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Starke/schwache Figuren

Begonnen von Melenis, 10. Juli 2013, 12:33:31

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Melenis

Hallöchen liebe Tintenzirkler,

ich stehe mal wieder vor einem Problem.
Ich entwerfe gerade einen Plot, und eine starke Frau soll die Hauptrolle spielen. Soweit, so gut. Jetzt stellt sich natürlich die Frage: was ist stark? Wie würdet ihr eine starke Figur entwerfen? Welche Charaktereigenschaften würdet ihr der Figur geben?

Ich persönlich wollte keine Soldatin, die jeden Mann in ihrer näheren Umkreis verschreckt; Alischa ist eine Hexe, und sie weiß, dass sie gut aussieht und sie weiß ebenfalls, was sie will. In meinen Augen macht es sie nicht schwächer, wenn sie häufig mit Männern das Bett teilt und sich auch mal feminin kleidet. Was mir aber wichtig ist: sie ist nicht abhängig von Männern. Ihr Leben macht auch ohne einen festen Partner einen Sinn (ganz im Gegenteil dazu, was uns viele Filmmacher/Autoren weismachen wollen) und deshalb bin ich mir auch noch nicht ganz sicher, ob sie in der Geschichte eine Love Story bekommen soll oder nicht.
Sie wurde nicht als Kind missbraucht oder anders misshandelt, ganz im Gegenteil, sie ist aufgewachsen in dem Glauben, dass Frauen das mächtige Geschlecht sind (da es in ihrem Dorf keine Männer gab und sie von Männern bis zu Beginn der Geschichte auch nichts wusste  :prost:)
Natürlich fehlen ihr noch Eigenschaften, und ich möchte sie ungern als die unbeliebte Zicke darstellen, oder als das sogenannte Mannsweib. Ich möchte Klischees so gut es geht vermeiden, und eine Mary Sue sowieso.
Mein größtes Problem ist natürlich ihr "Identifizierungswert". Mädels wollen keine Hauptprotagonistin mit weiblicher Figur, Selbstbewusstsein und mehreren Liebhabern sehen, das ist mir klar. Aber da frage ich mich natürlich auch, inwieweit ich mich da 'beschneiden' lasse und ob mir die Erwartungen der Leser nicht egal sind.

Wie sieht es bei euch aus? Habt ihr starke Figuren? Was für Eigenschaften besitzen sie? Was macht sie stark? Ich brauche Tipps und Inspiration, es müssen auch nicht nur Frauen sein, in der selben Geschichte steht der Powerfrau ein Superman gegenüber, der auch noch einen Feinschliff gebrauchen könnte  ;D

Dann natürlich zum nächsten Problem - wie schreibt man schwache Figuren ohne dass sie nerven? Sind schwache Figuren überhaupt erlaubt? Wie schwach können sie sein, wie stark sollten sie sein? Was zeichnet schwache/starke Figuren aus?

So, das dürfte für den Anfang mal genügen  8) Tobt euch aus! Schreibt, was euch zum Thema einfällt, auch wenn ich nicht explizit danach gefragt habe. Und danke an Maja für den tollen Männlein/Weiblein Thread im Tintenzirkel Board, der mich erst zu Alischa inspiriert hat :)

Liebe Grüße  :winke:

Runaway

Ui, das ist gar keine leichte Frage. Ich habe es mir beim Fantasyschreiben meistens leicht gemacht und meinen Mädels ein Schwert in die Hand gedrückt, eine sogar als Angehörige eines "Kriegerinnenordens" als Powerfrau legitimiert.
Zwischendrin gab's aber auch eine, die als Heilerin Power hatte. Die ist von einer alleinstehenden Frau ausgebildet worden, die ihr immer gesagt hat: Mädel, laß dich nicht unterkriegen. Hat sie auch nie. Sie hat aber, um jetzt auch deine Frage mit der Lovestory aufzugreifen, für sich beschlossen, nicht von einem Mann abhängig sein zu wollen. Sie hat sich da sehr frei gemacht und ist erst eine Beziehung eingegangen, als sie sicher sein konnte, daß der Gute sie auch unterstützt.

