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Dilemma beim Anfang einer Fantasy-Geschichte

Begonnen von Cailyn, 08. November 2013, 16:18:47

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Cailyn

Nachdem ich die ersten paar Kapitel meines Buches schon mehrmals geändert, umgestellt oder gar neu geschrieben habe, gefällt mir der Beginn der Geschichte immer noch nicht. Und es ist mir auch schnell klar, woran es liegt. Ich hadere ständig mit zwei grossen Prioritäten, die ich nicht vereinen kann:

1. Priorität: die Figuren und der Plot (ich möchte Identifikation erreichen und eine Handlung generieren, die den Leser zum Weiterlesen vorantreibt)
2. Priorität: so viel von der für den Leser fremden Welt zeigen, dass er / sie sich orientieren kann und ungefähr weiss, was das für eine Welt ist (optimalerweise ohne jeglichen Infodump)

Ich denke, für einen berühmten Schriftsteller, der gerade an seinem 4. Bestseller schreibt, wäre dieses Problem nicht so gross, weil dieser sich einfach die Zeit in Form von Seiten leisten könnte, um beidem gerecht zu werden. Aber in einem Debütroman, der marketingtechnisch kein episches Werk werden darf, muss man als Autorin alles - also Figuren, Plot und Setting - auf ziemlich wenige Normseiten hineinquetschen.

Und das ist nun mein Dilemma.
Entweder kommt der Plot der Geschichte nur langsam in Gang, weil ich den Lesern eine Vorstellung von der Welt vermitteln möchte (=langweilig, macht nicht Lust zum Weiterlesen).
Oder aber der Plot geht flott, aber es mangelt dann im Text an Beschreibungen, an welchen sich die Leser orientieren können (=spannend, aber wenig Athmosphäre und Stimmung, was ich persönlich wichtig finde).

Womöglich habe ich auch einfach ein mangelndes Gespür dafür, wie viel Info die Lesenden überhaupt benötigen. Ich weiss es ehrlich gesagt nicht. Aber es fällt mir einfach auf, dass ich mit den zwei letzten Dritteln der Geschichte einigermassen zufrieden bin, mich aber das erste Drittel richtiggehend deprimiert. Allerdings habe ich keine Ahnung, wie ich das lösen könnte. Spielt eine Geschichte in unserer Welt, kann man so vieles mit wenigen Andeutungen gleich klarstellen. Das scheint mir ein grosser Vorteil zu sein. Aber in einer Fantasy-Welt, die der Leser nicht kennt, ist es sauschwer, eine geeignete Verteilung von Information, Handlung und Figurendarstellung zu finden. 

Was macht ihr für Erfahrungen mit dem Start der Geschichten (vorausgesetzt sie spielen in einer fremden Welt)?

LG, Cailyn


Pygmalion

Moin, also ich habe meinen Anfang einfach geschrieben und seitdem kaum noch verändert, bzw. tatsächlich nur um wenige atmosphärische Details verbessert.

Hilfreich wäre vielleicht, dir zu überlegen: Was MUSS der Leser gerade über die Welt wissen? Hat das Wissen, das ich ihm gerade vermitteln will, direkten Einfluss auf das Verständnis des Gesamtzusammenhangs? Oder kann ich das später im Verlauf noch näher erklären, wenn sich auch der Charakter an dieser Stelle befindet? Muss er wissen, dass König XYZ gerade versucht, Land ABC zu erobern, wenn der Prota in einer Taverne sitzt, seinen Roggenschnaps trinkt, dabei beklaut wird und den Dieb durch das Dorf verfolgt? Ich denke, die Details die sich aus der jeweiligen Situation ergeben, sind oft genug, vor allem am Anfang. DAss da einiges rätselhaft bleibt, kann auch zum Lesen anregen ;)
Ich glaube nicht, dass auf den ersten Seiten direkt klar sein muss, was es alles für Länder, Fraktionen, Herrscher, fremdartige Kreaturen gibt. Jetzt kenne ich natürlich deinen Roman nicht und weiß nicht, was man wissen muss, um der Handlung zu folgen. Läuft das ganze z.B. in einer "mittelalterlichen" Fantasywelt ab, reicht das ja eigentlich schon als Information, um gewisse Selbstverständlichkeiten verlangen zu können.
Vielleicht kannst du dich da auch ein bisschen an Kurzgeschichten orientieren? Da hast du überhaupt keinen Platz, die "Welt" an sich zu erklären, sondern nur den Ort des Geschehens. Das reicht da auch in der Regel auch völlig.

