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Historische Ungenauigkeit - wie viel davon verzeiht der Leser

Begonnen von Feuertraum, 30. Oktober 2013, 12:09:38

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caity

#30
Einspruch, euer Ehren, jeder Roman ist (zu einem gewissen Prozentsatz) fiktiv, auch ein historischer.
Dennoch stimme ich dir zu, dass sich ein Autor nicht austoben sollte wie er will und in einem historischen Roman gewisse Fakten zu beachten hat. Deshalb einmal meine konkrete Nachfrage:

ZitatDenn, wenn Fakten geändert wurden, dann ist das Werk weder real noch historisch. Dann ist es nur noch eine Fiktion, beruhend auf historischen Ereignissen.

Auf was für Fakten beziehst du dich hier?
Ich finde es z.B. nicht schlimm, wenn eine Figur dazu erfunden wird, deren Existenz historisch nicht belegt, aber durchaus möglich ist. Ganz konkret habe ich das in meinem Historienthriller auch so gehandhabt, dass ich einen Untervogt für ein Kloster "erfunden" habe, denn die Wahrscheinlichkeit, dass es um die Zeit, in der ich schreibe, bereits einen Vogt gab, ist eher gering, der erste Vogt findet sich namentlich erst ca. 40 Jahre später. Dennoch gab es um den Zeitraum prinzipiell solche Untervögte bereits, nur ist es eben speziell bei diesem Ort historisch nicht gesichert (und aus gewissen Gründen wie gesagt eher unwahrscheinlich, das weiß man aber auch nur, wenn man sich wirklich ausführlich mit der Materie auseinandersetzt). Ist das jetzt für dich ein verdrehen von Fakten? Ich finde das in dem Rahmen durchaus legitim und würde mich auch als Leser nicht daran stören.
Was ich allerdings unmöglich fände, wäre, wenn es zu einer Sache konkrete Fakten gibt, die auch bekannt sind, und diese schlicht ignoriert werden. Ganz extrem wäre dabei: eine historische Persönlichkeit starb zu dem und dem Zeitpunkt, im Roman lebt sie aber plötzlich länger. So etwas fände ich unsinnig und auch nicht zu verzeihen, es sei denn, der Autor kann mir versichern, dass es dazu in der historischen Forschung unterschiedliche Richtungen gibt. Im Prinzip befindet sich das aber auf einer ganz anderen Ebene, als das Beispiel mit dem Untervogt.
Wenn ein Autor behauptet, sein Leserkreis habe sich verdoppelt, liegt der Verdacht nahe, daß der Mann geheiratet hat. - William Beaverbrook (1879-1964)

Pygmalion

Aber gerade bei Sprache/Ausdruchsweise stößt du schnell an die Grenzen des nachweisbaren. Wie hat denn ein Durchschnittsbürger in der Antike gesprochen? Oder ein Bauer im Frühmittelalter? Das kann man höchstens glaubhaft erschließen, auf Grundlage der Schriftquellen. Die auch, je weiter wir zurückgehen, immer lückenhafter werden.
Meistens steht in diesen Büchern hinten drin ja auch nicht, dass etwas wirklich abgeändert wurde, sondern dass es zwei unterschiedliche Überlieferungen oder Ungenauigkeiten/Unbekanntes gibt, das dann vom Autor nach freiem Gutdünken ausgeformt wurde. Kann man machen, finde ich. Das bedeutet jetzt nicht, dass ich im 13. Jahrhundert noch Wikinger mit Drachenschiffen akzeptieren würde, weil die gerade so gut zu einer plünderten Horde passten.

Kati

ZitatEin Fantasyroman fällt bei mir normalerweise unter a), insofern habe ich auch mit groben Verdrehungen kein Problem (es sei denn man gewinnt den Eindruck, der Autor schreibt einfach nur grob drauflos).
Bei einem "echten" Historienroman ist für mich entscheidend, was verfälscht wird. Je wichtiger und bekannter die verfälschte Tatsache ist, desto mehr leidet die Geschichte. Andererseits kann die Geschichte aber auch leiden, wenn der Autor sich sklavisch an die überlieferte Realität hält. Letztendlich geht es immer noch um eine Geschichte und nicht um eine hisorische Dokumentation.

