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Achterbahnfahren fürs Pacing

Begonnen von BiancaS, 08. November 2015, 22:32:39

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BiancaS

Momentan lese ich nebenbei die Ratgeber aus dem diesjährigen NaNo-Storybundle und bin jetzt bei dem Buch "Brewing Fine Fiction" angekommen, was eine Zusammenfassung von Essays zum Schreiben von verschiedenen Autoren ist.

Ein Essay hat mich da gestern irgendwie bisschen vom Hocker gerissen, nicht, weil die Idee dahinter so neu war oder weil man es sich nicht eigentlich denken, sondern weil ich bis jetzt nie richtig darüber nachgedacht habe, es aber ein tolles Tool ist, um sich sein Pacing zu visualisieren und sich zu überlegen, was man mit seinem Roman erreichen will.

Es geht um den Essay von Maya Kaathryn Bohnhoff ,,Plotting Through Writer's Block".

Generell erklärt sie, wie sie ihre Projekte plottet, wenn ihr die Ideen ausgehen oder sie einfach gegen eine Wand läuft, generell sind da sehr viele Tipps bei, aber was ich davon am meisten mitgenommen habe, ist folgendes:
Zitat
"[...] It takes the relationship between a good screenplay and a good rollercoaster to the point of diagramming a story as if it were, in fact, a long track of steel structured in such a way as to make readers gasp, groan, scream and laugh hysterically on command [...].
The rollercoaster metaphor illustrates something the AFI text calls "key moments of change". These, ladies and gentlemen, are the point in the coaster's tracks that your tummy tightens up in anticipation of and does flip-flops over when you hit them at 70mph. In a story, these moments are calculated to have a similar effect. They change perceptions of what's happening in the story by introducing new elements, new characters, new information and new viewpoints (Upside down! Eeeee!) as you move along the story "track". The intent is to keep you interested, to ramp up the tension and release it in novel ways, to make you gasp, whistle, laugh and even cry - and above all, to make you feel that your ride token was well-invested."

Sorry but you are not allowed to view spoiler contents.


Sie vergleicht ihre Geschichte mit einer Achterbahn und entscheidet je nach Thematik, was für eine Art Achterbahn das Buch sein soll. Soll es eine Achterbahn sein, die direkt mit einem Knall einsetzt, dann zwischendurch ein bisschen ruhiger wird, um zum Ende hin noch einmal den Fahrer durchzuschütteln? Oder soll es eine Achterbahn sein, die langsam beginnt, immer mehr Erwartung aufbaut, um dann in einem großen Knall zu enden? Es gibt auch Achterbahnen, die haben zwischendrin immer mal wieder kleine Huckel, die den Fahrer durchschütteln und ihn aufmerksam halten, um dann am Ende mit einem riesigen Looping abzuschließen oder einem großen Fall.
Als Beispiel nennt sie neben den üblichen, auch Achterbahnen, wie Scream (Drop Tower), die man in Storyformat übersetzen kann.

Generell finde ich den Vergleich sehr schön, weil man ihn gut für sein Pacing* benutzen kann. Was will man mit seiner Geschichte erreichen? Soll der Leser erst am Ende wieder zu Atem kommen? Soll es Pausen für ihn geben? Man kann sich das schön visualisieren und sich dabei dann auch klar machen, das bestimmte "Ruhephasen" einfach sein müssen. Generell wird hier auch nicht "Looping/Drop"=Aktion gesetzt, sondern auch die Informationen, die in Dialogen auftauchen, können ein Looping/Drop sein. Zum Beispiel wenn ein Charakter ein Geheimnis erfährt, was für ihn die gesamte Geschichte verändert oder einen Teil seiner Persönlichkeit, würde dies auch als Looping/Drop in die Achterbahn eingebaut werden.

Manche Autoren sind hierbei starke Verfechter von ständiger Aktion, während andere dem Leser auch gerne mal Ruhephasen einbauen. Ich denke, dass ist auch etwas, was man von Geschichte zu Geschichte entscheiden muss. In einem 70k-Thriller kann man permanente Aktion wahrscheinlich leichter durchziehen, als in einem 250k-High Fantasy Roman, wo der Leser zwischendurch einfach die Ruhepausen braucht, um auch die Welt zu verstehen, in die er da herein geworfen wurde.