ZitatMädels wollen keine Hauptprotagonistin mit weiblicher Figur, Selbstbewusstsein und mehreren Liebhabern sehen, das ist mir klar.
Wieso denn das? Also ich wär ein Mädel, das so eine Prota toll fände! Also jetzt nicht die mehreren Liebhaber, aber selbstbewußt dürfen Heldinnen gern sein! Für mich darf ein Protagonist auch gern eine Art Vorbild sein, dem man nacheifert. Der muß nicht den Ist-Zustand des Lesers abbilden, sondern einen realistischen "wird vielleicht mal so"-Zustand.

Schwieriger fand ich es, für meine Thriller eine etwas andere, realistischere Heldin zu konzipieren. Ich wollte, daß sie einerseits eine ganz Liebe, Schüchterne ist, die aber andererseits Haare auf den Zähnen hat und auch gerne mal Verbrecher in flagranti angreift. Ich hab das gelöst, indem ich das einerseits geteilt habe - sie ist zwar eigentlich ein ruhiger, schüchterner Typ, aber sie ist auch gerechtigkeitsliebend. Vor allem aber dreht sie auf, wenn es um Expertise geht. Sie ist Profilerin und doziert, ohne mit der Wimper zu zucken, über Serienmörder.
Andererseits entwickelt sie sich auch. Sie beginnt schüchtern, wird aber zusehends selbstbewußter, weil sie an den Ereignissen wächst.
Vielleicht ist das eine Option für dich?

Der ihr gegenüberstehende Superman ist, von seiner Sturheit abgesehen, vielleicht manchmal zu glatt geraten. Allerdings kann sie sich gut entwickeln, als sie unter seinen Fittichen steht, weil er auf sie aufpaßt und ihr den Rücken stärkt. Übrigens geht das nicht immer glatt ab, die beiden reiben sich schon manchmal aneinander auf.

Und schwache Figuren ... na ja, kann man pauschal sagen, daß eine Figur schwach ist? Wann ist sie schwach?
Nebenfiguren sind bei mir welche, die die Protas unterstützen, mit ihnen reflektieren, ihnen Impulse geben. Oder Sidekicks. Ich komme ja nicht ohne den Pausenclown aus und laut meinen Lesern sind die auch die heimlichen Lieblinge.

Hilft das schon?

HauntingWitch

Zitat von: melenisAlischa ist eine Hexe, und sie weiß, dass sie gut aussieht und sie weiß ebenfalls, was sie will. In meinen Augen macht es sie nicht schwächer, wenn sie häufig mit Männern das Bett teilt und sich auch mal feminin kleidet. Was mir aber wichtig ist: sie ist nicht abhängig von Männern. Ihr Leben macht auch ohne einen festen Partner einen Sinn 

Aus meiner Sicht hast du hier schon sehr viele Aspekte genannt, die sie per se stark machen. Das sind aber Dinge, die man nicht festnageln kann, sondern die man als Gegenüber sozusagen spürt. Es zeigt sich teilweise in Verhaltensweisen, teilweise in Aussagen, teilweise im Auftreten (auch der Körpersprache). Ich denke, da gilt es, das bei der Umsetzung geschickt einzuweben. Kennst du denn Frauen, die ähnlich ticken? Rede mit ihnen, beobachte sie. Dann kannst du das auch im Text rüberbringen. ;)

Zitat von: melenisMädels wollen keine Hauptprotagonistin mit weiblicher Figur, Selbstbewusstsein und mehreren Liebhabern sehen, das ist mir klar.

Warum nicht? Wäre doch mal eine nette Abwechslung. Wer sagt denn, dass Frauen in Romanen nett und niedlich und ewig ihrem Obermacker treu sein müssen? Wen möchtest du denn damit ansprechen? Naive Mädchen etwa, deren ganzes Leben sich nur darum dreht, einen Mann zu beglücken und dafür beschützt zu werden? Oder doch eher starke Frauen die ihr Leben auch so im Griff haben und ganz gut auch alleine können? Erstere werden mit einer solchen Protagonistin wohl tatsächlich wenig anfangen können, letztere hingegen sich darüber freuen.

Zitat von: melenisWie sieht es bei euch aus? Habt ihr starke Figuren? Was für Eigenschaften besitzen sie? Was macht sie stark? Ich brauche Tipps und Inspiration,

Habe ich starke Figuren? Ja, mehrere, hoffentlich die meisten von ihnen. ;) Aber das ist natürlich nur meine subjektive Ansicht. Eine davon ist eine weisse Hexe, die teilweise in unserer und teilweise in einer fiktiven Welt lebt. Ihre Eigenschaften: Sie ist gutherzig, loyal, mutig, kann sich wehren, aber auch Schwäche zeigen. Sie kann aber auch sehr stur, teilweise rücksichtslos und manchmal sogar furchterregend sein. Ausserdem kämpft sie für eine bestimmte Sache, an die sie glaubt. Was ihre Seele stärkt, ist ihr Glaube und ihre Überzeugung.