Da frage ich mich, wieso du eine Unterscheidung zwischen Fantasy und einem echten Historienroman machst. Wenn ich historische Fantasy schreibe, muss die Welt drumherum für mich genauso stimmen, wie bei jedem anderen historischen Roman, denn der Fantasyanteil beinhaltet ja bloß, dass etwas in der Geschichte vorkommt, das es in der echten Welt nicht gibt. Wenn jetzt jemand Vampire im Berlin der 1920er schreibt, ist das lange keine Entschuldigung für mich, mit den historischen Fakten zu schlampen bloß, weil es keine Vampire gibt. Das fußt auf demselben Prinzip wie der Irrglaube, Fantasy müsste nicht logisch sein. Es gibt aber einen Unterschied zwischen realistisch und logisch und genauso, wie jeder Roman für den Leser logisch sein muss, auch, wenn es die echte Welt nicht ist, muss jeder historische Roman für mich historisch authentisch wirken. Wenn man bewusst Fakten verdrehen will, kann man den Roman ja immer noch als alternative Geschichte betiteln, es gibt für alles ein Genre.

Die Vergleiche zwischen Roman und Sachbuch/Dokumentation finde ich auch nicht wirklich haltbar und, dass ein Roman eben nur Fiktion ist, ist für mich auch keine Entschuldigung historische Fakten zu verdrehen, wenn es nicht sein muss, oder schlecht zu recherchieren. Man kann historische Details in einen Roman einfließen lassen ohne, dass es sich liest, als hätte man aus einem Lexikon abgeschrieben. Man muss nur wissen, wie man Geschichte lebendig macht. Man muss sich halt beim Schreiben klar sein, dass ein historischer Roman ein ganz anderes Medium ist, als ein Sachbuch und es deshalb keine Infodump-Absätze über historische Etikette geben muss. Aber deutlich machen kann man genau dieselben Informationen trotzdem im Verhalten der Figuren etc. Wie hier schon mehrmals gesagt wurde: Am Ende ist ein historischer Roman auch immer fiktiv, aber ein Grund, sich deshalb alles so zurechtzulegen, wie man es gerade braucht, ist das für mich trotzdem nicht. Historische Fiktion schreibt man eigentlich genauso wie welche, die in unserer Zeit spielt: Man muss genug über die Zeit wissen, um sie glaubhaft schildern zu können, auch, wenn man nicht alles wissen muss. Nur die Gegenwart kennen wir halt alle und deshalb fällt es uns nicht schwer Figuren sich unserer heutigen Gesellschaft angemessen verhalten zu lassen.

Wichtig ist halt auch, dass man sich darüber bewusst sein muss, dass man alles nur zu einem bestimmten Grad richtig machen kann. Wir haben keine Chance in die Vergangenheit zu reisen und mal zu gucken, wie das wirklich war, also gibt es die absolute historische Authentizität schon mal gar nicht. Wichtig ist nur, dem Leser die historische Welt authentisch zu verkaufen. Also, die Epoche gut genug zu kennen, das man sich im Rahmen der Zeit etwas ausdenken kann, ohne, dass es jemandem auffällt. Das gilt auch im weitesten Sinne für die Sprache und Ausdrücke, die verwendet werden: Anachronistisch sollte es natürlich nicht sein, aber erstmal ist wichtig, dass es so hätte sein können, auch, wenn es nicht zwingend genau so war.

cryphos

#33
Hallo caity, ich glaube wir sind gar nicht so weit auseinander.
In einem historischen Roman ist Fiktion als narratives Element so lange zulässig, solange Fakten nicht geändert werden. Wenn zwei historisch belegte Personen sich treffen und unterhalten, obwohl sie nachweislich einander nicht einmal kannten dann ist der Roman nicht mehr historisch. Auch wenn Erfindungen so verlegt werden, dass nichts mehr stimmt, nur weil es dem Autor einen neuen Spannungsbogen gibt, dann ist das kein historischer Roman.

Hallo Pygmalion,
richtig, Sprache/Ausdrucksweise sind sehr schwer korrekt wiederzugeben. Wenn ich in einem Mittelalterroman lesen, dass jemand Ok sagt, dann graut mir; oder wenn ein antiker Römer von der Türkei spricht oder wenn Sengoku-Zeit einen Europäer Weissbrot nennt, dann stimmt was nicht.

