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Die Anglifizierung des Textes - sinnvoll oder überflüssig?

Begonnen von chaosqueen, 24. Juli 2015, 13:10:11

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Sipres

Um mich hier auch mal einzumischen: Ich bin auch ein deutscher Autor und gebe meinen Büchern gerne englische Titel. Nicht allen, sondern nur denen, bei denen mir die englische Schreibweise einfach besser gefällt, weil es schöner klingt. "Black Bones" ist für mich zum Beispiel wesentlich klangvoller als "Schwarze Knochen". Und auch "Dimension Shift" ist schöner als "Dimensionswechsel". Gebe ich einem Buch einen deutschen Titeln, dann liegt es daran, dass mir dort deutsch besser gefällt ("Von Mädchen und Morden", "Vierzehn Sünder").

Zudem mache ich es auch ein bisschen vom Ort der Handlung abhängig. Spielt es größtenteils in Deutschland, ist der Titel deutsch, spielt es aber im englischsprachigen Raum (England, USA, Irland usw.) oder International und der Protagonist ist kein Deutscher, dann finde ich persönlich englische Titel passender. Aber das ist natürlich nur meine Meinung und ich verstehe eure Argumente gegen englische Titel bei deutschen Autoren. Ich gehe nur nicht damit konform.

Leann

Ein Roman von mir hat den Titel "Sleepless in Bangkok" und ich finde das weder affektiert noch peinlich. Es ist eine Anspielung auf den Originaltitel des amerikanischen Films "Sleepless in Seattle".

Mich stört es nicht, wenn deutsche Romane englische Titel haben. Manchmal bin ich irritiert und bin nicht sicher, ob es sich um ein englisches oder deutsches Buch handelt, aber da hilft ein Blick auf den (deutschen) Klappentext. Es leuchtet mir zwar nicht ein, warum im Moment jeder Erotik- oder Romanceroman einen englischen Titel haben muss, aber ist halt eine Modeerscheinung wie früher mal die Titel, die mit "wenn" anfingen oder nur aus einer Berufsbezeichnung bestanden o.ä. Was mich da mehr stört sind englische Titel, denen dann noch ein deutscher Titel hinterhergeschoben wird. Warum dann nicht gleich nur den deutschen Titel nehmen? Weil es nicht so schick klingt, vermutlich. Englische Titel sind offenbar gerade einfach mal schick. Egal, solange der Romaninhalt gut ist, kratzt mich das nicht. Ich würde nie aus Prinzipienreiterei auf einen tollen Roman verzichten, nur weil der Titel englisch ist, aus welchen Gründen auch immer.

Zu den Schauplätzen: Auch da sind wohl gerade ausländische Schauplätze schick und trendy. Zu den Gründen ist ja schon einiges hier geschrieben worden. Ich lese selbst gerne Romane, die in Ländern spielen, die ich interessant finde. Z.B. liebe ich Malinches Peru-Romane. Da gehört aber auch die Handlung dorthin, die könnte einfach nicht woanders stattfinden. Ich habe auch schon Romane gelesen, die angeblich in New York spielten, aber davon war nichts zu merken. Hätte auch Castrop-Rauxel sein können.
Andererseits mag ich auch Romane sehr gern, die hier in Deutschland spielen. Ich freue mich, wenn ich bekannte Orte wiederfinde, zu denen ich eine Beziehung habe, z.B. Schwerte (Heimatort meines Vaters) im Geigenzauber, oder sogar Hamm (wohne 15 km entfernt) in "Papa".

