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Nein, so ein Zufall aber auch...

Begonnen von Feuertraum, 29. Mai 2013, 21:15:33

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Feuertraum

Wir kennen das ganze doch aus wahnsinnig vielen Büchern und Filmen: Kurz bevor dem Protagonisten etwas passiert, passiert zufällig etwas, dass ihn aus der schlimmsten Bedriollie herausholt (bzw. die Situation ein wenig dramatisiert.)
Hin und wieder spöttele ich ein wenig über diese "Zufälle", erst neulich wieder bei einem Film, bei dem etwas eintraf, was unter den gegebenen - normalen - Umständen nie wirklich passiert wäre.
Doch dann fiel mir ein "Plädoyer für den Zufall" ein, ein Blogeintrag (? Ich weiß es wirklich nicht mehr), in dem der Zufall in Schutz genommen wurde, da man durch ihn - deus ex machina ähnlich - die Figur in die absurdesten, verrücktesten, gefährlichsten Situationen bringen kann...
...um sie letztendlich doch ungeschoren davonkommen zu lassen

Wie sehen Sie das mit dem Zufall? Spielt er in Ihren Geschichten und Romanen eine große Rolle? Oder nutzen Sie ihn nur hin und wieder? Oder ist es gar umgekehrt, dass Sie gar nichts dem Zufall überlassen und jede Szene so planen und schreiben, dass nichts, wirklich nichts, unlogisch erscheint?

LG
Feuertraum
Was hat eigentlich He-Man studiert, dass er einen Master of the universe hat?

Sanjani

Hallo Feuertraum,

ehrlich gesagt kann ich über meine Geschichten gar nichts Konkretes sagen, weil ich mir nicht sicher bin, wie viel ich dem Zufall überlasse. Ich versuche i. d. R. schon meinen Plot so zu gestalten, dass der Zufall nicht allzu offensichtlich wird, selbst wenn ich ihn mal brauche. Ich denke, man kann das auch machen, wenn es irgendwie Sinn für die Geschichte ergibt. Also, wenn ich z. B. einen neuen Charakter einführe, der dem Prota aus der Patsche hilft, dann müssen dessen Motive plausibel sein und er muss im weiteren Verlauf irgendwie wichtig sein und sollte nicht einfach wieder verschwinden. Im wahren Leben gibt es ja auch manchmal Zufälle, wo man denkt, das kann es eigentlch gar nicht geben. Aber es gibt auch Bücher, wo immer wieder dasselbe Schema bedient wird - Prota kommt in eine eigentlich völlig ausweglose Situation und dann passiert etwas total Abstruses und er kommt doch noch aus der Schlinge. Einmal ist das für mich ok, zweimal wird kritisch, dreimal ist ein absolutes No-go.

Kurz gesagt: Hin und wieder Zufall ist für mich in Ordnung, aber sollte durchdacht sein, und zu viel davon geht für mich nicht.

Das mal mein Senf dazu.

LG Sanjani
Die einzige blinde Kuh im Tintenzirkel :)

Zurvan

Zufälle sind bis zu einem gewissen Grad völlig in Ordnung.
Wenn es aber zu einer Verkettung von Zufällen führt, die alle schlichtweg für den Charakter vorteilhaft sind, dann verliere ich den Spaß an der Geschichte. Mal einen reinzubringen ist völlig in Ordnung, solange auch genug negative Zufälle dabei sind.

Nehmen wir an, wir würden alle Zufälle verbannen. Die Spannung wäre in schwierigen Situationen von vornherein nicht mehr vorhanden, da wir wissen, der CHarakter wird es nicht überleben. So gibt es die Möglichkeit der "göttlichen Fügung" - oder er stirbt.

Allerdings muss ich sagen, dass ich keine Zufälle mag, deren Wahrscheinlichkeit so gering ist, dass man sich fragt, was gerade passiert ist. Keine herabregnenden Klaviere also.

Ich selbst habe auch einen großen Zufall in meinem aktuellen Projekt verarbeitet. Ein Charakter trifft nach knapp 500 Jahren einen alten Bekannten wieder. Wieso nicht? Ob das wirklich Vorteilhaft ist, zeigt sich erst im Laufe der Geschichte.

Churke

Der "Zufall" ist kein wirklicher Zufall, sondern folgt der inneren Logik des Plots. Damit meine ich, dass man sich als Autor etwas dabei denkt und nicht auf den Zufall zurück greift, weil einem nichts anderes einfällt.

HauntingWitch


Feuertraum

Guten Morgen!

Danke ersteinmal für die Antworten.

@ HW: In dem verlinkten Thread geht es um Zufallsbegegnungen.
Ich beziehe mich aber eher auf den Zufall, der den Held in die Choose reitet bzw. diesen auf einer arg brenzligen Situation errettet.

@ Zurvan: Das mit dem herunterfallenden Klavier finde ich auch etwas sehr übertrieben. Das passiert schon eher durch herunterfallende Orgeln... ;D
Aber Scherz beiseite.
Was mich manchmal ein wenig ärgert ist der Punkt, dass [erfundenes Szenario] der Prota von einem mit einer Pistole bewaffneten Killer verfolgt wird, und kurz bevor der Mörder den tödlichen Schuss abgeben kann, wird dieser überfahren (oder selber erschossen oder so).
Oder - um beim Beispiel mit dem Auto zu bleiben- Prota wird verfolgt, und kurz bevor man ihn erwischt, kommt sein Compaignon mit dem Auto, so dass es sich mittels eines enormen Satzes in das Gefährt retten und somit seinen Verfolgern haarscharf entrinnen kann.
Und da stellt sich mir die Frage, ob das einfach nur Bequemlichkeit des Autors ist. Und ob es nicht die Pflicht jedes Autors sein sollte, ein Szenario zu erstellen, aus dass der Prota ohne solchen Zufälle wieder herauskommt.
Was hat eigentlich He-Man studiert, dass er einen Master of the universe hat?

HauntingWitch

@FT: Das war mir schon klar, aber für mich verfliest das teilweise ineinander. Deshalb dachte ich, es bringt vielleicht auch anderen etwas.  :winke:

Ich sehe das einfach so, wie ich schon bei den Begegnungen geschildert habe: Natürlich sollte es nicht "erzeugt" wirken. Aber man schaue um sich, wie viele vermeintlich unglaubliche Zufälle im Leben wirklich passieren. Es sind mehr, als man denkt.

Zitat von: Feuertraum am 31. Mai 2013, 06:39:50
Und ob es nicht die Pflicht jedes Autors sein sollte, ein Szenario zu erstellen, aus dass der Prota ohne solchen Zufälle wieder herauskommt.

Ist das dann noch spannend? Ich meine, wenn man die ganze Zeit weiss, dass er es sowieso überlebt... Das ist wie bei Actionserien. Da gibt es die krassesten Szenen mit den verkapptesten Situationen und man ist völlig sicher: Die können das nicht überleben. Aber ach nein, man weiss ja, dass sie überleben werden, schliesslich sind sie die Actionhelden. Wirklich gut finde ich solche Szenen dann, wenn ich als Zuschauer/Leser tatsächlich um meinen Helden bange und nicht einfach davon ausgehen kann, dass er in der nächsten Folge/dem nächsten Band wieder mit dabei ist.

Runaway

Wenn ich auf schicksalsträchtige Zufälle zurückgreife, dann nur, wenn es nicht anders geht. Denn Zufälle kategorisch auszuschließen wär ja nun auch wieder Quatsch. Ich versuche aber tunlichst, niemals das Gefühl beim Leser aufkommen zu lassen à la "das war ja nun wieder klar, was für ein blöder Zufall"!
Ich hab grad eine Weile überlegt, wo ich den blöden Zufall überhaupt benutze, und da das schon eine Weile gedauert hat, war ich eigentlich ganz zufrieden ;) Es gibt sie durchaus und ich würde die Zufälle auch nicht verteufeln, aber eine schicke Lösung ist natürlich meist eine andere.

Sven

Für mich sind Zufälle okay, wenn sie die Situation verschlimmern. Wenn sie etwas verbesser, sind sie ein "no go". Der Prota soll sich aus schlimmen Situationen gefälligst selbst befreien (es sei denn natürlich, es gehört zum Plot, dass er nichts kann und absolut vom Glück abhängig ist).
Beste Grüße,
Sven

RockSheep

Also ich glaube einig sind wir uns alle darin, dass zu viele Zufälle einfach nur noch langweilig wirken und den Leser auch irgendwie etwas veräppeln.
Ich finde aber auch, dass der Zufall eine Daseinsberechtigung hat, denn sind wir ehrlich: Es gibt nun mal Zufälle, auch im richtigen Leben. Wäre dann ja fies diese dem Prota zu verweigern ;)
Ich versuche durchaus, immer eine plausible Erklärung für vermeintliche Zufälle zu finden und sie dem Lesen zu präsentieren. Dies ist aber schlicht und einfach nicht immer möglich. Und eine spannende Szene streichen, nur weil ein Zufallselement darin vorkommt, finde ich dann auch irgendwie schade.
Das wichtigste ist einfach, dass der Leser nicht das Gefühl bekommt, die Geschichte wird nur durch Zufälle vorwärts getrieben.


PS: Dieses Thema hat mich gerade wieder daran erinnert, dass ich noch eine Szene einfügen muss, um genau so ein Zufall zu erklären. Ich weiss schon seit langem, dass es sie braucht, aber ich vergess immer, sie zu schreiben. *g*



Sanjani

@Sven: Diese Logik verstehe ich nicht. Wieso gut, wenn es die Situation verschlimmert, aber nicht gut, wenn es sie verbessert? Das klingt für mich recht unrealistisch. Man nehme z. B. ein Unwetter. In einem Fall könnte es die Situation verschlechtern, z. B. Gefangener am Baum gefesselt wird klatschnass, unterkühlt sich, bekommt ne Lungenentzündung. Im anderen Fall könnte es die Situation verbessern, z. B. viel Regen führt zu Matsch, was die Verfolger ausbremst. Das erste wäre dann gut, das zweite schlecht oder wie? Im realen Leben gibt es ja auch nicht nur die schlechten Zufälle. Kannst du mir das erklären? ^^

LG Sanjani
Die einzige blinde Kuh im Tintenzirkel :)

Thaliope

#11
@Sanjani: Da ich das ähnlich sehe wie Sven, versuche ich mich auch mal an einer Erklärung.
Ich glaube, dass es in Geschichten in der Regel oft darum geht, dass sich ein Held aus einer misslichen Lage befreit, und zwar aus eigener Kraft. Wir wollen lesen, wie er das schafft. Das ist jetzt ziemlich vereinfacht ausgedrückt, und natürlich gibt es auch andere Beispiele, aber im Allgemeinen dürfte das das Grundkonzept vieler Geschichten sein.
Zur Entstehung der misslichen Lage darf dann gern der Zufall eine Rolle spielen, damti eine nicht alltägliche Situation entsteht. Aber wenn der Held aus einer schier ausweglosen Lagen nur durch den Zufall gerettet wird, ist das für den Leser eben eine ganz bestimmte Aussage. Es gibt große Werke in der Literatur, in der genau das passiert und der sogenannte Deus ex Macchina eingreift, aber da soll es (laut der Literaturwissenschaft ;)) die Unauflösbarkeit der Lage hervorheben. Wäre das allerdings die Regel, gerade bei unterhaltender Literatur, würde sich der Leser wohl schnell langweilen. Ich glaube, die meisten Leser wollen eine Geschichte, in der die Hauptfigur kämpft (ob nun körperlich, geistig oder emotional) und dann siegt oder verliert, und nicht durch einen Zufall gerettet wird.

Dass in einzelnen, kleinen Situationen durchaus auch Zufälle zur Verbesserung der Situation beitragen dürfen, bleibt davon natürlich unberührt, trotzdem glaube ich, dass es in der Gesamtwirkung in die andere Richtung gehen sollte. "Der hat aber auch immer ein Pech", macht neugieriger auf die Lösung des Konflikts als "der hat aber auch immer ein Glück ..." Verstehst du, was ich meine?

Und @HauntingWitch: Ein ganz großartiges Beispiel dafür, wie sehr man mitfiebern kann, obwohl man weiß, das die Figur eh nicht überlebt, war für mich eine Verfilmung von Romeo und Julia aus den späten 90ern. Ich weiß noch, wie ich damals im Kino gesessen und an den Nägeln kauend gedacht habe: Bitte, lass ihn den Brief rechtzeitig finden, bitte!! Das war schon ziemlich gut gemacht :) Ich glaube, dass eine Geschichte einfach so gut erzählt sein muss, dass man das Konstrukt, das notwenidgerweise immer dahintersteckt, einfach vergisst.
Und die Aussage, dass die Situation so geschaffen sein muss, dass sich der Held aus eigener Kraft daraus befreien kann, beinhaltet ja nicht, dass das für den Leser von vorneherein ersichtlich ist. Der muss natürlich denken: Das schafft er nie, um Himmels Willen, wie soll das gehen? Aber wenn der Held dann eine Lösung findet, die schon in der Entwicklung des Romans angelegt ist, die man eben vorher nur noch nicht gesehen hat - dann ist eine Geschichte für mich besonders gelungen.

LG
Thali

Sven

#12
Zitat von: Thaliope am 31. Mai 2013, 11:34:58
Ich glaube, die meisten Leser wollen eine Geschichte, in der die Hauptfigur kämpft (ob nun körperlich, geistig oder emotional) und dann siegt oder verliert, und nicht durch einen Zufall gerettet wird.

Genau das! Einen Zufall, der die Situation verschlimmert, lasse ich als Leser gerne zu. Das lässt mich weiter mitfiebern ("Der arme Prota hats aber auch nicht leicht, die arme Sau!"). Ihn aber nur mithilfe eines Zufalls aus dieser blöden Situation befreien? Das hinterlässt bei mir als Leser einen faden Geschmack. Was macht diesen Prota dann zu etwas Besonderem?
Wie wäre es bei "Harry Potter" gewesen, wenn nicht Harry Voldemort besiegt hätte, sondern ein zufällig herunterfallender Stein, den ein Riese nicht weit genug geworfen hat? Das Buch wäre wohl quer durchs Zimmer geflogen.
Beste Grüße,
Sven

Sanjani

Hallo Thali,

ok, das leuchtet mir natürlich ein. Wobei ich auch hier denke, es kommt auf die Situation an. Ein Zufall im Showdown wäre lausig, aber in kleineren misslichen Lagen einer, der weiterhilft, ist für mich plausibel. Ich meine damit nicht, dass der Prota befreit wird, sondern dass er vielleicht irgendwas findet, das ihm hilft oder so. Was den anderen Teil angeht: Ich persönlich hasse es als Leser wie die Pest, wenn dieses "Der hat aber wirklich schlimmes Pech" Gefühl auftritt, v. a. dann, wenn es durchschaubar gemacht ist, wenn ich sehe, wie der Autor hingeht und die Steine in den Weg legt sozusagen. Das ist für mich einfach nur peinlich und schlecht gemacht. Deshalb denke ich, dass beides vorkommen sollte, damit es ganz natürlich wirkt.

Danke für die Erklärung.

LG Sanjani
Die einzige blinde Kuh im Tintenzirkel :)

Thaliope

@Sanjani: Nun, es geht ja immer eher um Tendenzen, nicht um das Extrem. Und die Kunst ist natürlich, das Erzählgerüst nicht durchschimmern zu lassen, finde ich :)