Klar gibt es Graubereiche und auch wenn man super recherchiert können Fehler passieren - da sage ich nichts. Aber bestehende Fakten ändern mag ich gar nicht. Und dann noch hinten rein schreiben, ich habe Erfindung A 10 Jahre nach vorne verlegt um diesen und jenen Effekt zu erzielen ist dann nicht wissenswert sondern einfach schlecht, wenn das Ding historisch sein soll.

Edit: Bitte nicht aggressiv streiten. Ich habe eine leicht kritischere Sicht, als ich bisher als Tenor raus lesen konnte und die wollte ich in die Diskussion einbringen. Mein Ziel ist es nicht zu provoziere, sondern thematisch zu bereichern. Und ich kann damit leben, wenn andere anders denken.

Fianna

Ein historischer Roman wird dann durch seine Genauigkeit langweilig, wenn der Autor die Fakten durchgängig tellt statt showt. Wenn lauter nicht plotrelevante Dinge vorkommen, weil die historisch und so schön sind und mit dem Setting verknüpft sind (aber in Bezig auf die Story vollkommen uninteressant sind).

Das ist allerdings ein Problem des Autors und nicht der Genauigkeit; gleiches kann passieren, wenn ein Fantasyautor zu einer Welt mit viel vorher erfolgtem Worldbuilding etwas schreibt.


~~~~

Drachenfeder,
liest Du keine historischen Romane?
Du musst doch gemerkt haben, ob die genauen Werke auch langweilig sind ;)

Drachenfeder

Zitat von: Fianna am 10. Januar 2014, 13:59:04
Drachenfeder,
liest Du keine historischen Romane?
Du musst doch gemerkt haben, ob die genauen Werke auch langweilig sind ;)

Na klar lese ich historische Romane, jede Menge. Stehe ich gerade auf dem Schlauch?



Zitat von: Kati am 10. Januar 2014, 13:38:03
Wenn ich historische Fantasy schreibe, muss die Welt drumherum für mich genauso stimmen, wie bei jedem anderen historischen Roman, denn der Fantasyanteil beinhaltet ja bloß, dass etwas in der Geschichte vorkommt, das es in der echten Welt nicht gibt.

Mein aktuelles Projekt spielt in Rheinlandhessen (Mainz und rumherum). Dort habe ich ein fiktives Ort, ein fiktives Gebirge sowie eine Burg angesiedelt, die es damals nicht gab. Gerade die Mischung zwischen den realen und fiktiven Orten kann sehr spannend sein.



Churke

Zitat von: caity am 10. Januar 2014, 12:40:37
Inwiefern ist das denn deiner Meinung nach eine "Entschuldigung"?
Beim Ändern oder Erfinden von Details sehe ich in langen Nachworten für den Leser keinerlei Mehrwert. Deine Ausführungen über den Vogt z.B. sind Gedanken, die man sich als Autor machen muss, aber für den Leser nur von untergeordnetem Interesse.

Zitat von: cryphos am 10. Januar 2014, 13:48:49
In einem historischen Roman ist Fiktion als narratives Element so lange zulässig, solange Fakten nicht geändert werden.

Also ich halte es da mit Schiller:
ZitatDa der tragische Dichter, wie überhaupt jeder Dichter, unter dem Gesetz der poetischen Wahrheit steht, so kann die gewissenhafteste Beobachtung der historischen ihn nie von seiner Dichterpflicht lossprechen, nie einer Übertretung der poetischen Wahrheit, nie einem Mangel an Interesse zur Entschuldigung gereichen.
(...)
Die poetische Wahrheit besteht aber nicht darin, dass etwas wirklich geschehen ist, sondern darin, dass es geschehen konnte, also in der inneren Möglichkeit der Sache.
Friedrich Schiller: Über die tragische Kunst


Kati

ZitatMein aktuelles Projekt spielt in Rheinlandhessen (Mainz und rumherum). Dort habe ich ein fiktives Ort, ein fiktives Gebirge sowie eine Burg angesiedelt, die es damals nicht gab. Gerade die Mischung zwischen den realen und fiktiven Orten kann sehr spannend sein.

