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Schreiben einer langen Reise?

Begonnen von Leygardia, 24. Juni 2015, 19:59:28

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Cavenaught

Hallo,
in meinem neuen Roman habe ich die langen Reisen durch meine große Welt auf die Weise gelöst, dass sie zwischen den Kapiteln stattfindet. In der ersten Hälfte der Geschichte befassen sich die Kapitel mit den Perspektiven der verschiedenen Hauptcharaktere, bis sie in der zweiten Hälfte zusammentreffen. So habe ich am Ende eines Kapitels der jeweiligen Person den Aufbruch geschildert, im nächsten dann die Ankunft, mit einem kurzen Rückblick der Reise, Erinnerung daran, wie lange der Char unterwegs war etc. Außer in Kapiteln, in denen etwas für die Story wichtiges passiert, bin ich näher auf die Reise eingegangen mit Landschaftsbeschreibungen, Mono- und Dialogen, bis das wichtige Ereignis eintritt. So hat die Geschichte durchgängig ein gutes Tempo, bringt immer die wichtigen Informationen und zieht sich nicht unnötig hin.

lg, cavy

Zit

Es ist kein Spoilern sondern Recherche, wenn du den Roman nennst, den du meinst. ;) Oder meinst du nur den Herr der Ringe?
"I think therefore I am
getting a headache."
Unbekannt

Dämonenbändiger

Mach die lange Reise kurz. Was ich damit meine ist: Schreibe sie so, dass sie dem Leser als kurz erscheint.
Die Reise soll eine Funktion erfüllen. Wenn diese ,,Entwicklung der Charaktere" heißt, dann musst du genau das kurzweilig erzählen. Wenn der Leser sich fragt ,,Was soll denn diese ganze Geschreibe über die Reise nun?" oder denkt ,,Ist das langweilig." Dann hat deine Reise keine Funktion und / oder ist zu lang.

Und wie gesagt, du musst auch nicht den ganzen Tag (zeitlich) ausschlachten, genauso wie die ganze Strecke. Deine Leser sind nicht dumm, sie verkraften Auslassungen und Sprünge, wenn sie Orientierungspunkte haben, die die Textstellen verbinden.
Eine Reise ist ja auch deshalb spannend, weil sie unbekanntes und Gefahren birgt. Das muss nicht allein von außen kommen, sondern kann aus deinem Protagonisten bzw. den Charakteren der Gruppe selbst kommen. Sie werden von außen vielleicht nur durch ein Geschehnis angeregt und dadurch kommt ein Aspekt eines Charakters zum Vorschein, den der Leser so vorher noch nicht gesehen hat und den es sich lohnt zu ergründen.

Leg dir ein paar Eckpunkte fest und schreib einfach drauf los. Falls du eher ein Plotter bist, dann plotte dir doch ein paar verschiedene Reisen oder leg dir eine ,,Reiseroute" fest und für jede Station der Reise entwickelst du fünf Alternativen oder zumindest alternative Ausgänge. Es könnte auch interessant sein, die Reihenfolge zu vertauschen. Wie gesagt, du musst sehen, welche Funktion deine Reise erfüllen soll.

Lauren Mandrake

Zitat von: Zitkalasa am 03. September 2015, 12:08:48
Es ist kein Spoilern sondern Recherche, wenn du den Roman nennst, den du meinst. ;) Oder meinst du nur den Herr der Ringe?

Nein, ich meine Rothfuss. A Wise Man's Fear.

Akirai

Eventuell noch eine Idee: Wenn deine Protagonisten am Ende in einer Stadt ankommen, könntest du sie die Reise "nacherzählen" lassen. Etwa so: Deine Protas kommen in der Stadt an. Sie sind schwer verwundet, irgendetwas muss also passiert sein => die Leute fragen sie aus, deine Protas müssen erzählen. Natürlich werden sie nicht sagen
"wir standen um 6.45 Uhr auf. Ein Vogel zwitscherte. Wir gingen drei Minuten. Dann hatte ich einen Stein im Schuh und wir machten Rast. Dann gingen wir weiter" (also möglichst kleine, unwichtige Details  ;)), sondern sie erzählen die - auch für den Leser! - relevanten Informationen. Da du mehrere Protagonisten hast, werden die in ihren Erzählungen natürlich verschiedene Schwerpunkte setzen.
Prota A sorgt sich um Prota B, der schwer verletzt ist, und schimpft deshalb auf die Wegelagerer und erzählt die spannenden Hinterhalt-Geschichten.
Prota C ist der etwas verträumte, nachdenkliche, der sich mehr für die Schönheit der Landschaft / die faszinierenden Völker am Weg / etc. interessiert hat.
Prota D erzählt den ganzen zwischenmenschlichen Klatsch und Tratsch, den du loswerden willst.

Ich hoffe, du verstehst, was ich meine? Ein weiterer Vorteil ist: Du kannst für lange Zeit in die Ich-Position abtauchen, was dem Leser einen sehr nahen Blick auf deine Protagonisten ermöglicht (er fühlt ja gleich viel besser mit, weil die Erzähldistanz abgebaut ist).

