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Gewaltsame Tode von Kindern in Romanen - ein Nogo?

Begonnen von Coehoorn, 07. November 2013, 13:02:38

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Rhiannon

Nicht nur um den Leser zu beeindrucken, bzw. zu berühren. Dazu alleine finde ich einen gewaltsamen Tod, völlig egal welches Lebewesens, keine gute Idee, sondern dann klingt das irgendwie so nach "Splatter zieht doch immer".
Wenn es aber darum geht, dass in einer bestimmten Situation, wie z.B. dem rasenden Mob, den du beschreibst, beispielsweise eine Entwicklung das Protas anders schwer möglich ist, habe ich mit Gewalt gegen Kinder kein Problem, unter der Voraussetzung, dass das Buch für ältere Jungendliche oder Erwachsene gedacht ist.
Die erwähnte Szene in Eragon fand ich einfach nur stumpfsinnig. Nach dem Motto: "Die Herrschaft des bösen Königs ist ja soooooooo böse, also müssen wir zeigen, wie böse seine Soldaten wirklich sind!", wird dem Leser ein Bild hingeworfen, das zumindest in mir außer Kopfschütteln und mich ärgern, aber über diesen platten Versuch, des Autors, nicht über den Tod des Kindes, noch nicht einmal Emotionen hervorrufen konnte.
Wenn du jetzt aber zum Beispiel einen Krieger hast, der selber schon abgestumpft ist, wird er vermutlich wenig reagieren, wenn irgendwo jemand gewaltsam zu Tode kommt, weil er das als "normal" ansieht. Ein Kind ist da noch einmal eine Stufe heftiger. Da kann ich mir durchaus vorstellen, dass da auch ein wenig empfindlicher Mensch auf 180 geht, vor allem, wenn er dann auch noch selbst Kinder hat.
Also wie die anderen schon gesagt haben, als Nogo würde ich es nicht bezeichnen, denn leider passiert genau das auch in der Realität und selbst Fantasy ist nichts anderes als eine Verarbeitung der Realität in anderem Gewand.

Sanjani

Zitat von: Churke am 07. November 2013, 17:25:30
Wurde in diesem Thread nicht vorgeschlagen, Kindern Gewalt anzutun, um den Leser emotional zu beeindrucken?
Wenn ich das nur unter diesem Aspekt mache, halte ich das für einen billigen Trick.

Falls das bei mir so rüber kam, nehme ich das hiermit zurück. Es sollte insgesamt schon stimmig sein. Der von mir genannte knallharte Söldner wird sich wohl kaum berühren lassen, wenn er mit Kindern so gar nix am Hut hat und die normalerweise selber auch erdolcht. Aber vielleicht ist er ja auch ein liebender Vater, darf das aber in seiner Söldnertruppe nicht zeigen, weil er sonst gedisst würde usw. usw. Ich spinne das jetzt nicht weiter, aber das Gesamtkonzept muss stimmen. Gleichzeitig wäre es absurd von Krieg zu schreiben, und dann aber zu behaupten, alle Kinder wären gerade so davon gekommen, oder sie einfach außen vor zu lassen. In so einem Fall hätte ich als Leser wiederum das Gefühl, dass der Autor zwar von Krieg schreiben will, sich aber nicht traut, alles daran anzuschauen, und das wiederum würde mir auch nicht gefallen.

LG Sanjani
Die einzige blinde Kuh im Tintenzirkel :)

Coehoorn

Mir fällt gerade doch ein Roman ein:
In Frank Schätzings "Tod und Teufel" ist der Antagonist ein ehemaliger Kreuzritter, der mit angesehen hat, wie im Namen Gottes und der Kirche Kinder der Ungläubigen bei lebendigem Leib ausgeweidet wurden. Teilweise finden sich sogar Ausschnitte wo dann von "zuckenden und sich windenden Leibern" die Rede ist, wenn er von Erinnerungen geplagt ist. Der Charakter ist emotional und psychisch völlig abgestumpft, ähnlich wie die Sklavensoldaten bei Martin.
Er hat es hinbekommen, dass es weder aufgesetzt, noch übertrieben oder extrem eklig wirkt. Es handelt sich dabei eher um ein Jugendbuch.

Lemonie

ZitatWurde in diesem Thread nicht vorgeschlagen, Kindern Gewalt anzutun, um den Leser emotional zu beeindrucken?
Wenn ich das nur unter diesem Aspekt mache, halte ich das für einen billigen Trick.

