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Diskussion: Junge Autoren - bringen die's?

Begonnen von Coppelia, 10. September 2008, 08:05:56

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Lomax

Zitat von: Coppelia am 12. September 2008, 07:08:50Als ich dann Praktikum in der Schule hatte und Literatur in der 10. Klasse unterrichtet habe, war mir völlig klar, dass solche Forderungen an die meisten Schüler dieses Alters absolut zu hoch waren. Ich konnte erkennen, dass sie definitiv viel weniger in der Lage waren, bei Texten zu abstrahieren, Strukturen, übertragene Bedeutungen zu finden usw als ich. Sie setzten auch die in Texten geäußerte Ansicht augenblicklich mit der des Autors gleich.
Nun, das ist sicher keine Fähigkeit, die mit Alter zu tun hat. Okay, ein gewisses Mindestalter benötigt man wohl schon, um den Unterschied zwischen Autor und Werk zu sehen. Aber ich bin mir ziemlich sicher, 10klässern könnte man das beibringen - wenn man ihnen als Lehrer nicht nur sagt, dass es diesen Unterschied gibt, sondern ihn von den Schülern selbst herausarbeiten lässt.
  Umgekehrt setzen viele Erwachsene immer noch und in jedem Alter Autor und Werk gleich. Das ist keine Frage des Alters, sondern der Bildung - entweder hat man den Unterschied mal gelernt oder erfahren, oder eben nicht. Die naive Gleichsetzung von Autor und Werk ist eigentlich der naheliegende Grundzustand des Lesers (zumindest dann, wenn der Leser überhaupt ein Bewusstsein dafür hat, dass das Werk einen Autor hat - damit beispielsweise habe ich heute noch meine Probleme ;D. Ich neige dazu, einen Roman einfach als "andere Wirklichkeit" zu nehmen, und viele Kinder tun das vermutlich auch), und man muss das Gegenteil erfahren, bevor man davon abweicht.
  Ein Erfahrung allerdings, für die schon die Schule sorgen sollte. Was für einen Sinn hätte Literaturunterricht, wenn man nicht mal auf diese Banalität aufmerksam gemacht wird?

Lavendel

Nach meiner Erfahrung werden eben diese 'Banalitäten' in der Schule nicht oder nicht ausreichend behandelt. Der Umgang mit Literatur beschränkt sich viel zu oft darauf, dass Schüler/innen erstmal ein Buch in die Hand gedrückt bekommen und dann raten, bzw. nachplappern sollen, was Lehrerin oder Lehrer gerne darüber hören wollen. Häufig fehlt es erstens an den theoretischen Grundlagen, d.h. wie arbeite ich überhaupt sinnvoll mit Literatur, und zweites werden Schüler/innen kaum dazu angeregt, selbst über die Literatur nachzudenken, die sie da lesen. Wenn ich mit Schüler/innen über ihren Umgang mit Literatur in der Schule rede, dann finden sie meistens, dass das, was sie bzw. die Lehrkraft im Unterricht abstrahieren, zwar im Nachhinein vielleicht ganz logisch klingt, aber dass der/die Autor/in sich das wohl kaum beim Schreiben gedacht haben könne. Irgendwo haben sie damit ja sogar Recht. Aber daran sieht man schon, dass sie völlig falsch an die Interpretation von Literatur herangeführt wurden. Es geht ja gar nicht darum, herauszufinden, was ein/e Autor/in gemeint hat, sondern darum, was für Bedeutungsebenen man in einem Text finden kann, und dass Interpretationen je nach Standpunkt der Leser/innen durchaus variieren können - und sollen.

Ich denke auch, dass 15-16jährige durchaus in der Lage sein sollten, Strukturen zu erkennen und zu abstrahieren - in einem gewissen Maß zumindest. Natürlich sind sie dann in einer Phase, in der sie das erst lernen müssen, und natürlich hängt die Fähigkeit übertragene Bedeutungen und Anspielungen zu verstehen zu einem gewissen Maße vom Bildungsstand der Jugendlichen ab. Aber gerade das Aufzeigen von diesen Zusammenhängen kann einen Aha-Effekt auslösen, der dann vielleicht sogar ein bisschen Spaß bringt, wenn er didaktisch geschickt vermittelt wird.

Also, man muss alles erst lernen. Aber ich würde gar nicht mal sagen, dass das Interpretieren von Literatur unbedingt nötig für das Schreiben ist. Ich finde, dass sich Plotten und Interpretieren sehr voneinander unterscheiden. Strukturieren muss man natürlich für beides. Und gerade das kann man eben nicht einfach so von alleine.

