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Gewaltsame Tode von Kindern in Romanen - ein Nogo?

Begonnen von Coehoorn, 07. November 2013, 13:02:38

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Lothen

Zitat von: Cailyn am 13. November 2013, 20:55:45
Es kommt einfach immer darauf an, was man damit bezwecken will. Wenn ich bei einem Autor merke, dass seine Gewaltdarstellung immer extremer wird, um der Geschichte noch mehr "Krassheit" zu verleihen, dann finde ich es nicht gut. Es ist dann eher der verzweifelte Versuch, über Extremes Wirkung zu erzeugen, die er ansonsten nicht hinkriegt.

Da gebe ich dir recht, Cailyn, das erlebe ich auch bei Filmen oft (in Büchern erscheint es mir immer weniger drastisch, weil man einfach ein paar Zeilen überspringen kann ^^). Nur, um zu schocken, finde ich solche Szenen auch etwas billig, da gibt es subtilere Methoden.

Roca Teithmore

Zitat
Wenn es aber darum geht, dass in einer bestimmten Situation, wie z.B. dem rasenden Mob, den du beschreibst, beispielsweise eine Entwicklung das Protas anders schwer möglich ist, habe ich mit Gewalt gegen Kinder kein Problem, unter der Voraussetzung, dass das Buch für ältere Jungendliche oder Erwachsene gedacht ist.

Da kann ich mich nur anschließen.
Ich muss sagen ich bin kein Fan von Horrorfilmen also genauer gesagt Splatter. Ich grusel mich lieber richtig schön.

Gerade beim Thema Gewalt, kann ich nicht abstreiten, das ich nicht auch z.T. sehr Gewalt volle Szenen beschreibe z.T. oder vermehrt eher psychich grausam. Ich würde davon aber auch eher absehen, wenn es nicht der Charakter Entwicklung dienlich ist oder den Plot voran treibt.

ZitatNicht nur um den Leser zu beeindrucken, bzw. zu berühren. Dazu alleine finde ich einen gewaltsamen Tod, völlig egal welches Lebewesens, keine gute Idee, sondern dann klingt das irgendwie so nach "Splatter zieht doch immer".

Hier scheidet sich der Geist etwas: ich würde auch nichts dagegen haben, wenn eine Szene schocken und zum nachdenken anregen soll. Romane sind immerhin auch eine Kunstform und wollen dem Leser irgend eine Geschichte erzählen oder ein Gefühl und eine Idee vermitteln. Wenn ich dazu Gewalt brauche oder morbide werden muss... Warum nicht?
Wenn ich das missverstanden habe und du das unter Plot fördernd siehst dann ignoriere mein "anders".

So gesehen muss man eh nicht so sehr ins Detail gehen meiner Meinung nach. Manchmal ist da eine weniger detaillierte Beschreibung sogar besser. Das Gehirn kann so ein A**** manchmal sein.

Zu dem Thema Kinder... das ist zweischneidig. (man siehe sich mal die Grimms Märchensammlung im Original an). Klar ist ein Kinderroman nicht das, was mit Gewalt und Brutalität gespickt sein sollte. Aber die halten mehr aus, als man denkt... weil, sie einfach teilweise nicht weiter drüber nach denken. Sehr euch mal alte Disney Filme an (oder Coraline) da kriegen Erwachsene das Schaudern bei manchen Dingen, wie brutal sie eigentlich sind (Kinder finden es klasse/verstehen die Tragweite nicht unbedingt). Oder Hayao Miasaki. Der ist da auch nicht ohne. Auch Chihiro... Da sind ein paar Szenen wo man wenn man drüber nachdenkt ins Schlucken kommt.
Ich zitier da mal Ed Hooks "Don't be afraid to scare kids". In einem gesunden Maße und wohl bedacht wie ich Gewalt einbaue kann man das durchaus auch in einem Kinder Roman. Man sollte da eine klare Linie ziehen, dass es "das Böse" (eine schwarz Weiß Malerrei die ich in einem Erwachsenen Roman verabscheuen würde. Kinder haben da klarere Vorstellungen) trifft oder nicht in Ordnung ist. Aber da scheiden sich vielleicht die Geister.