Ich habe das beim Lesen eigentlich so verstanden, dass es gemacht wird, um beim Protagonisten Emotionen auszulösen, was entweder für seine Entwicklung oder für die Szene (tut irgendetwas aus Wut) wichtig ist. Dann ist das für mich völlig in Ordnung. Aber ich finde auch, dass Hanna Recht hat damit, dass man weniger Brutalität braucht, wenn man es persönlicher macht. Reine Brutalität ist meiner Meinung nach eher schlecht um den Charakter zu motivieren, da es ihn wahrscheinlich eher schocken würde (je nachdem, wie er drauf ist, wenn er schon abgestumpft ist, ist es aber auch unwahrscheinlich, dass er emotional drauf reagiert).

Wenn Brutalität nur genommen wird, um den Leser zu beeindrucken, hast du schon Recht, aber ich glaube, das haben deine "Vorschreiber" auch nicht gemeint (bzw sogar ebenfalls negativ aufgefasst).

Ich finde auch, dass es auf Zielgruppe und Setting ankommt. Deswegen finde ich es zum Beispiel auch im "song of ice and fire" so gut gemacht, weil man da merkt, dass es im Setting vollkommen stimmig ist, weil es auch dargestellt wird wie etwas Schreckliches und nicht um Aufmerksamkeit zu erheischen ("Faszination des Grauens" oder wie man so schön sagt, da sollte man vermeiden) und weil er dadurch ja auch sehr gut zeigen kann, wie die Leute ticken, wie Pygmalion ja schon gesagt hat.
Aber das ist ja auch kein Kinderbuch, sondern Fantasy für Erwachsene.

Lothen

Zitat von: Sanjani am 07. November 2013, 18:02:33
Gleichzeitig wäre es absurd von Krieg zu schreiben, und dann aber zu behaupten, alle Kinder wären gerade so davon gekommen, oder sie einfach außen vor zu lassen.

Das würde ich auch so sehen. Je realitätsnaher die Welt und der Krieg gestaltet ist, desto eher würde man solche Vorkommnisse auch erwarten. Ich würde eine solche Szene sicherlich lesen und mich davon berühren lassen wollen, solange sie nicht - wie oben schon erwähnt - sinnlos brutal erscheint. Ich denke, in einer solchen Szene ist "weniger gleich mehr": allein Andeutungen können schon ausreichen.

Ich erinnere mich an diese eindrucksvolle Szene aus "Schindlers Liste" mit dem Mädchen im roten Mantel...

Serafina

Mir ist beim Lesen des Threadtitels auch gleich besagte Szene in Eragon durch den Kopf geschossen. Ich war vielleicht 13 oder 14 und mein kleiner Bruder war selbst noch ein Baby. Und ich muss zugeben, dass ich davon so geschockt und abgestoßen war, dass ich heute noch bestimmt alle zwei Wochen daran denken muss. Man könnte sagen, dass mich das etwas traumatisiert hat, aber bei diesem Thema bin ich einfach ziemlich empfindlich.

Um mich damit auf die eigentliche Frage zu beziehen: Es wird bestimmt immer Leute geben, denen so etwas überhaupt nicht gefällt. Andere sind da wiederum abgebrühter.
Generell kann ich mich denjenigen anschließen, die geschrieben haben, dass es okay ist, wenn es für die Handlung sinnvoll ist, nicht in allzu grausigen Details beschrieben wird und man die Zielgruppe sowie das Genre im Auge behält. Wenn das alles stimmig ist, dann würde ich es dem Autor nicht allzu übel nehmen (so ganz werde ich persönlich wohl nie damit klarkommen können), wenn er ein Kind sterben lässt.

Sanjani

Mich hat das jetzt so lange umgetrieben, dass ich selber mal nachsehen musste, was ich da geschrieben habe. Bei mir gibt es nämlich auch eine Schlachtszene in einem Dorf, wo ich ein Kind gezeigt habe. Etwas erstaunt habe ich fest gestellt, das da bei mir auch Blut eine Rolle gespielt hat. Das Kind selber hab ich aber nur als reglosen Körper im Arm der Mutter beschrieben, und ich weiß auch noch genau, warum ich das damals gemacht habe.

@Serafina: So etwas ist natürlich besonders bitter. Wenn der kleine Bruder quasi in dem Alter des toten Kindes im Buch ist, kann ich mir vorstellen, dass so etwas viel eher unangenehm im Gedächtnis haften bleibt.

LG Sanjani
Die einzige blinde Kuh im Tintenzirkel :)

Drachenfeder

Ich habe schon einige Bücher gelesen, in denen Kinder zu Tode gekommen sind (besonders in historischen Romanen). Für mich kommt es ganz darauf an, wie weit der Autor geht. Ein prinzipielles Nogo würde ich nicht aussprechen.