Ich denke, es sind zwei wesentliche Punkte: Zum einen zu wissen, warum der Charakter sich selbst stark fühlt bzw. wodurch er stark wird. Das können ja auch andere Dinge sein, bei einem meiner männlichen Protagonisten sind es z.B. seine Freunde, die ihm Kraft geben. Einer der Nebenfiguren, sucht und braucht einfach den Kick der Herausforderung. Das treibt ihn an. Weiss man diese Dinge einmal, kann man als Autor ebendiese Stärken auch herauskitzeln und damit experimentieren.

(Frage mich gerade, was passiert, wenn man ihnen das nimmt, wie sie reagieren würden...)

Ausserdem kommt es auf die Art und Weise an, wie es dargestellt wird. Nehmen wir z.B. eine Frau, die von ihrem Mann geschlagen wird und sich wehrt. Sagt sie ihm fast flüsternd die Meinung, dass ihm alleine von ihrem Tonfall Angst und Bange wird? Oder schreit sie ihn heulend an, er solle doch bitte aufhören? Je nachdem wirkt sie eher stark oder eher schwach.

Zitat von: melenisDann natürlich zum nächsten Problem - wie schreibt man schwache Figuren ohne dass sie nerven? Sind schwache Figuren überhaupt erlaubt? Wie schwach können sie sein, wie stark sollten sie sein? Was zeichnet schwache/starke Figuren aus?

Gute Frage. Erlaubt sind sie auf jeden Fall, fast alles ist erlaubt. Warum sollte man sich auch etwas verbieten lassen? Wie man sie ,,richtig" schreibt, ganz ehrlich, keine Ahnung. Aber ich habe einige Gedanken zu ihrem Wesen.

Erstens ist sicher ein wichtiger Punkt, worin die Schwäche besteht. Ist die Figur körperlich schwach oder seelisch schwach? Warum ist das so und wie geht sie damit um? Meine letzte NaNo-Protagonistin z.B. ist eine ,,schwache Frau" in dem Sinn. Aber das liegt einfach an ihrer Erziehung und der Zeit, in der sie lebt. Stärke ist ihr gar nicht erlaubt, das kennt sie gar nicht, also macht sie sich nie Gedanken darüber. Deshalb ist sie natürlich sehr von den Leuten in ihrer Umgebung abhängig und vermag sich nicht richtig zu wehren. Interessant finde ich sie trotzdem, also schreibe ich sie.

Zweitens ist das meiner Meinung nach die zentrale Frage bei jeder Figur, egal wie stark oder schwach: Ist diese Figur überhaupt interessant? Will man mehr über sie erfahren, will man ihre Geschichte überhaupt lesen? Will/kann man sich in sie hineinversetzen und mit ihr fühlen? Denn das ist auf jeden Fall eine Grundvoraussetzung.

ZitatDer muß nicht den Ist-Zustand des Lesers abbilden, sondern einen realistischen "wird vielleicht mal so"-Zustand.

Selbst das nicht unbedingt. Ich denke gerade an Lestat de Lioncourt aus Anne Rice' Vampirchroniken. Im Grunde ist er ja ein ganz schrecklicher Flegel, jemand mit dem man weder zu tun haben möchte noch so sein möchte wie er. Trotzdem lieben ihn die Fans wie keinen anderen Protagonisten. Warum? Da gibt es bestimmt verschiedene Gründe, aber die jetzt auszubreiten, würde den Rahmen vermutlich sprengen. ;)

Das ist jetzt ein langer Text, ich hoffe, er war wenigstens etwas aufschlussreich.

Sanjani

Hallo,

das ist eine sehr schwierige Frage, stelle ich gerade fest, und ich müsste länger darüber nachdenken, was für mich einen starken Charakter ausmacht. Zwei Dinge sind für mich wichtig:

1. Die Person hat Entwicklungspotential, d. h. auch wenn sie vllt anfangs schwach ist, erkennt sie im Lauf der Geschichte, welche Änderung ihr gut tun würde und wächst an ihren Aufgaben.

2. Die Figur ist kein Extrem und sollte möglichst eine Person mit Stärken und Schwächen sein. Gerade wenn man Frauen hat, die von Männern unabhängig sein wollen, finde ich, besteht die Gefahr, dass sie in das andere Extremr rutschen: Ich brauche keinen Mann, weil ich auch ohne Männer stark bin. Und so etwas finde ich dann wieder irgendwie gestört und das zeugt für mich nicht von Stärke. Ich finde eine Figur auch ohne Mann dann stark, wenn sie, sofern nötig oder gewünscht, Nähe und Abhängigkeit zulassen kann, weil sie weiß, dass sie ansonsten in der Regel auf sich selbst aufpassen und unabhängig sein kann.

Ansonsten wären mir dann noch Eigenschaften wichtig wie gesunde Moral, Ehrlichkeit, nicht bestechlich sein, Sinn für Gerechtigkeit, aber das ist variabel und kommt auf die Figur drauf an.

LG Sanjani
Die einzige blinde Kuh im Tintenzirkel :)

Dämmerungshexe

hrm ... bei dem Thema "Ich bin eine starke Frau - ich brauche keinen Mann" fällt mir ein Reihe von youtube-Videos ein, in denen eine Studentin sexistische Muster in Mainstream-Medien untersucht. Dabei meint sie auch einmal zu dem Lied "all I want for christmas is you" dass das ja unheimlich sexistisch sei, weil es aussagt, dass eine Frau unbedingt einen Mann braucht um vollständig zu sein. Ich persönlich würde es eher so interpretieren: "Ich brauche die große Liebe um vollständig zu sein". (Hätte mich ja interessiert wie die Kritik ausgefallen wäre, wenn die Sängerin tatsächlich lesbisch gewesen wäre und den Song für ihre Geliebte geschrieben hätte ...)

Ich glaube das ist auch das, was mich an den meisten "starken" Frauen in Geschichten stört oder zumindest irritiert: ihr Stärke wird immer irgendwie über ihre Unabhängigkeit von Männern ausgedrückt, anstatt aus ihnen und ihren Fähigkeiten heraus definiert zu werden. DAS ist für mich sexistisch.

Wenn ich also eine "starke" Frau beschreiben möchte, versuche ich immer mich gar nicht drum zu kümmern was sie jetzt von Männern an sich hält oder wie sie im Vergleich zu Männern abschneidet (Kampf, Stärke, Intelligenz, ...). Für mich ist eine Figur dann stark wenn sie ihre Ziele kennt und diese unbeirrt verfolgt, aber auch bereit ist die eigenen Handlungsweisen zu reflektieren und zu ändern wenn nötig. Und diese Kriterien gelten sowohl für Frauen, als auch für Männer. Durchsetzungsvermögen wäre ebenfalls eine Form von Stärke. Aber gerade in dem Zusammenhang wird ein weiblicher Protagonist gerade dann als besonders "stark" angesehen wenn sie sich eben gegen Männer durchsetzen kann.

Ein Beispiel für eine "starke Frau" bei mir wäre meine Halbelfen-Kopfgeldjägerin:
Sie ist eine Führungsperson, kann aber auch zurückstecken wenn es sinnvoll ist (fällt ihr aber nicht leicht).
Sie weiß wo ihre Stärken (Intelligenz und Geschicklichkeit) und ihre Schwächen (körperliche Kraft und Ungeduld) liegen.
Sie lässt sich gerne mal mit Männern ein wenn sie ihr gefallen, hat aber bisher keinen "Partner" in dem Sinne. (Im Laufe der Geschichte findet sie einen, wobei die Beziehung von großen Spannungen geprägt ist und nie ganz klar wird ob es eher eine Zweckgemeinschaft ist.)
Viele ihrer Eigenschaften und Charakterzüge sind auf ihre Kindheit und Jugend zurückzuführen, die alles andere als leicht war, was auch mit ihrer "Halbblut"-Abstammung zusammenhängt.

Ich mag diesen Charakter weil es auf den ersten Blick eine "Powerfrau" ist die ordentlich zulangen, verschlagen und teilweise auch grausam sein kann. Aber hinter all dem ist sei auch sehr verletzlich und lernt auch diese Seite zu zeigen und ihre Probleme zu überwinden oder sogar zu ihrem Vorteil einzusetzen.


