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Tod eines Perspektivträgers oder: Will der Autor uns verarschen?

Begonnen von dat xrüsli, 24. April 2014, 20:10:30

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dat xrüsli

Hallo zusammen,

nach etwas mehr als einem halben Jahr Schreib- und leider auch Tintenzirkelabstinenz, wage ich mich wieder an eine Geschichte und scheitere gleich schon beim Plotten von Kapitel drei. :D

Es geht um Folgendes: Das zweite Kapitel ist aus Sicht einer sympathischen jungen Frau geschrieben. Ich habe bei der Wahl für den Perspektivträger mit Absicht überlegt, welcher Charakter aus meinem Cast von den Lesern am schnellsten ins Herz geschlossen werden könnte - nur, um sie am Ende von Kapitel 3 umzubringen. Ich schreibe Survivalhorror, zwar im Sci-Fi-Gewand, aber dennoch Horror. Der Leser soll bitteschön von Anfang an merken, dass hier kein Kindergarten stattfindet und der Tod jede Figur ereilen kann, egal ob sympathisch oder unsympathisch, egal ob Perspektivträger oder nicht.

Es ist ein netter Schockmoment, weil man als Leser ja eher davon ausgeht, dass nur die wichtigen Personen auch Perspektivträger sind und wichtige Personen sterben nicht schon im ersten Drittel der Geschichte. Aber ich könnte auch verstehen, wenn sich mancher Leser durch so einen frühen Tod eines Perspektivträgers verschaukelt fühlt. Und ich will meine potentiellen Leser ja nicht verjagen, die sollen brav die ganze Geschichte lesen, denn die ist toll. :buch:

Nun ja, der Tod der jungen Dame steht leider fest, aber trotzdem würde ich dieses Thema gerne mit euch diskutieren. Wie steht ihr - sowohl als Autor, als auch aus der Sicht eines Lesers - zum Tod eines Perspektivträgers, insbesondere wenn er so früh stirbt? Habt ihr selber schonmal einen (sympathischen) Perspektivträger in den Tod geschrieben und wenn ja, wie haben eure (Test-)Leser darauf reagiert?

Siara

Selbst geschrieben habe ich es noch nicht, aber mich würde es in Büchern auch nicht stören (solange es nicht andauernd passiert). Auf der einen Seite natürlich traurig, wenn man die Figur gern gewonnen hat, aber solange die anderen POVs ebenfalls Sympathie wecken, baut es eher Spannung auf, finde ich. Eine Figur allerdings als "Liebling" herauszuheben, sodass man sich als Leser vollkommen auf diesen einen einstellt und die anderen weniger beachtet, nur um dann genau den umzubringen... sehe ich kritischer, da wäre ich doch erst mal enttäuscht.
I'm going to stand outside. So if anyone asks, I'm outstanding.

Runaway

Ich find das cool. Ich bring inzwischen gern Figuren um - die sind dann zwar meist keine Perspektivträger, aber man mag sie und sie sind auch meist wichtig. Es soll ja richtig schön schocken. Und bei Survivalhorror (interessant!) bietet sich sowas ja absolut an.
Ich mein, G.R.R. Martin bringt auch Ned Stark sehr schnell um, wo man sich als Zuschauer denkt: Das meint der nicht ernst!
Aber doch, der meint das ernst. Und du kannst das auch gut ernst meinen. Vielleicht nicht ganz so krude wie ich seinerzeit, als ich den Protagonisten und Ich-Erzähler am Romanende hab sterben lassen ... aber gut ;)

Nandriel

Hallo Xrystal,

Ich habe keine Ahnung von Horror und halte mich davon auch fern, sonst kann ich nämlich nicht schlafen ;D

Aber:
Siara schreibt, es wäre nicht so schlimm, einen liebgewonnenen Prota sterben zu "sehen", sofern man noch andere Sympathieträger hat, mit denen man mitfiebern kann - stimmt, siehe GRRM. Ich war geschockt und hab geheult, konnte aber meinen "Schmerz" mit den anderen Figuren teilen bzw. mit ihnen gemeinsam trauern, das war schon wichtig. Außerdem - es passiert am Ende vom ersten Buch.

Du hingegen willst bereits in Kapitel drei deine Prota um die Ecke bringen... bis dahin also deine einzige Figur? Jap, da hab ich als Leser ein massives Problem mit - glaube ich. Ist mir nämlich tatsächlich noch nie untergekommen, daher kann ich es mit Sicherheit auch nicht sagen. Leichter wäre es vermutlich, wenn der erste Tote für mich eher unsympathisch wäre.

Außerdem:
Ich habe mir früher (besonders bei Filmen) immer gedacht: He, das ist sowas von unrealistisch, dass die "Helden" dauernd in lebensgefährlichen Situationen stecken und ohne einen Kratzer da wieder rauskommen; nie stirbt mal einer!

Dann hab ich einen Film gesehen, da ist genau das passiert - ich glaub, der war mit Arnold Schwarzenegger oder so. Ca. 20 Minuten vor Filmende (oder später? jedenfalls vor dem Showdown!) ist der einfach verreckt. Einfach so... und der junge unerfahrene Begleiter hat das Ganze dann gerockt.

Tja... und ich war irgendwie enttäuscht. Einerseits hab ich dem Film zwar hoch angerechnet, einen Prota, eines Sympathieträger auch mal sterben zu lassen, aber im Grunde wollte ich das dann doch nicht.

Was lerne ich also daraus? Realismus hab ich in der Realität. In Filmen, und ja, durchaus auch in Büchern, darf es ruhig etwas unrealistischer sein - der Prota darf (und soll!) leben. Und wenn das gar nicht möglich ist, dann will ich aber nen wirklich verdam*** guten Ersatz haben für meine durchlittene Seelenqual ;)

Ah, Dani war schneller... Ned Stark stirbt zwar früh, aber eben nicht im dritten Kapitel; und bis zu seinem Tod hab ich ne Handvoll anderer Perspektivträger, die ich interessant finde.
Klar, Survivalhorror muss weh tun, es muss Tote geben, wo kämen wir denn da hin? Aber reicht es nicht, wenn dieses Leid durch eine der Prota sehr nahestehende Person entsprechend rüberkommt? Oder eben wenn du zunächst weitere Figuren einführst, für die sich der Leser zusätzlich noch interessiert. Ansonsten musst du ja in Kapitel vier bei Null anfangen und den Leser erneut an eine Figur binden - nur dass dieser dir dann absolut nicht mehr vertrauen und vermutlich keine (starke) Bindung mehr aufbauen wird.

Just my 2 Cent :)

Dahlia

@Dani: Ned Stark war auch mein erster Gedanke ;D Da hab ich auch erstmal ungläubig auf die Seiten gestarrt. Aber für mich hat es gut funktioniert.

Und zu Horror passt es doch recht gut.

Stephen King hat das in Under the Dome auch so gemacht, dass man oft einen POV-Charakter nur aus dem Kapitel kannte, in dem er/sie am Ende starb. War in Battle Royale, wenn ich mich recht erinnere, ähnlich. Beide Romane haben denke ich eine große Wirkung bei mir hinterlassen, weil man die Charaktere vor ihrem Tod noch aus ihrer eigenen Sicht kennengelernt hat.
Gerade in einem Szenario, wo naturgemäß viele sterben und man ein großes Cast an Charakteren hat, finde ich, kann man das ruhig machen (in Under the Dome eine ganze Kleinstadt, bei Battle Royale eine Schulklasse).

Wobei Nandriel da schon recht hat: es sollte einen Sympathieträger vom Anfang geben, der bis zum Ende überlebt. Oder zumindest jemanden, mit dem man sich identifizieren kann. Bei Under the Dome ist der aber, wenn ich mich recht erinnere, auch erst aufgetreten, nachdem der erste POV Charakter tot war :rofl:

Churke

Zitat von: Xrystal am 24. April 2014, 20:10:30
Aber ich könnte auch verstehen, wenn sich mancher Leser durch so einen frühen Tod eines Perspektivträgers verschaukelt fühlt.

Sauer stößt mir sowas nur auf, wenn es gekünstelt wirkt. Habe da neulich sowas in der Art gelesen, da ergab der Tod der Perspektivträgerin überhaut keinen Sinn (es war freundlich ausgedrückt unlogisch) abgesehen von dem, den Leser zu schockieren.
Wobei das noch eines der geringeren Probleme dieses Buches war. ::)

Lucien

Grundsätzlich habe ich kein Problem damit, wenn ein Perspektivträger stirbt (meine Lieblingsfiguren sterben eh meistens, egal ob sie Perspektivträger sind oder nicht  :seufz: ).
Ich habe auch selbst den Tod eines solchen in meiner Geschichteeingeplant.

Aber wie Churke geschrieben hat: es soll bitte kein sinnloser Tod sein, da ist nämlich meine einzige Reaktion:  ??? WTF?? So geschehen bei Canavans "Sonea"-Trilogie. Es ist nicht einfach nur ein sinnloser Tod, sondern die ganzen Umstände sind unsinnig. Natürlich kann nicht jeder Prota einen strahlenden Heldentod sterben, aber angemessen sollte es doch sein.

Alana

Ich hab auch schon Perspektivträger umgebracht. Wenn er allerdings so früh stirbt, würde ich mich fragen, ob er überhaupt nur eine Perspektive bekommen hat, damit der Autor mit das antun kann. Das kann dann am Ende schon einen blöden Beigeschmack haben. Also sollte man sich dann wohl fragen: Hat es einen Sinn, dass diese Figur eine eigene Perspektive hat? Wenn ja, und der Tod nicht sinnlos ist, dann klar, kann man das machen. Vor allem dann, wenn es mehr als zwei Perspektiven gibt.
Alhambrana

Malinche

Ich habe in einem meiner (schon veröffentlichten) Bücher auch einen Perspektivträger über die Klinge hüpfen lassen, allerdings erst etwa auf der Hälfte. Allerdings ist das für die Leser ein ziemlicher Schock und ich habe bislang einiges an emotionalen Rückmeldungen dazu bekommen. Manche nehmen es mir auch wirklich übel. ;D Aber: Innerhalb der Geschichte ist es notwendig und die Reaktionen der Leser bisher zeigen, dass es so funktioniert, wie es soll. Und obwohl der Grundtenor ist, dass der Tod dieser Figur betrauert wird und sehr überraschend kommt, haben ihn mir (soweit ich es einschätzen kann) doch alle "abgekauft" in dem Sinne, dass er innerhalb des Buches seine Berechtigung hat.

Dort war es allerdings auch so, dass ich über die Handlung noch eine weitere Figur als Sympathie- und Perspektivträger aufgebaut und den Schock der Todesnachricht auch angemessen kompensiert habe. Ich denke, das hat viel ausgemacht (und das Buch hat insgesamt sehr positive Rückmeldungen erhalten).

Wenn es innerhalb der Geschichte eindeutig eine Funktion erfüllt - und das scheint bei dir ja der Fall zu sein -, finde ich es absolut legitim, auch mal einen Perspektivträger sterben zu lassen.
»Be suspicious of the lemons.« (Roxi Horror)

Siara

Zitat von: Alana am 24. April 2014, 21:40:59
Wenn er allerdings so früh stirbt, würde ich mich fragen, ob er überhaupt nur eine Perspektive bekommen hat, damit der Autor mit das antun kann.
Gute Aspekt, finde ich. Wenn ich es richtig verstanden habe, ist es doch bei Xrystal genau so, oder? Der Perspektivträger ist Perspektivträger und stirbt, weil dies einen Zweck erfüllt. Nämlich dem Leser klarmachen, dass niemand sicher ist. An sich finde ich es kein schlechtes Stilmittel, auch wenn man vielleicht auf den Gedanken kommt, dass die Wahl der Perspektive in diesem Fall eben den Schock-Moment zum Ziel hatte und nicht unbedingt, um bestimmte Informationen zu geben. Im Survivalhorror kenne ich mich zwar nicht aus, aber ich kann mir gut vorstellen, dass es passend ist.

