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Dicke Figuren beschreiben

Begonnen von Mondfräulein, 11. März 2015, 19:27:25

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Guddy

#75
Zitat von: Sascha am 17. März 2015, 09:31:34
Die Idee find ich gut! Gäbe eine nette Szene, wie sie den Spiegel anschnauzt, weil der zu schmal ist. :)

Jupp, genau so war es gedacht ;)

Zitat von: AutorinAZDie Beschreibung mit "anschmiegsam", "gemütlich" und ähnliches finde ich fast schon wieder diskriminierend. Nur weil jemand dick ist, ist er/sie nicht gemütlich oder ähnliches. Weder optisch noch sonst wie. Das ist meiner Meinung nach ein reines Schubladendenken.  :wart:
Anschmiegsam ist für mich nicht das gleiche wie gemütlich und bezieht sich lediglich auf das mögliche, persönliche Gefühl eines Protagonisten auf eine fiktive, dicke Figur bezogen, die er als anschmiegsam empfindet - weil er/sie sich bspw. gerade anschmiegt. So oft wird gestänkert, dass muskulöse Männer oder dünne Frauen "viel zu hart" seien, da ist bspw. ein weicher Bauch sicher angenehm anschmiegsamer ;)

Schubladendenken ist das meiner meinung nach nicht, sondern schlichte, reale Gefühlssache. Das trifft garantiert nicht auf jeden dicken Charakter zu, aber es ist ein - für mich - positives Attribut, das man für Charakter X oder Y verwenden kann. Ich verstehe aber gut, dass ein und derselbe  Begriff von zwei Personen völlig unterschiedlich aufgefasst werden kann :)

Da finde ich das "Mit Appetit viel und gut essen" wesentlich "schubladiger" - und sagt auch längst nichts über die Figur aus, kann also irreführende Bilder gerade in Kombi mit dem Sport verursachen, und das soll ja eigentlich vermieden werden?

AutorinAZ

Zitat von: Guddy am 17. März 2015, 13:29:04
So oft wird gestänkert, dass muskulöse Männer oder dünne Frauen "viel zu hart" seien, da ist bspw. ein weicher Bauch sicher anschmiegsamer ;)

Ein weicher Bauch ist aber nicht zwangsläufig auch "dick". ;)

Und das man bei "dünnen" Frauen das Gefühl hat, als würde man mit einem Rasenmäher über Kopfsteinpflaster fahren... - ist ja letztendlich auch nur typisch für das allgemeine Vorurteilsdenken.  :omn:

Letztendlich läuft es doch so oder so darauf hinaus, dass es fast unmöglich ist eine dicke Person wertungsfrei zu beschreiben - weil unsere Gesellschaft nun einmal nicht wertungsfrei bzw. Vorurteilsfrei ist.  :hmmm:

Maja

Zitat von: AutorinAZ am 17. März 2015, 13:17:13Man sah ihr an, dass sie gerne gutes Essen mit viel Appetit aß.
Womit wir auch wieder nur bei den Klischees wären. Den Satz kann man benutzen, wenn sich eine Figur gerade mit Lust und Enthusiasmus die große Schweinshaxe reinzieht oder noch von Kopf bis Fuß von Senf und Ketchup tropft, völlig unabhängig von der Statur. Die Formulierung legt nahe, dass Übergewicht immer vom Fressen kommt, und damit den Rückschluss aufdrängt, dass die Dicken an ihrem Schicksal selbst schuld sind - können ja einfach mal weniger essen, ne? Dass da noch viele andere Elemente mit reinspielen und so eine Pauschalisierung nicht funktioniert, steht auf einem anderen Blatt. Ja, man kann vom Essen dick werden. Aber es kann auch eine Stoffwechselstörung sein, oder die Nebenwirkung von Medikamenten. Mit deiner Formulierung wird aber die Ursache, ohne irgendwelches Hintergrundwissen, allein vom ersten Anblick abgeleitet. Man könnte das Ganze entschärfen, indem man als Mutmaßung formuliert: »Sie sah aus wie jemand, der gutes Essen zu schätzen wusste und einen gesegneten Appetit sein eigen nannte« - und selbst das ist noch grenzwertig.