PS: dass Mädels keine "Powerfrauen mit Selbstbewusstsein und mehreren Liebhabern sehen wollen" würde ich gerne als Gerücht abtun - ich weiß aber, dass Frauen weiblichen Figuren die auch schonmal mit verschiedenen Männern ins Bett gehen immer skeptisch gegenüber stehen - ist für mich eine Moralvorstellung einer Männer-zentrierten Gesellschaft (wie wir sie ja über Jahrhunderte hinweg hatten) - Frauen haben bei "ihrem" Mann zu bleiben, während Männer sich gerne mal umschauen dürfen was sonst noch so am Markt ist (hat natürlich auch biologisch-instinktive Gründe ...).
Mich stört es inzwischen nicht mehr wirklich, solange ich sehe, dass die Frauen das wirklich selbst wollen und Spaß dran haben. Wie sonst soll man die große Liebe finden? (Wenn nicht gerade Mister-Super-Vampir-Lover-"ich respektiere dich und kann deswegen nicht mit dir schlafen oder dich irgendetwas selbstständig entscheiden lassen"-Boy vorbeikommt :P )
,,So basically the rule for writing a fantasy novel is: if it would look totally sweet airbrushed on the side of a van, it'll make a good fantasy novel." Questionable Content - J. Jacques

Grey

Ich denke, es ist die falsche Herangehensweise, eine Figur, ob männlich oder weiblich, auf Teufel komm raus als "stark" darstellen zu wollen. Die Klischeefalle ist mir da viel zu groß, und meist kommen doch nur die gleichen Stereotypen dabei heraus, die ich sowohl bei Heldinnen als auch bei Helden oft als furchtbar konstruiert empfinde. Meines Erachtens ist es vor allem wichtig, dass die Figur einen individuellen Charakter hat, und dass sie nicht passiv ist. Sie nehmen das Geschehen selbst in die Hand und bringen so die Geschichte voran, auch wenn sie in schwierigen Situationen stecken, und brauchen keinen Gegenpart, der alles für sie erledigt. Wie sich das im Detail aussieht, liegt ganz an der jeweiligen Geschichte, und ich will damit auch nicht sagen, dass eine starke Figur nicht auch mal Hilfe brauchen und annehmen darf. Aber nach meiner Erfahrung ist ein starker Charakter immer einer, der die Initiative ergreift, wohingegen die schwachen eben eher passiv sind. Zwischenformen gibt es da natürlich unendlich viele, und eine Entwicklung vom einen zum anderen Typ ist auch immer spannend. Aber wenn eine Figur schon stark beginnen soll, dann darf sie alles sein - nur nicht passiv. So sehe ich das zumindest.

HauntingWitch

Zitat von: Sanjani am 10. Juli 2013, 21:16:42
Ich brauche keinen Mann, weil ich auch ohne Männer stark bin. Und so etwas finde ich dann wieder irgendwie gestört und das zeugt für mich nicht von Stärke. Ich finde eine Figur auch ohne Mann dann stark, wenn sie, sofern nötig oder gewünscht, Nähe und Abhängigkeit zulassen kann, weil sie weiß, dass sie ansonsten in der Regel auf sich selbst aufpassen und unabhängig sein kann.

Da widersprichst du dir nun aber. Denn, wenn es nicht nötig oder gewünscht ist (was durchaus vorkommt), hast du genau diese Frau, die sagt: Ich brauche keinen Mann, ich bin auch ohne glücklich. Und warum sollte sie das auch nicht sein? Es gibt ja auch Frauen, die aufgrund von schlechten Erfahrungen irgendwann zu machen und beschliessen, alleine zu leben. Oder solche, die ganz gut mit einem Akkuschrauber umgehen können und schon mal eine gute Freundin beim Umzug um Hilfe bitten, statt einen Mann. Ich finde nicht, dass das krank ist oder so, es ist einfach eine Art zu leben. Wie es auch eine Art zu leben ist, sich ganz der Familie und der Hingabe für einen Mann zu widmen. (Ich hoffe, das ist jetzt nicht zu sehr OT.)

ZitatIch glaube das ist auch das, was mich an den meisten "starken" Frauen in Geschichten stört oder zumindest irritiert: ihr Stärke wird immer irgendwie über ihre Unabhängigkeit von Männern ausgedrückt, anstatt aus ihnen und ihren Fähigkeiten heraus definiert zu werden. DAS ist für mich sexistisch.