Lothen

Zitat von: Pygmalion am 08. November 2013, 17:40:30
Hilfreich wäre vielleicht, dir zu überlegen: Was MUSS der Leser gerade über die Welt wissen? Hat das Wissen, das ich ihm gerade vermitteln will, direkten Einfluss auf das Verständnis des Gesamtzusammenhangs? Oder kann ich das später im Verlauf noch näher erklären, wenn sich auch der Charakter an dieser Stelle befindet?

Mit dem Problem ärgere ich mich auch zur Zeit herum... Gerade bei personalen Erzählsituationen ist es oft merkwürdig, wenn der Protagonist plötzlich über kulturelle Besonderheiten, Glaubensinhalte, Geschichtswissen oder ähnliches erzählt, die für ihn völlig selbstverständlich sind. Oder die er als einfacher Bürger gar nicht wissen kann (was weiß ein Bauer schon über die Geschichte seines Landes, abgesehen von bedeutsamen aktuellen Vorkommnissen, von denen man ihm erzählt hat?).

Ich habe mich jetzt für den Mittelweg entschieden, den auch Pygmalion im Prinzip vorschlägt: Was passt und stimmungsvoll ist, wird in den Plot eingebaut, und alles andere kommt in einen Anhang oder ein Glossar ;) Das lässt dem Leser auch die Wahl, ob er intensiv in die Hintergrundwelt eintauchen will oder ob er sich einfach durch die Stimmung des Romans "berieseln" lässt.

Christopher

Zitat von: Cailyn am 08. November 2013, 16:18:47
Spielt eine Geschichte in unserer Welt, kann man so vieles mit wenigen Andeutungen gleich klarstellen. Das scheint mir ein grosser Vorteil zu sein. Aber in einer Fantasy-Welt, die der Leser nicht kennt, ist es sauschwer, eine geeignete Verteilung von Information, Handlung und Figurendarstellung zu finden. 

Genau mein Gedanke. Ich hab mein erstes Kapitel ca. 5 mal inzwischen umgeschrieben, und es war immer noch... nicht gut. Dasselbe Dilemma wie bei dir: zuviele Infos, die die Handlung ersticken. Problem bei mir: da meine Protagonistin ein Sukkubus ist, und etwas abweicht von der zumeist gängigen Definition davon, MUSS ich zwingend vor ihrem Erscheinen oder direkt dabei eine Beschreibung bringen, Infodump die Folge, welcher die Handlung abtötet/so sehr verlangsamt, dass es nervt.

Die Lösung die ich aktuell favorisiere:

Ein Prolog.
Ich muss die handlnden Charaktere nicht zu sehr in den Vordergrund rücken. Ebenso wenig ihre Gefühlsmäßige Situation zu sehr ausmalen etc. Trotzdem kann ich schon einige Atmosphärenelemente einbringen, bzw die Story sanft anschieben und dann mit den dadurch geschaffenen Grundlagen in das eigentliche erste Kapitel einsteigen.

In wie weit das bei deiner Story machbar ist, ist schwer zu sagen. Da musst du mal in dich gehen.
Vorschlag: den großen Hauptplot in dem Prolog andeuten. Das lässt den Leser über ein paar Seiten zumindest dranbleiben. Und bis dahin, hast du dann ja schon den Plot soweit vorangebracht, dass es weiter interessant bleibt.
Be brave, dont tryhard.

