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Rache als Sympathie-Faktor? (Prota-/Antagonisten)

Begonnen von Fianna, 20. Januar 2013, 21:03:17

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Maran

Fianna, ich kann Dir (und einigen anderen hier auch) nur ans Herz legen, den Grafen von Monte Christo aufmerksam zu lesen.

Fianna

Ich kenne das Buch (gut dass Du mich dran erinnerst - ich muss es wieder auf dui Kauf-Liste setzen. Hab meines verliehen und bin mit der Person nicht mehr befreundet).

Aber ich finde, sowas ist immer stark genreabhängig, wie es wirkt.

Maran

Das Genre ist dabei völlig unerheblich. Entweder ist Rache das Thema, oder es ist es eben nicht. Aber "Rache" in Verbindung mit "Sympathiefaktor" ist für mich ein bedenkliches Paradoxon. Rache als Motiv kann ich nachvollziehen und verstehen, gutheißen tue ich es nicht. Dabei ist es völlig unerheblich, ob es sich bei dem Rächer um den Antagonisten oder den Protagonisten handelt.

:seufz: Soweit ich mich entsinne (es sind mindestens 30 Jahre vergangen, seitdem ich das Buch gelesen habe), hat der Graf niemals aktiv Hand an einen Gegner gelegt - bis zum Schluß, und da hat er noch die Kurve gekriegt, denn es hätte einen absolut Unschuldigen getroffen, was ich ihm als Leserin niemals hätte verzeihen können.
Alle anderen Ziele / Opfer seiner "Rachsucht" wurden, nach meinem Empfinden, letzten Endes durch eine höhere / andere Instanz gerichtet, wodurch sich zu dem "Rachethema" auch die "Gerechtigkeit" gesellt. Das sind zwei Paar Schuhe, und selbst in meiner damaligen jugendlich-romantischen Veranlagung (die zwar niemals extrem ausgeprägt, aber dennoch vorhanden war  ;D ), hätte ich dieses Buch ohne diese Feinheit(en) nicht zuende gelesen. Schon damals war ich der Ansicht, daß ein bloßes "Ich metzel mal eben alles nieder, und den Kolleteralschaden nehme ich in Kauf, auf den kommt es nicht an"-Rachenehmen nicht nur inakzeptabel, sondern zudem auch noch sterbenslangweilig ist.

Dämmerungshexe

Ja, beim Graf von Monte Christo sieht man wirklich einen wunderbaren Rachefeldzug für ein wirklich schweres Verbrechen, bei dem der Protagonist aber immer danach strebt bei allem Übel, das er seinen Peinigern antut, niemanden sonst zu verletzen, sondern im Gegenteil auch zu helfen. Ich liebe das Buch. Vor allem weil der Graf am Ende wirklich merkt, dass er auf dem Holzweg ist und sich zum Besseren wendet. Das wirklich Tolle an dieser Geschichte ist, dass die Gegner des Grafen sich durch ihre eigene Gier und Arroganz selber schaden, der Graf hilft eigentlich immer nur nach.

Ein anderes schönes Beispiel gibt es glaube ich in dem Midkemia-Büchern (ist ziemlich lange her, dass ich die gelesen habe, deswegen bin ich nicht ganz sicher, ob ich das hier richtig wiedergebe): da binrgt der "gute Zauberer" den "jungen Helden" dazu den Mörder seiner Eltern zu töten. Der "junge Held" bereut das aber gleich wieder, weil er seine Eltern ja nicht wirklich gekannt hat, also nicht mal genau weiß wofür diese Rache und ihm der Mörder zugleich Leid getan hat. Ist auch ein sehr schönes Motiv - die Rache wird als "Verpflichtung" angesehen, aber es steht ein sehr großer moralischer Konflikt dahinter.

Interessant finde ich auch noch, wo wir beim Thema "Rache als Verpflichtung" sind, den kulturellen Aspekt - wir Mitteleuropäer stehen dem Rachegedanken ja wesentlich skeptischer gegenüber. In anderen Kulturkreisen ist das ja noch wesentlich ausgeprägter. Gerade wenn man in seiner Fantasy-Welt eine Gesellschaft entwickelt, die auf Ehre und Gerechtigkeit mehr Wert legt als auf die Rechte und die Würde des Menschen als Individuum, dann hat man einen wunderbaren Nährboden um solche Sachen auszubreiten.