So viel von mir, ich hoffe, ich konnte dir helfen!  ;D

LG
Aki

Judith

Zitat von: Lauren Mandrake am 03. September 2015, 15:35:20
Nein, ich meine Rothfuss. A Wise Man's Fear.
An allzu viel Reise kann ich mich da gar nicht erinnern (obwohl ich das Buch erst vor kurzem gelesen habe), aber bei beiden Bänden mochte ich die Passagen, in denen Kvothe unterwegs war, besonders gern. Aber ich bin vermutlich eh kein Maßstab. Ich liebe Reiseplots in Fantasyromanen über alles und habe noch kein einziges Buch gelesen, in dem mir das zu viel geworden wäre. Ich schreibe sie daher auch sehr gern und es war ein ziemlicher Schock festzustellen, dass Reisen anscheinend sonst bei Lesern nicht sehr beliebt sind.  :d'oh:

Lauren Mandrake

@Judith: *lacht*
Ich haaaaasse Reisepassagen meistens. Ich bin ein ungeduldiges Ding und wenn sich so ne Truppe dann los macht... denk ich mir nur "bitte schnell ankommen!"
Bin da vielleicht auch Herr der Ringe-geschädigt. Ich liebe das Buch, aber ich hasse es auch wiederum. ES hat so viele schöne Elemente, wenn man davon absieht dass es eine einzige große Reise ist :D

Bei Kvothe doch gerade am Anfang, als er sich nach Tarbean durschlägt... dann reist er nach Imre... dann reist er seiner Angegebeteten hinterher (ich haaaasse Denna!) und dann reist er zu diesem Adeligen, der ihn mit ein paar Söldnern rausschickt,... wo man eigentlich schon weiß, alles klar, der will Kvothe loswerden... und dann die Episode mit der Fae. Ich hab vergessen wie sie heißt und danach wird das Buch in meinen Augen eh nur noch grottenschlecht. Sorry :D

Also wirklich, bei Reise-Passagen verlier ich oft die Geduld wenn sie zu lang sind.

Aber das soll ja hier natürlich niemanden davon abhalten, trotzdem welche zu schreiben!

cryphos

Reisen sind in einigen Geschichten fester Bestandteil. Wichtig ist dabei die Reise auf das wesentliche zu reduzieren.
Tolkien hat es bei H.d.R nicht so ganz geschafft, aber war auf einem guten Weg.
Auch im Rad der Zeit von Robert Jordan sind Reisen ein zentraler Bestandteil und ich finde er hat es meist souverän gelöst.
Wenn man die Reise auf handlungsrelevante Aspekte zusammenschrumpft und die Zeit dazwischen rafft bekommt der Leser Plott und eine Ahnung von der Dauer und dem Mühsal.
Jordan nutzt die Zeit einer Reise gerne für die Charakterentwicklung. Perrin und Fail unterhalten sich morgens im Lager darüber was es bedeutet als Anführer zu gelten. Schnitt. Am Abend desselben Tages einige Meilen weiter rastet das Heer, das Lager wird überfallen, Action für einige Tage, wiederum auf die Handlungszeiträume reduziert. Schnitt. Drei Tage später rettet Perrin seine Fail und hat seine Ansichten über Führerschaft geändert, was man an seinem inneren Monolog erkennt. Schnitt. Fail fällt auf, dass sich Perrin geändert hat (wieder innerer Monolog). Schnitt. Fail spricht Perrin zwei Tage später darauf an. Insgesamt sind 15 Tage reise vergangen und im deutschen drei Bücher geschrieben.

Lauren Mandrake

Zitat von: cryphos am 04. September 2015, 10:09:34
Reisen sind in einigen Geschichten fester Bestandteil. Wichtig ist dabei die Reise auf das wesentliche zu reduzieren.
Tolkien hat es bei H.d.R nicht so ganz geschafft, aber war auf einem guten Weg.
Auch im Rad der Zeit von Robert Jordan sind Reisen ein zentraler Bestandteil und ich finde er hat es meist souverän gelöst.
Wenn man die Reise auf handlungsrelevante Aspekte zusammenschrumpft und die Zeit dazwischen rafft bekommt der Leser Plott und eine Ahnung von der Dauer und dem Mühsal.
Jordan nutzt die Zeit einer Reise gerne für die Charakterentwicklung. Perrin und Fail unterhalten sich morgens im Lager darüber was es bedeutet als Anführer zu gelten. Schnitt. Am Abend desselben Tages einige Meilen weiter rastet das Heer, das Lager wird überfallen, Action für einige Tage, wiederum auf die Handlungszeiträume reduziert. Schnitt. Drei Tage später rettet Perrin seine Fail und hat seine Ansichten über Führerschaft geändert, was man an seinem inneren Monolog erkennt. Schnitt. Fail fällt auf, dass sich Perrin geändert hat (wieder innerer Monolog). Schnitt. Fail spricht Perrin zwei Tage später darauf an. Insgesamt sind 15 Tage reise vergangen und im deutschen drei Bücher geschrieben.