Cailyn

Pygmalion,
Ich versuche natürlich auch, dem Leser eher wenig "Kulturelles" aufzutischen oder gerade nur so viel wie nötig ist. Aber in meiner Geschichte fängt das Problem schon damit an, dass eine Elbe das erste Mal in ihrem Leben in eine Menschenstadt geht. Also erstens ist da der Leser, der sich nicht auskennt, und zweitens auch die Prota, die alles zum ersten Mal wahrnimmt. Da wäre es schon fatal, wenn ich z.B. die Beschreibung der Bauten, die Kleider der Menschen und das städtische Treiben einfach so weglasse. Andersrum harzt eben die Handlung, wenn man dem gerecht werden will...

Lothen,
ZitatGerade bei personalen Erzählsituationen ist es oft merkwürdig, wenn der Protagonist plötzlich über kulturelle Besonderheiten, Glaubensinhalte, Geschichtswissen oder ähnliches erzählt, die für ihn völlig selbstverständlich sind.
Ja, ich kenne das auch. Aber dies lässt sich bei mir jetzt einfach lösen, weil die erste Figur, die auftritt, diese Welt auch nicht kennt. Bei mir ist es dann eher ein Zeitproblem.
Aber zurück zu deiner Situation, wenn der Prota die Welt kennt. Das wird schon schwer, wenn ein Bauer dann plötzlich über Geschichtliches erzählen soll. Da muss man dann wohl eine andere Situation schaffen, um solche Inhalte zu transportieren.

Ich bin halt oft auch in der Situation, wo ich mir überlege: Überfordere ich die Lesenden oder lasse ich sie im Leeren stehen. Und je nach dem, wer es liest, bekundet ein vollkommen anderes Feedback darüber. Gut, das ist dann halt der Geschmack der Leserschaft. Aber ich denke, bis zu einem gewissen Grad müsste ich eben schon einen Mittelweg finden. Aber wo ist denn die Mitte?  :hmmm:

Ah, Christopher... ;D
Da ist mir mein "Betalist" gehörig auf den Fersen, hehe.
Das mit dem Prolog habe ich mir auch schon ausgedacht und für gut befunden. Aber ich wüsste dann gar nicht, was ich in den Prolog nehmen würde... Im Endeffekt hat es mich dann wieder noch mehr verwirrt.
Was die Beschreibungen angeht, welche die Handlung unterbrechen, habe ich schon eine bessere Lösung gefunden. Das erste Kapitel ist jetzt weitgehend chronologisch, und nur eine Szene binde ich in einen Traum ein im zweiten Kapitel. Das ist nicht einmal mehr das Problem. Aber nun habe ich den Eindruck, dass im ersten Kapitel einfach keine Spannung da ist, kein Konflikt. Erst am Ende kommt die Figur in Schwierigkeiten. Aber reicht das, wenn der Leser erst 10 Seiten lesen muss, bis der Prota in Bedrängnis, in einen Konflikt kommt? Vor allem am Beginn sollte das ja tunlichst vermieden werden, oder?

Christopher

Fang doch kurz vor der Kundgebung an. Dann hast du deinen Konflikt, deine Schwierigkeiten, nach 2-3 Seiten :P
Be brave, dont tryhard.

Rosentinte

Hallo Cailyn,

Ich persönlich finde, dass am Anfang Plot und die Charaktere im Vordergrund stehen sollten. Das ist es, was am Anfang die Spannung aufbaut und den Leser dazu bringt, das Buch weiterhin zu lesen.
Alles weitere über die Welt ergibt sich eher nebenbei. Wenn man z.B. eine Person in einem Gasthaus essen lässt, kann sie die verschiedenen Essgewohnheiten der anderen Reisenden (Elfen essen vegetarisch, Zwerge hauen nur ein Messer ins Fleisch und beißen dann ab, Menschen sprechen dem Alkohol besonders zu usw.) beobachten und ihre eigenen bzw. die Norm ganz unauffällig in das Geschehen einbinden.
Die wichtigsten Elemente der Welt zeigen sich auf diese Weise ganz natürlich in der Handlung, z.B. willkürliche Wachen als Sinnbild des tyrannischen Despoten oder große Präsenz von Tempeln/Priestern als Zeichen für starke Religiösität.

