches Wissen über das Schreiben, obwohl ich auch das für sehr wichtig halte. Ich würde das als 70% Übung und 30% theoretisches Wissen einteilen, denke ich.

Ich mache das daran fest, wie es mir persönlich ging, was sich natürlich auch von Person zu Person unterscheiden kann. Ich habe fast vier Jahre kaum ein Wort geschrieben (2011 – Ende 2014), aber mich mit dem Schreiben und Erzählen theoretisch trotzdem viel auseinander gesetzt. Ich habe in dieser Zeit gelernt, wie man vernünftig plottet, was überhaupt dieses Pacing ist, wie man interessante Figuren schreibt – aber Erzählen habe ich erst gelernt, als ich wieder angefangen habe, wirklich fast jeden Tag eine Seite zu schreiben. Vergleicht man meine Texte von heute mit denen von Ende 2014, das ist ein Unterschied wie Tag und Nacht. Das kam sicherlich auch durch theoretisches Wissen über Schreiben als Handwerk, das ich mir angeeignet habe, aber ich bin ziemlich sicher, dass der wirkliche Umschwung durch's Schreiben selbst kam, durch's beinahe tägliche Üben.

Und natürlich durch eine absolut wichtige Einsicht: Dass es okay ist, etwas zu schreiben, das nicht perfekt ist oder Fehler hat oder überarbeitet werden muss. Nicht nur, weil man es in der Überarbeitung noch aufpolieren kann, auch, weil jedes geschriebene Wort Übung bedeutet, die einen voranbringt. Ein mittelmäßiger Text ist nicht wertlos, weil ich auf seiner Basis den nächsten Text besser erzählen werde. Sollte man sich im Gedächtnis behalten, weil es das Schreiben zu einer sehr viel positiveren, spaßigeren Angelegenheit macht. (Hier muss ich einfach @BiancaS Danke sagen, weil ich das ohne sie wohl sehr viel später begriffen hätte.)

Ich glaube persönlich auch nicht an den Schriftsteller, der einfach schreiben kann, der eines Tages ein Dokument aufmacht und sofort ein perfektes Buch schreibt. Das halte ich für ein schönes Märchen, aber nicht für die Realität. Erzählen muss man hart lernen. Die einen mögen von Anfang an besser erzählen können, als die anderen, aber dafür kann der andere vielleicht von Anfang an bessere Figuren erschaffen, als der Erzähler. Aber am Ende muss natürlich für ein gutes Buch alles zusammenkommen und das muss man einfach lernen und üben und viel mehr kann man meiner Meinung nach auch gar nicht machen, um ein besserer Erzähler zu werden.

Zitat von: MaubelZuallererst schreibe ich die Geschichte, die hat schon mal Plot und Charaktere und mehr oder weniger Stil. Dann kommt die erste Überarbeitung und zwar nachdem das Buch für längere Zeit in der Schublade war, damit man einen möglichst unverfänglichen Blick drauf hat. Nun manche können das, manche nicht - aber es ist wichtig, das Buch möglichst objektiv zu sehen - Ich lese das Buch komplett und schreibe mir alles an den Rand, was mir dazu einfällt.

Das ist darüber hinaus denke ich auch ein sehr wichtiger Punkt: Kein Buch kommt wirklich perfekt im ersten Draft auf's Papier. Ich mag es immer gern, wenn Autoren, deren Bücher ich abgöttisch liebe, Einblick in den Entstehungsprozess des in meinen Augen perfekten Buches geben: Mein Lieblingsbuch im Moment ist ,,Six of Crows" von Leigh Bardugo. In meinen Augen absolut perfekt. Aber: Leigh hat darüber gesprochen, dass ihr erster Draft nur 30k hatte, dass mehrere weitere Drafts folgten (und nicht nur zwei oder drei), mehrere Überarbeitungen, bis das Buch stand, wie es jetzt ist. Und das ist Augen öffnend, wenn man sich anguckt, welche Arbeit hinter Büchern steckt, die man selbst für perfekt erzählt hält. Die kommen nicht einfach so aus der Feder. Da stecken mehrere Überarbeitungen und oft mehrere Rewrites hinter und oft jahrelange Arbeit.