Ich denke Rache ist deswegen ein so interessantes Thema, weil der Wunsch danach (die Aggresion und der Drang etwas "auszugleichen") anscheinend in den Menschen noch sehr tief verwurzelt ist (wurde ja schon gesagt, wie schnell auch wir Mitteleuropäer bei scheußlichen Verbrechen wie Vergewaltigung und Kinderschändung jegliche Gnade beiseite lassen wollen). Gleichzeitig ist unsere Kultur durch Rechtsstaat und Vernunft geprägt - wir sind dazu erzogen zu wissen "Rache ist nichts Gutes". Dementprechend haben wir neben dem Bedürfniss nach Vergeltung auch das Bedürfniss zur Refelektion.
Ich denke das ist auch für Erzählungene in guter Weg - die Leser wollen Gerechtigkeit, wenn nötig auch mit Rache. Aber sie wollen auch die Hintergründe kennen und sehen, dass sich der Protagonist mit seinem Gewissen auseinander setzt. Genau dieser Einblick in andere "Menschen" (von mir aus auch Elfen, Zwerge o.ä.) ist es ja was die Figuren in Büchern für die Leser so spannend macht.
,,So basically the rule for writing a fantasy novel is: if it would look totally sweet airbrushed on the side of a van, it'll make a good fantasy novel." Questionable Content - J. Jacques

Fianna

Ich finde schon, dass es genreabhängig ist, denn in der (Low) Fantasy ist Rache ein ziemlich beliebtes/ausgelutschtes Thema.
Ich schau da immer kritisch auf die Umsetzung, einer meiner am höchsten geschätzten Kollegen dagegen (der im Gegensatz zu mir fast ausnahmslos jedes Buch bis zu den Midnineties gelesen hat und die meisten danach) hasst das inzwischen fast schon... Meine Worte.
Er würde sagen, er findet da nie etwas aneues und/oder Interessantes.

Und nicht-schreibende und nicht-alles-gelesen-habende Lesern haben da auch einen Übersättigungsfaktor - aber unterhält man sich mit denselben Forenmitgliedern oder Bloggern über Bücher anderer Genre, die ein starkes Rachethema haben, sieht es direkt ganz anders aus.

Von daher sehe ich das nicht als Einzelmeinung von mir.
Natürlich kann man anderer Meinung sein, aber mir/uns das mit einem pauschalen"Das Genre ist dabei völlig unerheblich" abzusprechen, finde ich nicht ganz angebracht.

Maran

Fianna, Du siehst mich verwirrt. Um ehrlich zu sein, ich weiß gerade nicht, ob ich schallend lachen oder zornig werden soll. Ob das Thema "Rache" ausgelutscht ist oder nicht, steht doch gar nicht zur Debatte, ebenso, ob Einzelmeinungen weniger oder mehr zählen, als Gruppenmeinungen. Habe ich etwas überlesen oder falsch verstanden? Ich dachte, der Thread beziehe sich auf Rache als Sympathiefaktor. Dazu habe ich meine Meinung geäußert.

Das Genre ist meiner Meinung nach unerheblich, wenn Rache das Thema ist. Einzig die ausführenden Mittel ändern sich. Ob der Rächende nun mit Schwert oder Hi-Tech-Waffe agiert, was macht da den Unterschied? Viel interessanter hinsichtlich der Geschichte und der Glaubwürdigkeit der Figuren ist die Frage der gesellschaftlichen Akzeptanz. Wenn ein Charakter, sei es nun der Protagonist oder der Antagonist, sich innerhalb der storyline glaubwürdig und nachvollziehbar dahingehend entwickelt, daß er zerstörerisch Rache übt, oder aber aus einer Racheaktion zum Umdenken kommt, dann ist das sicher interessant zu lesen. Sympathisch wird er mir dadurch nicht.

Lucien

Ich persönlich würde die "Attraktivität" von Rache als Motivation auch nicht so sehr an ein bestimmtes Thema anbinden.
Vielmehr kommt es für mich darauf an, warum der Autor/ die Autorin zur Rache gegriffen hat. Natürlich kann man nicht einfach drauf losschreiben und hoffen, dass etwas Anständiges bei rum kommt, aber ich finde, dass es schon einen Unterschied macht, ob zuerst eine Plotidee da war, in die sich das Rachemotiv quasi automatisch "eingeschlichen" hat, oder ob sich jemand gedacht hat: "Hey, ich mache mal irgendwas mit Rache!"
(Ich hoffe, ihr versteht, was ich damit sagen will. Leider fallen mir keine Beispiele dazu ein.)