Wenn deine Prota zum ersten Mal in einer Menschenstadt ist, hast du es "vergleichsweise" einfach. Denn dann gehört es dazu, dass deine Prota sie "seltsamen" Handlungen beobachtet und kommentiert oder ab und zu in Fettnäpfchen tritt, weil sie es nicht besser weiß. Aber auch das kann neben der eigentlichen Haupthandlung stehen.

LG, Rosentinte
El alma que anda en amor ni cansa ni se cansa.
Eine Seele, in der die Liebe wohnt, ermüdet nie und nimmer. (Übersetzung aus Taizé)

Coehoorn

Ich hatte das Problem gelöst, in dem ich mir meine Welt wie den weißen Kasten bei Matrix vorgestellt habe. Das Konstrukt. Mit der Handlung füllt sich dieses Konstrukt nach und nach auf, dass der Leser ein immer klareres Bild von der Welt erhält. Das Ganze beginnt mit einem sehr kurzen Prolog, wo der Leser nur mitbekommt in welche Richtung es geht. Dann fängt meine Geschichte mit einem Gasthaus an und das Bild im Kopf breitet sich dann praktisch in alle Himmelsrichtungen aus. Der Leser brauch am Anfang nicht zu wissen, wie die Katakomben der Kaiserstadt aufgebaut sind.  Als allwissender Erzähler kann man ja auch durchaus Fakten aufschreiben, die dem Character nicht bekannt sind.

Das führt auch dazu, dass sich meine Welt während des Schreibens selber baut. Es gab ganz grobe Umrisse (Hier ein großer Fluss, da Zwerge, da Nordmänner, da Kaiserstadt, da Elfen) und der ganze andere Rest, Sümpfe, Wälder, Dörfer, Ruinen, Höhlen, Wege, weißderteufelwasnochalles, all das findet sich inklusive der geschichtlichen Hintergründe erst, wenn der Protagonist dort vorbei kommt. Vorher bleibt die Fläche leer. Flächen die am Ende der Geschichte noch leer scheinen und nicht mal andeutungsweise Erwähnt wurden, fülle ich mit einer Karte auf, die ich parallel zum Schreiben zeichne.

KaZuKo

Hallöchen.

Ich stehe gerade vor demselben Problem - eine neue Welt, in die meine Protagonistin buchstäblich mit dem Leser geworfen wird. Und zwar nicht nur, dass sie eine unbekannte Stadt erreicht: Das arme Mädchen hat ihre kompletten Erinnerungen verloren, weswegen sie im Grunde zum ersten Mal einen Blick auf den Planeten wirft.

Bisher hatte ich mir vorgenommen, den Leser mit der Protagonistin und der Handlung entdecken zu lassen, statt ihm alles in tausenden Absätzen vorzukauen wie in einem Geschichtsbuch. Was in der bisherigen Handlung unwichtig ist, wird nicht erwähnt, bis es wichtig wird. So spare ich mir Unnötigkeiten und kann den Leser über Verhältnisse aufklären, wenn es unumgänglich wird. Natürlich ist es möglich, immer wieder kleine Hinweise in belauschten Gesprächen oder gewöhnlichen Unterhaltungen zu geben, um den Leser nicht immer in kaltes Wasser zu stürzen, wenn eine neue Info wichtig wird.
Bei mir gibt es noch den Vorteil, dass die Protagonistin gezwungenerweise mehrere Länder bereist, was einen Überblick über die ganze Welt geben wird, ohne gleich die von dir befürchteten tonnenschweren Beschreibungen abzuliefer. Sie wird sehen, was es zu wissen gibt, und es nicht unbedingt durch Worte erfahren. Das fand ich bisher immer ganz interessant und eigentlich spannender, als alles vorgeschrieben zu bekommen, wenn du weißt, was ich meine.
Diese Art von "how to introduce a new world" habe ich schon in mehreren Büchern gelesen, allerdings kann ich gerade kein Beispiel geben, weil alle High-Fantasy-Werke in meinem Kopf verschwimmen ...

