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Stadt entwickelt, wieviel preisgeben?

Begonnen von Leygardia, 10. Mai 2015, 19:26:37

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Leygardia

Hallo meine Lieben  :winke:
Da ich zu diesem Thema noch keinen Thread gefunden habe, dachte ich, ich eröffne jetzt einfach mal einen.
Und zwar, angenommen euer Prota kommt in eine neue Stadt. Ihr, als Autor, wisst jedes kleinste Detail von dieser Stadt, sie ist euch völlig bekannt. Wieviel gebt ihr davon in eurem Buch preis? Ich meine, beschreibt ihr alles haargenau, was euer Prota sieht, oder geht ihr nur ganz oberflächlich ran? Ich persönlich liebe es ja, alles zu erläutern, wie das und das aussieht, doch wie weit kann man da gehen, bis es den Leser langweilt? Kann man zuviel beschreiben, sodass es den Leser langweilt? Schreibt mir doch mal eure Meinung dazu in die Kommentare :)

Danke schonmal im Voraus  :jau:

Sprotte

Ich bin der festen Überzeugung, daß Recherche wichtig ist, damit der Autor alles weiß. Aber ebenso überzeugt bin ich, daß der Leser lange nicht alles zu lesen bekommen soll. In dem Sinne: Ja, ich denke, man kann einen Leser mit Details zu Tode langweilen.

Wenn es sich für mich liest, als wollte der Autor stolz zeigen, wie gründlich er vorgearbeitet hat, schlage ich ein Buch zu.

Arcor

Man kann auf jeden Fall zu viel beschreiben. Passiert mir immer mal wieder.  ;D

Generell versuche ich es so zu handhaben, dass ich das beschreibe, was der Prota sieht, er kennt oder ihn interessiert. Hat mein Prota keinen Blick für Bauten, beschreibe ich keine. Kennt mein Prota die Straßen in- und auswendig, werde ich darauf nicht eingehen, da er kaum darauf achtet.

Um den Leser bei solchen Situationen trotzdem nicht im Dunkeln tappen zu lassen, kann man Orte finde ich entweder gut aus der Sicht von Personen beschreiben, die den Ort nicht kennen (ergo ist alles neu und sie achten auf sehr viele Details) oder ich nehme mir beim ersten "Auftritt" des Ortes in der Geschichte ein wenig Zeit, um ein paar grundlegende Sachen zu beschreiben.

Vertiefende Details gibt es dann im weiteren Verlauf der Geschichte oder ich lasse sie weg. Ich habe mal irgendwo gelesen, dass ein guter Autor extrem viel über Orte, Landschaften, Personen, Historie etc. seiner Geschichte/Welt weiß, aber im Roman davon nur so 30-4ß % zeigt - eben das, was zum Verständnis notwendig ist. Dass er mehr weiß, merkt der Leser trotzdem - zumindest, wenn der Autor gut schreiben kann, kommt das Wissen zwischen den Zeilen eigentlich ganz gut raus.
Not every story is meant to be told.
Some are meant to be kept.


Faye - Finding Paradise

Kadeius

Hallo, Leygardia :)

Was Detailfülle und das Thema "Was ist zu viel?" angeht, gibt es schon einige Threads, aber sicherlich ist das eine Frage, die man gut in diesem Thread diskutieren kann.
Ich persönlich mag es auch, Städte grundlegend zu beschreiben und dann zwei, drei, manchmal auch mehr kleine Details explizit dazu zu erwähnen. Mich selbst langweilt selbst die schönste Stadtbeschreibung nach einem durchschnittlich langen Absatz, aber das ist Geschmackssache. Ich denke, es ist wie immer die goldene Mitte gesucht und meine Gefühl sagt mir, dass besonders für jemanden, der zum ersten Mal die Stadt sieht, alles neu ist und er deshalb auf gewisse "Eye-" und "Earcatcher" achtet. Versetze dich in deine Figur und überlege dir, wo du hinschaust. Wenn dir dabei zwei, drei schöne Details auffallen, dann wird der Leser sich von ganz allein ein Bild machen. Zwar wird es von deinem abweichen, aber so ist das mit der Vorstellungskraft. :)

Churke

Zitat von: Leygardia am 10. Mai 2015, 19:26:37
Und zwar, angenommen euer Prota kommt in eine neue Stadt. Ihr, als Autor, wisst jedes kleinste Detail von dieser Stadt, sie ist euch völlig bekannt. Wieviel gebt ihr davon in eurem Buch preis?
Aus rein strategischen Gründen so wenig wie möglich. Es kann sein, dass die Stadt zu einem späteren Zeitpunkt ändern will/muss. Da ist es hilfreich, wenn man sich nicht schon zu sehr festgelegt hat.