Zustimmen muss ich jedenfalls beim Klischee der Kuscheldicken. Ich kenne ein paar Frauen mit überschüssigen Pfunden, die zu Umarmen wirklich toll ist. Ich kenne aber auch andere Dicke, und falle selbst in die Kategorie, an denen so überhaupt nichts Kuscheliges ist. Ich habe keine Rundungen, in denen man versinken kann. Ich habe ein ausladendes Achterwerk (nicht zum allgemeinen Knuddeln freigegeben), einen Bauch (dito) und ansonsten einen Griff wie einen Schraubstock. Das ist es, was viele leicht übersehen: Dicke sind nicht überall gleich dick. Dicke sind an manchen Stellen sogar überhaupt nicht dick. Ich habe so gut wie keine Oberweite, und um meine Handgelenke kann ich selbst rumgreifen, so dünn sind die. Ich kenne eine Frau, die obenrum Größe 38 trägt - und dann kommt ein Unterbau, in den passe ich zweimal rein, und ich bin wirklich nicht von der zierlichen Sorte.

Der Grund, warum man so viele dürre, aber so wenige dicke Frauen auf den Laufstegen dieser Welt sieht, ist nicht nur einem Schönheitsideal geschuldet, sondern vor allem aus den Betriebsabläufen entstanden: Eine Size-Zero-Frau ist überall dünn. Der Designer kann sie buchen und davon ausgehen, dass die Klamotten, die er für Größe 0 geschneidert hat, jedem entsprechenden Model passen. Je mehr Kilos dazu kommen, desto größer wird die Vielfalt, weil es einfach so viele verschiedene Orte gibt, wo sie sich absetzen können, und nicht jeder Mensch gleichmäßig nach Schema F dick wird. Dicke können ein Lied von schlechtsitzenden Kleidern singen, die an der einen Stelle kneifen, an der anderen viel zu weit sind. Dieses Problem haben auch Modedesigner. Stattdessen nur für die großen Dünnen zu designen, ist aber keine Lösung, und bei Kleidern von der Stange vorauszusetzen, dass eine Frau mit Bauch, die Größe 48 braucht, dann auch einen Vorbau von mindestens Doppel-D hat, führt dazu, dass ich mich inzwischen an Herrenoberbekleidung halten muss. Die dicken Männer haben nämlich ungefähr so viel Brust wie ich. Nur wollen die dann kein schönes Dekollettee haben.

Bei Figurenbeschreiungen fände ich es schön, diese Diversität mehr herauszuarbeiten. Die dicken Figuren werden mehr als Individuum wahrgenommen und nicht nur als Klischeekugel vom Dienst, wenn ihnen körperliche Elemente zugestanden werden, die von "wie sich Klein Fritzchen die Dicken vorstellt" abweichen. Das können zum Beispiel kleine, zarte Finger sein, ein besonders fein modelliertes Näschen oder zierliche Fesseln. Diese Elemente müssen nicht so dargestellt werden, als wären sie die attraktivsten Körperteile der Person, sondern so, dass sich ein stimmiges Gesamtbild ergibt, das in sich attraktiv wirkt, gerade durch die vermeintlichen Widersprüche. Es ist ein Leidwesen vieler Dicker, eben nur pauschal wahrgenommen zu werden statt als Individuen, und wenn sich dann die Beschreibungen nur auf die dicken Elemente reduzieren, ist das schade.

Ich denke auch, dass es möglich sein muss, auch Schurkenrollen mit Dicken zu besetzen. Wenn sie nicht nur verhuschte moppelige Mauerblümchen sein müssen, sondern auch vor Selbstbewusstsein strotzen können, dann ist der Weg zum Intriganten, zum Despoten, zum Verführer nicht mehr weit. Es ist mir persönlich lieber, die Dicken treten als Criminal Mastermind auf und ich kann sie so richtig hassen, als wenn sie doof, tumb, begriffsstutzig sind. Ein Negativbeispiel, gerade aus dem Jugendbuchbereich, sind die Harry Potter-Bücher, die mit Dudley, Crabbe und Goyle zu viele dummen Unsympathen mit Dicken besetzt haben. Ein schillernder fettleibiger Schurke, nicht im Jugendbuch, ist Caspar Guttman aus dem "Malteser Falken", immer wieder bezeichnet als "the fat man", ein zwielichtiger Geschäftsmann und wahrleich eine Respektsperson. Und bei dem wäre auch niemand auf die Idee gekommen, ihn als weich oder knuddelig zu bezeichnen.
Niemand hantiert gern ungesichert mit kritischen Massen.
Robert Gernhardt

Guddy

#78
Zitat von: AutorinAZ am 17. März 2015, 13:43:44
Ein weicher Bauch ist aber nicht zwangsläufig auch "dick". ;)
Das habe ich ja auch nie behauptet :) Ich habe selber geschrieben, dass das nicht bei jedem dicken Menschen der Fall sein muss und natürlich gibt es auch weiche, flache Bäuche. Nur finde ich nicht, dass krampfhaft alles vermieden werden soll, was nach "weichem Dicken" ruft - eben weil es auch den gibt. Es kommt auf den Einzelfall an, auf den einzelnen Charakter. Hier im Thread geht es schließlich nicht nur darum, den möglichst un-klischeeigsten Dicken zu beschreiben, sondern um allgemeine Beschreibungen, die nicht beleidigend klingen.

Edit: Ein "anschmiegsam" bspw. alleine reicht natürlich nicht. Wie sonst auch, macht die gesamte Beschreibung die Optik des Charakters, nicht ein einzelnes Wort. Das Wort war für mich nur ein Beispiel, das nicht für sich alleine stehen kann, eben weil dazu eine ganze Garnison anderer Attribute gehört.

Valkyrie Tina

Ich glaube, es ist unmöglich, eine brauchbare Beschreibung mit einem Wort zu machen. Ich habe grad noch mal in meinen Pratchetts gestöbert, wo ja einige grandiose Dicke Charaktere vorkommen. Da wird ganz oft erst mal gar nicht oder nur wenig auf die Figur eingegangen, sondern die Figuren agieren erst mal, und dann später wird die Beschreibung nachgereicht, und auch da wird teilweise nicht viel beschrieben, zum Beispiel bei Lady Sybil steht irgendwo einfach, dass man aus ihrem Ballkleid Zelte für ein ganzes Battalion nähen könnte.

ZitatEin Negativbeispiel, gerade aus dem Jugendbuchbereich, sind die Harry Potter-Bücher, die mit Dudley, Crabbe und Goyle zu viele dummen Unsympathen mit Dicken besetzt haben.
Dafür hat Harry Potter aber auch Hagrid, einen wundervollen Charakter, der, wenn man genau hinliest, auch übergewichtig ist. Aber er wird einfach als so grandios beschrieben, dass man das gar nicht merkt. Hagrid ist einfach dieser "larger than Life-" Charakter, zu dem Breite und Übergewicht passt.


Sascha

Zitat von: Maja am 17. März 2015, 13:49:01
ein ausladendes Achterwerk
Den Ausdruck hab ich noch nicht gehört. Bin hier auch nicht grad in einer Schiffahrtsgegend. Ist aber ein schöner Ausdruck, find ich. ;D Da ist mein "Knödlfriedhof" direkt langweilig dagegen. Auch, wenn's ernährungstechnisch eher ein Schoggigrab ist. ;)

Maja

Ich dachte auch, der Begriff wäre bei uns ein Insider. Aber eine Google Bildersuche nach "Achterwerk" fördert praktisch keine Schiffe zutage ...
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Robert Gernhardt

Szazira

Gemeinhin bin ich ein Fan von Figuren über ihren Charakter zu definieren und nicht über ihr Aussehen. Es kommt auch sehr auf den Kontext drauf an, in dem man liest, wie jemand aussieht. Die Gefahr besteht auch, dass "gut" und "gut gemeint" nicht zu unterschätzende Gegensätze sind.

