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Zweifelhafte Botschaften in Jugendbüchern - was geht noch?

Begonnen von Nightingale, 16. Januar 2013, 21:13:12

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Maja

Danke für eure Einschätzungen! Ich haben inzwischen ein bisschen weitergeschrieben und bin jetzt beim "rüden Erwachen" angekommen, wo ich Reena sehr unromantisch ihres Mageninhalts entledigt habe. Ich hoffe, wenn ich mit der Szene fertig bin, wird auch niemand auf die Idee kommen, das aus Gründen von Coolness oder Romantik nachmachen zu wollen (bzw die Lektoren glauben zu lassen, dass jemand das könnte). Wenn Reena das Wohnzimmer vollköbelt und Darius ihr versichert, dass sie gar nicht miteinander geschlafen haben können, weil er im Suff sowieso keinen hochbekommt, sollte das doch einigermaßen abtörnend wirken.

Kritisch fand ich das, was Grey geschrieben hat zum Thema Hochprozentiges. Es ist nämlich wirklich so, dass Reena sich da etwas runterwürgt, dessen Geschmack sie nicht ausstehen kann, mit dem Ziel, betrunken zu werden. Das ist zum einen der Situation geschuldet - sie sitzen im Dunkeln fest, es spukt, und sie schaukeln sich mit ihrer Angst gegenseitig so hoch, dass sie nicht wissen, wie sie die Nacht überstehen sollen - zum anderen aber auch der Tatsache, dass Darius keinen guten Einfluss auf Reena hat. Darius, der zur Zeit praktisch obdachlos ist, hat kein Problem damit, zu Hochprozentigem zu greifen, und zieht Reena mit rein. Von allein wäre sie sicher nicht auf die Idee gekommen. Deswegen ist es mir sehr wichtig, dass die beiden am Ende eben nicht zusammenkommen, nicht, bevor Darius sich nicht grundlegend ändert, und so viel Zeit, wie dafür nötig ist, hat er in dem Buch nicht.

Das nimmt uns die Möglichkeit, es als Romanze zu vermarkten, und ich muss sagen, darüber bin ich heilfroh. Jeder hat Genres, in denen er sich nicht wohl fühlt, und meines sind Romanzen. Ich möchte nicht überall einen Romantikstempel drauf machen müssen, nur weil es sich an Jugendliche richtet. Und es folgt auch der Logik des Romans: Reena hat eine tragisch gescheiterte Beziehung hinter sich, in der sie mit einem Jungen nur deswegen zusammen war, weil sie es nicht übers Herz gebracht hat, ihm einen Korb zu geben. Wenn sie am Ende in der Lage ist, genau das mit Darius zu tun, obwohl sie ihn durchaus gern hat, ist das ein sehr passendes Ende für die Geschichte. Und ich wollte immer schon mal meine Heldin aufrecht in den Sonnenuntergang reiten lassen.
Niemand hantiert gern ungesichert mit kritischen Massen.
Robert Gernhardt

absinthefreund

Ich dachte mir schon zu Anfang, dass dein Cognac besser zur Stimmung der Szene passt als Bier oder Sekt, da Bier zu träge und zu langsam betrunken macht und Sekt zu feierlich-lustig wirkt. Sich mit Cognac richtig zu betrinken, hat etwas von Verzweiflung und Scheiß-egal-Haltung, die gut in diesen Moment zu passen scheint. Ich habe zwar keine Ahnung, was der "Grusel" ist, der am Ende kommt, aber wenn er etwas mit Geistern oder anderem Paranormalem zu tun hat, macht sich der Cognac als altes staubiges charaktervolles Getränk auch gut.

Klingt super! Und das wäre dann auch ein Jugendbuch, nach dem ich greifen würde, weil es eben keine Romanze ist, sondern die Protagonistin wirklich herausfordert. Einem vernünftigen Verlag, der nicht nur nach der oberflächlichen Massenware sucht, wird das sicher positiv auffallen.

Grey

Also mir gefällt diese Version. :jau: Richte dich nur darauf ein, dass der jugendliche Durchschnittsleser eventuell enttäuscht sein wird. Wenn du eine Romanze scheinbar aufbaust (und das tust du, allein dadurch, dass der bisherige Aufbau der Geschichte sich doch recht eindeutig an die Genrekonventionen hält), nur damit sie sich am Ende doch nicht kriegen, sind das Erwartungen, die nicht erfüllt werden. Ich finde das super, aber ich bin auch kein Teenie mehr und dementsprechend weniger fixiert darauf, glücklich endende Romanzen zu lesen, die ich in meinem Alltag nicht erleben darf. ;)
Damit will ich aber nicht sagen, dass du es so nicht schreiben sollst! Es wird nämlich vermutlich auch genug Leser geben, die das Buch genau deswegen lieben werden. Nur den ganz großen Bestseller rockst du wahrscheinlich nicht damit. Aber dafür hast du ja auch deine Erwachsenenbücher. ;)