Vorweg: Dem stimme ich zu. Aber viele Autoren scheinen das für die entweder einfachste oder richtigste Lösung zu halten. Und der direkte Vergleich bzw. Situationen mit Männern machen es natürlich auch sehr, sehr deutlich. Ich glaube, so etwas in die eine oder andere Szene einzubringen, einfach um die Stärke noch mehr zu betonen, ist auch durchaus in Ordnung, wenn man es ansonsten hauptsächlich anders rüberbringt.

Sanjani

Hallo Witch,

Zitat von: HauntingWitch am 11. Juli 2013, 15:45:13
Da widersprichst du dir nun aber. Denn, wenn es nicht nötig oder gewünscht ist (was durchaus vorkommt), hast du genau diese Frau, die sagt: Ich brauche keinen Mann, ich bin auch ohne glücklich. Und warum sollte sie das auch nicht sein? Es gibt ja auch Frauen, die aufgrund von schlechten Erfahrungen irgendwann zu machen und beschliessen, alleine zu leben.

Genau das ist für mich aber gerade nicht stark bzw. kein Zeichen für einen starken Protagonisten (was nicht heißt, dass ich es automatisch schwach fände) und es ist auch kein Widerspruch. Es ist das Mittelmaß, nach dem ich suche. Ich bin eine Frau, die alleine gut zurecht kommt, aber wenn sie die große Liebe findet, bei der sie sich auch mal schwach und abhängig zeigen darf (oder vllt auch mal muss, wenn die Situation es verlangt), dann tut sie das gerne und sagt nicht: Nö, ich nehm dich nur, solange ich meinen absoluten Freiraum habe und eigentlich brauche ich dich auch nicht. Eine starke Protagonistin wäre für mich so eine, die anfangs vllt wegen schlechter Erfahrungen zumacht, die aber im Laufe der Zeit wieder Nähe zulassen kann, was dann aber eher in die Richtung geht, dass sie etwas wagt, weil ihr die Sache wichtig genug ist.

Das ist ein bisschen schwer zu beschreiben, stelle ich gerade fest :)

LG Sanjani
Die einzige blinde Kuh im Tintenzirkel :)

HauntingWitch

#8
Ach so, jetzt verstehe ich es besser. Ja, es kam auch etwas forsch rüber, wenn ich das mal so ganz offen sagen darf. ;) Ich kenne einfach viele Frauen, die ganz gut ohne Mann leben - was natürlich aber nicht heisst, dass sie keinen wollen.

Was ich dann aber wiederum auch ein Zeichen von Schwäche fände, wäre die extreme Form von "sich abhängig zeigen" und tatsächlich abhängig sein. Wenn die Protagonistin nun ihrem Mann völlig unterwürfig ist und völlig die Orientierung verliert, wenn er sie verlässt. Das wiederum hängt allerdings auch mit der Zeit zusammen, in der die Geschichte spielt, früher war das ja sogar oft der Normalfall. Ich frage mich gerade, wie man wohl eine starke Frau in einer solchen Zeit darstellen könnte...  :hmmm:

Sanjani

Hallo,

Zitat von: HauntingWitch am 11. Juli 2013, 16:55:00
Ja, es kam auch etwas forsch rüber, wenn ich das mal so ganz offen sagen darf. ;)

Hehe, war aber gar nicht so gemeint, nur offenbar ein etwas missglückter Versuch mich verständlich zu machen :)

Zitat
Was ich dann aber wiederum auch ein Zeichen von Schwäche fände, wäre die extreme Form von "sich abhängig zeigen" und tatsächlich abhängig sein. Wenn die Protagonistin nun ihrem Mann völlig unterwürfig ist und völlig die Orientierung verliert, wenn er sie verlässt. Das wiederum hängt allerdings auch mit der Zeit zusammen, in der die Geschichte spielt, früher war das ja sogar oft der Normalfall. Ich frage mich gerade, wie man wohl eine starke Frau in einer solchen Zeit darstellen könnte...  :hmmm:

Ich stimme dir da voll zu bzgl. Extremform von Abhängigkeit. Gestern Abend habe ich auch mal kurz über Stärke in unterschiedlichen Jahrhunderten nachgedacht. Ich finde, es gibt oft Bücher über Frauen aus dem Mittelalter oder der Rennaissance oder der Neuzeit und die werden oft so dargestellt, wie man sie vielleicht heute als stark bezeichnen würde. Frauen, die für ihre Freiheit kämpfen, für ein Studium an der Uni o. ä. und manchmal frage ich mich, ob die Frauen damals das auch als stark angesehen hätten. Ich fürchte fast, wir können gar nicht anders als das, was wir heute für stark halten, auch auf andere Zeitalter zu übertragen. Aber das ist nur so eine Vermutung von mir, mit der ich auch völlig falsch liegen könnte.