Jedenfalls finde ich diese Form der Visualisierung und der Herangehensweise sehr spannend, weil man dies sowohl vor dem Schreiben, als auch beim Bearbeiten nutzen kann, um zu gucken, warum es im Pacing vielleicht harkt oder ob man vielleicht zu viele Loopings hintereinander hat, die eine kurze Pause dazwischen brauchen. Als kleines Tool, was man nutzen kann, finde ich es ziemlich cool und die Übertragung zwischen Achterbahn und Story passt mMn ganz gut.

Wie findet ihr diese Vorgehensweise?
Könntet ihr euch vorstellen, eure Geschichte mit einer Achterbahn zu vergleichen?
Habt ihr eine bestimmte Achterbahnform, die ihr schon mehrfach verwendet habt?


--
*Pacing = Ich weiß gerade nicht, ob es dafür im deutschen überhaupt ein Wort gibt, jedenfalls fällt es mir gerade nicht ein, aber Pacing beschreibt die Geschwindigkeit innerhalb des Romanaufbaus.

Grummel

Und warum ist die Übersetzung ein Spoiler?
"Kaffee?"
"Ja, gerne."
"Wie möchtest du ihn?"
"Schütte ihn mir einfach ins Gesicht!"

BiancaS

Die Übersetzung ist von mir und ich habe sie in Spoiler gesetzt, damit der Text insgesamt nicht noch länger wird, weil nicht jeder eine Übersetzung braucht :)

Antonia Assmann

Liebe BiancaS,
ich finde den Vergleich sehr schön und werde ihn, auch heute gleich mal ausprobieren. Da ich mein fertiges Projekt gerade noch mal auf Spannungsbögen "abklopfen muss, bietet sich eine Achterbahn an. Ich werde also nebenher ein wenig mit zeichnen und sehen, ob das eine spannende Achterbahn wird, oder so eine, in die ich mich trauen würde  ;) Vielen Dank!

Trippelschritt

Mir gefällt das Bild der Achterbahn, weil es für die nötige Dynamik steht. Allerdings steht es auch für einen Satz Gefühle, der nicht für jeden Roman passt und man muss entscheiden, in welchem Projekt man mit diesem Bild spielt und in welchen nicht. Ich kenne als Faustregel, dass man einer szenischen Darstellung immer eine narrative folgen lassen sollte, oder etwas weniger missverständlich ausgedrückt, auf Action sollte Ruhe folgen und auf Ruhe Action. Ob man diese Regelmäßigkeit einhält (ruhig - wild - ruhig - wild) sollte man hinterfragen wie alles, das schematisch ist. Aber dass Ruhe und Bewegung sich abwechseln sollen könnte Konsens haben.
Was Plotprobleme angeht, spiele ich seit gestern - ja, gestern, da kam mir die Idee, als ich mal wieder in Elisabeth George Schreibratgeber blätterte und las, wie sie mit ihren Figuren umgeht - mit einer neuen einfachen Methode herum. Eine Figur tut etwas und daraus folgt etwas. Und das notiere ich in personenbezogenen Ketten. Hilft vor allem bei vielen Spielern. So erkenne ich, ob sie überhaupt handeln oder getrieben werden, ob die Auswirkung vorhersehbar ist oder ich eine Alternative brauche, und wo ich angefangen habe herumzulabern und mich wohl erst einmal wieder warmschreiben musste, bis es funzte. Ich nutze diese (oder andere) Technik immer prarallel zum Schreiben, weil ich ja als Bauschreiber keinen Plot habe und dehn aus den Figuren entwickle. Eignet sich aber auch für Planschreiber für ihre erste große Überarbeitung.

Liebe Grüße
Trippelschritt

Dämmerungshexe

Der Vergleich passt eigentlich - ich kan mir vorstellen dass Achterbahnbauer sich auch in etwa fragen was für eine "Geschichte" eine Bahn erzählen soll.
Mir fallen dabei die "Spannungskurven" ei, die wir früher im Deutschunterricht zu verschiedenen Romanen gemacht haben. An sich ist es ja das gleiche, wenn man sich eine gerade Achterbahn denkt, die nur aus Hoch und Tief besteht. Ich denk grade drüber nach wie man die anderen Dimensionen (Vor und Zurück, Links und Rechts) dann noch übersetzen könnte. Dazu kommt dass manche solcher Fahrten ja auch absichtlich abgebremst und beschleunigt werden. Also ein gewisses "Storytelling" ist auch dort drinnen.

Ich versuche auch immer meine Szenen in Action, Hintergrund, Dialog usw. aufzuteilen und schaue dann, ob ich eine ausgewogene Mischung habe. Da muss nicht immer eine ruhige Szene auf eine Action-Szene folgen, aber einen Ausgleich muss es schon geben. (Ich visualliere das immer einfach farblich, zur besseren Übersicht.)
,,So basically the rule for writing a fantasy novel is: if it would look totally sweet airbrushed on the side of a van, it'll make a good fantasy novel." Questionable Content - J. Jacques

HauntingWitch

Danke für den Thread, BiancaS, das klingt wirklich spannend.  :) Für mich ist das eigentlich völlig klar, dass ein Roman wie eine Achterbahn funktioniert, mit Steigungen, Gefällen, Tempowechseln usw. Ich habe das alles einfach immer unter dem Begriff "Tension" verbucht, für mich gilt: Genug Tension = ein guter Roman. Aber sich das von vorneherein bewusst zu überlegen und entsprechend zu plotten, ist ein neuer Ansatz für mich. Werde das bei Gelegenheit wohl mal ausprobieren.

Angela

Ich sehe mir durchaus auch mal eher hirnlose Witzfilmchen an, so Sandlerzeug, und da fällt mir immer wieder auf, wie anstrengend es ist, wenn ein blöder Kalauer auf den anderen folgt. Recht schnell langweilt das irgendwann. Da müsste dann eigentlich ein ruhiger Moment folgen, etwas, wie erzählende Handlung.
Hingegen funktioniert das bei den Simpsons oder Big Bang Theory bei mir weitaus besser, auch fast jeder Satz ein Treffer, und ich denke, das liegt daran, dass ich dabei mein kleines Gehirn anstengen muss, weil da meist ein Witz/eine Wahrheit hinter dem Witz ist, und mich das wieder auf die Nulllinie runterbringt.
Was ich ausdrücken will: Die Art des Buches, der Handlung, auch der spezielle Moment der Handlung bestimmen die Erzählweise und die Bauweise der jeweiligen Achterbahn, zumindest stelle ich mir das so vor, wobei ich es eher als Kammerkonzert empfinde.

foxgirl

Vielen Dank für den Thread. Ich finde den Vergleich auch unheimlich passend. Ich habe das Ganze zwar nie als Achterbahn bezeichnet, denke aber es kommt wirklich hin. Ich persönlich finde ein Auf und Ab des Spannungsbogens wichtig, bin aber eben auch der Typ Leser und Autor, der Atempausen sehr zu schätzen weiß. Das große Luftholen vor dem nächsten Sprung sozusagen. Ich muss gestehen, dass ich mir so aktiv darüber noch nie Gedanken gemacht habe und es definitv auf meinen Plot anwenden werde. Ich kenne allerdings in meinem Freundeskreis auch Leser, die Ruhepausen langweilen, vor allem wenn sie gehäuft vorkommen und die an einem Buch nur dranbleiben, wenn es beinahe durchgehend auf einem hohen Spannungslevel gehalten ist. Wahrscheinlich ist das bis zu einem gewissen Punkt doch Geschmackssache.

HauntingWitch

Zitat von: Foxgirl am 09. November 2015, 12:50:02
Ich kenne allerdings in meinem Freundeskreis auch Leser, die Ruhepausen langweilen, vor allem wenn sie gehäuft vorkommen und die an einem Buch nur dranbleiben, wenn es beinahe durchgehend auf einem hohen Spannungslevel gehalten ist. Wahrscheinlich ist das bis zu einem gewissen Punkt doch Geschmackssache.

Ruhepausen müssen auch nicht zwangsläufig Spannung nehmen. Mir ist einmal aufgefallen, dass Spannung oft mit Action gleichgesetzt wird, aber das ist ein Trugschluss. Spannung entsteht durch das Unvorhersehbare oder Unbeantwortete und nicht durch die Menge an Explosionen. Sprich, auf der Achterbahn z.B. ein Tunnel. Die Teilnehmer wissen nicht, kommt nach diesem Tunnel ein Looping, ein Abhang oder eine gerade strecke. Wenn es im Tunnel dann noch mächtig bergab geht, die Teilnehmer sich beim Herausfahren gerade so erholt haben und dann statt der erhofften Gerade plötzlich ein Doppellooping kommt... Dann entsteht meiner Meinung nach Spannung, aber dieser Looping muss nicht auch noch schräg, in einer anderen Farbe gestrichen und mit Blinklichtern versehen sein.

foxgirl

Damit hast du allerdings Recht. Wahrscheinlich ist es auch das, was meine Freunde gemeint haben. Es stimmt schon, dass Action um der bloßen Action willen nicht nötig ist um Spannung zu erzeugen. Das Unvorhersehbare ist auch etwas, dass ich beim Lesen enorm schätze und versuche beim Schreiben umzusetzen. Das Achterbahnbeispiel hat hier auch wieder toll gepasst :). Ich persönlich würde aber nach einem Doppellooping ziemlich wackelig auf den Beinen stehen ;D.