Ich selbst schreibe nur über Orte, die ich kenne (außer Fantasy, da lehne ich die Orte an die an, die ich kenne und mische gerne mal mehrere). Um über etwas so zu schreiben, dass es für den Leser erlebbar ist, reicht mir Google-Earth nicht, da brauche ich sämtliche Sinne. Möglich, dass andere Autoren das nicht benötigen. Es gibt einen egoistischen Grund, warum ich die Handlung meiner Romane gerne an Schauplätze außerhalb Deutschlands verlege: Fernweh! Wenn ich z.B. eine Geschichte schreibe, die in Bangkok spielt, dann kann ich mich wieder in diese faszinierende Stadt versetzen, dann ist es für einen Moment so, als wäre ich dort. Das liebe ich. Mir gefällt außerdem, dass viele Leser die Liebe zu dem beschriebenen Land mit mir erleben können und vielleicht sogar Lust haben, auch dorthin zu reisen. Darum schreibe ich jetzt auch endlich mal einen Roman, der in Irland spielt.  ;D  Ich würde aber nie auf die Idee kommen, jetzt einen Provence-Roman zu schreiben, weil es gerade in ist, ein bisschen googlen und das war es. Damit könnte ich dem Land nicht gerecht werden und es käme mir auch wie Betrug am Leser vor. Aber das ist wie gesagt meine Art zu schreiben, andere kriegen es vielleicht super hin, ein Land zu beschreiben, das sie nur von Fotos kennen. Obwohl ich, zugegeben, mir einbilde, zumindest im Fall von Irland zu merken, wenn jemand darüber schreibt und noch nie dort war.





Winkekatze

#17
Zitat von: Maja am 24. Juli 2015, 15:48:21
Wenn ich wählen muss zwischen Simmels "Im Frühling singt zum letzten Mal die Lerche" und "Underwater Kisses", weiß ich, was ich wähle.
Ich würde wahrscheinlich das neueste Buch von Walter Moers nehmen.  ;D Mal abgesehen davon klingt "Unterwasser Küsse" in meinen Ohren auch nicht wirklich prickelnd.
Mein ursprünglicher Arbeitstitel lautete übrigens "Underwater Love" (oh je, schon wieder englisch), benannt nach dem Lied "Underwater Love" und ich wählte ihn aus dem einfachen Grund, weil mir nichts Besseres einfiel. Zusätzlich habe ich dem Verlag mehrere Titelvorschläge gemacht (es waren zu 100% deutsche Titel), aber er hat sich dann eben für "Underwater Kisses" entschieden.

Zum Thema Schauplätze: Ja, "Underwater Kisses" spielt in Amerika. Warum? Mir war danach und mein zweiter Roman spielt, aus dem selben Grund, ebenfalls in den USA. Ich wusste auch nicht, dass es da irgendwelche Einschränkungen gibt. Allerdings bin ich auch nicht auf die USA fixiert. Meine anderen Romane spielen zum Beispiel in Paris, in einem reinen Fantasy-Setting oder (aktuell) im schönen Hamburg-Rahlstedt.
"Das Licht am Ende des Tunnels ist oft nur eine sterbende Leuchtqualle! (Walter Moers- Die Stadt der träumenden Bücher)

Marek

#18
@Winkekatze 
"Unterwasser Küsse" wäre ja auch falsches Deutsch gewesen. Aber "Unterwasserküsse", "Unterwasser Küssen" oder, mein Favorit "Küssen unter Wasser" wären doch alle in Ordnung gewesen. Ich wusste übrigens auch nicht, dass es von dir ist. Aber es ist genau so ein Beispiel von Büchern, die ich nicht in die Hand nehme - englischer Titel plus englisches Pseudonym ist wirklich nichts für mich.
Wer jetzt für "Pay in Love" verantwortlich ist, weiß ich nicht, und ich will auch wirklich niemandem auf die Füße treten - aber nächstes Mal, wenn es ein englischer Titel sein muss, lasst es wenigstens richtiges Englisch sein.
Niemand hantiert gern ungesichert mit kritischen Massen.
Robert Gernhardt

Winkekatze

Zitat von: Maja am 24. Juli 2015, 18:12:09
@Winkekatze 
"Unterwasser Küsse" wäre ja auch falsches Deutsch gewesen.
Da hast du wahr. ;)

ZitatIch wusste übrigens auch nicht, dass es von dir ist. Aber es ist genau so ein Beispiel von Büchern, die ich nicht in die Hand nehme - englischer Titel plus englisches Pseudonym ist wirklich nichts für mich.
Wer jetzt für "Pay in Love" verantwortlich ist, weiß ich nicht, und ich will auch wirklich niemandem auf die Füße treten - aber nächstes Mal, wenn es ein englischer Titel sein muss, lasst es wenigstens richtiges Englisch sein.
"Pay in Love" ist von Astrid Freese.