LG Sanjani
Die einzige blinde Kuh im Tintenzirkel :)

Churke

Zitat von: Dämmerungshexe am 11. Juli 2013, 13:15:55
Ich glaube das ist auch das, was mich an den meisten "starken" Frauen in Geschichten stört oder zumindest irritiert: ihr Stärke wird immer irgendwie über ihre Unabhängigkeit von Männern ausgedrückt, anstatt aus ihnen und ihren Fähigkeiten heraus definiert zu werden. DAS ist für mich sexistisch.

In einer patriarchalischen Gesellschaft definiert sich eine starke Frau nun mal über die Unabhängigkeit von Männern.


Überhaupt unterscheidet sich eine starke von einer schwachen Figur dadurch, dass sie sich aufgrund innerer Überzeugungen gegen ihr Umfeld auflehnt. Der Schwache ist ein Mitläufer, der Starke ein Rebell. Dabei kann es durchaus sein, dass zum Davonlaufen mehr Mut und Stärke gehören als zum "Heldentum".

zDatze

#11
Zitat von: Melenis am 10. Juli 2013, 12:33:31
Wie sieht es bei euch aus? Habt ihr starke Figuren? Was für Eigenschaften besitzen sie? Was macht sie stark? Ich brauche Tipps und Inspiration, es müssen auch nicht nur Frauen sein, in der selben Geschichte steht der Powerfrau ein Superman gegenüber, der auch noch einen Feinschliff gebrauchen könnte  ;D
Was meine Figuren stark oder schwach macht, würde ich nicht einfach auf Eigenschaften hinunterbrechen, denn jede Eigenschaft kann abhängig von der Situation als Stärke oder als Schwäche ausgelegt werden. Ob die Figur einen starken oder schwachen Eindruck hinterlässt, kommt wohl eher darauf an, welche Entscheidungsie für sich (und auch andere) fällt und welche Handlungen daraus resultieren.
Eine Figur, die sich trotz offensichtlicher Konsequenzen dafür entscheidet an der Seite eines Freundes zu stehen, wird (nehme ich mal an) als tapfer und stark wahrgenommen, obwohl sie vielleicht eine dumme Entscheidung fällt. Vielleicht kommt es aber auch darauf an solche Zwickmühlen für seine Figuren zu schaffen. Es wird ja erst wirklich interessant, wenn man seine Figuren vor Entscheidungen stellt, die sie innerlich zerreißt, egal, wie sie sich entscheidet.

Zitat von: Melenis am 10. Juli 2013, 12:33:31
Dann natürlich zum nächsten Problem - wie schreibt man schwache Figuren ohne dass sie nerven? Sind schwache Figuren überhaupt erlaubt? Wie schwach können sie sein, wie stark sollten sie sein? Was zeichnet schwache/starke Figuren aus?
Es spricht an sich nichts gegen schwache Figuren, nur bitte keine klischeehaften Langweiler. ;)
Ich finde, schwache Figuren sollten in einer Geschichte nicht fehlen. Sie haben ein enormes Entwicklungspotential, warum sollte man das nicht nutzen? Wenn jemand jahrelang nur im Schatten einer starken Figur stand, wirkt es doch gleich viel imposanter, wenn sie sich aus dieser niederen Situation hinaushievt und auch mal etwas vom Ruhm abbekommt.

Churke

Zitat von: zDatze am 12. Juli 2013, 00:18:48
Ich finde, schwache Figuren sollten in einer Geschichte nicht fehlen. Sie haben ein enormes Entwicklungspotential, warum sollte man das nicht nutzen? Wenn jemand jahrelang nur im Schatten einer starken Figur stand, wirkt es doch gleich viel imposanter, wenn sie sich aus dieser niederen Situation hinaushievt und auch mal etwas vom Ruhm abbekommt.

Aber ist sie dann noch schwach? Eine Figur mag im Schatten stehen, sie mag auch gerne anderen das Handeln überlassen. Doch irgendwann kommt der Punkt, an dem die Scheinwerfer auf sie gerichtet sind und es zum Schwur kommt.