Einer der Hauptgründe, warum ich beim "Rad der Zeit" nie über Band 3 im Englischen hinaus gekommen bin.
Sorry but you are not allowed to view spoiler contents.


Also, meine Meinung ist: Halte Reisen so kurz wie es geht und konzentriere dich auf das Wesentliche, was die Reise bewirken soll. Das Ganze künstlich aufzublähen, um z.B. Landschaften zu beschreiben oder inhaltsleere Reisedialoge zu haben, wäre schade! Denn ich denke, wie in A Wise Man's Fear, reichen auch manchmal drei Sätze  ;D

Trippelschritt

Das Reiseproblem ist so besonders gar nicht, nur etwas schwieriger zu lösen als andere verwandte Schwierigkeiten.
Es geht beim Schreiben immer darum, was erwähne ich, was lasse ich weg, und wenn ich etwas erwähne, aus welcher Perspektive betrachte ich es. So ist es auch bei der Reise.
Wenn es nur darum geht. von A nach B zu kommen, reicht ein Satz. Wenn auf der Reise Dinge passieren, die für den Ablauf entscheidend sind, oder vom Autor benutzt werden sollen, um eine Figur oder eine Beziehung zu charakterisieren, dann sollte man es erwähnen.

Alles, was man schreibt hat eine Funktion. Wenn die nicht klar ist und noch schlimmer, nicht zur Spannung beiträgt, hängt die Geschichte da oft durch.
Deshalb geht es weniger darum, wie ich so etwas schreibe, sondern um die Funktion, von dem was ich erwähne. Die entscheidende Frage ist eine Warumfrage. Warum soll das und das ausformuliert werden und was gewinne ich dadurch? Je präziser die Antwort formuliert werden kann, desto besser.

Liebe Grüße
Trippelschritt

Koboldkind

Und dann ist die Frage, ob eine Gruppe reist oder eine Person. Oder es macht keinen Unterschied, allerdings fallen bei einer Person natürlich die Interaktonen und spitzen Dialoge weg  ;D Wiederum hat man hier Platz, den Prota in krisen udn Hirnficks zu werfen, wehmütige Erinnerungen quälen in der Nacht, und dazu die Angst in einer gefährlichen Umgebung, die einen nicht schlafen lässt - auch spannend, hält nur nicht lange, wenn der Chara nach Tag Drei zerbricht und die Story endet ...
Gut, das ist eine Extremsituation, die ich geschrieben hatte. Aber ich mag den Umstand, dass man hier Platz für Erinnerungen und Charakterbuild hat.

Ansonsten bin ich der Auffassung, egal in welcher Truppenstärke die Landschaft erwandert wird, sollte man sich da gerne führen lassen und im nachhinein kürzen und umstellen. Ich lass mich hier (wie auch in Städten) gerne an die Hand nehmen und mir etwas über das Land erzählen. Klar, könnte ich das alles auch vorher beim Worldbuilding klären, aber so ists mir lieber. Vielleicht kommt es dann auch natürlicher rüber.

Apropos Städte: Die von mir angeführte Geschichte habe ich bisher auch immer als Roadmovie beschrieben, allerdings gibt es Anfangs und gegen Ende zwei große Teile in Städten. Hier hat die Protagonistin zwar eine To-Do-Liste, die die eigentliche Handlung mit bringt, aber immer wieder auch Leerläufe. Vor allen in der zweiten Stadt dauert es ein paar Tage, bis bei einem Fest die Action wieder los geht. Beim lesen diese Threads kam mir der Gedanke, dass auch Stadtbesuche bisschen wie Reisen-auf-der-Stelle sind. Vor allen, wenn man neugierige Erkunder-Protas hat, kann sich ein schöner Stadtplan mit Geschichte auftun, und die Zeit mit begleitenden Charas ist ebenfalls da, auch wenn man sich natürlich hier eher aus dem Weg gehen kann.
Was meint ihr, kann auch eine Stadt wie eine Reise behandelt werden (Wenn sie nicht gerade nur als Wegmarke für eine längere Reise dient)?
Wer jetzt nicht wahnsinnig wird, muss verrückt sein.

Ulli

Ich schließe mich mal der Meinung an, dass nicht die Reise an sich, sondern die Funktion im Mittelpunkt stehen sollte. Offensichtlich verfolgt die Truppe ja ein geheimes Ziel. Eventuell weiß der Leser davon noch nichts und die Reise gibt ein paar Infos frei. Das Ziel der Reise macht ja auch ein Stück Spannung aus. Schaffen sie es rechtzeitig? Wer verfolgt sie? Was könnte schief gehen, weil der liebe Protagonist vielleicht eine wichtige Sache vergessen hat? Oder weil er etwas ausgeplaudert hat und nun erst wird ihm die Tragweite klar. Vielleicht kann man solche Dinge schön in Dialoge verpacken?

Machen sich alle nach einer spannenden Szene auf den Weg, kann man natürlich ruhig ein wenig Landschaft zur Beruhigung des Blutdrucks dem Leser aufzeigen. Wurde die Reise aber lange geplant und wurde hier schon die Beziehung zueinander dargestellt würde ich nicht mehr ausschweifend sein.