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Erzählstil in historischen Romanen

Begonnen von Signy, 05. Dezember 2014, 11:38:51

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Belle_Carys

@Sascha  Das ist ja grauenahft! Ich finde es ja schwierig eine Faustregel dafür aufzustellen, wie historische Romane denn nun "klingen" sollen... für mich lässt sich allerdings sagen: so bitte nicht.
Ich stecke grad selber in den Anfängen eines rein historischen Projekts das im Mittelalter spielt und habe absolut keine Ambitionen, mich so zu verklausulieren. Das historische Flair ergibt sich glaub ich auch wirksam genug, wenn man einfach die Zustände der Zeit, das Weltbild, die sozialen Gefüge (die sich natürlich auch in der Kommunikationsform, und somit häufig zu Teilen auch in der verwendeten Sprache widerspiegeln) und was halt sonst noch so dazu gehört gut einfängt und beschreibt. Wenn man das wirken lässt, und sich grobe Schnitzer der anachronistischen Art spart, kommt dabei meist schon durchaus was brauchbares heraus.

DoroMara

Ich bin Churkes Meinung: Ich glaube nicht, dass man im Mittelalter so verschachtelt gesprochen hat, wie Sascha oben zitierte. Ich nehme sogar an, dass man in sehr einfachen Satzstrukturen gesprochen hat. Selbstverständlich waren sehr viel Ausdrücke anders.

Die wenige Literatur, die wir aus dem Mittelalter kennen, ist nicht so verschachtelt. Und wenn, dann hat man dies von der Antike abgeschaut, wo das Verschachteln eine Kunstform war. Ich nehme aber an, dass auch die Römer viel einfacher gesprochen haben, als (teilweise) geschrieben.

Greifenherz

Zitat von: DoroMara am 24. Juni 2015, 22:37:54
Die wenige Literatur, die wir aus dem Mittelalter kennen, ist nicht so verschachtelt. Und wenn, dann hat man dies von der Antike abgeschaut, wo das Verschachteln eine Kunstform war. Ich nehme aber an, dass auch die Römer viel einfacher gesprochen haben, als (teilweise) geschrieben.

Das hat Churke, wie ich finde, schon richtig auf den Punkt gebracht:

Zitat
Das klassische Latein zum Beispiel, das in der Schule gelehrt wird, ist eine Kunstprache der senatorischen Oberschicht. So sprach nur, wer dazugehörte oder dazugehören wollte, und das waren nicht besonders viele.

Ein sehr schönes Beispiel sind hier sicher die Reden Ciceros, bei denen man davon ausgehen kann, dass er sie niemals in der Form gehalten hat, wie wir sie heutzutage vorliegen haben. Die Texte, mit denen wir uns in der Schule/im Studium beschäftigen, sind alle Überarbeitungen. Zwischen der tatsächlich gehaltenen Rede und der Veröffentlichung ihrer ausgearbeiteten Version konnten oft mehrere Monate liegen. Und natürlich hat Cicero es sich nicht nehmen lassen, alle rhetorischen und stilistischen Tricks, die er kannte, nachträglich einfließen zu lassen, um seinen Ruf als begnadeter Redner zu festigen - mit Erfolg (wir sprechen ja nicht umsonst bei der sog. goldenen Latinität vom "ciceronischem" Latein).

Um jetzt aber endlich wieder auf den Erzählstil in historischen Romanen zurückzukommen: Heutige Leser erwarten ganz sicher keine eins zu eins Kopie eines mittelalterlichen oder aus welcher Epoche auch immer stammenden Stils. Sprache vermittelt ja auch immer eine Weltanschauung. Das "Gesicht" ist zum Beispiel alles, was ich sehen kann, das "Antlitz" hingegen "das Entgegenblickende", also etwas wesentlich aktiveres. Hier und da ein paar alterthümliche Begriffe einzustreuen, verleiht dem Roman mehr Authentizität und macht ihn atmosphärisch dichter. 

Coppelia

#78
Sorry, kleiner Cicero-Exkurs :zensur:, aber unten steht vielleicht noch was Hilfreiches.

Was die senatorische Sprache betrifft, würde ich Churke zustimmen. Ich kenne die Theorie, Ciceros Reden seien nicht so gehalten worden, wie sie veröffentlicht sind, und ja: Einige der Reden wurden nie (so) gehalten. Einige haben Stellen, bei denen man mit Recht vermuten kann, dass sie nachträglich verändert wurden. Aber ich persönlich bin mit anderen Forschern der Meinung, dass die meisten Reden in etwa so gehalten wurden, wie sie veröffentlicht wurden. Unter anderem wurden sie ja veröffentlicht, damit - nach Ciceros eigener Aussage - angehende Redner etwas daraus lernen konnten. Die Sprache war auch nicht immer gleich hochgestochen. Es gab verschiedene Stilebenen, und der Redner musste sich seinem Publikum stilistisch anpassen. Und rhetorische Kniffe machen sich ohnehin weniger sprachlich bemerkbar, sondern dienen der Manipulation der Zuhörer. Die mussten sitzen, wenn die Rede gehalten wurde. Ciceros Sätze können gut verstanden werden, wenn Klarheit nötig ist; sie sind verwirrend, wenn der Zuhörer im Dunkeln gelassen werden soll.