Schon gut, ich wollte ja auch gar nicht schimpfen, sondern nur erklären wie der Titel zustande gekommen ist. Normalerweise sind mir deutsche Titel ja auch lieber. Nur in dem speziellen Fall habe ich nicht näher darüber nachgedacht.
"Das Licht am Ende des Tunnels ist oft nur eine sterbende Leuchtqualle! (Walter Moers- Die Stadt der träumenden Bücher)

FeeamPC

Ganz pragmatisch gesagt:
Wenn dieser übertriebene Titelschutz in Deutschland nicht bald verschwindet oder zumindest abgemildert wird, werde ich auch irgendwann mit Englisch arbeiten.
Warum?
Alle einigermaßen kurzen, passenden Titel sind bei der Millionenflut von Büchern im Deutschen bereits vergeben. Man kann höchstens noch lange Bandwürmwörter oder ganze Sätze nehmen, und die machen sich online als thumbnails bei Amazon fürchterlich, da komplett unleserlich.
Den Briten und Amerikanern andererseits ist Titelschutz so was von "Rutsch mir den Buckel runter..."
Da sind dann wenigstens Chancen, einen halbwegs leserlichen Titel auf das Buch zu kriegen.

Nebenbei bemerkt, ich habe (bei einem anderen Verlag, unter anderem Namen) ein Romantik-Fantasy-Buch veröffentlicht, das in Deutschland spielt. Das Buch ist nie über einen Verkauf pro Monat rausgekommen. Das Genre scheint Englisch und ein ausländisches Setting einfach zu brauchen.

Moni

Zitat von: FeeamPC am 24. Juli 2015, 18:33:16
Ganz pragmatisch gesagt:
Wenn dieser übertriebene Titelschutz in Deutschland nicht bald verschwindet oder zumindest abgemildert wird, werde ich auch irgendwann mit Englisch arbeiten.
Warum?
Alle einigermaßen kurzen, passenden Titel sind bei der Millionenflut von Büchern im Deutschen bereits vergeben. Man kann höchstens noch lange Bandwürmwörter oder ganze Sätze nehmen, und die machen sich online als thumbnails bei Amazon fürchterlich, da komplett unleserlich.

Der Titelschutz ist ja einerseits ganz sinnvoll, aber andererseits gibt es immer wieder große Verlage, die sich trotzdem darüber hinwegsetzen. Da stehen dann im Börsenblatt diese lustigen Titelschutzanzeigen, mit einem Kochbuch und einem Krimi nebeneinander, die halt beiden "Der Gourmet" heißen (Titel gerade von mir aus der Luft gegriffen, Genrekonstellation nicht!)
Gerade in Zeiten von SP greift der Titelschutz ja gar nicht mehr, welcher SPler schaut den wirklich nach, ob es eine Titelschutzanzeige gibt? Würde ich vermutlich auch nicht machen, manche Verlage sichern sich ja Titel en Gros und das kann auch wieder nicht Sinn der Sache sein.
Da bleibt einem wirklich nicht mehr viel übrig, als auf englische Titel auszuweichen.