Etwas dazu zu erfinden, also fiktive Figuren, Orte und Gebirge reinzunehmen, betrachte ich aber auch lange nicht als historische Ungenauigkeit.  :) Ich meinte wirklich eher verdrehte Fakten. Wenn die Titanic im April 1912 untergegangen ist, kann ich nicht sagen, sie ist schon im März untergegangen, weil mir das besser passt. Wenn die Redewendung "Einen Zahn zulegen" aus den 1920ern stammt, sollte ich die nicht einer Figur in einem Barockroman in den Mund legen. Und wenn für eine Gesellschaft eine bestimmte Etikette gilt, kann ich keine Figur schreiben, die diese Etikette missachtet ohne, dass andere Figuren das bemerken und ansprechen. So etwas meine ich. Du nimmst ja nichts weg oder drehst etwas um, wenn du ein paar Orte hinzu erfindest. Du dichtest ja nur etwas dazu, was da eigentlich nicht ist, darin sehe ich kein Problem. Ich finde das sogar besser, als ein reales Gebirge zu nehmen und das dann historisch falsch zu beschreiben oder so. An sich sind ja auch meistens alle Figuren und Handlungen in einem historischen Roman fiktiv, das ist ja auch keine Tatsachenverdrehung, solang die Handlung einer fiktiven Person die Handlung einer realen Person nicht so beeinflusst, dass sich die belegte Handlung verändert.

Also, wenn jetzt ein fiktiver Berater, der vielleicht auch aus einer fiktiven Stadt stammt, in einem Roman während des Bürgerkriegs Abraham Lincoln falsch berät und deshalb der Krieg verloren wird. Das fände ich blöd. Wenn der fiktive Berater Lincoln aber so berät, dass alles seinen gewohnten Gang nimmt und es logisch erscheint, dass der Berater in keinem Geschichtsbuch auftaucht, finde ich das eher lustig, weil es ja so hätte sein können. Dann darf man aber natürlich auch nicht Lincolns echte Berater rausstreichen, aber das ist ja klar.  :)

Pygmalion

Und wieso braucht man dazu erfundene Städte, Burgen und gar Berge? Einen Berg zu erfinden, den es nie gegeben hat, ist nicht nur historisch, sondern auch geologisch falsch :D Es gibt soviele Städte, Dörfer, Berge und Burgen, wieso die Notwendigkeit, sie zu erfinden? Damit bürde ich dem Buch ja in jedem Fall auf, dass etwas passiert, was so nicht hätte passieren können, weil die eben beschriebene Burg auf entsprechendem Berg nie existierte.
Etwas anders verhält es sich da mit dem Untervogt, finde ich. Den könnte es gegeben haben, auch wenn er nicht schriftlich erwähnt wird. Wenn es auch keinen Beleg dafür gibt, dass es auf gar keinen Fall einen solchen Vogt gegeben hat, darf man ihn annehmen.

caity

ZitatBeim Ändern oder Erfinden von Details sehe ich in langen Nachworten für den Leser keinerlei Mehrwert. Deine Ausführungen über den Vogt z.B. sind Gedanken, die man sich als Autor machen muss, aber für den Leser nur von untergeordnetem Interesse.

Mit solchen Pauschalisierungen wäre ich vorsichtig. Ich z.B. finde das auch in Historienromanen sehr spannend und kenne durchaus auch einige andere Leser, die das interessiert. Mehrwert hat es für diejenigen, die einen Historienroman eben nicht nur aus Unterhaltungsgründen lesen, sondern gerne auch mehr über die Hintergründe erfahren möchten. Das sind sicherlich nicht alle Leser und gerade über solch kleine Details fände ich kilometerlange Kommentare auch eher unnötig, aber dass es keinerlei Mehrwert hat, da muss ich dir auf mein Gewissen hörend (um es mit Luther zu sagen ;)) widersprechen.
Wenn ein Autor behauptet, sein Leserkreis habe sich verdoppelt, liegt der Verdacht nahe, daß der Mann geheiratet hat. - William Beaverbrook (1879-1964)

Rhiannon

Ich verzeihe an sich relativ viel. Was z.B. die von Kati angesprochene viktorianische Mode angeht, würde ich Fehler gar nicht bemerken, weil ich davon keine Ahnung habe.