In einer meiner veröffentlichten Kurzgeschichten stirbt ein Kind durch einen Gargoyle. Es spritzt kein Blut, es ist gewaltsam aber ohne große Brutalität. Es hat der Geschichte das gewisse Etwas gegeben, den nötigen Horror und die Traurigkeit.



canis lupus niger

In meinem Debüt habe ich ein kleines Kind bei einem Anschlag sterben lassen, nur zufälltg, denn eigentlich war der Prota das vorgesehene Opfer. Damit habe ich eine intensive Schockwirkung erzielt und dem Prota einen Grund für Depressionen gegeben.

Wenn es ins Setting passt und man etwas Bestimmtes damit erreichen will, finde auch ich, dass man ein Kind in einer Geschichte sterben lassen darf. Ist halt besonders tragisch und aufwühlend. Dass jemand stirbt, und eventuell auch, dass das sehr grausam und tragisch passiert, ist in einer grausamen Welt glaubhafter, als die aufgehübschte Version, dass so etwas nicht geschieht.   

Was ich aber für verwerflich halten würde, wäre es, dieses Unglück allzu blutig (splattermäßig) auszuwalzen. Ich brauche keine heraushängenden Gedärme oder herumspritzende Hirnmasse. Aber ich bin ohnehin kein Freund solcher Details und meide Lektüre und auch Filme, die darauf aufbauen.  In alten Spielfilmen wurde auch nicht lieterweise Kunstblut verspritzt. Da hörte man im Dunkeln eine Frau schreien, und Augenblicke später sah man ihren Seidenschal den Fluss hinuntertreiben. Man wusste: Da war gerade jemand gestorben. Für die Geschichte reicht das. Mehr zu zeigen, geht für meinen Geschmack deutlich in Richtung Horror.

Adam_Charvelll

Für gewaltsame Tode von Kindern muss man nicht erst bei Martin oder King anfangen, die gibts nämlich durchaus auch schon in früheren Werken.

Beispiel Heinrich von Kleist - Das Erdbeben in Chili
"Doch Meister Pedrillo ruhte nicht eher, als bis er der Kinder eines bei den Beinen von seiner Brust gerissen, und, hochher im Kreise geschwungen, an eines Kirchpfeilers Ecke zerschmettert hatte. Hierauf ward es still, und alles entfernte sich. Don Fernando, als er seinen kleinen Juan vor sich liegen sah, mit aus dem Hirne vorquellenden Mark, hob, voll namenlosen Schmerzes, seine Augen gen Himmel."

Meiner Meinung nach darf Gewalt durchaus auch in all ihrer Grausamkeit beschrieben werden, da die Realität einfach voll davon ist. Allerdings muss man wohl auf die Leserschaft und die Grundausrichtung des Textes achten. Will ich eine ernsthafte Verarbeitung der Realität oder eher eine grundsätzliche Ablenkung davon bezwecken? In Friede-Freude-Eierkuchen Romane, die sich beispielsweise nur der Entstehung einer Liebesbeziehung widmen, würde ich solche Szenen, selbst für Emotionalisierungen, nicht nutzen, da die Leser wohl bewusst keine Lust haben, sich mit derartigen Problemen und Leiden auseinanderzusetzen.

Sanjani

Hallo Adam,

[quote author=Adam_Charvelll Beispiel Heinrich von Kleist - Das Erdbeben in Chili
"Doch Meister Pedrillo ruhte nicht eher, als bis er der Kinder eines bei den Beinen von seiner Brust gerissen, und, hochher im Kreise geschwungen, an eines Kirchpfeilers Ecke zerschmettert hatte. Hierauf ward es still, und alles entfernte sich. Don Fernando, als er seinen kleinen Juan vor sich liegen sah, mit aus dem Hirne vorquellenden Mark, hob, voll namenlosen Schmerzes, seine Augen gen Himmel."
[/quote]

Nur, weil das hier ein älteres Werk eines berühmten Autors ist, muss die Umsetzung aber nicht jedem gefallen oder ein Maßstab sein. Dieses Beispiel finde ich z. B. ziemlich geschmacklos und ekelhaft. Wie ich selber gesagt habe, sollte man Gewalt an Kindern nicht verleugnen und beschönigen, aber muss man für den Leser unbedingt das Mark aus dem Hirn quellen lassen? Das Schöne an Büchern ist ja auch, dass der Leser nicht alles vorgesetzt bekommt und sich Dinge nach seinem Belieben vorstellen kann. Wie weit jeder bei der Beschreibung geht, muss er selber entscheiden. Für mich wäre obiges Beispiel schon Splatter, für jemand anderen vermutlich nicht. Aber ich denke, man kann sich auch mit der Realität ernsthaft auseinander setzen, ohne dass das Hirnmark verspritzt wird.

LG Sanjani
Die einzige blinde Kuh im Tintenzirkel :)

Churke

Zitat von: Sanjani am 09. November 2013, 14:39:21
Aber ich denke, man kann sich auch mit der Realität ernsthaft auseinander setzen, ohne dass das Hirnmark verspritzt wird.