Bei Erwachsenen hab ich gar kein Problem damit. Solange es nicht zu "traschig" wird. Das ist wiederum Geschmacksache. Manche Leute lieben das ^^" aber darüber will ich nicht richten.

Sanjani

Zitat von: Roca Teithmore am 27. Dezember 2013, 18:43:00
Zu dem Thema Kinder... das ist zweischneidig. (man siehe sich mal die Grimms Märchensammlung im Original an). Klar ist ein Kinderroman nicht das, was mit Gewalt und Brutalität gespickt sein sollte. Aber die halten mehr aus, als man denkt... weil, sie einfach teilweise nicht weiter drüber nach denken.

Ich weiß nicht, ob Grimm da ein gutes Beispiel ist, denn meines Wissens nach waren die Märchen der Gebrüder gar nicht für Kinder gedacht, sondern für Erwachsene. Und dass Kinder Tode in Märchen einfach hinnehmen, liegt, glaube ich, auch daran, dass sie oftmals gar nicht so schillernd geschildert werden, zumindest nicht in den Märchen, die z. B. meine Nichte aktuell so hört. Da wird dann gesagt, die Hexe wurde in den Ofen geschoben und verbrannte und das war's. Der Wolf, dessen Bauch schwer von Steinen war, fiel kopfüber in den Brunnen und das war's. Und häufig sind die Tode auch nicht endgültig. Man denke nur an die sieben Geislein, die lebendig aus dem Magen des Wolfes befreit wurden, oder an Schneewittchen, die wieder lebendig wird, nachdem ihr das Apfelstück aus dem Hals rutscht und aus dem Mund fällt. Wie das bei Filmen ist, vermag ich mangels Sehvermögen nicht zu beurteilen. Aber es ist sicher auch so, wie du sagst, dass sie die Tragweite noch nicht begreifen. Ich glaube, das kommt erst später. Ich erinnere mich noch gut, dass ich als Kind das Märchen über das Mädchen mit den Schwefelhölzchen überhaupt nicht mochte, weil das Mädchen am Ende tot war und ich das furchtbar traurig fand.
Die einzige blinde Kuh im Tintenzirkel :)

Heero

Ich habe mit einer Probeleserin schlimmen Ärger bekommen, weil ein kleiner Junge in meinem letzten Roman gestorben ist. Es gehörte in den Kontext einer Stadt unter Belagerung, aber sie hat es mir bis jetzt nicht vergeben.

Ich habe länger darüber nachgedacht, ob ich ihren Einwand ernst nehmen soll, und mich dann dagegen entschieden - weil die Realität nun mal vor Kindern nicht Halt macht.

Sternsaphir

Ich finde, das hängt auch ein bißchen von den Ziellesern ab.

Aber wenn Du einen Roman für Erwachsene schreibst, dann gehören auch solche Szenen mit hinein, denn sie entsprechen ja der Realität und dramatisieren die Situation noch einmal zusätzlich, dass eben auch Kinder nicht verschont werden. Es soll den Leser berühren und ihn emotional noch mehr in die Geschichte einbinden.

Sprotte

Ich habe im NaNo-Roman 2013 ein Kind getötet. Beim Hausbrand erstickt. Es wurde nur beschrieben, wie die kleine Leiche aufgefunden wurde - und ich wurde fast gesteinigt.

Sternsaphir

Es kommt darauf an, was für eine Art Roman man schreibt. Wenn er mehr naiv oder beschönigend geschrieben wird, dann sollte so etwas nicht drin stehen. Aber wenn man den Leser emotional packen will, dann kann man darauf zurückgreifen.

Ich kann mich jetzt spontan nicht daran erinnern, ob ich schon Kinder hab sterben lassen.
Meist habe ich es nicht detailiert beschrieben, sondern es dann verallgemeinert wie "ganze Familien lagen zwischen den Trümmern etc.".
Ich lasse eher Jugendliche (um die 12 und dann aufwärts) sterben, um besondere Grausamkeiten hervozuheben, weil diese dann auch schon selbst etwas mehr bewirken können (weglaufen, sich verstecken, versuchen zu kämpfen etc.) als nur ein hilfloses Opfer zu sein.

Heero

Zitat von: Sternsaphir am 15. Januar 2014, 13:37:48
Ich finde, das hängt auch ein bißchen von den Ziellesern ab.