Ich hoffe, das konnte dir etwas weiterhelfen.

Grüße,
Servi
Kazu

Sanjani

Ich selber kenne dieses Problem so gar nicht. Das heißt jetzt nicht, dass mir jeder Anfang leicht von der Hand geht, aber meistens schaffe ich es, Welt und Handlung gut zu verknüpfen, glaube ich jedenfalls :) Mir ist am Anfang meistens wichtig, dass es entweder spannend oder irgendwie neuartig losgeht, sodass der Leser erst einmal gefesselt wird und sich fragt, was sich noch im Verlauf der Geschichte tun wird. Danach darf es dann ruhig auch etwas langsamer weitergehen, aber der anfang, die erste Szene, muss für mich richtig einschlagen.

Wenn der Prota am Anfang zum ersten Mal irgendwo hin kommt, finde ich, ist es eigentlich relativ einfach, die neue Welt zu beschreiben. Das schwierige daran ist m. E., dass die richtigen Details ausgesucht werden müssen, das muss alles irgendwie zusammenpassen. Cailyn, du erwähntest ja, dass du eigentlich alles beschreiben müsstest, die Gebäude, die Kleider, die die Leute tragen und noch irgendwas. Ich sehe das nicht so, denn wenn deine Prota irgendwo neu hinkommt, werden die vielen neuen Reize sie vielleicht erst einmal ziemlich erschlagen und sie wird vielleicht nur einzelne grobe Details wahrnehmen, bspw. wird sie vielleicht feststellen, dass die Gebäude alle mehrere Stockwerke hoch sind, wenn sie das noch nicht kennt, und dazu noch ein paar andere Details. Im Vorbeigehen wird sie vielleicht von der Kleidung der Leute auch nicht so viel mitkriegen, das kommt alles erst später. Sie wird vielleicht an einzelnen besonderen Bauwerken stehen bleiben und die anschauen, aber vielleicht auch nicht. In deiner Geschichte (ich kenne sie ja auch :) ) dürfte das Treiben in der Stadt ja sehr groß sein, das wird ihr vermutlich Angst machen, und sie wird sich von der Menge weiter treiben lassen. Ich würde es an deiner Stelle übrigens so ähnlich machen wie Christopher es beschrieben hat :)

LG Sanjani
Die einzige blinde Kuh im Tintenzirkel :)

Pintana

Die Grundfrage ist für mich immer, was für den Protagonisten neu/anders ist, das man es sehr genau beschreiben muss,
ansonsten würde ich mit dem Prota anfangen, alles andere eher beiläufig einflechten und dann nach und nach etwas
mehr ins Detail gehen. Einfach, weil die Hauptfigur in meinen Augen am wichtigsten ist um die Bindung zum Leser zu
entwickeln und dafür zu sorgen, dass deine Leser nicht schon nach wenigen Seiten aufhören. Das auch deine
Welt und der weitere Plot sehr gut ausgearbeitet ist lässt sich schon erahnen, wenn der Prota mitreißend ist  ;)