Ansonsten ist nicht die Frage, was der Autor beschreiben will, sondern, was der Perspektivträger "sieht". Das darf gerne auch in Klischees abdriften.

FeeamPC

Ich schreibe das, was ich anstelle des Protas sehen würde. Von ferne die Silhouette, die markannten Gebäude, die Mauern und Tore. Von nahem ein einzelnes Tor, die Häuser der Straße, die ich entlanggehe, den Markt, auf dem ich einkaufe, der Tempel, den ich besuche. Den rest nur, wenn es die Situation erfordert,  wenn sich z.B. die Stadtwache darüber unterhält, von wo aus wohl die Schmuggler in die Stadt gekommen sein könnten.

et cetera

Das kommt auch ganz darauf an, welchen Hintergrund der Prota hat. Der Bauernjunge hat noch nie zuvor einen Palast gesehen, also wird er diesen wohl länger betrachten als die örtliche Taverne. Der Prinzensohn wird stattdessen eher über die ärmlichen Viertel die Nase rümpfen und der Grasgolem wird sich fragen, was genau eine "Straße" ist  ;)

Generell beschreibe ich eine Stadt nur knapp, denn schließlich weiß jeder von uns, nach welchem Prinzip Ortschaften in der Regel aufgebaut sind. Da reicht es meiner Ansicht nach, kurz das Gesamtbild widerzugeben und weitere Details im Text einfließen zu lassen, wenn sie eben wichtig werden.

Spinnenkind

Ich stimme et cetera, der Hintergrund des Protagonisten ist wichtig, man sollte sich ja grundsätzlich bemühen, alles durch die Augen seines Protagonisten zu sehen.

Ansonsten kann ich zu diesem Thema einen Aufsatz sehr empfehlen: The reality effect von Roland Barthes (aus dem Sammelband: The Rustle of Language, 1984). Der Aufsatz handelt davon, wie in der Literatur des Realismus der Eindruck erzeugt wird, etwas sei "real". Das klingt jetzt für die Fantasy zunächst vielleicht irrelevant, ist es aber nicht. Denn auch als Fantasyautor will man ja, dass der Leser sich in die Atmosphäre des Ortes hineingesogen fühlt. Laut Barthes erreicht man dies nicht durch die Beschreibung einzelner Details, sondern durch die Erwähnung von Elementen mit Wiedererkennungswert (zum Beispiel weiß vermutlich jeder Leser, was gemeint ist, wenn du ein "Meer von Masten" erwähnst in Kombination mit dem Geruch von Salz, ohne, dass du einen Hafen erwähnen musst). Das ist jetzt eine sehr grobe Zusammenfassung des Inhalts und wird dem Aufsatz nicht gerecht...wie gesagt, wer sich für so etwas interessiert, ich kann ihn nur empfehlen :)

Fianna

Damit beschreibe ich doch Details... Wahrscheinlich meinst Du, sich nicht zu sehr in spezifusch erfundenen kulturellen Details verlieren, sondern einen Tick allgemeiner beschreiben und auf gespeicherte Bilder des Lesers zurück greifen?

Das ist in historischen Romanen auch verbreitet. Je weiter die Figuren räumlich und zeitlich entfernt sind, desto mehr betont man Emotionen / Traditionen, die der Leser kennt und nachvollziehen kann. In den populärsten Fällen geht das soweit, das die Figuren einfach wie moderne Menschen in Gewandung wirken... Aber gute historische Romane schaffen da einen Mittelweg.

Churke

Der Realismus befasst sich mit Zeitgenössischem, das dem Leser grob bekannt ist / sein soll. Er kann es daher wiedererkennen. Wenn wir uns jedoch in anderen Welten bewegen, fehlen dem Leser die Vergleiche. Zum Beispiel fasste der Circus Maximus in Rom 385.000 Zuschauer. Das ist absurd groß und nur architektonisch zu beschreiben, keine moderne Arene kommt da auch nur ansatzweise heran.

Nun reicht es aber nicht, da einfach ein Stadion für 385.000 Zuschauer hinzuklatschen. Wer hat das gebaut? Wozu brauchen die das? Und vor allem: Wer bezahlt das alles? Ein einzelnes Element führt zu einer Menge weiterer Fragen, die man beantworten muss, damit der Leser eine Vorstellung davon bekommt, wie das ganze System überhaupt funktioniert.

Nun kann man sagen: "Was kümmert mich der Infodump?" Nun, wenn man sich (oder den Leser) mit solchen Dingen nicht belästigen will, dann fängt man mit dem Circus Maximus am besten gar nicht erst an, erwähnt ihn eben nicht.