Was mir nur dann wichtig wäre: Durch das "Muhahaha, auch die POVs sind sterblich und müssen bluten!" wird ja praktisch ein Versprechen gegeben. Ich merke gerade, dass ich dabei bin, mir selbst zu widersprechen, weil ich vorhin geschrieben hatte, dass ich es nicht gut finden würde, wenn andauernd die POVs wegsterben. In diesem Fall aber, wenn wirklich gezeigt werden soll, wie unsicher das Leben der Figuren ist, ist es aber doch noch etwas anderes. Wenn dann nur der eine am Anfang stirbt, also sozusagen als Mittel zum Zweck, um Spannung zu erzeugen, aber alle anderen POVs überleben dann doch? Ich denke dann würde ich mich als Leser hintergangen fühlen, oder wenigstens für dumm verkauft.
I'm going to stand outside. So if anyone asks, I'm outstanding.

Valaé

#10
Zuallererst: Ich bringe mindestens sehr gerne Charaktere um und stehe auch dazu - 90% meiner umgebrachten Charaktere sind (oder besser: waren  :P) Persperktivträger. Ich lasse eigentlich nahezu nie Nebenfiguren sterben oder Nicht-Perspektivträger sterben, zumindest nicht als Hauptteil vom Plot. Da fehlt mir irgendwie die Einbindung vom Leser. War der Leser nicht im Kopf der Figur, ist er mir zu weit weg um wirklich so richtig mitzuleiden, weswegen ich den Tod von Perspektivträgern als besonders reizvoll empfinde - als Autor (man muss dazu sagen, dass es eine Eigenart meiner Romane ist, 2-3 oder noch mehr Perspektivträger zu haben und alle, die nicht Perspektivträger sind, sind auch nicht wirklich wichtig und kommen dem Leser nie so wirklich nahe. Ich konzentriere mich einfach sehr stark auf das Innenleben der wenigen Perspektivträger, der Rest ist meistens ... Statist. Perspektivenlose stark eingebundene Nebencharaktere, die sich sonst ganz gut zum Sterben lassen eignen habe ich also nahezu nie).
Was mir einfach wichtig ist, ist dass der Tod einer Figur einen Sinn haben muss. Einen Sinn, der im Übrigen auch über das "ich will euch verarschen" (so gerne ich es mag) und das "ich will zeigen, dass hier Ernst gemacht wird" oder sogar das Bestreben, durch den Tod richtig starkes Mitleiden, am Besten sogar Tränen, hervorzurufen, hinausgehen muss. Der Tod einer Figur ist für mich immer nur aus drei Gründen letztlich rechtfertigbar: 1. Er bringt den Plot essentiell voran oder 2. Er bringt die Entwicklung einer anderen Figur essentiell voran oder 3. Er ist wichtiger Bestandteil der ... wie nenne ich es? Aussage? Wirkung? Wir alle haben ja meistens eine feste Vorstellung davon, was wir uns wünschen, dass unser Text auslösen soll. Meine von mir geschriebenen Tode zentrieren sich meistens genau um diesen Punkt. Die Charaktere sterben, weil sie dem, was ich kritisiere, unterliegen. Oder weil sie nicht auf eine Warnung hören, die ich intendiere. Oder sie sind an einer Stelle stur in gegebenen Weltbildern verankert, an der ich für mehr Reflektion und tiefgreifendes Nachdenken plädiere.
Als Autor empfinde ich Tode, die keinem der drei Gründe dienen für nicht rechtfertigbar dem Leser gegenüber - und noch weniger rechtfertigbar meinen Charakteren. Wenn ich einen von ihnen über die Klippe schicke dann nie leichtfertig und niemals ohne einen verdammt guten Grund.