Maja

Zitat von: Franziska am 02. Dezember 2014, 10:06:34Was für mich gar nicht geht ist, wenn einer total betrunken ist und der andere nicht und ihn zum Sex überredet, oder auch nicht überredet. Aber das kann man dann schon als Nötigung auffassen.
An der Stelle würde ich so weit gehen und sagen, das ist eine Vergewaltigung. Wenn ein Partner zu betrunken ist, um seine Einwilligung zu geben, und ein anderer nutzt diese Notlage aus oder hat die Person sogar erst dahin gebracht in der Absicht - sowas würde ich nicht schreiben wollen. Ich habe ja bekanntlich Figuren, die gerne und viel trinken (üblicherweise in meinen Erwachsenenbüchern) und hatte dementsprechend schon Fälle, wo sie dann auch miteinander im Bett gelandet sind, aber dann in der Situation, dass beide angetrunken waren.

ZitatEs sollte auf keinen Fall so rüberkommen, als könnte man nur betrunken Spaß haben oder als müsste das Mädchen was trinken, um mit ihm rummachen zu können.
Nein, das will ich auch wirklich nicht rüberbringen. Deswegen gibt es auf Darius' Seite alkohol-induzierte Impotenz. War ohnehin nötig, weil ich nicht wollte, dass die beiden Sex haben, und das wäre Reenas erstes Mal gewesen - sowas sollte man doch nüchtern erleben dürfen. Es war allerdings auch ihr erstes wildes, hemmungsloses Rumgefummel. Sie hatte Spaß, würde es aber nicht nochmal machen wollen - sie hatte sich vorher aktiv dagegen entschieden, in Darius verliebt zu sein, weil er sie sehr mies angelogen hat, und wäre nüchtern nicht im Traum auf die Idee gekommen, mit ihm rumzuknutschen. Sie schämt sich.

ZitatEs sei denn sie reflektiert da hinterher drüber.
Oh, keine Bange. Reena reflektiert über alles. Sie ist ein wandernder Parabolspiegel, was das angeht. ;D


Zitat von: absinthefreund am 03. Dezember 2014, 10:00:12Ich dachte mir schon zu Anfang, dass dein Cognac besser zur Stimmung der Szene passt als Bier oder Sekt, da Bier zu träge und zu langsam betrunken macht und Sekt zu feierlich-lustig wirkt.
Die Wahl ist auch deswegen auf Cognac gefallen, weil es das Haus eines alten Mannes ist, der inzwischen im Pflegeheim lebt, das Haus also unbewohnt ist, allerdings noch voll möbliert. Was haben alte Leute im Schrank? Cognac und Eierlikör. Den Eierlikör rühren sie nicht an aus Angst vor Salmonellen. Bleibt der Cognac. Da konnte ich auch glaubwürdig rüberbringen, dass er nicht schmeckt.


Zitat von: Grey am 03. Dezember 2014, 10:46:05Also mir gefällt diese Version. :jau: Richte dich nur darauf ein, dass der jugendliche Durchschnittsleser eventuell enttäuscht sein wird. Wenn du eine Romanze scheinbar aufbaust (und das tust du, allein dadurch, dass der bisherige Aufbau der Geschichte sich doch recht eindeutig an die Genrekonventionen hält), nur damit sie sich am Ende doch nicht kriegen, sind das Erwartungen, die nicht erfüllt werden.
Ja, wir müssen sehen, wie die Leser reagieren. Ich selbst wäre im Zielgruppenalter schon in dem Moment abgesprungen, wo sie den Alkohol trinken. Ich war als jugendliche Leserin sehr streng mit meinen Figuren, und Alkohol ging gar nicht. Die Szene hätte ich also wirklich nicht lesen wollen. Aber ich war sehr militant und sicher nicht repräsentativ. Solange ich mir jetzt als Autorin nicht den Ruf aufbaue, Leser zu enttäuschen und zu frustrieren ... Aber ich hab ja "Geigenzauber", und da kriegen sie sich am Schluss, wie es sich gehört.
Niemand hantiert gern ungesichert mit kritischen Massen.
Robert Gernhardt

Pestillenzia

Meine Jugendbuchzeit liegt ja inzwischen schon 30 + X Jahre zurück, und war geprägt von den heile-Welt-Büchern à la Hanni und Nanni, China und Teenie (<-- sehr gutes Beispiel für einen Klopper der Spracherkennungssoftware) Tina und Tini etc., deshalb habe ich mich mit Kommentaren bisher zurückgehalten und nur still mit gelesen. Zugegeben, anfangs hatte ich meine Probleme damit, dass sich die  Prota mit Cognac voll laufen lässt, aber nach dem gestrigen Posting hat sich meine Skepsis in Luft aufgelöst. Mir gefällt diese  Lösung sehr gut, und aus Erwachsenensicht würde ich am Ende sicherlich mit  in die Luft gereckter Faust dasitzen und Reena beglückwünschen.
Vor 30 Jahren hätte mich dieser Umgang mit Alkohol abgeschreckt, aber das mag vielleicht auch an der damaligen Zeit und meiner doch eher konservativen, um nicht zu sagen stockkonservativen Erziehung liegen, in der nichts sein konnte, was nicht sein durfte.

Zitat von: Maja am 03. Dezember 2014, 10:53:55
An der Stelle würde ich so weit gehen und sagen, das ist eine Vergewaltigung. Wenn ein Partner zu betrunken ist, um seine Einwilligung zu geben, und ein anderer nutzt diese Notlage aus oder hat die Person sogar erst dahin gebracht in der Absicht - sowas würde ich nicht schreiben wollen..

[Klugscheißermodus]
Wenn sich jemand aufgrund Alkoholisierung etc. nicht gegen die sexuellen Handlungen wehren kann (das aber in nüchternem Zustand getan hätte), ist das ein eigener Straftatbestand und nennt sich Missbrauch von Widerstandsunfähigen und reicht von "Begrapschen" (= einfache Form) bis hin zum Eindringen in den Körper (qualifizierte Form).
[/Klugscheißermodus]

Würde ein Autor eine derartige Szene unreflektiert oder sogar positiv darstellen, hätte ich auch in einem Erwachsenenbuch damit extreme Probleme und würde es für mich persönlich unter Gewaltverherrlichung verbuchen und um den Autor in Zukunft einen großen Bogen machen. Aber darum geht's hier ja nicht und deshalb: [/OT]

Alana

#140
ZitatWürde ein Autor eine derartige Szene unreflektiert oder sogar positiv darstellen, hätte ich auch in einem Erwachsenenbuch damit extreme Probleme und würde es für mich persönlich unter Gewaltverherrlichung verbuchen und um den Autor in Zukunft einen großen Bogen machen.

Ach was. Das ist doch gerade der letzte Schrei. Mädel wird von drei Typen betrunken gemacht und dann von allen dreien gleichzeitig missbraucht. Natürlich verliebt sie sich in einen davon. Und was soll man sagen: Es ist ja so romantisch und die große Liebe. In Teil 2 wird sie dann von den dreien entführt, worüber sie glücklich ist, während sie über sie herfallen, weil sie so endlich ihren Liebling wiedersehen kann. Ich sage jetzt lieber nicht, was ich davon halte, sonst artet dieser Post hier aus.
Alhambrana

Guddy

 :hmhm?: Worauf spielst du denn an, Alana? Ich denke mal, dass du übertreibst, aber ist es denn wirklich so schlimm derzeit in der Jugendliteratur?
Wobei ich das latente Stalking in Twilight schon leicht grenzwertig fand ;)

Pygmalion

?! O_O Auch wenns etwas OT ist: Welches Buch verbreitet denn sowas?

Maja

Zitat von: Alana am 04. Dezember 2014, 13:32:36Ich sage jetzt lieber nicht, was ich davon halte, sonst artet dieser Post hier aus.
Alana, was du davon hältst, können wir uns denken, und es deckt sich vermutlich mit der Einstellung der anderen hier. Würdest du trotzdem bitte näher erläutern, auf was du dich beziehst? Ist das ein aktuelles Buch? Oder malst du gerade nur den Teufel an die Wand? Da das letzte, worauf wir uns konkret bezogen haben, mein eigenes Buch ist, wäre mir sehr lieb, wenn du das näher ausführen könntest, schon damit klar ist, über wen wir hier diskutieren.
Niemand hantiert gern ungesichert mit kritischen Massen.
Robert Gernhardt

Alana

#144
Nicht im Jugendbuch, sorry. Ich habe Manus Beitrag mal noch nachträglich zitiert. :) Es geht um Erotik und es handelt sich um eine Roman-Serie, die seit Monaten in den kindle Charts ganz vorne mit dabei ist. Es ist etwas OT, tut mir leid. Allerdings spricht diese Serie in meinen Augen ganz eindeutig ältere Mädchen bzw. junge Frauen an, was es ja vielleicht wieder ein bisschen relevant macht. Es geht um die Sehnsüchtig-Reihe.

@Maja: Deine Lösung der Situation hört sich sehr gut an, finde ich. Ich bin ja auch der Meinung, dass in der Literatur wirklich alles erlaubt ist, es ist ja nur eine Frage, wie man es thematisiert und wie die Figuren damit umgehen.

Übrigens hier noch ein Link, zu einem Blogartikel, der sehr gut zum Thema passt (leider nur auf Englisch.)

Insane Young adult books with disturbing messages
Alhambrana