Mich stören eigentlich auch nur Titel in furchtbarstem Denglisch, mit gutem Englisch, bei dem Titel und Inhalt zusammenpassen finde es besser, als einen unharmonischen deutschen Titel, der irgendwie an den Haaren herbeigezogen ist.
Deutsch ist die Sprache von Goethe, von Schiller...
und im weitesten Sinne auch von Dieter Bohlen[/i]
Stefan Quoos, WDR2-Moderator

»Gegenüber der Fähigkeit, die Arbeit eines einzigen Tages sinnvoll zu ordnen,
ist alles andere im Leben ein Kinderspiel.«[/i]
Johann Wol

FeeamPC

Lange im Voraus sichern können sich nicht mal große Verlage einen Titel. Der Titelschutz verfällt nach ein paar Monaten, wenn der Titel nicht tatsächlich benutzt wird.
Früher war es so, dass Bücher, die nicht mehr verkauft wurden, vom Markt verschwanden, und der Titel damit wieder nutzbar wurde. Heute, dank Ebook und BOD, verschwindet praktisch kein Titel mehr, und der Titelschutz blockiert damit die Titelgebung neuer Bücher.
Außer natürlich, den Titel gibt es schon so oft, dass es auf ein Buch mehr oder weniger mit dem gleichen Titel nicht mehr ankommt.

flowrite

Kann diese Neigung des Marktes nach englischen Titeln nicht auch mit der Fernseh- und überhaupt der visuellen Medienkultur zu tun haben, wonach Deutschland eine Kolonie Hollywoods ist? Schließlich müssen Bücher anknüpfen daran, was schon bekannt ist, aber immer noch fremd genug, dass der Leser träumen kann und nicht das Publikum aufschreit: "Aber in Castrop-Rauxel steht am Kreisverkehr zwischen Jahnstraße und Bahnhofstraße doch kein Transformatorhäuschen!" – und das schlecht recherchierte Machwerk in die Ecke pfeffert. Langatmig beschreibende Wälzer à la Manns Buddenbrooks ziehen heute nicht mehr, wenn sie überhaupt bei irgendwem je gezogen haben außer bei Deutschlehrern ("Wunderbar diese langen, sich über Seiten hinziehenden Kommatiradensätze, kann ich die Gören schön mit quälen, au jaaa"). Handlung ist gefragt, die Stimmung wird zwischen die Zeilen verbannt. Da dort so viel Platz nicht ist und auch dem Publikum die Fantasie fehlt, irgendwas hineinzulesen, leiht man das Zeug einfach implizit von Hollywood.

Das könnte umgekehrt auch der Grund sein, warum mir etwa Peter Hoeks Roman "Fräulein Smillas Gespür für Schnee" nicht so gut gefiel: Zu viel Handlung, zu wenig Stimmung, ich kenne Dänemark und Grönland nur in einzelnen Puzzleteilen und hätte mir mehr Verweilstrecken gewünscht.

Und ich finde es generell und grundsätzlich auch sehr fragwürdig, wenn der Autor, sich dem Willen des Literaturagenten oder Verlags beugend, seinen Text ändert, um dem behaupteten Publikumsgeschmack zu entsprechen. Bei Auftragsarbeiten ist das ja noch legitim, aber bei Werken, die dem eigenen Herz entsprungen ist, grenzt das an Nötigung zum Selbstverrat. Tja, ja, der schnöde Mammon.


Tanrien

#24
Da ich nur noch auf Englisch lese, fällt mir das mit den englischen Titeln nicht so auf, welches Genre das ist, ob das Übersetzungen sind, etc.

Zitat von: Pandorah am 24. Juli 2015, 13:54:25
Das ist nicht nur ein Glaube, ob sich etwas besser verkauft oder nicht.
Na ja, ich würde da Verlage nicht zu sehr überschätzen. Auch das auch eine Industrie und wie man vielleicht hier in den Köpfen präsenter anhand der Film- und Videospielindustrie sieht, wird halt auch einfach gern auf "bewährtes" und bekannte Muster gesetzt, oft auch sehr, sehr unabhängig von den (potentiellen) Verkaufszahlen.