Was ich persönlich hasse ist bemühte "political correctness". Ich kann Marketingsprüche wie "Kleidung für die gestandene Frau" nicht mehr hören. Und das sagt jemand, der Sprüche wie "Super Dickmann ist wieder da!" oder "man, ist die Dick mann!" (Dabei mag ich die Dinger noch nicht mal!) oder "Deutsche Panzer rollen wieder!" anhören mußte.

vice versa ist natürlich auch nicht gut, kommt aber meiner Erfahrung nach seltener vor (was es jetzt nicht besser macht.).

Maja

Zitat von: Szazira am 17. März 2015, 17:46:03Ich kann Marketingsprüche wie "Kleidung für die gestandene Frau" nicht mehr hören.
Eine "gestandene Frau" klingt für mich irgendwie nach Gericht, vor allem aber nach einer, die mindestens sechzig Jahre auf dem Puckel hat. Dabei darf sie auch dünn sein. Ich hätte das Wort jetzt nicht mit Übergewicht assoziiert. Aber in dem Bereich gibt es viele Begriffe, die ich gefressen habe. "Plus-Size", zum Beispiel - klingt nach Walfisch, bezeichnet aber offenbar mitlerweile alles zwischen Größe 32 und 38. Mehr ist da nicht vorgesehen. "Übergröße" mag ich auch nicht, zum einen, weil es nach Übermensch klingt, und zum anderen, weil sie da wieder mit dem Holzhammer betonen, dass man von der Norm abweicht. In meiner Heimatstadt gab es eine kleine Boutique mit dem ehrlichen Namen "Momo - Mode für Mollige". Damals war ich noch kein Kandidat dafür, ich bin ja erst vor ein paar Jahren so aufgegangen, dafür aber gleich wie ein Hefeklöschen. Heute würde ich da kaufen wollen.
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Robert Gernhardt

Sonnenblumenfee

Zitat von: Guddy am 16. März 2015, 23:04:21
Was ich aber gerade besonders wichtig finde:Es gibt nicht nur fat shaming, sondern auch "slim shaming". Einige Menschen sind von Natur aus dünn und feiern garantiert keine Party, wenn man ihnen Magersucht attestiert.. Ich persönlich möchte auch ehrlich gesagt nirgends unreflektiert bspw."sie war mollig, also eine richtige Frau" lesen. Eine richtige Frau misst sich sicher nicht an Kleider- oder Körbchengröße.
Das hat hier im Thread auch niemand behauptet(Auch Entropy nicht! Habe das Zitat nur als Aufhänger benutzt ohne ihr etwas unterstellen zu wollen :) ), begegnet mir jedoch sonst ziemlich häufig. Man sollte, wenn man dicke Menschen positiv beschreiben möchte, einfach darauf achten, nicht ins andere Diffamierung-Extrem abzurutschen.

Danke, Guddy! Das lag mir auch auf der Zunge bei dem Satz von Entropy (den ich ebenfalls nicht als böse gemeint empfinde). Ich passe nämlich in die Hosen von H&M Größe 36/38 rein und bin bestimmt nicht magersüchtig.

Wenn ich die letzten Posts hier so lese, fällt mir am meisten auf, dass man mit einer Beschreibung niemals alle Dicke beschreiben kann (Ja, ich weiß, Riesen-Erkenntnis ;) ). Aber ich finde, man kann sich schon aus den verschiedenen Begriffen und Formulierungen die raussuchen, die dann genau für den einen Charakter stimmen. MMn darf da dann auch ruhig ein "anschmiegsam" etc. stehen, auch wenn das natürlich nie auf alle Dicken passt. Aber egal welche Äußerlichkeit (und oftmals auch Chrakterzüge) man beschreibt, es passt eh niemals auf alle Menschen, die einem bestimmten Oberbegriff unterfallen.