Heinrich v. Kleist wird seit 200 Jahren missverstanden. Die Geschichte ist nicht ernst gemeint und ins Satirische übertrieben:

"Man vermietet in den Straßen, durch welche der Hinrichtungszug gehen sollte, die Fenster, man trug die Dächer der Häuser ab, und die frommen Töchter der Stadt luden ihre Freundinnen ein, um dem Schauspiele (...) beizuwohnen."

Realistisch ist Hermanns Reaktion in der "Hermannsschlacht" auf die Nachricht dass ein Römer einer Muttern und ihrem Kind die Schädel eingeschlagen habe. Hermann reibt sich die Hände, lässt die Geschichte ausschmücken und schickt Männer aus, die als Römer verkleidet "sengen, brennen, plündern" sollen. "Wennn sies geschickt vollziehen, will ich sie lohnen!"

Adam_Charvelll

Natürlich legitimiert das Vorkommen in einem älteren Werk nicht den Einsatz in der Literatur generell, das wollte ich auch nicht sagen. Ich wollte nur ein Beispiel zeigen, dass dieses Thema durchaus nicht erst jetzt Teil von Texten ist, sondern bereits immer war. Auch in der Bibel gibts ja zum Beispiel den Kindermord von Bethlehem. Es ist auch durchaus möglich, dass wir gerade in unserer Zeit immer mehr vom Kindermord in der Literatur oder auch im Film weg tendieren und uns davon distanzieren wollen, da dieser ja symbolisch für die Grausamkeit der Menschheit steht, mit der wir uns ja meistens nicht identifizieren wollen.

Zitat von: Sanjani am 09. November 2013, 14:39:21
Aber ich denke, man kann sich auch mit der Realität ernsthaft auseinander setzen, ohne dass das Hirnmark verspritzt wird.

Ja, natürlich! Jeder Autor kann frei entscheiden, ob und wie viel Gewalt er in welcher Art und Weise einsetzen will. Kleist setzt zB die Szene bewusst ein, um die Einstellungen seiner Figuren hervorzuheben, nicht als Emotionalisierung.
Realität impliziert dabei nicht notwendigerweise Gewalt.

Cailyn

In Kinder- und Jugendbüchern ist es sicher ein Tabu. Aber sonst darf man wohl alles schreiben. Ich lese ja ziemlich viele Thriller und Krimis, und da sterben massenhaft wehrlose Kinder, süsse Tiere etc..

Es kommt einfach immer darauf an, was man damit bezwecken will. Wenn ich bei einem Autor merke, dass seine Gewaltdarstellung immer extremer wird, um der Geschichte noch mehr "Krassheit" zu verleihen, dann finde ich es nicht gut. Es ist dann eher der verzweifelte Versuch, über Extremes Wirkung zu erzeugen, die er ansonsten nicht hinkriegt.

Aber in deiner Situation mit dem Elfenkind ist es ja viel eher ein Akzent, den du damit setzt. Es woll ja einerseits den Gipfel der Gewalt zeigen, und andererseits den Protagonisten in einen extremen Gefühlszustand bringen, der ihm sonst nicht wiederfährt. Daher finde ich, dass du das getötete Elfenkind gut bringen kannst. Es wäre dann etwas anderes, wenn in der nächsten Szene plötzlich auch noch eine Familie mit 7 Kindern gehäutet wird und danach ein kleines Hundebaby gefoltert... Dann wäre es übertrieben. Aber das ist ja nicht der Fall, nehme ich an.  ;)

RaphaelE

Zitat von: Cailyn am 13. November 2013, 20:55:45Es wäre dann etwas anderes, wenn in der nächsten Szene plötzlich auch noch eine Familie mit 7 Kindern gehäutet wird und danach ein kleines Hundebaby gefoltert... Dann wäre es übertrieben.
Ja, ich finde auch, dass das Foltern des Hundebaby's nicht unbedingt sein müsste. :darth: ;D
Nein, jetzt im Ernst: Wenn die Situation es erfordert, ist es keineswegs verwerflich, auch mal ein Kind daran glauben zu lassen. Das zeigt lediglich, dass der Gegner ohne Skrupel oder Moral vorgeht. Es zeigt dem Leser wie auch dem Protagonisten auf, dass drastischere Massnahmen als ein kleiner Disput bei Tee erforderlich sind und lassen Ersteren mitfiebern, wenn der Held den Rächer gibt.

Grüsse

Raphael

PS: Kann sein, dass ich da ein wenig durcheinandergewürfelt habe. Ich las den Thread vor ein paar Tagen durch und kann mich nicht mehr an alles erinnern, aber ich glaube, ich lass' da nicht gerade einen völligen Schwachsinn ab, der gar nicht dazu passt. ;)