Der Grund "ich möchte, dass meine Leser merken, dass der Tod jeden in meinem Buch ereilen kann" wäre mir zu wenig. Er kann ein Grund sein, weswegen ich genau diesen Charakter wähle und keinen anderen, wenn ich den zweiten Grund auch durch einen anderen Tod erreichen könnte, Aber einen Charakter ausschließlich umzubringen, damit der Leser weiß, ich meine es ernst ... es wäre für nich als würde ich ein Exempel statuieren. Und als Leser würde ich vermutlich eher vermuten, dass der obligatorische "ein Perspektivträger stirbt"-Tod damit schon abgegolten ist. Es kommt natürlich ein wenig auf das Genre an und wie ich den Roman einschätze. Gehe ich eher von Genrekonventionen beachtender Literatur aus, würde ich von dem Tod eines Perspektivträgers in der High Fantasy darauf schließen, dass vermutlich nicht mehr sehr viele andere sterben. In einem Horror Roman würde ich mir ehrlich gesagt überhaupt nichts dabei denken - da erwarte ich eher, dass so etwas passiert. Zwar normalerweise eher weiter hinten im Roman, aber warum nicht auch früh? Es würde mir als Leser vermutlich weder etwas ausmachen, noch mich verärgern oder mir auch nur etwas sagen. Ich würde es hinnehmen als etwas, das mir in einem Horrorroman eben passieren kann, was mir aber weder als besonders gewagt noch als "No-Go" erscheinen würde. Ob ich den Autor und seine aufgebauten Gefahren dadurch ernster nehmen würde und mit mir lieben Figuren eher mitfiebern würde? Schwer zu sagen. Ich denke nicht. Ich halte per se immer jeden Charakter in jedem Buch für sterblich. So hatte ich beispielsweise mit Neds Tod felsenfest gerechnet und hätte es GRRM eher sehr, sehr übel genommen, wenn er ihn nicht durchgeführt hätte. Warum darüber so viele so erstaunt, geschockt und gerührt/entrüstet waren erschließt sich mir bis heute nicht. Für mich war es die logische Konsequenz seines Handelns und sehr viel dessen, worauf das Buch ausgelegt war, war darauf aufgebaut.

Was mir viel eher Sorgen macht sind mehrere Dinge: 1. Wie bereits erwähnt: Gibt es einen "Höheren" Grund für den Tod des Perspektivträgers, als dass du dieses Signal setzen möchtest? Ich würde es dir als Leser sehr übel nehmen, wenn ich das Gefühl habe, du bringst Charaktere um, einfach nur weil du mir etwas beweisen willst. Dann landet das Buch definitiv schnell in der Ecke. Demonstrierte Gewalt um der Gewalt und noch schlimmer eben der Demonstration wegen - nope. Nichts, was ich lesen will. Der Tod einer ausgesprochen sympathischen Figur früh im Buch würde bei mir im Übrigen schnell unter den "Will mir der Autor etwas beweisen?"- Verdacht fallen. Du bräuchtest einen ziemlich guten Grund für mich, der den Tod dennoch legitimiert. Wenn er der letztendliche Auslöser des Hauptspannungsbogens ist - gut. Ist er Dreh und Angelpunkt deiner ... nennen wir es "Aussage"? Auch gut. Dann nehme ich den zweiten Grund, dass du zeigen möchtest, dass du nicht scherzt und jeder sterblich ist, dafür in Kauf oder verdächtige dich gar nicht erst dieser Intention. Bekomme ich aber das Gefühl, der Tod wäre nicht notwendig gewesen, um die Geschichte und/oder die Aussage so zu vermitteln ... bekommt es schnell einen schalen Beigeschmack.