Man muss eben auch bedenken, was Felis angesprochen hat. Für Jugendliche ist eben noch vieles neu, was für ältere Menschen längst ein alter Hut ist. Wenn ich ins Kino gehe, kriege ich regelmäßig das Gähnen, weil ich ständig Filme vorgesetzt bekomme, deren Struktur ich von der ersten Minute an vorhersagen kann, einfach weil ich schon eine Menge Filme gesehen habe. Jemand der nicht so oft ins Kino geht und auch sonst wenig Filme sieht, kann vielleicht von einem Streifen, den ich totlangweilig fand, total begeistert sein. Je mehr man seinen Horizont erweitert, desto mehr 'Material' hat man, auf das man zurückgreifen kann. Mit 16 kann ich rein zeitlich noch nicht so viel gelesen haben, wie mit 35 (außer ich lese doppelt so schnell).

Linda

Zitat von: Tenryu am 12. September 2008, 01:14:33
Ich weiß nicht. Ich finde, daß gerade im Fantasy-Bereich oft zu viel des Guten getan wird. Viele Autoren stopfen ihre Geschichten mit zu vielen Details voll. (Haben vermutlich alle Tolkien gelesen). Ich denke, daß eine gute gradlinige Geschichte, ohne überflüssigen Schnickschnack eher das Merkmal von erfahrenen Autoren ist, die wissen, was in eine Geschichte rein muß, und was seitenfüllendes Blabla ist.

dito!
Es gibt allerdings Leser, für die das gerade den Reiz der Fantasy ausmacht. Ich muss mich bei hohlen Beschreibungsorgien immer zum Lesen zwingen, (naja Querlesen kompletter Absätze sollte man als Autor sowieso können ;-))

Gruß,

Linda

Sooky

Gut, ich gebe jetzt meinen Senf zu dem (übrigens äusserst interessanten) Thema ab, wobei man vielleicht berücksichtigen sollte, dass ich mit meinen vierzehn Jahren wohl zu den allerjüngsten gehöre und meine Meinung daher leicht verzerrt ist.

Ich möchte zuerst mal auf diese Aussage von Beate verweisen:
ZitatSind junge Autoren schlechter?
Jung und Jung sind zwei paar Stiefel. Es gibt die "körperlich" jungen und die "geistig" jungen. Da hängt viel von der Entwicklung ab. Was haben diese Menschen in ihrem Leben schon durchgemacht? Ist man wohlbehütet ohne Sorgen und Probleme aufgewachsen? Oder wurde man gemobbt, ausgegrenzt, belogen und betrogen?
DAS finde ich, macht - neben der Übung, die jeder natürlich selbst für sich haben muss, - viel mehr aus als das wirkliche, biologische Alter.

Amen.
Ich finde, es ist ein weiteres ätzendes Vorurteil zu behaupten, alle jungen Leute (egal ob Autoren oder nicht) hätten sehr wenig Erfahrung, hüpften jedem Trend nach und verstünden vieles noch nicht. Natürlich ist es zu einem grossen Teil wahr, aber "alle" oder "jeder" ist doch ein bisschen übertrieben. Nun kann ich aber nicht auf wirkliche Beispiele verweisen ausser mich selbst, was wohl einige mit Augenrollen beantworten werden, denn man selbst hat ja immer eine leicht andere Wahrnehmung von sich als Andere, und das bezweifle ich auch nicht.
Zunächst möchte ich aber grundsätzlich noch etwas hinzufügen: Es gibt nun mal behinderte Leute, die ein Leben lang nicht so viel können werden wie normale Leute. Diese Tatsache wird von vielen Leuten akzeptiert und respektiert. Das Gegenteil aber kaum. Kinder, die schon mit 9 ins College gehen, werden als "Lernmaschinen" eingestuft, die "keine Kindheit hätten" und deren Eltern sie schlagen würden, damit sie lernen.
Ähnlich sehe ich es damit, dass das Verständnis eines Teenagers (13-16) über das meistern des Alltags und das grundlose Rebellieren gegen die Eltern gehen kann.
Es gibt durchaus junge Leute, die mehr im Kopf haben als das was gerade in der Clique "in" ist.
Ich bin vielleicht kein gutes Beispiel, aber zumindest eines: Ich war nie mit gleichaltrigen in der Klasse. Angefangen hat es mit ein, zwei Jahren, mittlerweile bin ich im letzten Schuljahr. Während ich mit 11 gelesen und gezeichnet habe, haben die anderen, 13 bis 15, schon angefangen zu rauchen und zu trinken. Ich war ein Aussenseiter, der höchstens dazu getaugt hat, die Hausaufgaben abzuschreiben. Ich habe viele schlimme Dinge erlebt, und wenn ich früher noch an das Gute in der Welt geglaubt hatte und naiv wie ein Samen in der Wüste war, dann wurden mir diese Sachen bis spätestens 12 ausgetrieben. Nie würde ich behaupten, dass es eure Erfahrungen ersetzen würde, die ihr in einer Zeit doppelt so lang wie mein Leben gesammelt habt, nein, das tut es gewiss nicht. Und doch würde ich behaupten, dass ich reifer bin als so manche gleichaltrige, und vielleicht die eine oder andere, die zwei, drei Jahre älter ist. Die Phase, in der ich ohne Organisation einfach drauf losgeschrieben habe, die Phase, in der ich meine Wünsche niedergeschrieben habe, die Phase, in der ich meine Charaktere nicht ausgefeilt habe und mir unmögliche Ziele gesetzt habe, ist zum grössten Teil vorbei. Damit, dass ich mich selbst besser verstanden habe und einen grossen Teil freigelegt habe, habe ich auch Erkenntnisse bekommen, die weiter reichen als "ups, das darf war wohl keine so gute Idee."