Das ist eine Arbeitsweise, die ich für mich übernommen habe: Ich bin Rewriter. Ich schreibe einen zero draft, eine allererste unsaubere, hässliche Version, in der ich einfach die Geschichte erzähle und mich nicht drum kümmere, was geht, was nicht geht, was ich darf, was doof ist. Und wenn der steht haue ich ihn auseinander und schreibe from scratch das Buch noch einmal und baue einen guten Roman daraus. Diese Arbeitsweise funktioniert sicherlich nicht für jeden, aber es ist eine Arbeitsweise, die mir sehr hilft, den richtigen Ton zu finden und gut zu erzählen. Wenn ich die Geschichte erstmal im zero draft rausgehauen habe, kann ich im Rewrite nämlich drauf achten, wie ich diese Geschichte erzähle – denn die Geschichte ist ja schon erzählt, da muss ich dann weniger drauf achten.

Zitat von: CaiylnIch halte Stil für absolut zweitrangig in der Genreliteratur. Ich halte es sogar für einen krassen Fehler, "zu gut" schreiben zu wollen.

Da bin ich bei dir. Gutes Erzählen ist für mich sehr viel weniger eine Stilsache, sondern eine Sache davon, wie gut man Sprache einsetzen kann, um das rüberzubringen, was man erzählen möchte. Der Still kann noch so gut sein, wenn der Autor es am Ende nicht schafft, mit ihm eine runde, packende Geschichte zu erzählen. Das sehe ich auch immer wieder: Perfekter, poetischer Stil, aber trotzdem kein in meinen Augen gelungener Text. Jemand mit sehr viel simpleren Stil, der dafür besser einschätzen kann, wie man mit Worten welche Situationen am besten einfängt, schreib meiner Meinung nach bessere Bücher.

Feuertraum

#24
Zitat von: Charlotte am 10. Juli 2016, 17:52:22

Das ist darüber hinaus denke ich auch ein sehr wichtiger Punkt: Kein Buch kommt wirklich perfekt im ersten Draft auf's Papier. Ich mag es immer gern, wenn Autoren, deren Bücher ich abgöttisch liebe, Einblick in den Entstehungsprozess des in meinen Augen perfekten Buches geben: Mein Lieblingsbuch im Moment ist ,,Six of Crows" von Leigh Bardugo. In meinen Augen absolut perfekt. Aber: Leigh hat darüber gesprochen, dass ihr erster Draft nur 30k hatte, dass mehrere weitere Drafts folgten (und nicht nur zwei oder drei), mehrere Überarbeitungen, bis das Buch stand, wie es jetzt ist. Und das ist Augen öffnend, wenn man sich anguckt, welche Arbeit hinter Büchern steckt, die man selbst für perfekt erzählt hält. Die kommen nicht einfach so aus der Feder. Da stecken mehrere Überarbeitungen und oft mehrere Rewrites hinter und oft jahrelange Arbeit.

Prinzipiell unterschreibe ich das [eigentlich auch] sofort, aber ...
Wir sind uns alle einig, dass Hemingways Satz "Frist draft of everything is shit" zu 100% zutrifft.
Ich schreibe einen Text, eine Szene, und wenn ich sie "im Kasten" habe, bin ich erstmal ein literaisches Wunderkind.
Bis ich es wieder hervorkrame, lese und davon überzeugt bin, dass mein Geschreibsel absoluter Horror ist und überarbeitet werden muss.
Und das passiert dann auch beim zweiten Mal. Und beim dritten Mal und beim vierten Mal und so weiter.
Und ich glaube, dass ist ein gar nicht mal so unwichtiger Punkt in der Erzählkunst: irgendwann einmal ein Stoppschild auf die Szene zu legen und zu sagen: Mehr werde ich daran nicht überarbeiten.

Und dann gibt es da noch das "Problem", wie der Leser den Text aufnimmt. Ich hatte einer SPlerin bei einer Lesung versprochen, dass ich ihr schon veröffentliches Buch in Ruhe durchgehe und ihr meine Anmerkungen zumailen werde, was sich handwerklich verbessern lässt.
Ich habe angefangen und bin mit dem Schreibstil nicht gerade glücklich. Mir zum Beispiel fehlen viele Details. Ich bin ein Freund von Details, weil sie in meinem Kopf für die richtige Atmosphäre sorgen, und wenn man alle 5 Sinne anspricht, dann habe ich eben mein Kopfkino.
Bei ihrem Schreibstil fehlt es mir.
Aber: das Buch hat sehr viele positive Resonanzen gerade wegen des schnellen Schreibstils.
Ergo: andere Leser, andere Geschmäcker.
Ich behaupte mal: Sie kann erzählen, ich kann erzählen, aber weil wir beide so unterschiedliche Stile haben, werden sie und ich je ein anderes Leserpublikum ansprechen.