2. Einen Perspektivträger so früh umzubringen bringt das Risiko mit sich, dass es mri egal ist. Da magst du den Charakter noch so sympathisch einführen, ich springe meistens sowieso nicht auf die auf sympathisch getrimmten Charaktere auf, sondern finde meine eigenen Lieblinge. Und selbst wenn du ausgerechnet meinen Liebling umbringst ... so früh im Buch hat sich meine Vorliebe und meine Fähigkeit, richtig mitzuleiden meistens noch nicht entwickelt. Das kommt erst, wenn ich mit den Charakteren durch dick und dünn gehe. Es sind die Entwicklungen, die Reaktionen, Entscheidungen, das was ich miterlebe, was mich zu einem Liebhaber einer Figur macht. Das braucht aber seine Weile. Bringst du einen Charakter zu früh um, stößt du bei mir schnell an die Grenze, dass ich sage: "Hm, schade, den hätte ich sehr liebgewinnen können, aber ... jetzt wird es andere geben." Und das wars. Mehr bewegst du dann nicht in mir.

3. Die Einbindung in die Geschichte. Du musst dir eben bewusst sein, dass das Ende eines Perspektivträgers das Ende seines Stranges bedeutet. Entweder du erzählst dann mit weniger Perspektivträgern weiter oder du führst einen neuen ein. Neue Perspektivträger, die an die Stelle von Gestorbenen treten, geraten bei mir aber schnell unter den "Stellvertreterverdacht". Ich habe dann das Gefühl, man will mich mit diesem "Neuen" über den "Alten" hinwegtrösten - vor allem wenn die Perspektivträger sich dann auch noch in irgendeiner Weise ähneln (ähnliche/gleiche Hintergrundgeschichte, ähnlicher Charakter etc. ... es gibt Autoren, bei denen habe ich das Gefühl, sie bringen einen Perspektivträger des Todes willen um, kommen dann nicht ohne ihn klar und ersetzen ihn durch jemanden, der so ähnlich ist, dass man glaubt der erste Perspektivträger hat einen Zwillingsbruder. Das macht mich immer wirklich wütend.). Ein neuer Perspektivträger muss für mich sehr, sehr gut durchdacht sein: Er muss absolut eigenständig sein und nicht den Gestorbenen "ersetzen" und es muss einen plausiblen Grund geben, warum sein Strang erst jetzt anfängt und nicht schon früher. Der Grund "da war der andere noch nicht tot und deswegen wären es zu viele gewesen" zählt nicht.

Für mich gilt also: Kann man machen. Bei mir selbst ist tendenziell sowieso jeder sterblich und ... ich habe schon recht viele um die Ecke gebracht. Fast alle Perspektivträger. Fast alles Sympathieträger (mehrfach sogar die einzige Person, die hauptsächlich positiv gezeichnet war). Einmal einen Ich-Erzähler.  Es geht und ich als Leser bin da auch schmerzlos. Ein guter Tod, für die Geschichte förderlich und berührend? Kann mir jederzeit unterkommen, bei absolut jeder Figur passieren, ich werde nie böse sein, ein Buch weglegen oder nicht weiterlesen wollen. In Szenarios, in denen viele sterben - ist es für mich nicht anders. Ich erwarte da zwar mehr Tode als in anderen Büchern, aber ich bin auch noch kritischer. Solche Bücher neigen zu sehr dazu, das von Churke beschrieben Phänomen zu zeigen: Töten aus Gründen des Schockierens. Kaum etwas verzeihe ich weniger. Ich habe zwar bereits selbst Bücher geschrieben, die mit Toden und mit Gewalt schockieren, aber da war das essentieller Bestandteil der "Aussage" und nicht etwas, das ich nur zum Schocken gebraucht hätte. Oder ausschließlich zum Aufbauen von Atmosphäre/Spannung. Versteht mich nicht falsch, natürlich sind solche Mittel zum Kreieren von Atmosphäre legitim - nur ist da für mich ein schmaler Grad zwischen "gute Balance aus absolut zwingenden Gründen und Stimmungserzeugung"  und "reine Effekthascherei". Und Letzteres kann ich absolut nicht ausstehen. Ein Buch, dass seine Spannung nicht auch ohne ansonsten nicht notwendige Tode aufbauen kann und das seine Atmosphäre aus Exempelmorden zieht werde ich sehr, sehr schnell weglegen und ich werde mich auch sehr darüber ärgern.