Gerade so Anekdoten wie von Fee:
Zitat von: FeeamPC am 24. Juli 2015, 18:33:16
Nebenbei bemerkt, ich habe (bei einem anderen Verlag, unter anderem Namen) ein Romantik-Fantasy-Buch veröffentlicht, das in Deutschland spielt. Das Buch ist nie über einen Verkauf pro Monat rausgekommen. Das Genre scheint Englisch und ein ausländisches Setting einfach zu brauchen.
Das sitzt dann eben in allen Köpfen fest; bei Autoren, Lesern und Verlagen gleichermaßen. Wie man im Thread sieht schreiben ja praktisch alle mit "fremdem"/"exotischem" Setting weil sie es wollen oder weil sie keine andere Wahl haben ("was anderes verkauft sich ja nicht") oder beides. Aber da kann man den/die Einzelne/n nicht kritisieren, finde ich, sind ja beides gute Gründe. Aber da es "alle" machen, müssen es dann auch alle so machen, verkauft sich ja.

Was ich dann daran schade finde, ist, dass Möglichkeiten nicht genutzt werden. Ich würde da denen zustimmen, die hier schreiben, dass dann so ein Setting wie "New York", "London", "Irland", etc. auch oft verlockend leicht einfach als Shortcut für die Atmosphäre verwendet wird/werden kann.

Ich habe vor ein paar Wochen die "Rivers of London"-Reihe gelesen und fand es gerade klasse, wie sehr London als Stadt und Setting auch präsent ist. (Gleichzeitig war ich aber auch ein bisschen gelangweilt, weil es eben schon wieder London war.) Aber sowas fände und finde ich toll auch für unbekanntere Orte und Städte, auch in Deutschland, und freue mich, wenn ich das umgesetzt sehe.

Ich schreibe ja auch nur auf Englisch, aber auch nur deutsche Settings. Ich finde das einfacher, da ich bei den Aspekten, die das Setting realer machen, wie: Wo treffen sich die Nazis, gibt es eine LGBTQ-Szene, wo gehen Nachts die Teenies hin und wo die Prostituierten, welche Ecke war vor zehn Jahren für türkischstämmige Jugendbanden verschriehen, von denen aber lustigerweise nie jemand was gesehen hat? usw. ungefähr weiß, wie relevant das für mein Setting ist.

Es kann mir doch aber auch niemand erzählen, dass eine heiße Romanze mit einem Fußballstar von Bayern München, von radioaktivem Material angelockte Drachen im Kampf mit Castor-Gegnern zwischen Lüneburg-Dannenberg oder ein Zombie-Apokalypsen-Ausbruch bei Bayer in Leverkusen nicht spannend oder sexy genug wären und deswegen unbedingt in London spielen müssen. Nicht, dass das jemand unbedingt schreiben muss, aber ich fände es jedenfalls schade, wenn Ideen zu sowas direkt im Kopf wieder begraben werden, weil die Verlage/Leser angeblich nur angelsächsische Settings (und Themen) wollen.

FeeamPC

Ein
ZitatZombie-Apokalypsen-Ausbruch bei Bayer in Leverkusen
hätte vermutlich sogar noch Chancen!

Marek

Ich würde wirklich gerne mal einen Fantasyroman lesen, der in Castrop-Rauxel spielt. Da greift kein Fernweh bei mir, aber Heimweh, und die Sehnsucht nach einer Kindheit, die leider viel zu kurz war. Bei aller Love-and-Landscape-Romantik darf man die Macht der Sentimentalität nicht vergessen, und Castrop-Rauxel ist groß und interessant genug für eine interessante Geschichte und Leser, die sich selbst genre an ihre Zeit im Ruhrgebiet zurückerinnern-.
Niemand hantiert gern ungesichert mit kritischen Massen.
Robert Gernhardt

Norrive

Aber irgendwie kann ich mir kein Fantasy in Castrop-Rauxel vorstellen. Das klingt schon so nach Frittenbude, altem Tagebau und Rütgers Chemicals. Man kann sich der Assoziationen, die man so hat (und erstaunlicherweise haben da viele Deutsche die gleichen), ja nicht erwehren.  Aus dem gleichen Grund steht L.A. für Sonne, Stars und JetSet, New York hat diesen internationalen Flair, der schwer zu definieren ist, und GB hat den britischen Charme mit Tee, Tradition und Königshaus. Wenn ich Lust dazu habe, meinen Roman da spielen zu lassen, warum auch nicht. Das ist da, wo man die Größen in Wirtschaft, Wissenschaft und Politik findet und das ist den meisten meiner Romane eher zuträglich, da das zu meinen Charakteren passt.