Ich möchte Schwächlinge nicht als Hauptpersonen sehen. Aber sie sind hochgradig menschlich, weil sie immer den einfachen Weg gehen, den des geringsten Widerstandes. Geschichten gewinnen dadurch an Realismus.


Zitat von: Melenis am 10. Juli 2013, 12:33:31
Wie sieht es bei euch aus? Habt ihr starke Figuren? Was für Eigenschaften besitzen sie? Was macht sie stark? Ich brauche Tipps und Inspiration, es müssen auch nicht nur Frauen sein, in der selben Geschichte steht der Powerfrau ein Superman gegenüber, der auch noch einen Feinschliff gebrauchen könnte  ;D

Teodenantha die Schändliche ist die blonde Drachenmeisterin. Sie fliegt auf einem Drachen, ihren Bogen kann kein Mann ausziehen und sie hat geschworen, jeden (Kreuz-)Ritter zu töten. Sie plündert nie, sondern zieht jedem erschlagenen Ritter nur den Ring vom Finger. Die Ringe sammelt sie als Trophäen in einem Säckchen. Teodenantha dient der tausend Jahre alten Hexenkönigin und will deren Heermeisterin werdein. Man hat ihr erzählt, dass ihre Eltern von Kreuzrittern getötet wurden. Ihre blonden Haare geben Anlass zu Gerüchten, schließlich haben blonde Haare nur Kreuzritter. Wer Behauptungen verbreitet, dass ihre Mutter eine Hure gewesen sei, den/die fordert sie zum Duell. Besonders, wenn es sich bei der Verleumderin um eine lästige Rivalin handelt und Alkohol im Spiel ist.

Als Lohn für ihre Dienste bekommt sie einen neuen Sklaven: Baldered. Baldered ist ein Ordensritter (sie hat ihn selbst gefangen) und phänomenaler Schwertkämpfer. Baldered ist der Perspektivträger und HASST seine Herrin, obwohl ihm seine Mitsklaven tagein, tagaus vorflöten, welches Glück er habe, der edlen Teodenantha dienen zu dürfen. Dafür macht er ihr alles kaputt. Teodenantha sehnt sich nach der ganz großen Liebe (TM) - Pech, das Baldered ihren Traummann, einen unermesslich reichen Adligen, verprügelt, weil er ihn für einen Attentäter hält.   

Sexuell läuft natürlich nichts...

zDatze

Zitat von: Churke am 12. Juli 2013, 12:16:07
Aber ist sie dann noch schwach? Eine Figur mag im Schatten stehen, sie mag auch gerne anderen das Handeln überlassen. Doch irgendwann kommt der Punkt, an dem die Scheinwerfer auf sie gerichtet sind und es zum Schwur kommt.
Gegenfrage: Muss eine Figur schwach bleiben, nur weil sie anfangs schwach dargestellt wurde?
Es muss ja nicht gleich die Rettung der Welt sein oder eine ähnlich hochtrabende Heldentat. Im (fiktionalen) Alltag ergeben sich doch auch Gelegenheiten mutig zu handeln und da kann  eine Kleinigkeit durchaus den Verlauf der Geschichte maßgebend beeinflussen.

Leann

Stärke und Schwäche liegt auch immer im Auge des Betrachters und kann von Kultur zu Kultur oder auch je nach Zeitalter völlig unterschiedlich sein, da stimme ich Sanjani zu. Wenn eine Figur im Kontext ihrer Kultur und Zeit das tut, was als erstrebenswert und mutig angesehen wird, dann wird sie gemeinhin als stark gelten.
Lebendige und vielschichtige Figuren sollten meiner Meinung nach sowohl starke als auch schwache Seiten haben, wie im echten Leben. Niemand ist immer und in jeder Situation stark.
Interessant finde ich auch, dass sogar das, was von den anderen als Schwäche angesehen wird, sich später als Stärke herausstellen kann. So kann z.B. eine Figur empathisch begabt sein und dadurch übersensibel, was dieser Figur zunächst als "schwach" ausgelegt wird. Später kann sich jedoch gerade diese Sensibilität als starker Trumpf erweisen und den allgemein von anderen Figuren als stark angesehen Eigenschaften (Körperkraft, Aggressivität, Dominanz etc.) überlegen sein.