Das soll jetzt nicht heißen, dass ich glaube, dass irgendjemand hier so etwas schreiben möchte/wird. Es soll lediglich aufzeigen, dass ich denke, es gibt einen sehr, sehr schmalen Grad bei dem Umbringen von Perspektivträgern. Und für mich liegt er weder in der Sympathie, noch daran, wie weit das Buch fortgeschritten ist. Er liegt sogar nur bedingt darin, dass es Perspektivträger sind, wobei das schon eine größere Rolle spielt (zumindest für mich). Sondern es liegt in dem "Warum" des Todes. Es gibt gute Gründe. Und es gibt schlechte. Ein Autor ist mir als Leser meiner Meinung nach einen guten Todesgrund schuldig, wenn er mich eines Perspektivträgers beraubt (einmal abgesehen davon, dass ich als Autor immer finde, ich bin vor allem meinen Figuren einen guten Todesgrund schuldig).

Um noch einmal zu dem hier beliebten Beispiel zu kommen: Für Ned Starks Tod gab es verdammt, verdammt gute Gründe. Daher gehörte ich auch nie zu den Lesern, die es nicht geglaubt oder gehofft hätten, GRRM würde noch einen Weg hinaus finden. Ich hätte es eher übel genommen, wenn GRRM Ned da noch rausgeholt hätte.


@ Malinche: Lustig, An den Tod bei dir habe ich gerade gedacht ... und zwar weil es seit Jahren der erste Tod war, der mich wirklich, wirklich getroffen hat. Ich habe das Buch danach drei Tage nicht mehr angefasst, obwohl ich es bis dahin in einem Rutsch gelesen hatte. Ich war dir wirklich sauer - vor allem aufgrund des Mehrwerts, den diese Figur für mich in der Geschichte hatte. Ich habe sie leider das gesamte weitere Buch über vermisst und mag deswegen das Folgende nicht mehr gar so gerne. Unnötig war der Tpd natürlich trotzdem nicht und deswegen habe ich dann auch weitergelesen. Wäre er sinnlos gewesen, hätte dein Buch, obwohl es mir weh getan hätte, sein restliches Dasein ungelesen fristen müssen - und ich wäre dir vermutlich beim nächsten Treffen an die Kehle gegangen  ;D. Ein für mich absolut gelungenes Beispiel also!
PS: Sollte der Abschnitt hier irgendwie spoilerartig sein, sag mir Bescheid und ich verstecke ihn, ich habe mich extra bemüht mich so vage auszudrücken, dass es nicht spoilert.

et cetera

Ich weiß nicht, wie das anderen geht, aber ich kann in so kurzer Zeit noch keine emotionale Bindung zu einem Charakter aufbauen, dass mich der Tod im dritten Kapitel jetzt wirklich treffen würde. Überraschen ja, irritieren vielleicht auch, möglicherweise fände ich es auch schade, wenn derjenige sehr sympathisch war - aber wirklich berührt bin ich zu dem Zeitpunkt noch nicht :hmmm: Aber vielleicht bin ich da auch einfach zu unsensibel ;D

Lucien

 :hmmm: Es käme auf die Länge der Kapitel an. Ich habe es aber auch durchaus schon geschafft, eine Figur auf Anhieb ins Herz zu schließen ... okay, ist erst einmal passiert, aber immerhin.
(In Filmen kann ich das besser, aber da traue ich mich nicht mehr ... damit verurteile ich die entsprechende Figur nämlich recht zuverlässig zum Tode.  ;D )

Zitat von: Valaé am 24. April 2014, 22:06:50
Ich lasse eigentlich nahezu nie Nebenfiguren sterben oder Nicht-Perspektivträger sterben, zumindest nicht als Hauptteil vom Plot. Da fehlt mir irgendwie die Einbindung vom Leser. War der Leser nicht im Kopf der Figur, ist er mir zu weit weg um wirklich so richtig mitzuleiden, weswegen ich den Tod von Perspektivträgern als besonders reizvoll empfinde
:d'oh: Dann bin ich zu sensibel! Ich muss nicht im Kopf einer Figur gewesen sein, um tagelang zu leiden.