Was hat eigentlich He-Man studiert, dass er einen Master of the universe hat?

Kati

Zitat von: FeuertraumIch schreibe einen Text, eine Szene, und wenn ich sie "im Kasten" habe, bin ich erstmal ein literaisches Wunderkind.
Bis ich es wieder hervorkrame, lese und davon überzeugt bin, dass mein Geschreibsel absoluter Horror ist und überarbeitet werden muss.
Und das passiert dann auch beim zweiten Mal. Und beim dritten Mal und beim vierten Mal und so weiter.
Und ich glaube, dass ist ein gar nicht mal so unwichtiger Punkt in der Erzählkunst: irgendwann einmal ein Stoppschild auf die Szene zu legen und zu sagen: Mehr werde ich daran nicht überarbeiten.

Ja, das finde ich auch total wichtig! Da muss man auch schauen, dass man auf die Zweifel nicht so sehr hört. Es gibt ja einen Unterschied, ob man berechtigt etwas, das man geschrieben hat, nicht gut findet, oder ob man sich selbst einredet, dass etwas totaler Mist ist und vielleicht stimmt das gar nicht. Ich glaube, Testleser sind total essentiell, weil sie den Text natürlich anders sehen als man selbst und einem objektiver sagen können, was wirlich nicht so gut gelungen ist und wo man sich vielleicht nur einredet, dass es nicht gelungen ist. Aber auf jeden Fall muss man irgendwann lernen abzuschätzen, wann es genug ist, auf jeden Fall.

Maubel

Zitat von: FeuertraumIch schreibe einen Text, eine Szene, und wenn ich sie "im Kasten" habe, bin ich erstmal ein literaisches Wunderkind.
Bis ich es wieder hervorkrame, lese und davon überzeugt bin, dass mein Geschreibsel absoluter Horror ist und überarbeitet werden muss.
Und das passiert dann auch beim zweiten Mal. Und beim dritten Mal und beim vierten Mal und so weiter.
Und ich glaube, dass ist ein gar nicht mal so unwichtiger Punkt in der Erzählkunst: irgendwann einmal ein Stoppschild auf die Szene zu legen und zu sagen: Mehr werde ich daran nicht überarbeiten.

Ich kann da wiederum nicht ganz zustimmen. Ja, der erste Draft ist Shit, gibt aber einige Glanzmomente. Ich kann das beim Lesen auch gut unterscheiden. Auch beim Überarbeiten merke ich, was noch nicht funktioniert und was durchaus doch schon ganz gut ist - nicht perfekt, nein, aber auch nicht Horror. Den ersten Draft gibt es aber von mir nicht zu lesen, weil ich mich da noch zu vielem schämen würde. Den zweiten Draft, nach dem ich Plot und Charaktere gerade geschoben habe und auch schon (wenn auch eher stichprobenartig) im Stil zu Werke war, der darf zu den ersten zwei Testlesern und das ist noch bevor ich den Stil aufpoliert habe. Dieser Line-Edit, der kommt nämlich bei mir erst ganz zum Schluss, aber noch vor dem allerletzten Testleser.
Worauf ich aber hinaus will, ist, dass die folgenden Drafts bei mir nicht mehr die Wunderkind-Horror Transformation durchmachen. Ich merke, dass es immer besser wird und wenn ich es noch mal lese, finde ich immer weniger Ansatzpunkte. Erst wenn ich an den Punkt komme, wo ich essentiell nur noch Worte rumschiebe und es weder verbessere noch verschlechterer, dann ist es für mich fertig und für den Moment meiner literarischen Erfahrung das BEste, was ich hinkriege. Wie Charlotte sagt, helfen Testleser da auch besonders, eine Relation für zu bekommen.

Feuertraum

Zitat von: Maubel am 10. Juli 2016, 19:03:32
Ich merke, dass es immer besser wird und wenn ich es noch mal lese, finde ich immer weniger Ansatzpunkte. Erst wenn ich an den Punkt komme, wo ich essentiell nur noch Worte rumschiebe und es weder verbessere noch verschlechterer, dann ist es für mich fertig und für den Moment meiner literarischen Erfahrung das BEste, was ich hinkriege. Wie Charlotte sagt, helfen Testleser da auch besonders, eine Relation für zu bekommen.

Von der Seite habe ich es noch gar nicht betrachtet. Das probiere ich auch mal aus, @Maubel. Danke für den Tipp  :D :knuddel:
Was hat eigentlich He-Man studiert, dass er einen Master of the universe hat?