Wenn jetzt aber natürlich, Achtung, ich überspitze, Hunnen plündernd in Australien einfallen, dann frage ich mich, warum der Autor nicht gleich einen Fantasyroman in einer eigenen Welt angesiedelt hat. Übersetzt gesagt, ich ärgere mich, wenn Dinge missachtet werden, die mit ein bisschen Aufpassen in der Schule gelernt hat. Da fühle ich mich für doof verkauft. Einzige Ausnahme, die ich da dulde ist folgendes: Wenn ich in einem historischen Roman ein Ereignis drinhabe, das jeder kennt und von dem auch jeder das Jahr kennt, z.B. die "Entdeckung" Amerikas durch Christoph Columbus, wenn ich da nicht das Jahr 1492 nehme, haut mich jeder, wenn ich da aber z.B. eine historische Persönlichkeit, die 1490 gestorben ist (keine Ahnung, ob es genau da eine gibt) zwei Jahre später noch lebend auftauchen lasse und sie bringt wirklich die Handlung voran, kann ich das verzeihen, unter der Bedingung, dass das im Anhang oder so erwähnt wird, dass die Figur in Wirklichkeit 1490 gestorben ist. Die Amerikaentdeckung um zwei Jahre vorzuverlegen, weil dann die Figur noch lebt, geht aber gar nicht, da würde ich mir wieder für dumm verkauft vorkommen.
Was ich aber mehr hasse, als historische Ungenauigkeiten, die ich, je nach Zeit, wohl auch gar nicht bemerke, sind Dinge, die man durch einfaches Ausprobieren selbst als Quatsch erkannt hätte. Ich denke da z.B. bei Filmen an die schöne Poserstellung mit dem Schwert weit über dem Kopf erhoben...  ::)

Sternenlicht

#41
Zitat von: Kati am 10. Januar 2014, 13:38:03
Da frage ich mich, wieso du eine Unterscheidung zwischen Fantasy und einem echten Historienroman machst. Wenn ich historische Fantasy schreibe, muss die Welt drumherum für mich genauso stimmen, wie bei jedem anderen historischen Roman, denn der Fantasyanteil beinhaltet ja bloß, dass etwas in der Geschichte vorkommt, das es in der echten Welt nicht gibt. Wenn jetzt jemand Vampire im Berlin der 1920er schreibt, ist das lange keine Entschuldigung für mich, mit den historischen Fakten zu schlampen bloß, weil es keine Vampire gibt.

Ich habe nicht über Genres geschrieben, sondern über den Inhalt und Schwerpunkt der Geschichte. Da liegt für mich der entscheidende Punkt.
Deine kategorische Abgrenzung von "Fantasyanteil" und "echter Welt" kann ich nicht nachvollziehen. Der Autor entscheidend, was er von der echten Welt übernimmt. Das kann sich nur auf die Vampire beziehen oder auch auf andere Teile der Geschichte. Ich könnte mich für einem Vampirroman auch begeistern, wenn der historische Hintergrund nicht historisch korrekt beschrieben wird. Das könnte sogar den Reiz ausmachen, mich überraschen und neugierig machen oder ein besonderes Stilmittel sein. In der Fantasy sind der Kreativität für mich keine Grenzen gesetzt, aber da sind wir wohl unterschiedlicher Meinung  :).

Aphelion

Zitat von: Pygmalion am 10. Januar 2014, 13:13:15
Aber gerade bei Sprache/Ausdruchsweise stößt du schnell an die Grenzen des nachweisbaren. Wie hat denn ein Durchschnittsbürger in der Antike gesprochen? Oder ein Bauer im Frühmittelalter? Das kann man höchstens glaubhaft erschließen, auf Grundlage der Schriftquellen. Die auch, je weiter wir zurückgehen, immer lückenhafter werden.
Das fällt für mich z.B. unter "Übersetzung". Sonst müssten die Figuren Latein und Mittelhochdeutsch sprechen - oder was eben sonst noch gesprochen wurde. Ein deutscher Roman, der in China spielt, ist ja auch in deutscher Sprache verfasst und die Redewendungen etc. werden nur sinngemäß übernommen oder übersetzt (wenn der Roman gut gemacht ist).