Franziska

Ich hab das Gefühl, da geraten Spannung und Pacing etwas durcheinander. Pacing heißt für mich  wie viel  Raum man einzelnen Szenen im Verhältnis zueinander gibt, das hängt zwar auch mit der Spannungskurve zusammen, ist aber nicht dasselbe. Zum Beispiel kann man eine Szene in der sich zwei Figuren aussprechen kurz oder lang gestalten , wird sie länger hat man mehr Charakterentwicklung, zu lang wird es langweilig, zu kurz  folgt man den Figuren nicht mehr. Im Actionfilm  wird es komplett anders sein als im Drama. Mir fällt das immer wieder auf, wie wichtig das ist.  Manchmal weiss ich nicht recht, warum mir ein Buch nicht gefällt, bis mir auffällt, dass das Pacing nicht stimmt, es wird durch die Geschichte gehetzt, ohne dass man die Figuren erstmal kennen lernt. Es stimmt, einige Leser mögen das,. Aber  es geht besser.  Vielleicht könnte man sagen, das  Pacing ist, wie schnell die Achterbahn jeweils fährt. Und ich stimmme Witch zu, klar ist nicht nur Action spannend, aber auch bei Romance hat man diese Spannungskurven.

Trippelschritt

#12
Für mich hat das Bild der Achterbahn wenig mit Spannung zu tun. Die Spannung ist bei der klassischen Achterbahn immer am höchsten, bevor der Wagen über die Kuppe rollt. Sie löst sich auf, wenn der Wagen in die Tiefe stürzt. Dann kommt die nächste Kuppe. Die ist weniger hoch als die erste. Wenn ich nach diesem Prinzip Spannung aufbauen würde, wäre das kontraproduktiv. Die stärkste Spannung im ersten Drittel, dann Auflösung und immer schwächere Höhepunkte dahinter. Und keinen übergreifenden Spannungsbogen, der die ganze Fahrt zusammenhält. Nein, das funktioniert nicht.

Anders sieht es aus, wenn man die Achterbahnfahrt als Bild für Dynamik und Geschwindigkeit sieht. Meinetwegen auch "pacing". Da lässt sich etwas abgucken, denn nichts ist so grausam wie eine gleichbleibende Erzählgeschwindigkeit. Und jeder kann sich seine eigenen Achterbahn basteln.

Liebe Grüße
Trippelschritt

Dämmerungshexe

Ich glaube auch, dass das Pacing mehr mit dem Erzähl- bzw. Schreibstil an sich zu tun hat als mit Spannung. Natürlich unterstützt ein gekonntes Pacing die Spannung, aber das tun auch die Zusammenstellung der Szenen und deren jeweilige Ausarbeitung.

Ich habe mal ein Bild angehängt - die "Zeitrate" in diesem Schaubild dürfte in etwa dem Pacing entsprechen. Das Beispiel bezieht sich zwar auf Comics, aber man kann es glaube ich auch auf Literatur übertragen, wenn man statt Panel-Größe und -Form die Ausarbeitung einer Szene setzt (also detailreich oder nicht, langatmig oder knapp, ...)

(Die Bücher auf die hier zitiert werden sind McCloud, Scott - "Comics richtig lesen" ("Understanding Comics") (1993) und Eisner, Will - "Comics and sequential Art" (1985).)

[Dateianhang durch Administrator gelöscht]
,,So basically the rule for writing a fantasy novel is: if it would look totally sweet airbrushed on the side of a van, it'll make a good fantasy novel." Questionable Content - J. Jacques

HauntingWitch

Ah, dann habe ich das tatsächlich durcheinander gebracht, entschuldigt bitte. Ich dachte bisher immer, das sei dasselbe, aber in dem Fall nicht. Ich finde eure Beiträge gerade total interessant.