Zu allgemeineren Begriffen ist mir noch eingefallen, dass man, um klar zu machen, dass jemand nicht nur ein paar Kilo mehr als "Normalgewicht" auf den Rippen hat, auch so etwas schreiben könnte:
- "er war deutlich mehr als mollig"
- "sie als vollschlank zu bezeichnen, wäre eine Untertreibung gewesen"
- "sie war nicht nur pummelig"
"Discipline is my freedom" - Gretchen Rubin

chaosqueen

Ich hab mich dann mal durch den Thread gewühlt und will versuchen, mich nur zum Ursprungsthema zu äußern. ;)

Für mich ist an erster Stelle wichtig, aus welchem Grund ich die äußere Erscheinung meiner Figuren erwähnen will. Ich beschreibe tatsächlich so wenig wie möglich, weil ich zum einen selber nur sehr grundlegende Vorstellungen habe (es gibt so gut wie nie optische Vorbilder für meine Figuren), zum anderen aber auch, weil ich dem Leser zugestehen möchte, sich ein eigenes Bild zu machen.

Wenn ich also eine Figur als dick beschreibe, dann muss es dafür innerhalb der Geschichte, die ich erzähle, einen Grund geben - und der muss bei mir über den Wunsch "auch mal eine dicke Figur zu beschreiben, weil es nun mal auch dicke Menschen gibt" hinausgehen. Versteht mich nicht falsch, ich weiß, sehe und empfinde es als wichtig, dass es sehr unterschiedliche gebaute Menschen gebe. Nur: "Hans war fett" ist ein Satz, der mich irritiert, wenn ich ihn ohne jeden Zusammenhang und Hintergrund in einer Geschichte lese. Ich würde es halt auch nicht schreiben.

Wenn es aber darum geht, einen Jugendroman zu schreiben, in dem es darum gehen soll, dass ein übergewichtiger Jugendlicher möglichst positiv dargestellt wird (und das ist ja offenkundig das, worum es Mondfräulein geht), dann sehe ich keine Möglichkeit, das völlig ohne negative Konnotationen zu machen. Denn: Dieser Jugendliche wird mehr oder weniger in unserer Welt leben. Er wird mit Anfeindungen und Vorurteillen zu kämpfen haben. Und die müssen auch zur Sprache kommen. Das ist Aufgabe der Antagonisten, denen der Autor zwangsweise negative Ausdrücke und Sichtweisen in den Mund legen muss. Denn, wie hier bereits geschrieben wurde: Wenn die Romanfigur in einer perfekten Welt lebt, in der Dicke keinerlei Anfeindungen ausgesetzt sind, dann ist er keine Identifikationsfigur, sondern der Leser beneidet ihn bestenfalls, schlechtestenfalls wird dem Autor Weltfremdheit und mangelnder Realitätssinn unterstellt und das Buch fliegt in die Ecke.

Dennoch kann der Dicke positiv dargestellt werden. Man kann ihm zum Beispiel beim Sport zeigen, nachdem er von ein paar "Hänflingen" ausgelacht wurde, weil er sich ja sicher nicht bewegen könne. Und trotzdem läuft mir das alles zu sehr auf "guck mal, dicke Menschen können genau das gleiche wie Dünne!" hinaus. Was nicht unbedingt stimmt. Ich würde also den Fokus vom Fett nehmen und auf andere Eigenschaften legen. Eher nebenbei zeigen, wie er gemeinsam mit seinen Freunden zum Bus joggt und dabei nicht mehr aus der Puste ist als diese, weil er eben nicht den ganzen Tag vor dem Computer sitzt und Chips futtert, sondern stundenlang mit seinem Hund draußen ist. Oder was auch immer.

Das Problem ist ja, dass es Fatshaming gibt. Und dass man auch mit einer krampfhaft positiven Sichtweise letztlich dem Fatshaming Raum gibt, so paradox es klingt. Denn wenn ich krampfhaft aufzeige, wie toll es doch ist, dass XY zwar dick ist, aber genau das gleiche kann wie alle anderen (was übrigens definitiv nicht auf alle Dicken zutrifft, es ist nunmal so, dass man bestimmten körperlichen Einschränkungen unterliegt), dann lege ich den Finger eben auch auf seine Körperfülle.
Vielleicht ist das ein Grund, warum ich meine Figuren so wenig äußerlich beschreibe. Weil es mir tatsächlich größtenteils egal ist, wie sie aussehen, sondern mich viel mehr interessiert, was in ihnen passiert.

Es gibt in meinem aktuellen Projekt eine Szene, in der Sebastian feststellt, dass seine Frau Hanna zugenommen hat. Was er ihr sehr deutlich klarmacht, indem er sie fragt, ob sie die dritte Scheibe Brot jetzt wirklich noch essen will. Da muss ich quasi auf ihre Äußerlichkeiten eingehen, aber nicht, um zu zeigen, dass sie fett ist, sondern um zu zeigen, was für ein Ekel Sebastian ist. Es geht also in der Szene nicht um ihre Pfunde, sondern darum, wie unsensibel und bevormundend Sebastian mit seiner Frau umgeht. Und zumindest mein Gefühl für die Szene sagt mir, dass kein Leser Hanna danach als fett oder minderwertiger betrachtet (ich hoffe, das sehen meine Betas später auch mal so, ansonsten muss ich an der Szene dringend etwas ändern).

Womit ich jetzt nicht unbedingt dazu beigetragen habe, herauszufinden, wie man dicke Menschen positiv darstellt, aber vielleicht ein bisschen erklären konnte, warum ich es schwierig finde, "dick" als Attribut herauszustreichen. Letztlich wird beim Leser irgendwie immer hängenbleiben "obwohl Hans fett ist, ist er ein dufter Kumpel" - und genau das dürfte das Gegenteil der Intention sein, denn Du willst doch eigentlich zeigen, dass es völlig egal ist, ob ein Mensch dick oder dünn ist, Mondfräulein. Jedenfalls glaube ich, Dich so verstanden zu haben. :)

Exilfranke

#86
Ist das Thema durch? Ich glaube schon. Dann möchte ich doch nochmal was hinterherwerfen, aus dem Off der stillen Mitleser. Und zwar, wie sehr mich solche Topics inzwischen aufregen, nicht nur dieses, sondern auch solche mit verunsicherten Nachfragen, wie sexistisch, homophob, rassistisch Person XY sein darf, oder ob dort die schriftstellerische Freiheit aufhört. Mir ist die Denke dahinter völlig fremd, und mir bleibt es ein Rätsel, wie man sich als kunstschaffender Autor derart selbst einschränken kann, und dabei ernsthaft noch glaubt, etwas "Gutes" zu tun.

"Wie kann ich einen dicken Charakter beschreiben, ohne Dicke zu beleidigen?"

"Mein Bösewicht ist Rassist, darf ich im Text N**** [Edit Alana] Problematisches Vokabular entfernt[Edit] schreiben?"

Nee, da steck ich nicht drin. Das muss diese Political Correctness sein, von der alle immer sprechen und die dazu führt, dass viele einfach inzwischen total verunsichert sind, wo deren Grenzen gelten und wo nicht, bzw. wie weit man sich einem solch diskutablen Denkkonzept als Künstler überhaupt unterwerfen sollte. Wo soll das noch hinführen? Am Ende darf man den Rassisten nicht mal mehr Rassist nennen, weil das diskriminierend ist. Verschweigen wir doch die Fetten ganz, am Ende findet sich nämlich immer eine Mimose, die sich auf den Schlips getreten fühlt. Lieber die Klappe halten, lieber gar nichts sagen, bloß nicht angreifbar machen. Das scheint mir die Mentalität dahinter. Das ist dann der Punkt, an dem durch Null geteilt wird, weil alles andere schon verboten wurde. Das ist absolute Verunsicherung. Da ist jeder Bezug verloren gegangen. Es endet in Regellosigkeit, Unwissen und in der Folge dann in Verunsicherung bei der vollständigen Vernachlässigung der eigenen Bedürfnisse. Wenn junge Autoren in einem solchen Klima nicht mal mehr zwischen dem echtem Leben und der Literatur, die sie verfassen, abstrahieren können, dann haben wir einen echten, zivilisatorischen Rückschritt vollzogen.