Trippelschritt

Ich muss zugeben, ich habe jetzt nicht den ganzen thread gelesen. er ist ja schon was älter, aber im Grunde genommen ist es wieder das klasssiche Problem jeder Beschreibung mit den beiden wichtigsten Fragen: Wieviel beschreibe ich und vor allem was. Die dritte Frage wäre dann: Wie beschreibe ich?
Für mich hängt alles von der Funktion der Szene ab und warum ich etwas beschreiben möchte. Der Aspekt des Infodumps wird dann wichtig, wenn die Beschreibung eine Orientierung des Lesers ermöglichen soll. Am besten hält man sie dann knapp. Geht es um Beschreibung zur Erzeugung einer bestimmten Atmosphäre oder Stimmung, braucht man mehr Platz und es werden ganz andere Dinge wichtig, die unter Umständen mehr über die Beteiligten als über die Stadt selbst aussagen. Ganz schwierig wird es bei allen Beziehungen zwischen Ort und den beteiligten Personen (meist der Protagonist). Dazu fällt mir gar keine allgemeine Richtung ein.
Die Stadt ist dazu nur eine von vielen Orten, die man in einer Geschichte beschreiben muss und nichts Besonderes. Es sei denn, sie wird zu etwas Besonderem gemacht, indem nur große Steinbauten Magie ausatmen oder sonst so etwas.  ;D

Liebe Grüße
Trippelschritt

FeeamPC

Aber mit dem, was der Prota erlebt, kann man eine Stadt perfekt beschreiben, ohne einen Indodump loszulassen. Und ich wette, dass sich jeder bei so einer Beschreibung ein Bild von der zugehörigen Stadt machen kann.

ZitatUnd wie sollte er jetzt zu dem Schweber kommen? Ratlos sah Raoul sich um. Sein Kartesianer-Freund grinste über sämmtliche spitze Zähne und zeigte auf eine Markierung. Ja. Schön. Aber da ging es trotzdem nur rund zweihundert Meter in die Tiefe. lalloq trat zu dem roten Rand und darüber hinaus. Noch bevor sein Fuß sich senkte, hatte sich vor ihm ein röhrenförmiges, blaugrün schillerndes Kraftfeld gebildet.

Da macht sich zwar jeder Leser von der Stadt ein anderes Bild, aber dass sie in einem Science Fiction Roman in einer hypermodernen Stadt sind, weiß jeder. Und dass diese Stadt groß ist, sehr groß, ebenfalls.

Sabine

Mich persönlich langweilen allzu detaillierte Beschreibungen von Städten oder Landschafften und ich neige dazu über solche Stellen hinweg zu lesen. Weshalb ich auch in meinen Büchern, nur das Beschreibe was der Leser unbedingt wissen muss und was typisch  ist für die jeweilige Stadt, zum Beispiel markante Gebäude u.s.w. Und auch nur dann, wenn es mit der Handlung verknüpft ist. Detailreiche Beschreibungen wie in ,,Herr der Ringe", empfinde ich eher als störend, aber natürlich weiß ich, dass viele das anders sehen.
Wumm! Genau so ergreift der Habicht einen Spatz.
Eine Schnecke besteigt einen Berg, sehr langsam.

Eluin

Ich für meinen Teil versuche Beschreibungen häufig mit Emotionen / Erinnerungen zu verbinden, um den Charakteren mehr Tiefe zu verleihen.

Ansonsten kann ich mich meinen Vorrednern anschließen: mir kann es viel zu schnell zu viel werden. Ein Beispiel, aus einem Roman: Mitten in der Szene, wo der Charakter vor dem König steht und man erwartet, dass die Handlung weiter geht, wird erst einmal Seitenweise darüber referiert, woher die Kronleuchter und Teppiche stammen mögen (ohne Bezug zu irgendwas) und wie diese aussehen. Für mich  :hand: :wums:
Träume verändern die Zukunft. Doch erst wenn wir die Augen öffnen, können wir sie verwirklichen!
Mein Spruch, mein Motto.

Fianna

Ich verbinde Beschreibungen gerne mit Atmosphäre bzw. der Erzählstimme.
Du kannstbeispielsweise ein Gebäude auf unglaublich verschiedene Weisen beschreiben, je nachdem, wer in welcher Situation das anschaut. Bloße Beschreibungen ohne "Mehrwert" versuche ich zu vermeiden, außer ich möchte eine harmonische/friedliche Stimmung erzeugen, die sich dann als Täuschung herausstellt oder zerstört wird, dann ist dieser Sinn nicht unbedingt direkt in der Szene enthalten, sondern ergibt sich zusammen mit einer weiteren Szene.