Aber wenn Du einen Roman für Erwachsene schreibst, dann gehören auch solche Szenen mit hinein, denn sie entsprechen ja der Realität und dramatisieren die Situation noch einmal zusätzlich, dass eben auch Kinder nicht verschont werden. Es soll den Leser berühren und ihn emotional noch mehr in die Geschichte einbinden.

In meinem Fall hatte ich eine ganze Reihe von Charakteren über den gesamten Roman aufgebaut, die dann zum Teil unter fiesen Umständen starben, um zu verdeutlichen, dass Gewalt eben vor niemandem Halt macht. Der kleine Junge, der starb, war vom ersten Moment des Buches dabei und starb kurz vor Schluss, als "Kollateralschaden".

Ich hatte dabei an Schindlers Liste gedacht, das kleine Mädchen mit dem roten Mantel. Wie gesagt: Eine Probeleserin hat das SEHR übel genommen.

canis lupus niger

Zitat von: Heero am 01. März 2014, 15:37:28
Wie gesagt: Eine Probeleserin hat das SEHR übel genommen.

Dann hat es sie auf jeden Fall im Sinne Deiner Absichten berührt. Ich finde, das darfst du eher als Lob verstehen, denn als Kritik.

Christian Svensson

Je mehr ein autor es versteht, den Leser emotional zu packen, ihn in die Geschichte hineinzuziehen, um so eher kann es passieren, das Leser an einer Stelle, an der der Tod eines Kindes beschrieben wird, das Buch zuklappen. Wie bei jeder Szene stellt sich dann die Frage: Was will ich mit ihr erreichen? Wenn es also notwendig ist - ja. Eine andere frage ist eher die Art und Weise, wie ich das Kind sterben lasse, also wie sehr ich seinen Tod "auswalze".
Die meisten Menschen (leser) haben natürliche Hemmschwellen - Autoren übrigens auch - und die müssen eben bei der Planung des Buches berücksichtigt werden. Im Übrigen sind diese Hemmschwellen, nach allem, was mir bekannt ist, beim Thema Mord wesentlich geringer als beim Thema Sex - was ich übrigens als ziemlich krank empfinde. "Die Tribute von Parnem" inklusive Kindermord liefen um 20:15 zur besten Kinder- und Jugendlichensendezeit. Die Darstellung eines sexuellen Aktes darf nicht vor 23:00 Uhr laufen ...
Übrigens - wo ist der Unterschied, ob ein Mensch stirbt, der sechzehn ist oder der neunzehn ist?

Lemonie

ZitatIm Übrigen sind diese Hemmschwellen, nach allem, was mir bekannt ist, beim Thema Mord wesentlich geringer als beim Thema Sex

Ich kann mir (völlig wertfrei, ich denke selbst nicht unbedingt so) schon ungefähr vorstellen, warum das so ist. Sex ist für den Alltag eher relevant und da ist es vielen Eltern (oder generell Menschen) wahrscheinlich deshalb wichtiger, dass Kinder es nicht sehen (bzw die Schamgrenze ist generell höher). Unser Rektor hat sogar verboten, am Welt - Aids - Tag Kondome zu verteilen, weil er der Meinung war, es würde die Schüler auf dumme Gedanken bringen (völlig daneben meiner Meinung nach, aber so denken offenbar viele Leute). Bei Mord- /Todesszenen ist es eher so, dass der visuelle Eindruck schockierend ist und da sind die Tribute von Panem ja nicht so krass (das Ganze ist ja absichtlich nicht so extrem gedreht worden wie es zum Teil in den Büchern steht), um den eigentlichen Sinn des Geschehens geht es den Leuten bei der Einstufung da glaub ich eher nicht.


ZitatÜbrigens - wo ist der Unterschied, ob ein Mensch stirbt, der sechzehn ist oder der neunzehn ist?

Da ist der wahrgenomme Unterschied wahrscheinlich tatsächlich nicht so groß, aber ich denke hier geht es eher um jüngere Kinder... denn Kinder im Allgemeinen werden von Menschen (ob es jetzt stimmt oder nicht) immer eher als "unschuldig" wahrgenommen und rufen Beschützerinstinkt hervor, deshalb sind die Reaktionen meistens heftiger als bei Erwachsenen.