Ich bin selber mollig, aber ich käme nie auf die Idee, beleidigt zu sein, nur weil ein Autor in einem Buch fette Menschen auftreten lässt, bzw. sie derbe beschreibt oder innerhalb der Handlungskohärenz als ekelhafte, aufgedunsene Schwabbelmonster mit Flusen in den Speckfalten zeichnet. Und wer sich beleidigt fühlt, weil ich jemanden als fett beschreibe, der soll mein Buch doch bitte bitte schleunigst aus der Hand legen. Das ist nämlich die einzige Freiheit die hier zählen sollte: Das Buch weglegen zu können, wenn mir etwas daran nicht gefällt. Eine Einschränkung der schriftstellerischen Freiheit, aus Angst, einige Heulsusen provozieren zu können, ist der Untergang jeder Kunst und eine Schande für jeden Autor.

So, habe fertig. Nun könnt ihr mich steinigen und kreuzigen, ist mir wirklich wumpe!




Nuya

Als deine ehemalige Patin möchte ich kurz sagen, dass ich ziemlich entsetzt bin, dass das nach über einem Jahr Beitragsabstinenz dein »Ich bin wieder da«-Post ist.  :hmhm?:
Das Thema war durch, ja. Du hättest dir diese Worte meines Erachtens gut sparen können. Sie sind gewollt agressiv und unnötig - du hättest dich meiner Meinung nach bedeutend besser wieder zurückmelden können.

HauntingWitch

So, ich habe mich ja auch herausgehalten, weil mir das alles hier zu viel war. Ich finde @Exilfranke, man könnte es etwas weniger aggressiv formulieren, aber vom Gedanken her ist nichts Falsches an dem Post. Es hat etwas, auch wenn ich sonst eher zur Links-Abteilung gehöre. Aus Exilfrankes Post lese ich vor allem die Frage: Muss man sich selbst beschränken als Autor? Muss man die Verantwortung dafür übernehmen, was einige Leute vielleicht in das Geschriebene interpretieren könnten? Das fände ich ein sehr spannendes Thema, aber ich denke, das wäre sicher einen eigenen Thread Wert (ich würde ihn auch aufmachen, möchte aber niemandem die Idee dafür wegnehmen  ;)). Driftet jetzt ja auch stark von der Ursprungsfrage weg...

Maja

@Exilfranke
Es geht hier nicht um Political Correctess, und das haben noch nicht mal die mitlerweile nicht mehr im Forum angemeldeten Threadstarter gefordert (und falls du die trollen möchtest, kommst du zu spät, wärst du man boß nicht inaktiv geworden, das hast du jetzt davon). Es geht darum, keinen Menschen zu verletzen für etwas, das einfach ein Teil des Wesens ist, den man sich nicht selbst aussucht - sei es Hautfarbe, Geschlecht, sexuelle Orientierung, oder Körperbeschaffenheit. Klar, man kann es so darstellen, dass das nicht für Dicke gilt, sind doch selbst schuld, wenn die so viel fressen, aber es gibt so viele Gründe, warum jemand übergewichtig sein kann, und es steht nicht dran. Deswegen fasse ich auch Dicke in diese Gruppe.

Ein Arschloch sein - in deinem Beispeil ein Rassist, in meinem ein Forentroll - ist hingegen etwas, das jemand komplett selbst zu verantworten hat, ein Verhalten, das man sich selbst aussucht, und für das man zur Verantwortung zu ziehen ist. Auch das hat nichts mit Political Correctess zu tun, einfach damit, dass ich hier keine Arschlöcher haben will - nicht im Forum, und nirgendwo sonst.
Niemand hantiert gern ungesichert mit kritischen Massen.
Robert Gernhardt