@ Personen in eine andere Zeit zu verpflanzen halte ich nicht für legitim bzw. es nervt mich. Entweder, der Autor findet diese Person so wichtig, dass die Geschichte zu seiner Zeit spielen muss, oder man kann auch eine vollständig fiktive Person wählen.

Das Problem ist nämlich auch, dass selbst bei RRichtigstellungen/Entschuldigungen am Ende des Buches viele Leser sich die falschen Informationen merken und diese für Tatsachen halten. Und hinterher nicht mehr wissen, dass die Infos aus einem Roman stammten ...

Man wird beim Schreiben von historischen Romanen immer Fehler machen, aber man muss nicht noch zusätzlich Fehler machen, die man als Autor selbst sehr deutlich als solche erkennt.

Dazu gehört v.a. die generelle Denkweise von Figuren ... Emanze im Mittellter kann ich nichtmal mehr ansehen.  :pfanne: Auch da: Die meisten Leser merken es nicht einmal und glauben, es sei realistisch und "mittelaltergetreu". (Das nur als Beispiel, das Prinzip findet man auch bei der Verwendung anderer Themen und Epochen.)

Fianna

Diese "generelle Denkweise", das ist das Schwierigste und die eigentliche Kunst an Historischen Romanen.


Maja

#44
Ich verzeihe gar nichts. Wenn ein Romanm zu einem eindeutig benannten oder identifizierbaren historischen Datum spielt, dann müssen auch die Umstände stimmen, und dann dürfen auch nur solche Dinge vorkommen, die es zum fraglichen Zeitpunkt schon gegeben hat. Ich schlage jede einzelne Erfindung nach, um sichergehen zu könne, ich verifiziere auch Adressen, zum einen um zu wissen, ob es die Straße zum fraglichen Zeitpunkt schon gegeben hat, und zum anderen um zu wissen, ob sie damals schon den gleichen Namen hatte oder einen anderen. Wenn wir Fantasy schreiben, gehören alle Fakten uns, aber sobald wir uns anmaßen, in einem historischen Setting zu schreiben, dann müssen alle nachprüfbaren Fakten auch stimmen.

Und wenn es nur um eine Kleinigkeit geht wie eine Schuhputzmaschine - dann bricht uns kein Zacken aus der Krone, sie nicht vorkommen zu lassen. Ist das anachronistische Objekt nicht wichtig, brauchen wir es nicht. Spielt es eine große Rolle, dann fliegt es auf, und die Leser zerreißen sich das Maul darüber - in so einem Fall, gerade wenn es um wenige Jahre geht, und das Ding ist wirklich wichtig für uns, müssen wir die Handlung nach hinten verlegen. Aber wenn eine Geschichte von mir 1908 spielt, oder 1921, dann bin ich an genau diese Zeit gebunden. Selbst wenn ich die Handlung vage in den 1890ern ansiedle und niemals das genau Datum nenne, sollte zumindest ich als Autor wissen, in welchem Jahr ich mich befinde, um darauf Rücksicht nehmen zu können.

Von mir aus müssen die historischen Fakten stimmen, oder der Autor soll etwas anderes schreiben.

Was das Mittelhochdeutsche angeht: Ich schreibe meine Romane auf Hochdeutsch, und darum sprechen meine Figuren Hochdeutsch. Auch, wenn der Roman in London spielt, schreibe ich die Dialoge auf Deutsch, und niemand würde jemals etwas anderes erwarten. Warum sollten Figuren in einer Zeit, in der schlichtweg eine andere Sprache gesprochen wurde, in einem deutschsprachigen Roman kein Deutsch sprechen? Anders verhält es sich mit Wortneuschöpfungen und Redewendungen innerhalb der Hochdeutschen Sprache - da nehme ich wieder Rücksicht darauf, wann sie entstanden sind und was für einen Hintergrund sie haben. Aber Hochdeutsch und Mittelhochdeutsch und Englisch und Französisch sind einfach verschiedene Sprachen.
Niemand hantiert gern ungesichert mit kritischen Massen.
Robert Gernhardt