Wenn man sich Ciceros Briefe anschaut, die zum Teil Elemente aus der Umgangssprache enthalten, sieht man da natürlich viele Unterschiede zu den Reden, aber auch viel Ähnliches. Unter anderem ellenlange Sätze, Sprachspiele, jede Menge Humor, fremdsprachige Einlagen und überhaupt viel von der großen Sprachbegabung des Autors in all ihren Spielarten. :)
Ich bin ziemlich sicher, dass Cicero privat auch recht "ciceronisch" gesprochen hat. Und dass er auch so gedacht hat. Dass ihm all die prachtvollen Sätze flüssig von der Zunge und von der Feder und durch den Kopf gingen. Aber ich persönlich halte sein Sprachtalent für außergewöhnlich, nicht für repräsentativ. Es sind Briefe von seinen Zeitgenossen erhalten, die sich doch recht von dem unterscheiden, was er schreibt. Sein eigener Sohn schreibt in moderat langen, leicht verständlichen Sätzen, was er in seinem Studienort Athen erlebt. Sehr zum Gaudi der Studenten schreibt Jung-Cicero sogar so, dass man ihm im Grammatikkurs Doppelfehler anstreichen müsste. :rofl:

Was ich damit sagen will: Dass die Bildung des Perspektiventrägers relevant ist, wurde bestimmt schon gesagt. Ich halte auch seine Sprachbegabung und seine Geübtheit mit Sprache für wichtig. Wer eine rhetorische Ausbildung hat, was mehr oder weniger die gesamte römische Oberschicht hatte, und auch noch gut in der Übung ist, wird anders denken und sprechen als jemand, der diese Voraussetzungen nicht hat. Auch Fachvokabular spielt in meinen Augen eine Rolle, sowie Fremdsprachenkenntnis.
Ich denke, dass man einen Kompromiss finden kann zwischen der Wiedergabe dieser "Kunstsprache" der Oberschicht und der Notwendigkeit, den Leser nicht zu erschrecken. ;) Vor allem, wenn man die jeweilige Persönlichkeit, den individuellen Sprachgebrauch und die Erfahrungen der Figuren berücksichtigt. Ich schlage mich im Moment selbst mit dem Problem herum. Kürzere Sätze zu verwenden, ist in meinen Augen völlig ok, weil Deutsch nun mal andere Strukturen hat als Latein. Was auf Deutsch drei Sätze sind, könnte auf Latein ein einziger sein und trotzdem eine ähnliche Wirkung erfüllen. Und ich schreibe ja nicht auf Latein.
Und um das klarzustellen: Wie man erfolgreich historische Romane schreibt, davon habe ich keine Ahnung! ;) Ich überlege bloß.

Churke

Zitat von: Coppelia am 26. Juni 2015, 20:04:30
Und um das klarzustellen: Wie man erfolgreich historische Romane schreibt, davon habe ich keine Ahnung! ;) Ich überlege bloß.

Also eines ist mal klar: Legionär Pullo https://en.wikipedia.org/wiki/Titus_Pullo_%28Rome_character%29 redet nicht wie Cicero und hat auch nicht die geringste Lust dazu. Die Mühe kann man sich als Autor also sparen.

Belle_Carys

@Churke  Das ist mit Sicherheit richtig, trotzdem finde ich völlig valide was Coppelia sagt. Sie hat ja drauf verwiesen dass es natürlich immer auf den Bildungsstand des Charakters ankommt etc., aber wenn ich einen Roman verfassen würde, in dem Cicero auftaucht, dann sind das alles Hinweise darauf, dass er sich, um beim Beispiel zu bleiben a) von Legionär Pullo abhebt, und zwar allein durch seine Sprache, und dass es b) ein historisches Muster gibt an dem ich mich als Autor orientieren kann und auch sollte. Das heißt jetzt nicht, dass ich anfange ellenlange Satzmonster zu bauen. Aber wenn die Vielfalt in der Rhetorik von jemandem, der dafür auch noch berühmt geworden ist, so gut dokumentiert ist, dann sollte ich mir als Autor auch die Mühe machen und das ein wenig wiederspiegeln. Das macht die Sache schon authentischer und ja auch spannender für den Leser. Das man das ganze dennoch für den Leser des 21. Jahrhunderts  runter brechen und anpassen muss, versteht sich von selbst. Selbiges würde für mich für eine Figur gelten, die historisch ähnlich angesiedelt ist, vielleicht eine ähnliche Karriere anstrebt oder oder oder. Da kann man sich durchaus daran orientieren.

Und letztendlich gewinnt ein historischer Roman ja viel an Flair aus genau diesen Spannungen zwischen den Klassen, die es heute in der Form nicht mehr so überspitzt gibt wie früher (womit ich nicht in Abrede stellen will dass es natürlich immer noch teilweise eklatante Klassenunterschiede gibt, aber das ist ein ganz anderes, viel zu weites Feld). Das lässt sich eben über Sprache gut vermitteln, und ich schätze genau deshalb führen wir diese Diskussion hier ja.

Churke

Das stelle ich ja alles überhaupt nicht in Abrede. Mir geht es nur darum, dass man selbst mit einer perfekten Stilimitation (was gelinde gesagt nicht einfach ist) nicht unbedingt einen Volltreffer landet. Da muss man immer schauen, wie weit man gehen und was man dem Leser zumuten kann und will.