Und für mich macht der Klang der Ortsnamen als Setting auch viel aus. Ein Fantasyroman passt durchaus nach Lahnstein oder Weißenburg, weil sich das schon nach Fantasy anhört - relativ weicher Klang, ein bestimmter Ort schon im Namen integriert (Felsen und Burg) und die Namen könnten auch so schon vor 300 Jahren existiert haben. Settings für Urban Fantasy kann ich mir schon wieder schwieriger im Deutschen vorstellen - aber auch das geht. München, Frankfurt, Hamburg - da kann sich ein Vampir-Coven genauso gut niederlassen wie in besagten amerikanischen Städten.
Aber viele deutsche Städte klingen eben in meinen Ohren total nach Provinz mit all ihren Nachteilen. Rollerfahrende Jugendliche, Jungesellenfeste, Schützenverein. Nicht, dass das an sich schlecht wäre, aber das muss ich nicht auch noch beim Lesen haben. Da liegt das englischsprachige/exotische Setting irgendwie nahe.
Dazu kommt: diverse Ruhrpottstädte, generell am Niederrhein oder im Osten Deutschlands haben diesen harten Klang - wie eben Castrop - Rauxel. Am besten noch mit dem rheinischen Dialekt gesprochen, der die Konsonanten noch härter macht und das 'r' in Wörtern wie 'Garten' in einen klingonisch anmutenden ch-Laut verwandelt... (Bin mir im übrigen durchaus bewusst, dass ich hier meinen eigenen Dialekt beschreibe  :rofl:)
Aber solche Details reißen beim Lesen irgendwie raus. Wenn ich eine epische Fantasy-Trilogie lese und dort wird dauernd irgendein lustiger/seltsam assoziierter Städtename erwähnt, ist es leider vorbei mit dem ins-Buch-ziehen-lassen.
Und das Fremde macht einfach den Reiz aus. Gibt ja auch genug Leute, die sich den Urlaub außerhalb Deutschlands nicht leisten können und daher sich beim Lesen gerne wegträumen.

Viele Worte, kurzer Sinn: Ich denke, jeder Autor sollte das Setting nehmen, zu dem er Lust hat, auch wenn es dann die zehntausendste Geschichte über einen Hexenzirkel in L.A. ist.

Ich muss allerdings zustimmen, dass schlechte Denglische Titel grausam sind, dann entweder richtiges Englisch oder richtiges Deutsch. Ein bisschen seltsam sind englische Titel gepaart mit englischem Autor bei einem Buch, das dann doch in Deutschland spielt. Komischerweise finde ich englische 'Ein-Wort'-Titel mit deutschem Autor und deutschem Setting aber wieder ganz nett.

Tigermöhre

Zitat von: Norrive am 26. Juli 2015, 19:08:00
Aber irgendwie kann ich mir kein Fantasy in Castrop-Rauxel vorstellen. Das klingt schon so nach Frittenbude, altem Tagebau und Rütgers Chemicals. Man kann sich der Assoziationen, die man so hat (und erstaunlicherweise haben da viele Deutsche die gleichen), ja nicht erwehren.

Und genau sowas bietet einem doch ein super Setting. Es wurde zu tief gegraben und irgendwas wird geweckt. (Ja, der Herr der Ringe lässt grüßen.) Zwerge und Goblins bekriegen sich in stillgelegten Minen ...
Wenn ich aus der Ecke käme und Urbane Fantasy schreiben würde, würde ich mich jetzt sofort hinsetzen und plotten. ;)


FeeamPC

Gutes Setting für Krimis und Horror. Weniger gutes für klassische und Urban Fantasy.