Siara

#13
Als erstmal kann ich Valaé zustimmen, Effekthascherei ist zu vermeiden. Und der Pfad beim Töten von Perspektivträgern tatsächlich schmal. Allerdings geht es ja auch vielen darum, Gefühle im Leser hervorzurufen. In diesem Fall wäre es mir dann egal, ob der Tod nun einen echten Sinn im Plot hat oder die Entwicklung eines anderen Charakters voranbringt - wenn es traurig stimmt, ist es in Ordnung.

Allerdings ging es Xrystal doch (wenn ich mich nicht irre) nicht darum, ob die Frau stirbt, sondern ob sie Perspektivträger sein soll. Um darauf eine Antwort zu finden, müsste man das Ganze ja eigentlich anders angehen. Nicht: "Hat es einen Sinn, dass sie stirbt?", sondern "Hat es einen Sinn, dass sie POV-Charakter ist?"

Und das kann wohl vollkommen anders begründet werden. Entweder es müssen bestimmte Informationen aus ihrer Perspektive gegeben werden oder der Leser soll sich ihr näher fühlen, damit der Schock-Moment größer ist. Wie gesagt, ich persönlich finde auch das Letztere nicht schlimm, solange man

a) als Autor das Versprechen "Niemand ist sicher." auch erfüllt

und b) es mehr ist als Effekthascherei. Es muss mehr Gefühle auslösen als nur Überraschung und Schock. Wenn man sich der Figur bereits nahe genug gefühlt hat, um traurig zu sein, ist es für mich gelungen.

Zitat von: Valaé am 24. April 2014, 22:06:50
Die Charaktere sterben, weil sie dem, was ich kritisiere, unterliegen. Oder weil sie nicht auf eine Warnung hören, die ich intendiere. Oder sie sind an einer Stelle stur in gegebenen Weltbildern verankert, an der ich für mehr Reflektion und tiefgreifendes Nachdenken plädiere.
Tod, mit dem man eine Aussage schaffen will, wie Valaé es beschrieben hat, sehe ich kritischer. Das ist sicher mal gut und kann sehr tief treffende Wirkung haben. Wenn man sich als Autor zum Hauptziel macht, eine bestimmte Botschaft zu vermitteln, sind diese Art von Toden vermutlich die einzig sinnvollen. Andernfalls finde ich sie hin und wieder und für besondere Momente/Aussagen vollkommen in Ordnung. Aber das Leben funktioniert nicht immer so und hin und wieder stirbt eben jemand, der einfach stirbt. Was das angeht, bin ich Freund von Realismus. Manchmal macht ein Mensch alles "richtig" und stirbt trotzdem. Das hat sicher keine sonderlich moralische Botschaft, aber es kommt vor und es darf meiner Meinung nach auch in Büchern gerne passieren.
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Lothen

#14
Ich gebe Siara recht, es gibt auch einen sehr pragmatischen Grund, einen Perspektivträger sterben zu lassen: die Logik.

Wenn der restliche Roman so strukturiert ist, dass "Besatzungsstatisten" wie die Fliegen sterben und nur die Protagonisten wie Phönix aus der Asche jeden Anschlag überleben, wird es unsinnig und würde mich als Leser irgendwann an der Logik des Werkes zweifeln lassen. Das gilt natürlich nicht für alle Genres, aber ich finde da wiederum "Game of Thrones" ein gutes Beispiel. Natürlich sollte der Tod dann nicht einfach so belanglos im Raum stehen, sondern eine wichtige Rolle im Gesamtgefüge einnehmen, aber manchmal ist es vielleicht unvermeidlich ;)