Ob Rache sympathisch macht? Kommt ganz drauf an. Der Charakter - ganz gleich, ob Prota oder Anta - wird zumindest dadurch "sympathisch" (ist dafür vielleicht das falsche Wort), dass er zumindest eine, je nach Situation, nachvollziehbare Gefühlsregung zeigt, wenn er Rachegelüste hegt.
Ich persönlich hatte schon oft große Lust, mich für etwas an jemandem zu rächen, wenn auch nicht gleich mit Waffen und blutig.  ::)
Bei bloßen Rachegelüsten könnte ich mich also noch versucht fühlen, den entsprechenden Charakter sympathisch zu finden, vorausgesetzt, er hat außerdem auch noch andere Charaktereigenschaften anzubieten, die das unterstützen.  ;D
Interessanter finde ich da die Frage, wie der Charakter mit diesen Gefühlen umgeht. Und da es bei dieser Diskussion ja offenbar um wirklich Rache übende Charaktere geht: welchen "Stil" legt er an den Tag? Wenn sich z.B. der Anta für den Verlust seines geliebten Königspudels rächen würde, indem er die Welt in blutige Kriege stürzte, wäre das ein äußerst unsympathisches Racheverhalten, da es nicht im geringsten nachvollziehbar wäre.
Und an diesem Punkt stelle ich fest, dass mir nichts einfällt, warum ein Rache übender Charakter sympathisch sein könnte.  :P Ich glaube, ich habe mir selbst ein Bein gestellt.
Aber ihr versteht, was ich meine, oder? Alles eine Frage der Umsetzung.

Maran

Zitat von: Jenny am 02. Februar 2013, 01:12:05
Und an diesem Punkt stelle ich fest, dass mir nichts einfällt, warum ein Rache übender Charakter sympathisch sein könnte.  :P Ich glaube, ich habe mir selbst ein Bein gestellt.
Aber ihr versteht, was ich meine, oder? Alles eine Frage der Umsetzung.

Ich finde es klasse, daß Du darüber stolperst.  ;D Und das hat jetzt nichts mit Rache zu tun.
Ja, es ist eine Frage der Umsetzung - und der Autorenziele. Was will der Autor erreichen, wenn er Rache thematisiert? Ist Rache das Thema des Romans, oder sind Rachegelüste eine Charaktereigenschaft? Wenn es die einzige Charaktereigenschaft ist, na, dann vielen Dank. Genauso vielen Dank, wenn (umgesetzte) Rachegelüste einzig und allein dazu dienen sollen, einen Charakter sympathisch darzustellen. Ich denke nicht, daß das funktioniert. Sich als Leser mit einem rächenden Charakter auseinanderzusetzen, kann eine sehr schwierige und frustrierende Angelegenheit zu sein. Leichte Lektüre ist dieses Thema definitiv nicht - und auch nicht dafür geeignet.

Ich denke, wir alle kennen Rachegelüste. Diese aber auch umzusetzen, ist eine ganz andere Sache. Ein bloßes Dreinschlagen baut nur den inneren Druck ab, aber es ändert nichts, absolut gar nichts, an der Ausgangssituation, die zu diesen Gefühlen führte. Um auf Jennys abstruses Beispiel Bezug zu nehmen: Der geliebte Königspudel wird auch nicht wieder lebendig, wenn man in einem Anfall von Rachewahn die Welt zerstört. Und nebenbei vernichtet man bei dieser Zerstörung noch viel mehr Dinge, die einem lieb und teuer sind - und zu guter Letzt sich selbst. Insofern ist das Pudelbeispiel gar nicht so abstrus, wie mir gerade auffällt. Überzeichnungen bringen viele Dinge auf den Punkt.  :D


Lucien

Zitat von: Maran am 02. Februar 2013, 12:23:32
Insofern ist das Pudelbeispiel gar nicht so abstrus, wie mir gerade auffällt. Überzeichnungen bringen viele Dinge auf den Punkt.  :D
Und so reift Erkenntnis in jedem von uns.  ;D

Mir fällt da gerade auf, dass ich auch einen von Rache getriebenen Charakter erfunden habe, sie ist allerdings weder Prota, noch Anta, sondern diejenige, die meinen Prota, der es einfach nicht anders kennt, zu seinen Handlungen anstiftet (ich schreibe aus der Sicht der Bösen, der Prota wäre in anderen Romanen also der Anta). Und ich muss sagen, dass sogar mir selbst diese Frau unsympathisch ist, aber in meiner ersten Idee zu der Geschichte war sie gleich mit dabei und ohne sie würde es gar nicht funktionieren.
Wäre dann bei einem "Rachewerkzeug", wie meinem Prota, die Chance auf Sympathie auch von vornherein verspielt?   :hmmm:

Maran

Zitat von: Jenny am 02. Februar 2013, 12:40:49
Wäre dann bei einem "Rachewerkzeug", wie meinem Prota, die Chance auf Sympathie auch von vornherein verspielt?   :hmmm:

Ich weiß nicht. Das kann man so pauschal nicht sagen. Für mich als Leserin wäre in dieser Hinsicht entscheidend, ob der Protagonist sich dessen bewußt ist, daß er als Rachewerkzeug benutzt wird, und dies einfach mit sich geschehen läßt (aus welchen Gründen auch immer), oder ob er sich dagegen wehrt, oder ob er überhaupt keine Ahnung hat und aus gutem Glauben heraus handelt.

Lucien

Er ist sich dessen nicht bewusst. Er weiß, dass seine "Mutter" (die ihn als Baby geraubt hat) von ihm verlangt, ihm den Weg zum Thron ihres Heimatlandes zu ebnen und er glaubt, dass sie im Recht ist. Allerdings erkennt er irgendwann, dass er eigentlich nur ein Werkzeug ist und nach Erreichen des Ziels nicht weiter von Bedeutung wäre. Wie das Ganze ausgeht, steht noch nicht fest. Im Augenblick habe ich im Plot stehen, dass er sich am Ende gegen sie wendet und selbst den Thron besteigt.  :hmmm:

Maran

Also ganz klassisch?  :rofl: Ich denke, dann mußt Du Dir um Deinen Protagonisten keine Sorgen machen.  ;)

Lucien

 :vibes: Da bin ich ja beruhigt. Allerdings macht er nicht die völlige Kehrtwende zum Guten, denn eigentlich nimmt er ja auch wiederum Rache ...

Oder sind wir dann wieder an diesem Punkt gelandet:

ZitatOder der Typ ist zwar fies, aber man fiebert aus anderem Grund mit, dass er gewinnt. (Selbst eingefleischte Fußballfeinde dürfen mal gewinnen, wenn sie einem damit dann den Nichtabstieg sichern.  ;) )
Also bei der Fantasy zB fieser Typ TM will Rache an Evil Overlord TM. Leser weiß, dass nur so die Welt gerettet werden kann (was der fiese Typ eigentlich ja gar nicht will - der hat nur seine Rache im Kopf).
Oder: Unsympathischer und blöder Kommissar jagd fiesen Serienmörder. Die Gerechtigkeit kann nur siegen, wenn der blöde Kommisar Erfolg hat. Das dem die Opfer vollkommen egal sind und er nur auf die Beförderung schielt, spielt für den Leser keine so große Rolle, solange am Ende die Gerechtigkeit siegt und am Besten noch ein unschuldiges Opfer TM gerettet wird.

Maran

Zitat von: Fianna am 31. Januar 2013, 00:00:23
Zum Thema "Es ist egal, wenn der Held aus guten Gründen tötet": Sauron wird nicht getötet, sondern destroyed.

Ich weiß zwar gerade nicht, was dieses Beispiel in diesem Thread zu suchen hat, denn Saurons Vernichtung hat nichts mit Rache zu tun, sondern mit der Erfüllung einer Prophezeiung, aber da Du es gerade ansprichst: Da Saurons Macht an den Ring gebunden ist, diese Tatsache allgemein bekannt ist, und die Vernichtung des Ringes die einzige Möglichkeit ist, Saurons Macht zu brechen, ist die Vernichtung des Ringes gleichsam ein "Tötungsakt", bewußt geplant und ausgeführt, und somit ein Mord erster Klasse - überzeichnet gesehen. ;)

@Jenny: Diese Kehrtwende hatte ich auch schon bedacht. Ich finde es interessant, wie der Leser sich Dinge zurechtlegt, die eigentlich nicht in Ordnung sind, um die Handlungen eines liebgewonnenen Charakters zu entschuldigen, damit der aus anderen Gründen vorhandene Sympathiefaktor nicht verlorengeht, oder aber, wenn der Charakter eben nicht so sympathisch ist, den Fokus auf die storyline legt.

Lucien

 ;D Was das angeht bin ich Meisterin! Nun ja, ich habe eh schon eine Schwäche für fiese Charaktere, da dürfen sie ruhig auch mal ordentlich Rache üben. Sie dürfen sich bloß nicht völlig darin verlieren.  :no: