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Gender-gerechte Bezeichnungen in Romanen

Begonnen von Lothen, 30. Januar 2019, 13:38:50

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Soly

Zitat von: Barra am 14. Februar 2024, 09:21:46Ich schau grad in eine Serie rein. Da erzählt die Protagonistin kurz über sich und das Setting.
"Meine Familie ist schon seit Generationen der Hüter der Insel."
Seit 15 Minuten denke jetzt darüber nach. Das ist doch falsch, oder nicht?
Die Familie - Die Familien.
Es müsste also heißen:
"Wir sind die Hüter" im besten Fall: Hüter*innen/ Hüter:innen/ Hüter und Hüterinnen.
oder "Meine Familie ist schon seit Generationen die Hüterin der Insel." -> Die Familie ist die Hüterin der*des wasauchimmer.
Alternativ könnte ich noch verstehen:
"Die Mitglieder meiner Familie sind schon seit Generationen die Hüter der Insel."
Aber auch da "cringe" ich, sprich: verziehe ich das Gesicht. Das Mitglied - die Mitglieder - der Hüter?
Vielleicht könnt ihr mich mal erleuchten.
Ich habe da gar nichts Fundiertes zu, nur mein eigenes Sprachbauchgefühl, aber das sagt, dass das Wort "Familie" in so einem Satz eigentlich gar nicht funktionieren kann. "Die Familie" ist Singular, während "die Hüter/Hüter:innen" Plural ist. Beides zusammen in einem einfachen S-P-O-Satz geht nicht, weil das Verb entweder an den Singular der "Familie" oder den Plural der "Hüter:innen" angepasst werden muss und entsprechend mit dem anderen clasht. Was gehen würde, wäre zum Beispiel:
"Meine Familie stellt schon seit Generationen die Hüter:innen der Insel."
"Die Männer in meiner Familie sind schon seit Generationen die Hüter der Insel." (cis-binär-normativ, aber je nach Kontext gerechtfertigt)
"Meine Familie ist schon seit Generationen der Wachtrupp auf der Insel."
Oder mein persönlicher Favorit:
"Meine Familie hütet schon seit Generationen die Insel."

ZitatDer ältste bekannte Schriftsteller der Welt hieß Enheduana.
-> Was sagt das aus? Und was stellen sich "viele Leute" darunter vor?
Einen Mann.
Falsch, sie war eine Priesterin. Ergo: Die älteste bekannte Schriftstellerin der Welt hieß Enheduana.
-> Was sagt das bei den meisten aus?
Ach so, du meinst nur von den Frauen.
Das war O-Ton das Gespräch mit einem Bekannten vor mir irgndwann letztes Jahr. Ich bin fast ausgeflippt. "NUR!?" Danke.
Genau das ist meiner Meinung nach das Kernproblem.
Also: Alle Lehrer gingen in die Aula.
-> Nur die Männer. (Ja, wir hätten gern, dass das alle sind! Sind sie aber nicht.)
Alle Lehrerinnen gingen in die Aula.
->Nur die Frauen.
Aber selbst das würde dein geschildertes Problem nicht lösen. Wenn "die Schriftsteller" nur die männlichen und "die Schriftstellerinnen" nur die weiblichen meint, dann gibt es keine Möglichkeit, Enheduana präzise als das darzustellen, was sie ist.
"Der älteste bekannte Schriftsteller der Welt" ist dann von den bekannten männlichen schriftstellerisch Tätigen der erste. NUR von den Männern.
"Die älteste bekannte Schriftstellerin der Welt" ist dann von den bekannten weiblichen schriftstellerisch Tätigen die erste. NUR von den Frauen.
Die neutrale Form "Schriftsteller:in" würde vielleicht gehen, ist aber auch nicht eindeutig, weil sie im Singular gern von inter* und nicht-binären Personen genutzt wird. (Ich bin Schriftsteller:in.)
"Die älteste bekannte Schriftsteller:in der Welt" ist also je nach Verständnis von ALLEN bekannten di:er erste, oder NUR von den bekannten inter*/nicht-binären schriftstellerisch Tätigen.
Die einzige wirklich eindeutige Formulierung wäre:
"Von allen bekannten Schriftsteller:innen war Enheduana die erste."

Sorry but you are not allowed to view spoiler contents.
Veränderungen stehen vor der Tür. Lassen Sie sie zu.

Yamuri

Genau genommen ist Encheduana die erste schriftstellerisch tätige Person, die ihren Namen unter ihre Werke gesetzt hat. Denn es gab vorher bereits Menschen, die Geschichten erzählt haben. Es wurde nur nie der Name darunter gesetzt, weil die Botschaft wichtiger war, als der Mensch, der die Geschichte erzählte. Encheduana leitete durch ihr Handeln eine neue Ära ein, in der die Person hinter der Geschichte in den Vordergrund trat.
"Every great dream begins with a dreamer. Always remember, you have within you the strength, the patience, and the passion to reach for the stars to change the world."
- Harriet Tubman

Avery

Zitat von: Barra am 14. Februar 2024, 09:21:46Waitress, Actress und Stewardess
Hierzu ein kurzer Funfact: Solche Bezeichnungen sind inzwischen auch im Englischen "entgendert". Es gibt bspw. keine Stellenzeigen mehr für "steward and stewardess" sondern der allgemeine Begriff ist jetzt "flight attendent". Und "waiter and waitress" sind in der Regel "server" (oder es gibt sogar das neutrale Wort "waitron"). Ich habe das Thema letztens sehr ausgiebig mit einigen englischsprachigen Freund*innen besprochen, da ich auch lange dachte, dass sie bei Wörtern wie "doctor", "pilot" oder "teacher" automatisch an männlich gelesene Personengruppen denken. Eben genauso wie wir bei "Doktor", "Pilot" und "Lehrer". Allerdings macht der Artikel hier wohl psychologisch wirklich einen Unterschied. Wir "erkennen" das vermeintliche Geschlecht der benannten Person anhand "der/die", im Englischen ist "the" generell neutral, sodass kein spezifisches Geschlecht angelernt wird. Für mich hat die Erklärung auf jeden Fall Sinn ergeben, auch wenn sie sicher nicht allgemeingültig ist. :hmmm: Spezifischer wird es immer erst, wenn der Satz mit einem Pronomen fortgesetzt wird, aber hier findet man inzwischen auch häufig Varianten wie he/she, s/he. (Natürlich nicht 100% inklusiv, da nicht alle Geschlechtsidentitäten abgedeckt sind, aber in der Summe trotzdem fortschrittlicher/einfacher als bei uns).

Alana

#153
Ja, im englischen ist es auch schon sehr lange üblich in Fachbüchern, z.B. über Kindererziehung, alle paar Sätze das Pronomen für das Kind zu wechseln, weil "it" nicht üblich ist und man eben keine geschlechtsbestimmende Form hat. Das finde ich ziemlich cool und das macht die Übernahme von gendergerechter Sprache, Neopronomen etc. auch viel einfacher. Zumal "they" schon sehr lange auch für eine einzelne Person verwendet wird, solange das Geschlecht nicht bekannt ist. "The doctor is coming. They will help you." Das hat man schon so gesagt, da war die Genderdiskussion noch gar nicht richtig im Gang. Und jetzt ist es nur der nächste logische Schritt, es für Menschen zu verwenden, die sich das als Neopronomen wünschen. Ich bin immer neidisch darauf.
Alhambrana

Sparks

Zitat von: Avery am 14. Februar 2024, 15:08:31Und "waiter and waitress" sind in der Regel "server" (oder es gibt sogar das neutrale Wort "waitron").

"Waitron" klingt stark nach Roboter oder KI. Mein Englisch ist nicht gut genug, um zu erkennen, ob der Unterton tatsächlich so existiert oder nur in meiner deutschsprachigen Wahrnehmung. Aber wenn es so wäre, könnte "waitron" diskriminierender sein als jegliche genderspezifische Schräglage.



Selbsterkenntnis ist der erste Schritt zur Depression

Soly

Zitat von: Sparks am 14. Februar 2024, 15:46:03"Waitron" klingt stark nach Roboter oder KI. Mein Englisch ist nicht gut genug, um zu erkennen, ob der Unterton tatsächlich so existiert oder nur in meiner deutschsprachigen Wahrnehmung. Aber wenn es so wäre, könnte "waitron" diskriminierender sein als jegliche genderspezifische Schräglage.
Ich würde sagen, der Unterton existiert nur dann, wenn er beabsichtigt wird, ansonsten ist es einfach eine genderneutrale Bezeichnung wie "Kellner:in" und damit nicht inhärent diskriminierend, sondern nur dann, wenn er in einer beabsichtigt diskriminierenden Weise benutzt wird. Aber vielleicht bin ich da auch naiv.

Nur für mein Verständnis, magst du nochmal kurz einordnen, was du genau mit "genderspezifische Schräglage" meinst? Ich kann mir darunter nichts so richtig vorstellen. :)
Veränderungen stehen vor der Tür. Lassen Sie sie zu.

Avery

@Alana Absolut! Ich wünschte auch, das würde in der deutschen Sprache so "einfach" gehen. :d'oh:

Zitat von: Soly am 14. Februar 2024, 15:56:24Ich würde sagen, der Unterton existiert nur dann, wenn er beabsichtigt wird, ansonsten ist es einfach eine genderneutrale Bezeichnung wie "Kellner:in" und damit nicht inhärent diskriminierend, sondern nur dann, wenn er in einer beabsichtigt diskriminierenden Weise benutzt wird. Aber vielleicht bin ich da auch naiv.
Nein, so würde ich das aus meinen geführten Gesprächen auch interpretieren. :) Ja, das Suffix -tron ist zwar "machinelike", und es gibt hier tatsächlich verschiedene Analysen/Ableitungen, aber inzwischen ist -ron als neutrales Suffix anerkannt und wird auch bei wenigen! anderen Wörtern verwendet. Laut Oxford Dictionary und Co. geht es sogar auf 1980 zurück, und ist damals im Washington Post erstmals aufgetaucht. Alternativ ist man aber mit "server" sicher auch gut unterwegs. Der Frage nach der "Schräglage" würde ich mich übrigens auch anschließen!

Alana

Ich muss gestehen, dass ich "waitron" weder intuitiv noch gut gewählt finde. Aber zu glauben, dass es zu mehr Diskriminierung führen könnte, fühlt sich für mich ehrlich gesagt wie Whataboutism an.
Alhambrana

Sparks

#158
Zitat von: Soly am 14. Februar 2024, 15:56:24wenn er in einer beabsichtigt diskriminierenden Weise benutzt wird. Aber vielleicht bin ich da auch naiv.

Das Problem dabei ist, das Du als Benutzer*in nicht unbedingt in der Hand hast, wie das bei anderen Leuten verwendet oder verstanden wird. In der unterschwelligen Propaganda wird das über "Framing" oft ausgenutzt, um einem etwas unter die Jacke zu jubeln.

Dooferweise kann sich solche Bedeutung sogar über die Zeit verändern.

Zitat von: Soly am 14. Februar 2024, 15:56:24Nur für mein Verständnis, magst du nochmal kurz einordnen, was du genau mit "genderspezifische Schräglage" meinst? Ich kann mir darunter nichts so richtig vorstellen. :)

So wie ich es verstanden habe, wird gegendert, um nicht schon durch die Sprache zwangsweise Personengruppen ein Geschlecht zuzuschreiben, das sie entweder nicht haben oder nicht haben wollen oder wo die Zuweisung eines Geschlechtes einer bestimmten Personengruppe diese Diskriminiert, wahlweise die Personengruppe oder das Geschlecht.

Lass mich wissen, wenn ich das falsch verstanden habe.

In dem Zusammenhang würde "waitron" nicht unerwünscht einer Personengruppe ein Geschlecht bzw. umgekehrt einem Geschlecht eine Personengruppe (und Funktion) zuordnen, sondern einer Personengruppe generell das Menschliche absprechen weil sie als "Maschine" verstanden wird.

Lass mich ebenfalls wissen, wenn ich das falsch verstanden habe.

Zitat von: Alana am 14. Februar 2024, 16:13:46Ich muss gestehen, dass ich "waitron" weder intuitiv noch gut gewählt finde. Aber zu glauben, dass es zu mehr Diskriminierung führen könnte, fühlt sich für mich ehrlich gesagt wie Whataboutism an.

Ja, das könnte gut sein. Aber mein Englisch ist nicht gut genug, um das beurteilen zu können.


[/quote]
Zitat von: Avery am 14. Februar 2024, 16:10:20Nein, so würde ich das aus meinen geführten Gesprächen auch interpretieren. :) Ja, das Suffix -tron ist zwar "machinelike", und es gibt hier tatsächlich verschiedene Analysen/Ableitungen, aber inzwischen ist -ron als neutrales Suffix anerkannt und wird auch bei wenigen! anderen Wörtern verwendet.

Ah, ok, ich glaub ich hab meinen Stolperer. -ron ist neutrales Suffix, und das "t" in "waitron" kommt von "waitress/waiter" und nicht von einem Elektron.

Nachtrag mit Erklärungsversuch: Es gibt etliche Elementarteilchen/subatomare Teilchen, die nicht auf -tron enden, wie das Elektron. Beispiel Myon, Baryon ec. (Griechisch kann ich noch weniger als Englisch) Aber das Elektron ist eben in die Elektronik gelangt, und das -tron wurde damit Namensbestandteil vieler Maschinen. Aber ich bin kein Linguist, sondern Elektroniker, und habe mich rein an der Phonetik orientiert. Vermutlich bin ich aber kein Einzelfall.
Selbsterkenntnis ist der erste Schritt zur Depression

Soly

Zitat von: Sparks am 14. Februar 2024, 16:26:25So wie ich es verstanden habe, wird gegendert, um nicht schon durch die Sprache zwangsweise Personengruppen ein Geschlecht zuzuschreiben, das sie entweder nicht haben oder nicht haben wollen oder wo die Zuweisung eines Geschlechtes einer bestimmten Personengruppe diese Diskriminiert, wahlweise die Personengruppe oder das Geschlecht.

Lass mich wissen, wenn ich das falsch verstanden habe.
Das entspricht soweit auch meinem Verständnis. :) Zuzüglich dass auch gegendert wird, um sprachlich anzuerkennen, dass es mehr als zwei Geschlechter gibt.

ZitatIn dem Zusammenhang würde "waitron" nicht unerwünscht einer Personengruppe ein Geschlecht bzw. umgekehrt einem Geschlecht eine Personengruppe (und Funktion) zuordnen, sondern einer Personengruppe generell das Menschliche absprechen weil sie als "Maschine" verstanden wird.
Ich... verstehe, warum das bei dir diese Assoziation mit dem Maschinellen auslöst, aber ich denke trotzdem, dass das Wort an sich damit nicht automatisch Menschen das Menschliche abspricht. Es ist sicher unter anderem deswegen nicht optimal, aber wie gesagt nicht inhärent diskriminierend in meinen Augen.
Veränderungen stehen vor der Tür. Lassen Sie sie zu.

Sparks

#160
Zitat von: Soly am 14. Februar 2024, 17:25:49Das entspricht soweit auch meinem Verständnis. :) Zuzüglich dass auch gegendert wird, um sprachlich anzuerkennen, dass es mehr als zwei Geschlechter gibt.

Die Mengenlehre lässt bei der Kardinalität endlicher Mengen alle natürlichen Zahlen einschließlich der Null zu. ;D

Selbsterkenntnis ist der erste Schritt zur Depression