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Klugscheißerwörter?

Begonnen von Sascha, 06. Februar 2014, 20:40:41

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Sascha

Hallo zusammen!

Mein erster ernstzunehmender Testleser (ein Arbeitskollege) hat mir eine ganze Liste von Sachen gegeben, die er unverständlich, schlecht formuliert usw. findet. Das ist super. Nur, ein paar seiner Anmerkungen kann ich nicht nachvollziehen, deshalb die Frage an die Runde, ob Ihr es auch so seht.
Und zwar geht es um ein Wort und eine Form, die er ganz seltsam findet.

1.
ZitatPolizisten hatten dem Entführer eines Kindes Schmerzen angedroht, um das Opfer möglichst schnell und vor allem lebend zu finden, ohne zu wissen, dass der arme Junge zu der Zeit bereits tot war. Dass der feige Kindermörder sich hinterher erfolgreich als Opfer hatte gerieren können, war wohl den meisten Menschen, die den Fall in den Medien verfolgt hatten, sauer aufgestoßen.

Sein Kommentar:
gerieren
Keine Ahnung wo du dieses Wort her hast, ist für mich ein Klugscheisserwort, hab ich vorher noch nie gehört.


2.
Zitat"Also" hub Jackie an. "Ich werdet es mir nicht glauben, weil, ich glaub es ja selbst nicht. ..."

Sein Kommentar:
hub Jackie an
hub an? Stimmt wahrscheinlich, aber hört sich einfach doof an.


Also die Frage an Euch:
Findet Ihr das Wort gerieren auch so klugscheißerisch bzw. völlig unbekannt? Und ist "hub an" eine doofe Formulierung?
Ich finde das recht normal, aber ich bin selbst nicht ganz normal, von daher...  ;)

Danke schon mal für jeglichen Input!

Pygmalion

Also, gerieren kantne ich bis jetzt auch nicht, Duden kennt das zwar (grade mal nachgeguckt), aber ich fände da auch ein Synonym (ausgeben, darstellen, auftreten) besser verständlich. Es sei denn, du möchtest ganz bewusst so "bildungsaffin" formulieren, dann könntest du es stehen lassen. Aber die Mehrheit wird es nicht kennen, denke ich und unter Umständen sogar einen Rechtschreibfehler vermuten (generieren)

Hub an ist schon sehr veraltet, denke ich, würde ich also auch nicht unbedingt empfehlen zu benutzen ;)


Ryadne

Mir sind beide Wörter nicht aus dem "normalen" Sprachgebrauch bekannt. Unter "gerieren" kann ich mir ohne Dudenhilfe gar nichts vorstellen, statt "hub" würde ich "hob" nehmen, weil das einfach gebräuchlicher ist. "Hub" klingt mir sehr altertümlich, vom Kontext her kommt mir das unpassend vor.

Was mich am zweiten Satz allerdings noch mehr stört als das "hub" ist das fehlende Komma nach dem "Also". ;)

Malinche

Hm. Also der Duden bezeichnet "gerieren" tatsächlich als "bildungssprachlich". Ich kenne es zwar, bin aber trotzdem ein klein wenig darüber gestolpert; ich würde es wohl eher in Fachtexten erwarten (und verwenden), oder im journalistischen Zusammenhang, aber nicht unbedingt in einem erzählenden Text (es sei denn, in der wörtlichen Rede einer Figur, zu der das passt).

Was das "hub an" betrifft, empfinde ich es als etwas veraltet (oh, ich sehe gerade, der Duden sieht das genauso). Es klingt für mich daher in modernen Texten fehl am Platz und unfreiwillig komisch. Grundsätzlich bin ich immer sehr dafür, auch alte Wörter und Wendungen im aktiven Sprachgebrauch zu erhalten, wo es geht, aber es muss eben auch stimmig sein. "hub an" klingt für mich auch immer ein wenig pathetisch-salbungsvoll und passt damit auch sicher nicht zu jeder Situation bzw. Erzählerstimme.

[EDIT] Ich tippe zu langsam. :P
»Be suspicious of the lemons.« (Roxi Horror)

Merwyn

#4
gerieren: Nie gehört. Aus dem Zusammenhang wird zwar klar, was gemeint ist, ich würde es dir vermutlich aber auch anstreichen. Es klingt... na ja, klugscheißerisch trifft es gar nicht mal so schlecht ;)
Wenn dein Text eher auf gehobenes Publikum abzielt und du dauern hochgestochene Ausdrücke verwendest, passt es rein, ansonsten würde ich es ändern.

hub an: Klingt schauerlich. Heißt es nicht, wenn überhaupt, "hob an"? Kommt aber für mich zumindest sehr altmodisch rüber.


edit: Ich tippe auch zu langsam ;)

Dahlia

Ich schließ mich Pygmalion an. Bei gerieren musste ich es auch erstmal googlen (und schon google lieferte mir Ergebnisse für generieren). Sofern du Unterhaltungsliteratur schreiben willst, würde ich daher eher davon abraten.

Zu "hub an" sagt duden.de auch, dass es veraltet ist und "hob an" besser wäre. Vom Gefühl her fände ich auch, dass es sehr altertümlich klingt.

(Edit: ich tippe auch entschieden zu langsam  :rofl: )

TheaEvanda

#6
Jetzt führe ich ganz einfach mal an, dass sowohl "sich gerieren als" und "hub an" für mich ganz normale Wörter sind. Nicht im Alltagswortschatz, aber im Rede- und Schreibwortschatz. Ich fühle mich alt. :D

Bei den ersten beiden Sätzen stört mich eher die Satzlänge und die an die Grenze zum Verschwurbelten gehende Grammatik. Setz da mal lieber die stumpfe Axt an und töte ein oder zwei Kommata zugunsten von Punkten. Dann stört auch das ungewöhnliche Verb nicht mehr. Zu viele Stilmittel auf einen Haufen sind leider tödlich.

Zum Zweiten solltest du "hub er an" nur in einem stark altertümlich geprägten Kontext nehmen. Alternativ kann "hub" in dieser Bedeutung auch in der wörtlichen Rede kommen, um die Personensprache eines Charakters schnell und deutlich zu prägen. Aber als Inquit-Formel, wie du das hier gebraucht hast, ist es zu stark. Da lenkt die Stärke des Wortes und der Beugung von der einfach nur klärenden Aufgabe des Wortes ab.

Ich hoffe, ich habe dich nicht zu sehr über-kluggeschissen?

--Thea

Die dieses Problem oft in ihren Rohtexten hat. Bei mir hat sich mal ein Redakteur beschwert, er bräuchte bei meinen Texten immer ein Fremdwörterlexikon. Ich musste ihm freundlich zurückgeben, dass alle Leute in meiner Umgebung aus dem FF wissen, was ein Tarp (oder traditioneller: eine Persenning) ist. Nur er nicht ... ich glaube, ich habe zu viele Bundis und Seeleute in der Bekanntschaft. Also - Klugscheissen ist relativ.

Sascha

Okay, okay, Ihr habt mich überzeugt!
Danke für die vielen Reaktionen!
Also werde ich das "gerieren" durch "aufspielen" ersetzen, genau das bedeutet es letztlich hier. Nur, daß "aufspielen" für mich eher das primitivere Verhalten trifft (Türsteher Hakan und so), "gerieren" dagegen die zivilisiertere Form (in dem Fall juristisch).
Und "hob an" ist nicht dasselbe wie "hub an". Er hob einen Teppich an (um drunterzukucken), aber er hub zu einer Rede an. Aber wenn gleich so viele sagen, das ist unverständlich/unpassend, dann muß auch was dran sein. Ich kann ja "setzte Jackie an" schreiben.

Oh, das Komma! Ja, Ryadne, das ist so ein Ding. Ich lese so viel, aber mir ist nie aufgefallen, daß vor Dialogauszeichnungen ein Komma (nach dem Dialogteil) kommt. Muß ich alles noch nachziehen, und dabei überseh ich immer ein paar Stellen.
Übrigens hab ich auch in den wörtlichen Reden "du, sie, ihr" etc. klein geschrieben, weil ich dachte, ich als Autor spreche ja niemanden direkt an. Eine Kollegin hat dann mit mir darüber diskutiert, ich hab in den nächsten Romanen nachgeschaut, Mist! Hab ich auch schon alles geändert. Hoffenlich alles...

Zitatdie Satzlänge und die an die Grenze zum Verschwurbelten gehende Grammatik
Das ist aber schön formuliert. :)
Puh, naja, das ist eigentlich noch harmlos. Da sind ganz andere Dinger drin.

Übrigens sagt mir ein Tarp auch nix. Da hätte ich an ein Tier gedacht. :D
Persenning, okay, irgendwas mit Booten oder Schiffen. Bin doch bayrischer Schluchtensch...er!

Dahlia

Zitat von: Sascha am 06. Februar 2014, 21:34:07
Und "hob an" ist nicht dasselbe wie "hub an". Er hob einen Teppich an (um drunterzukucken), aber er hub zu einer Rede an.
Da widerspricht dir der Duden ;)

Zitat
Beispiel:
sie hob (veraltet  hub) an[,] zu singen

[...]

3 [mit einer Tätigkeit o. Ä.] beginnen
Grammatik
Präteritum veraltet: hub an
Gebrauch
gehoben

Beispiele
von Neuem zu sprechen anheben
der Gesang hob an

Wobei ich da aber auch "setzte Jackie an" schöner fände, weil es nicht so gestelzt klingt.

traumfängerin

Zitat von: Sascha am 06. Februar 2014, 21:34:07
Also werde ich das "gerieren" durch "aufspielen" ersetzen, genau das bedeutet es letztlich hier. Nur, daß "aufspielen" für mich eher das primitivere Verhalten trifft (Türsteher Hakan und so), "gerieren" dagegen die zivilisiertere Form (in dem Fall juristisch).

Was hältst du denn von "inszenieren"? Das wäre für mich eine Form die nicht diesen leicht proletenhaften Einschlag wie "aufspielen" hätte, aber auch für jeden ohne Dudenhilfe verständlich sein sollte.

Thaliope

Ich kenne und mag beide Wörter, allerdings auch eher aus dem leicht ironisch-gehobenen Zusammenhang. Ich halte es schon für eine andere Sprachebene als die, die in den gängigen Unterhaltungsromanen sonst benutzt wird. Gerade in direkter Nähe zu etwas so Umgangssprachlichem wie dem Weil-Satz mit Hauptsatzstellung wirkt der Kontrast schon fast komödiantisch. ;)
Allerdings bedaure ich es durchaus, dass solche Wörter immer weniger Einsatzmöglichkeiten finden und wohl nach und nach verschwinden werden.

LG
Thali

Churke

Ich verwende solche Wörter ständig. Das ist stilbildend, wie das "Sie sollten sich calmieren!" in Demolition Man.
Besonders witzig finde ich das Verwenden von Fachtermini an Stellen, wo man diese absolut nicht erwartet. Das setzt Akzente.

Lothen

@ Churke: Wenn es in den Gesamtzusammenhang passt, würde ich mich an solchen Ausdrücken auch nicht stören, aber ich würde es arg nervig empfinden, alle zwei Seiten im Fremdwörterduden nachzuschlagen, obwohl mein Wortschatz gar nicht der schlechteste ist ("gerieren" kannte ich auch nicht und dachte zuerst auch an "generieren", was wenig Sinn gehabt hätte).

Ich hatte bei meinem Roman Testleser, die sind auch über Wörter wie "Usurpator" oder "Mär" gestolpert, die mir persönlich relativ geläufig waren und die in das mittelalterliche Setting sogar ganz gut reingepasst haben. Ich denke, da muss einem einfach ein gewisser Spagat gelingen, je nachdem, wen man speziell als Zielgruppe ansprechen will.

Churke

Als Autor soll man sich nicht wichtig machen wollen, aber auch nicht vor der Leserschaft kapitulieren. Wortschatz wächst durch Gebrauch, nicht durch Vermeidung.
Bin gerade mal ein Kapitel durchgegangen:

Heterochromie (habe ich aus X-Men ;D ),
fertilisieren (habe ich aus dem Fernsehen)
aristotelische Hermeneutik
Erythroprotein ("EPO")
ionisierende Strahlen
taktische Kernwaffen (auch bekannt als "Atombomben")
Kochylgewebe (selbst erfunden)

absinthefreund

Zitat von: Churke am 07. Februar 2014, 12:25:57
Als Autor soll man sich nicht wichtig machen wollen, aber auch nicht vor der Leserschaft kapitulieren. Wortschatz wächst durch Gebrauch, nicht durch Vermeidung.

Genau so soll es sein.
Meiner Meinung nach könntest du "gerieren" drin behalten. Ich war mir auch nicht sicher, was das Wort heißt, obwohl ich ihm schon begegnet bin, aber die Bedeutung erschließt sich ja aus dem Kontext. Als Autor schlägt man andauernd Wörter nach, warum sollte man das als Leser nicht auch tun? ich machs jedenfalls gerne.
Ich hoffe, dein Testleser hängt sich nicht ausschließlich an Wörtern auf, die er nicht versteht. Der Kommentar vonwegen "Klugscheißerwort" macht mich ja fast böse. Das ist doch ein bisschen ignorant. :( Sorry, musste ich loswerden. Ich kenne den Menschen ja nicht und es gehört nicht ins Thema.