Mithras

Zitat von: Bardo djel Liores am 02. März 2014, 16:45:33Im Übrigen sind diese Hemmschwellen, nach allem, was mir bekannt ist, beim Thema Mord wesentlich geringer als beim Thema Sex - was ich übrigens als ziemlich krank empfinde.
Erinnert mich an eine Aussage George Martins im Gespräch mit Denis Scheck, in dem es auch darum ging, ob er es mit der Darstellungen von Sexszenen in ASOIAF nicht übertreibe. Zugegeben, die eine oder andere Stelle ist tatsächlich etwas grenzwertig, aber es fällt auch mir auf, dass einige Leser ihm eher diese Szenen ankreiden und ihn als pervers darstellen, während deutlich grausamere Szenen, z. B.
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selten negativ aufgefasst werden.

Ich bin generell kein Fan von ausufernden Gewaltbeschreibungen - das wirkt auf mich meist effektheischerisch und nicht selten billig und plump, weil ich den Eindruck bekomme, dass für den Autor die einfache Beziehung gilt: Je mehr Blut, Gehirn und Eingeweide, desto spektakulärer.
Nicht mein Fall. Alles Blut der Welt könnte in mir nichts auslösen, wenn es mich nicht in irgendeiner Form persönlich berührt. Ich bin eher ein Freund von dem, was angedeutet wird und nur im Hintergrund mitschwingt. Häufig ist es gerade die grausame Schnelligkeit oder Leichtigkeit eines Mordes, die mich trifft, weil sie zeigt, wie grausam und bedrückend die Realität doch ist.

Vor der expliziten Beschreibung von Gewalt an Kindern würde ich eher zurückschrecken - ich würde eher das "Resultat" hervorheben. Etwa nach dem Schema: Gestern hat er/sie noch gelebt und war voller Lebensfreude, und heute ist er/sie tot. Wirkt auf mich beklemmender als jede exzessive Gewaltdarstellung. Oder aber Rückblicke auf Morde, die schon Jahre zurückliegen und wohl bekannt. Um noch einmal Martin zu bemühen: Die Beschreibungen des Schicksals von Rhaenys und Aegon (sofern er es wirklich war), der Kinder des Kronprinzen Rhaegar, der in der Schlacht dem Usurpator Robert Baratheon unterlag, versetzen mir immer wieder einen Stich.

In Bernhard Hennens Elfenromanen, mit denen ich quasi groß geworden bin, findet sich auch so eine Stelle, die mich damals mit 15 sehr berührt hat: Während die Männer des Fjordlandes fernab der Heimat Krieg führen, wird ihr Land von den Trollen angegriffen, die die Menschen als Nahrungsvorrat betrachten. Als die Männer zurückkehren, finden sie nur noch Knochenberge, unter denen sich auch die Überreste von Kindern finden. Nichts wird allzu detailliert beschrieben - der Autor überlässt es der Vorstellungskraft des Lesers, der mit einem der Heimkehrer mitleidet, weil der befürchtet, dass seine eigenen Kinder darunter sein könnten.

Wobei ich wieder einschränken muss: Manchmal sehnt man auch den Tod von Kindern - oder eher von einem gewissen Kind in Martins Reihe - sehnlichst herbei:
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Die Szene war nicht blutig oder in irgendeiner Weise besonders grausam, von daher aus meiner Sicht auch durchaus hinnehmbar. Man vergisst, dass Kinder nicht automatisch unschuldige Engel sein müssen - wenn sie früh ihre Hemschwelle verlieren oder (vielleicht nie entwickeln) und Rollen übernehmen, die für Erwachsene gedacht sind und die ihnen über den Kopf wachsen, fallen auch meine Hemmschwellen - ob als Autor oder als Leser. So etwas würde ich unter Umständen auch lebhaft schildern.

Ansonsten würde ich aber eher auf Subtilität setzen. Dinge nur anzudeuten und den Rest der Vorstellungskraft des Lesers zu überlassen ist in meinen Augen oft wirksamer als jede detaillierte Gewaltdarstellung. Ich selbst habe bislang noch keine entsprechende Szene geschrieben, habe aber die eine oder andere im Hinterkopf.