Es ist nur ein Beispiel, und ich kann es verstehen, wenn es nicht verständlich wirkt oder einfach nur "jetzt wird irgendeine Ausrede gesucht, damit sie nicht in eine Schublade gesteckt werden kann". Ich will auch nicht behaupten, Erfahrung wäre unwichtig,  aber ich will einfach nochmal betonen, dass Erfahrung nicht nur vom Alter kommt - und die Worte der Leute, die das schon ausgedrückt haben, noch einmal unterstreichen.
Egal welche Regel, es gibt immer Ausnahmen, und selbst zu dieser sollte es eine geben.
Viele jungen Leute stellen sich naiv und ungeschickt, doch es gibt Ausnahmen in beie Seiten. Ich denke, man kann nichts generalisieren. Trotz allem ist eine lang andauernde Erfahrungsbasis ein wichtiger Vorteil, und jeder verbessert sich mit der Zeit, selbst wenn man schon sehr viel Erfahrung hat.
Wie auch immer: Junge Autoren bringen es auf jeden Fall, denn, wie schon einmal erwähnt, bilden sie die neue Generation von Autoren.
(Ich erwähne es mal vorsichtshalber: Nicht an meiner Rechtschreibung rumhacken, in der Schweiz sind Eszetts ausgestorben  :-X)

Elena

... Woher kommt es eigentlich, dass hier beängstigend oft "Lebenserfahrung" mit negativen Erfahrungen gleichgesetzt wird? Sind wir so ein negativer Haufen?

Churke

Weil die meisten, vielleicht sogar alle, guten Plots und Charakterzeichnungen auf negativen Erfahrungen basieren. Entweder auf den eigenen oder auf den Erfahrungen anderer. Dass muss so sein, denn in Literatur spiegeln sich menschliche und gesellschaftliche Abgründe.


Aidan

#51
Nein, Elena, bestimmt nicht.

Vielleicht ist es deswegen so, weil es häufig die negativen Erlebnisse sind, die aufrütteln und die persönliche Entwicklung beschleunigen? Weil man sich einfach neue Wege suchen und orientieren muss? Sehr viel mehr als bei den meisten positiven Erlebnissen, wo man sich freut, hinnimmt und weiter macht. Es heißt doch auch "aus Fehlern lernt man." Klar, man lernt auch durch Erfolge, aber selten so schnell, wie durch Fehler.

Lebenserfahrung bedeutet ja auch, dass man sich mit grundlegenden Dingen des Lebens intensiv auseinandersetzt. Meistens werden die positiven Seiten einfach hingenommen, während die negativen, Tod, Sterben und ähnliches uns mit den Grundlagen des Lebens konfrontieren.

Für sich genommen sind es die Grenzerfahrungen, die uns wohl am meisten weiter bringen. Zu denen gehört aber auch die Geburt eines Kindes - was eine positive Lebenserfahrung ist.

@Churke: Nun, wir sprechen hier doch noch von den Lebensromanen der Autoren, oder nicht? Es geht ja nicht um die Lebenserfahrung der Charaktere, sondern der Autoren - die sich natürlich dann auch im Plot und den Charakterzeichnungen niederschlägt. Letztendlich könnte man natürlich fragen, ob wir auch nur Romanfiguren sind, aber das führt jetzt ab vom Thema.  ;D
"Wenn du fliegen willst reicht es nicht, die Flügel auszubreiten. Du musst auch die Ketten lösen, die dich am Boden halten!"

,,NEVER loose your song! Play it. Sing it. But never stop it, because someone else is listening."

Hr. Kürbis

Zitat von: Elena am 12. September 2008, 16:40:44
... Woher kommt es eigentlich, dass hier beängstigend oft "Lebenserfahrung" mit negativen Erfahrungen gleichgesetzt wird? Sind wir so ein negativer Haufen?