Cailyn

Ja, ich teile die gängige Meinung, dass Protas und Plot vor der Welt Priorität haben. Schwierig finde ich es vor allem zu entscheiden, wie viel Visuelles ich in einer Szene beschreibe. Was sieht die Figur aus ihrer Perspektive? Je nach dem, wie detailliert ich etwas beschreibe, beeinflusst das ja auch die Qualität des Textes.
Beispiel:
Sieht der Prota nur, dass da ein Tisch, ein Stuhl und ein Fenster ist? (= eher langweilig, aber Worte sparend)
Oder sieht er einen mit Samt überzogenen Holzstuhl, einen marmorierten Tisch mit Schnörkelbeinen und ein Fenster mit glitzernden Gardinen, die durch den hereinkommenden Wind leicht bewegt werden? (= viel interessanter, aber länger).
Genau dies zu entscheiden, bringt mich oft ins Grübeln. Mache ich den Text durch schmackhafte Beschreibungen attraktiver und verlangsame den Plot, oder spare ich mir den Schnickschnack, komme straight zum Eingemachten, was dann aber leider nicht mehr so attraktiv zu lesen ist. 

Christopher und Sanjani,
Ich habe den Anfang bereits so umgestaltet (Ganz kurz im Wald, dann Reise in die Stadt, Kundgebung, Gefangenschaft). Es fühlt sich momentan sehr stimmig an - ihr könnt es sehr bald lesen ;)
Die Beschreibungen habe ich teilweise gekürzt, andere wiederum verlängert. Eins kommt da immer zum anderen, und am Ende ist alles anders.  :40°C:  :rofl:

Rosentinte,
Ja, ich denke, was gewisse Spezialthemen angeht wie Religöses, Politik, Festivitäten, dann fällt es mir leicht, das in der passenden Situation hervorzuholen. Die Einflechtung des Alltäglichen ist dann eher die Krux beim Schreiben. Da ich drei verschiedene Erzählstränge habe, ist es in den ersten paar Kapitel am schlimmsten zu entscheiden, welche Info nötig ist.

Coehoorn,
Das mit der Karte ist ja interessant. Aber wie detailliert machst du das? Bei Naturbegebenheiten wie du sie beschreibst oder auch in Städten?

Kazu,
Oh là là, ein gänzlich neuer Planet. Das ist ja noch viel schlimmer als bei meiner Prota  :ätsch:.
Dass sie aber mehrere Länder bereist, kann dann auch ein Nachteil sein, oder? Da kann man selten irgendwo in die Tiefe gehen oder zumindest nicht zu oft. Und es erfordert viel Empathie, so dass man sich in die Lesenden einfühlen und entscheiden kann, ob er eine bestimmte Info braucht oder nicht.
Dass du vieles ohne Worte zeigen willst, ist aber schon eine Kunst, die ich vermutlich nicht beherrsche. Also vielleicht mache ich das unbewusst manchmal, aber etwas Atmosphärisches clever durch die Blume darzustellen...phu, das könnte ich nicht bewusst hinkriegen. Das schaffe ich vielleicht, wenn es um die Beziehungen unter den Figuren geht, aber nicht hinsichtlich Beschreibung der Welt. Hast du denn da einen Trick, salopp gefragt?

Pintana,
Ja, die Identifikation mit der Figur muss am Anfang sicherlich angestrebt werden, sonst will man nicht mehr weiterlesen.
Lustigerweise passt es dann später aber auch nicht mehr so mit den Details. Wenn sich dann die Konflikte steigern, die Handlung sich verdichtet, will man dann plötzlich auch nicht mehr Einschübe machen, um so Banales zu beschreiben, damit der Leser weiss, welche Architektur die Städte haben oder dass die Leute nur gelbe Kartoffeln essen. Kommt solches zu spät, treibt der Lesende dann zu lange mit falschen Bildern durch die Geschichte und ist plötzlich schockiert, dass dies und jenes nun ganz anders beschrieben wird als er angenommen hat.

Sanjani

Hallo Cailyn,

Zitat von: Cailyn am 13. November 2013, 20:42:37
Schwierig finde ich es vor allem zu entscheiden, wie viel Visuelles ich in einer Szene beschreibe. Was sieht die Figur aus ihrer Perspektive? Je nach dem, wie detailliert ich etwas beschreibe, beeinflusst das ja auch die Qualität des Textes.

Ich kenne ja dein Geschriebenes, und ich glaube, dass du dir da viel zu viele Gedanken machst und dein Licht da zu sehr unter den Scheffel stellst. Du machst das schon sehr gut.

Zitat
Beispiel:
Sieht der Prota nur, dass da ein Tisch, ein Stuhl und ein Fenster ist? (= eher langweilig, aber Worte sparend)
Oder sieht er einen mit Samt überzogenen Holzstuhl, einen marmorierten Tisch mit Schnörkelbeinen und ein Fenster mit glitzernden Gardinen, die durch den hereinkommenden Wind leicht bewegt werden? (= viel interessanter, aber länger).

Allgemein denke ich, dass man so ein Beispiel nicht einfach aus dem Kontext reißen und darüber entscheiden kann. Viel ist ja davon abhängig, in welcher Verfassung sich die Person befindet. Ist die Person z. B. gerade in tiefer Trauer, weil sie einen Verlust erlitten hat, dürften ihr die Gardinen vielleicht gar nicht auffallen. Oder vielleicht wird ihr gerade der Marmortisch auffallen, weil er die Überlegenheit der Feinde signalisiert oder die Gleichgültigkeit. Oder aber die Person ist bettelarm und kommt in einen prunkvollen Raum, wo ihr vielleicht sehr viele Details auffallen werden. Beides kann man interessant gestalten, aber für mich muss das passen. Wenn ich z. B. Aschenputtel neu schreiben müsste, und ich hab die Szene, wo sie auf den Ball kommt, fände ich es komisch, wenn ihr die vielen Details im Ballsaal, die von Reichtum und Anmut künden, nicht auffallen würden.

LG Sanjani
Die einzige blinde Kuh im Tintenzirkel :)

Pygmalion

Das sehe ich genau wie Sanjani. Es gibt Szenen, da ist die Einrichtung völlig nebensächlich, es gibt welche, da ist die Ausstattung des Raumes oder Hauses von Bedeutung. Das kann man überhaupt nicht pauschal entscheiden.
Geht jemand durch eine arme Gasse, wo sich der Dreck stapelt ist ein Marmortisch erwähenswert, ein ganz normaler hingegen wohl kaum. Ich beschreibe meistens auch nur die Gegenstände, die irgendeine Bedeutung haben oder die verwendet werden. Dass in z.B. in einem Speiseraum ein Tisch und Stühle stehen, halte ich für selbstverständlich und wenn der Tisch einfach nur zum Essen da ist, muss der meiner Meinung nach auch nicht näher beschrieben werden. Gleiches gilt für die Stühle. Es sei denn die sind zwar total hübsch verziert, aber so unbequem, das der Prota die ganze Zeit hin und her rutschen muss, um vernünftig zu sitzen. Dann fragt der Gastgeber was das soll, der Prota sagt, die Stühe sind unbequem, der jähzornige und sowieso verstimmte Gastgeber wird wütend und es kommt zum Duell, das auf dem vorher mit Essen überladenen Tisch stattfindet. Hier hätte der Stühl wieder Bedeutung :D Möglicherweise auch die Beschaffenheit des Tisches, wenn man jemanden auf edm glatten Marmor ausrutschen lassen will... :D

Coehoorn

Die Städte zeichne ich nicht genau ein, das wäre mir zu viel Arbeit, da meine Protagonisten sowieso nur kurz an den meisten Orten verweilen. Sie sind nur kleine schwarze Flecken auf der Landkarte. Ich hab nur einen detaillierten Stadtaufbau und den habe ich komplett erdacht, ohne ihn zu zeichnen.
Ansonsten beschränke ich mich auf Naturgegebenheiten und wichtige Anhaltspunkte.
Ich würde nicht sagen, dass die Karte genau den Wegabständen entspricht aber das ist auch gar nicht mein Anliegen. Ich hab sie für meine Ortientierung gemacht und weiß so immer wo sich meine Protagonisten aufhalten und wo sie in unbekanntes Gelände stoßen (denn da ist das Blatt noch weiß)