Es macht einfach mehr Spaß, negative Sachen zu schreiben, oder? ;D Ich glaube aber nicht, dass Lebenserfahrung gleichzusetzen ist mit negativen Erfahrungen. Sicher ist es einfacher, Abgründe zu beschreiben an denen man selbst (oder jemand anderes) schon gestanden hat, aber meine persönliche Erfahrung zeigt es mir immer wieder: Alles, was ich mir ausdenke, wird von der Wirklichkeit noch übertroffen. Das Leben ist eben schlechter als jede Seifenoper ...
Ich finde es auch langweilig, Heile-Welt-Romane zu lesen. Stellt sich bloß die Frage, welche Schreib-Generation die Welt grauer sieht. Die "jungen", denen sich keine Perspektive bietet, oder den "alten" die erkannt haben, wie die Welt tatsächlich ist? Ich hab Autoren gelesen, die mindestens 50 Jahre trennen, deren Stile völlig verschieden sind ... aber inhaltlich nahe beieinander liegen.

Churke

Zitat von: Winterkind am 12. September 2008, 17:01:25
@Churke: Nun, wir sprechen hier doch noch von den Lebensromanen der Autoren, oder nicht? Es geht ja nicht um die Lebenserfahrung der Charaktere, sondern der Autoren - die sich natürlich dann auch im Plot und den Charakterzeichnungen niederschlägt.

Ich muss keine Prostituierte abziehen und zusammen schlagen, um zu wissen, was sich der türkische Zuhälter dabei denkt. Er hat es mir nämlich erzählt.  :hmhm?:

ZitatAlles, was ich mir ausdenke, wird von der Wirklichkeit noch übertroffen.

:prost:

Silvia

Zitat von: Lomax am 12. September 2008, 11:06:58
  Umgekehrt setzen viele Erwachsene immer noch und in jedem Alter Autor und Werk gleich. Das ist keine Frage des Alters, sondern der Bildung - entweder hat man den Unterschied mal gelernt oder erfahren, oder eben nicht. Die naive Gleichsetzung von Autor und Werk ist eigentlich der naheliegende Grundzustand des Lesers (

;D Das erinnert mich total an den Tag, an dem ich als Kind im Karl-May-Buch erstmals das Nachwort las ... und dabei feststellte, daß Karl May ja gar nicht Old Shatterhand war und das alles nur erfunden hatte! Au weia, das tat weh.  ;D

Tenryu

#55
Wobei Karl May ein Sonderfall ist, denn jahrelang hat er öffentlich behauptet, daß er alle die Abenteuer selber erlebt habe. Es gibt auch Fotographien und Autogrammkarten von ihm, wo er sich im Shatterhand- bzw. Kara Ben Nemsi-Kostüm hat ablichten lassen.

Mardil

#56
[OT]
Zitat von: Silvia am 12. September 2008, 22:36:07
;D Das erinnert mich total an den Tag, an dem ich als Kind im Karl-May-Buch erstmals das Nachwort las ... und dabei feststellte, daß Karl May ja gar nicht Old Shatterhand war und das alles nur erfunden hatte! Au weia, das tat weh.  ;D

Bei mir ist das peinlicherweise erst...sechs/sieben Jährchen her. Und ich Vollidi.., ich meine, ich "etwas naiver Typ" hatte natürlich vor meinen Klassenkameraden jahrelang beschworen, dass "mein" Karl May der Westernheld schlechthin sei ;D. Kindliche Naivität ist manchmal wirklich zum Brüllen ;D.

Man, war ich frustriert. Habe monatelang kein Karl May-Buch angefasst
[OT]

FeeamPC

Auch Karl May hat als Autor eher bescheiden angefangen- mit Groschenromanen, Herz-Schmerz-Katastrophen usw., in denen er alle möglichen Klischees totschlug.
:seufz:
(Übrigens entspricht das auch meinen "Frühwerken"- ein Klischee nach dem nächsten und je schwülstiger desto besser- habe ein halbes Jahrhundert gebraucht, bis ich mein erstes kleines druckfähiges Buch in Händen hielt, ein Sachbuch).

Churke

Habe gerade die Märtyrerakte(n) der heiligen Perpetua gelesen. http://www.unifr.ch/bkv/kapitel1685-9.htm

Eine sehr vielversprechende Autorin, die leider mit 22 Jahren den Tieren vorgeworfen wurde. Zum Text muss ich erwähnen, dass sich die antiken Rhetorikschulen auf Stil, Satzbau und Stilimitation ("Soll ich das wie Cicero oder wie Tacitus sagen?") spezialisiert hatten.