Tintenzirkel - das Fantasyautor:innenforum

Handwerkliches => Workshop => Thema gestartet von: Maubel am 19. April 2016, 09:09:42

Titel: Akzeptierte Standards für Fantasywelten
Beitrag von: Maubel am 19. April 2016, 09:09:42
Ich schleppe mich seit einiger Zeit mit einer interessanten Fragestellung herum und der Diversitätsthread hat mich nun noch mal dazu angeregt, diese zu diskutieren. Und zwar geht es darum, welche Kulturkreise als Standards für Fantasywelten akzeptiert werden und in welchem Maße.

Dazu eine kleine Einleitung:
Ich habe letztes Jahr den ersten Lotus-Krieg von Jay Kristoff gelesen, japanischer Steampunk, und von dem Buch völlig abgesehen, haben mich die Rezensionen stark verwundert. Das Buch wird nämlich geradezu verrissen, weil es offensichtlich an die japanische Gesellschaft angelehnt ist, aber diese nicht 100% perfekt wiedergibt. Titel werden falsch benutzt, Wortsilben erst recht und generelle Strukturen anscheinend auch.
Nun mag das alles richtig sein, aber der Lotus-Krieg spielt in seiner eigenen Welt. Es ist nicht Japan. Stark angelehnt ja, aber nicht Japan. Woher kommt also dieser Anspruch, dass es dennoch 100% wie Japan zu sein hat? Warum darf der Autor nicht die Inspiration so abwandeln, wie sie ihm gefällt und daraus seine eigene Welt schaffen? Und die größte aller Fragen, warum wird derselbe Standard nicht auf die abertausenden europäisch inspirierten Welten angewandt, die auch munter ihre Lords durcheinander schmeißen etc.? (Und ja, der Mann hätte gewisse Sachen besser umsetzen können)

Viele Welten ähneln dem europäischen Mittelalter oder anderen wohl anerkannten Epochen. Dabei werden jedoch munter Aspekte aus allen Epochen zusammen gemischt, z.B. wenn Frauen emanzipiert sind, was sie in der Vergangenheit ja nicht waren. Egal wie anachronistisch das Werk ist verglichen mit den Geschichtsbüchern, niemand macht daraus einen Aufstand und das ist auch richtig so. Aber sollte das nicht für alle Welten gelten, egal von welchem Kulturkreis sie abgekupfert werden? Und damit meine ich nicht einzelne Länder in diesen Welten, da gibts gut und gerne Japaner, Araber, Ureinwohner.

1. Welche Erfahrungen habt ihr mit der Akzeptanz von nicht-europäischem Weltenbau gemacht?
2. Muss man da mehr recherchieren um die Leser zufrieden zu stellen, als für den akzeptierten Standard?
3. Oder wie nah darf ich meine Welt an etwas anlehnen, damit diese trotzdem noch als eigenständige Kreation des Autors angesehen wird?
Schlussendlich, eine Frage als Leser: 4. Wie sehr achtet ihr beim Lesen darauf, dass die Welt nicht nur in sich logisch ist, sondern auch den realen Gegebenheiten entspricht?
Titel: Re: Akzeptierte Standards für Fantasywelten
Beitrag von: Nycra am 19. April 2016, 09:32:58
Ich glaube, Lesern kann man es nur bedingt recht machen. Für meine Höllenjobs habe ich bewusst kirchliche Themen so verdreht und abgewandelt, dass selbst der Blinde sehen musste, dass das weder ernstgemeint noch bibelgetreu wiedergegeben war. Trotzdem kamen ständig Beschwerden darüber, ich hätte nicht gut genug recherchiert. Fakt war jedoch, dass ich sogar sehr intensiv recherchiert, die entsprechenden Passagen der Bibel gelesen und stellenweise mit bibelfesten bzw. gläubigen Personen darüber gesprochen habe. Wer ein Haar in der Suppe sucht, findet eines.

Als Autor denke ich, sollte man das Recht haben, seine Welt den eigenen Anschauungen anzupassen. Wenn Jay Kristoff vorgehabt hätte, einen historischen Roman mit Bezug zu unserer Welt zu schreiben, der alle Eventualitäten berücksichtigt, hätte er das getan. Als Autor muss man über solchen Dingen stehen, das habe ich im Laufe der Zeit gelernt.
Titel: Re: Akzeptierte Standards für Fantasywelten
Beitrag von: Tigermöhre am 19. April 2016, 09:33:36
Ich kann mir vorstellen, dass es daran liegt, das die Leute, die japanische Fantasy lesen wollen ein großes Interesse an der japanischen Gesellschaft haben. Dadurch haben sie auch mehr Ahnung von der Gesellschaft, und merken die "Fehler" stärker. Bei europäischer Fantasy sind wir einfach so daran gewöhnt, dass die historischen Begriffe und Begebenheiten sehr frei interpretiert sind. Und viele schnappen halt nur das auf, was in den Romanen steht, und merken die "Fehler" dadurch nicht.

Ich selber störe mich nicht daran, wenn die Anlehnung relativ frei ist, wobei es mich etwas nervt, wenn die Titel "falsch" sind. Ich bin halt daran gewöhnt, dass ein König höher ist, als ein Herzog. Wenn es andersrum wäre, würde ich einfach darüber stolpern.
Zu der Frage, wie groß die Anlehnung sein darf, wenn ich die Vorlage deutlich rauslese, nervt es mich deutlich mehr, als wenn es sehr frei interpretiert ist. Ich las z.B. letzten den 1. Teil der Sturmwelten von Hardebusch, und ich muss sagen, es störte mich, dass ich durch die Namen und die Gesellschaftsstruktur die verscheidenen Länder und Kulturen so deutlich rauslesen konnte. Das reißt mich noch viel mehr raus, als ein zu freie Interpretation.
Titel: Re: Akzeptierte Standards für Fantasywelten
Beitrag von: Mondfräulein am 19. April 2016, 10:26:16
Schwieriges Thema. Ich glaube, eine an Japan angelehnte Welt in der die Titel und Anreden durcheinander geworfen werden, würde mich auch stören, wenn es mir denn auffallen würde, sofern es keinen guten Grund gibt, das zu ändern. Das ist vergleichbar mit Herzogen und Königen - warum sollte ich auf einmal den Herzog über den König stellen? Wenn ich allerdings eine Backstory erfinde, in der die Herzoge vor hundert Jahren eine Revolution vom Zaun gebrochen und sich über die Könige gestellt haben, macht es wieder Sinn und wird sogar spannend. Der Unterschied ist glaube ich, ob ich einfach etwas ändere, weil ich entweder zu faul bin zu recherchieren ("Ist ja meine eigene Welt, da ist das halt anders."), weil ich anders und fancy sein will ("In meiner Welt stehen Bauern über Königen, aber ich denke nicht darüber nach, was das für Gründe oder Auswirkungen haben könnte.") oder weil ich mir wirklich etwas dabei gedacht habe ("Meine Frauen sind emanzipiert, das hat die und die Auswirkungen auf die Gesellschaft, die und die Konsequenzen und die und die Folgen für den Plot.").

Insofern verzeihe ich auf der einen Seite wirklich viel, weil ich auch mit Anachronismen gut leben kann, wenn sie Sinn machen, zum Beispiel, weil der Autor lieber die Atmosphäre einer Epoche einfangen will als dass er alles korrekt wieder gibt. Mich überzeugen erstmal alle Veränderungen, solange sie Sinn machen und gut durchdacht sind. Auf der anderen Seite verzeihe ich wirklich wenig. Mir stehen auch bei vielen Fantasy-Welten die Haare zu Berge, weil ich das Gefühl habe, viele Autoren sind einfach zu faul, zu recherchieren, basteln deshalb ihre eigene Welt und denken, das ist dann einfacher. Gerade die Obsession mit dem Mittelalter verstehe ich nicht, sie stört mich richtiggehend, weil das Mittelalter in den meisten Fällen nur auf Mythen und Halbwissen basiert, weil da jemand zu faul war, fünf Minuten zu recherchieren. Das fängt schon an, wenn der Held ein Gericht mit Kartoffeln gibt (gab es im Mittelalter nicht). Schlimm wird es, wenn Autoren den Fehler machen, das alles mit Kolonialismus zu mischen - natürlich passiert das leicht, weil der Kolonialismus zwischen uns und dem Mittelalter lag, aber es ist auch einfach wirklich falsch.

Ich finde, besonders, wenn es um Kulturen geht, die nicht unsere eigene sind, hat es etwas mit Respekt und Respektlosigkeit zu tun, sich nicht einfach auf irgendwelche Mythen, Klischees und Vorurteile zu verlassen sondern die Kulturen wirklich gründlich zu recherchieren. Wenn ich dann weiß, wie es im alten Japan wirklich ausgesehen hat, kann ich natürlich auch beliebig viele Dinge verändern, weil ich es dann bewusst tue und nicht aus Faulheit, weil ich mir denken kann, welche Auswirkungen und Bedeutungen das gehabt haben könnte. Aber von der "Das ist meine Fantasy-Welt, ich kann mchen, was ich will, ich muss nicht recherchieren"-Mentalität bin ich absolut kein Fan. Auch in einer Fantasy-Welt macht einfach nicht alles Sinn und bestimmte Strukturen funktionieren aus guten Gründen nicht.
Titel: Re: Akzeptierte Standards für Fantasywelten
Beitrag von: Fianna am 19. April 2016, 10:31:30
Ich bin da etwas zwie gespalten: wenn man bewusst eine Kultur als Leitkultur nimmt oder bestimmte Ereignisse, dann soll man da auch bewusst mit umgehen. Also entweder recherchiert haben oder wie Nycra schrieb, Sachen absichtlich verdrehen.
Sachen wild überall her zusammen klauen, sowas mag ich nicht - es sei denn, man trennt das sehr räumlich (so dass man praktisch viele Leitkulturen hat).
Aber wenn man sich eh nicht drum schert, soll man doch bitte kein historisches Setting wählen oder sich zumindest nicht wundern, wenn die Leute dann rum moppern.

Fantasy mit deutschen Adelstiteln fällt mir gar nicht als Beispiel ein, also mit starken Unterscheidungen und falsch verwendeten Zwischenstufen  :hmmm:

Ich selbst mache es so, dass ich mir zwar bestimmte Prinzipien abgucke (beispielsweise in der Architektur: ein stringenter Aufbau, in den immer weniger Leute vordringen dürfen, weol es immer "privater" wird), diese lassen sich aber auf keine Kultur zurück führen vom Leser (in meinem Beispiel das pharaonische Ägypten).

Es ist zwar alles schonmal dagewesen und erfunden worden in Hunderttausenden von Jahren Menschheitsgeschichte, deswegen ist das in meinen Augen kein Grund, einfach eine Kultur abzukupfern, wenn man nicht explizit historische Phantastik schreiben will.
Und wenn man historische Hintergründe nachlässig verwendet, darf man sich nicht über Kritik wundern.
Titel: Re: Akzeptierte Standards für Fantasywelten
Beitrag von: Schneerabe am 19. April 2016, 10:41:04
Zur ersten Frage fällt mir jetzt leider nicht so viel ein, aber dafür zu den restlichen drei Fragen.

2. Muss man da mehr recherchieren um die Leser zufrieden zu stellen, als für den akzeptierten Standard?

Ich denke schon, dass man für 'exotischere' Vorlagen für seine Welt mehr recherchieren muss, vor allem, weil man zum Standard der ja eine mittelalterlich angehauchte Welt wäre, einfach mehr laienhaftes Hintergrundwissen hat, da es einen selbst in Film und Buch mehr umgibt als anderes. Man hat schon ein gewisses 'Bild' davon, anders als wenn man sich zum Beispiel sagt, man will einen die Kultur eines Landes von den Mongolen inspirieren lassen - was weiß man denn schon von den Mongolen? Pferde, irgendwo weiter im Osten...
Also ich denke weniger, dass es Recherche für den Leser wäre, sondern für den Autor um mit seiner Welt vertraut zu werden, alles zu verstehen und vielleicht um den Leser schließlich mit nutzlosen Details der Kultur zu erfreuen die das ganze ein wenig Lebendiger machen. Davonabgesehen bekommt man bei so einer Recherche ja auch unheimlich viel Input der zu allem möglichen von Plot bis Charakter inspirieren kann.

3. Oder wie nah darf ich meine Welt an etwas anlehnen, damit diese trotzdem noch als eigenständige Kreation des Autors angesehen wird?
Mhm das ist eine interessante Frage, ich denke man kann viele Kulturen ohnehin nicht 1zu1 in Fantasy übernehmen - da es in vielen Phantastischen Welten Magie gibt, die vieles einfach verändert. Wenn man es trotzdem tut, wenn man eine Kultur nur abschreibt, wäre das für mich nichts eigenes, aber ich hätte auch nichts dagegen. Ich denke da an die Percy Jackson Reihe (Ok es ist keine Fantasy mit einer eigenen Welt aber) dort wurden die griechischen Götter und Sagengestalten ja auch nur übernommen und in die Handlung eingewebt - das gute daran war das ich verdammt viel über die griechische Götterwelt gelernt habe in diesen Fünf Büchern, einfach weil das stöbern in dem Glossar hinten auch so viel Spaß machte. Also selbst wenn ein Autor eine Kultur oder ähnliches nur übernimmt, kann der Leser dafür viel daraus mitnehmen.  :)
Aber zurück zu deiner Frage, ich finde es schwierig, dass festzumachen... Manch einer lehnt sich vielleicht nur grob an einigen realen Dingen an und ein anderer lässt sich für seine Welt stark von einer Kultur inspirieren und wieder ein anderer mischt mehreres zusammen. Ich glaube letztlich merkt man es selbst, ob die Welt die 'eigene' Welt ist, oder eine mongolische/byzantinische... Welt. Wenn sich eigene (globale) Konflikte aus den Interessen und der Geschichte der Völker ergeben und man die nicht erst von realen Kriegen abgucken muss, dann würde ich sagen funktioniert die Welt für sich und ist damit definitiv eine Kreation des Autors. Ich hoffe das ist irgendwie verständlich  ;D

4. Wie sehr achtet ihr beim Lesen darauf, dass die Welt nicht nur in sich logisch ist, sondern auch den realen Gegebenheiten entspricht?
Im Grunde so gar nicht, sobald ich mit dem Lesen anfange, gehe ich quasi willentlich in eine andere Welt und erwarte gar nicht dort Analogien zu unserer zu finden. Es muss nicht den realen Gegebenheiten entsprechen, aber es muss innerhalb der Welt Sinn machen und logisch aufgebaut sein, dass ist mir viel wichtiger.
Titel: Re: Akzeptierte Standards für Fantasywelten
Beitrag von: Lothen am 19. April 2016, 11:03:23
Zitat von: Fianna am 19. April 2016, 10:31:30Es ist zwar alles schonmal dagewesen und erfunden worden in Hunderttausenden von Jahren Menschheitsgeschichte, deswegen ist das in meinen Augen kein Grund, einfach eine Kultur abzukupfern, wenn man nicht explizit historische Phantastik schreiben will. Und wenn man historische Hintergründe nachlässig verwendet, darf man sich nicht über Kritik wundern.
Ich weiß nicht, ich sehe das anders. Ich denke, es macht schon einen gravierenden Unterschied, ob ich Historisches (oder historical Fantasy) oder reine Fantasy schreibe.

Warum sollte eine Fantasy-Kultur, die Ähnlichkeit mit einer irdischen hat, denn mit dieser identisch sein oder z.B. dieselben kulturelle Standards haben? Das ergibt doch gar keinen Sinn. Der Grund, warum man sich für ein bestimmtes Setting entscheidet, liegt ja oft auch in der Atmosphäre begründet. Ich will ein gewisses Flair schaffen, eine gewisse Stimmung erzeugen - und das funktioniert einfach sehr gut mit den entsprechenden Begrifflichkeiten.

Vielleicht kurz an einem eigenen Beispiel, weil ich es da am besten erklären kann: Mein letzter Nano-Roman sollte ein 1001-Nacht-Märchen werden, allerdings angesiedelt in einer völlig fiktiven Welt (mit Magie und allem Drum und Dran).

Sicherlich hätte ich den Schah in der Geschichte auch "König" nennen können, den Wesir "Berater" und die Satrapien "Provinzen" - das hätte aber beim Leser mit Sicherheit nicht dieselben Aladdin-Prince-of-Persia-Konnotationen ausgelöst. ;) Ebenso wenig, wenn ich dafür eigene, selbsterdachte Titel verwendet hätte. Weder die Gesellschaftsordnung noch die kulturellen Standards entsprechen allerdings dem alten Persien, schon allein deshalb, weil ein ganz anderes Glaubenssystem vorherrscht. Ganz ehrlich, da kann mir gerne jemand vorwerfen, das sei historisch inkorrekt, das ist mir vollkommen wumpe. ;D

Ich könnte mir vorstellen - ohne den Roman zu kennen! - dass Jay Kristoff auf ähnliche Weise gearbeitet hat und würde ihm das auch nicht vorwerfen wollen. Als Autoren arbeiten wir mit Bildern, und die erzeugt man am Besten, indem man bestehende Assoziationen ausnutzt. In der Fantasy halte ich das für absolut legitim.

ZitatWie sehr achtet ihr beim Lesen darauf, dass die Welt nicht nur in sich logisch ist, sondern auch den realen Gegebenheiten entspricht?
Ich finde, das Wichtige ist die innere Logik. Wie Schneerabe schon sagte, wenn eine Welt Magie beherrscht, dann muss sie zwangsläufig gewisse Entwicklungen durchgemacht haben, die es in der realen Welt nicht gibt. Glaubenssysteme spielen eine große Rolle, sodass z.B. sexuelle Aufklärung in einem Fantasy-Mittelalter ohne die katholische Kirche durchaus anders ablaufen könnte, als im realen MA, auch die Medizin könnte ganz anders entwickelt sein, wenn Leichenöffnungen erlaubt sind. Das, finde ich, sind die spannenden Fragen daran.

/EDIT: Gerade noch vergessen: Relevant ist für mich vor allem die Frage, ob man wirklich eine reine Fantasy-Welt hat oder schon so nah an der irdischen Realität ist, dass man eher von historical Fantasy oder einer alternativen Realität sprechen kann (z.B. ein barockes Frankreich, in dem es Magie gibt). Da gelten für mich dann schon noch einmal andere Maßstäbe.
Titel: Re: Akzeptierte Standards für Fantasywelten
Beitrag von: Valkyrie Tina am 19. April 2016, 11:35:31
Ich denke, eine Fantasywelt muss in sich stimmig sein, und angemessen für die Art der Geschichte: bei einer Parodie lege ich ganz andere Maßstäbe an als für ein High Fantasy-Konzept.

Ich denke, man muss für eine nicht-europäische Welt mehr recherchieren, aus 2 Gründen. Erstens, sie ist nicht vertraut, man muss sich mehr Mühe geben, um die unvertrauten Konzepte vertraut zu machen. Und zweitens ist es einfach ein Zeichen von Respekt.
Beispiel: in meinem Fantasyland darf ich machen, was ich will, aber wenn meine Geschichte in Iberistan spielt, wo Leute mit Stieren kämpfen, und Frauen Flamenco tanzen, und wo Palmen stehen und man Serrano-Schinken isst, werden die Leute nicht sagen "was für eine völlig neue Welt". Und wenn ich dann noch reinschreibe, dass die Bewohner von Iberistan alle drei Stunden Siesta machen, weil sie so faul sind, dann brauche ich mich nicht wundern, wenn diverse Spanienliebhaber angepisst sind.

Ich denke, das konkrete Problem mit diesem Buch von Kristoff ist einfach schlechtes Worldbuilding. Wenn ich haufenweise Fremdwörter in eine Geschichte schmeiß,  muss ich das so tun, dass die Leute nicht drüber stolpern. Wenn sie stolpern, und dann googlen müssen, um die Geschichte zu verstehen, und DANN merken, dass der Autor das Wort falsch verwendet, ist das schlechtes Worldbuilding.
Ich hab mir mal ein paar Rezensionen angesehen, und es hört sich fast an, als hätte der Gute in seinem Manuskript "ersetze 'sir' durch 'shogun' " gemacht. Und "ersetze Wirtshaus durch Pagode. Und da stolpern die Leute drüber, und das kann ein Buch unlesbar machen.

Ich hoffe, mein Gedankensermon ist halbwegs verständlich.
Titel: Re: Akzeptierte Standards für Fantasywelten
Beitrag von: Guddy am 19. April 2016, 11:54:20
Na wenn schon so schöne Fragen gestellt werden, beantworte ich sie auch mal genau so! ;D

1. Welche Erfahrungen habt ihr mit der Akzeptanz von nicht-europäischem Weltenbau gemacht?
Spontan fallen mir nur afrikanisch angehauchte Settings ein - und damit habe ich in letzter Zeit eher negative Erfahrungen gemacht. (explizit ausgenommen ist ein gewisses naNo Projekt, das ich zauberhaft verschnipselt fand!) Ich persönlich sehe diese Form der Auseinandersetzung mit dem "Orient" eher kritisch, da mir zu oft mit Klischees, Vorurteilen und vor allen Dingen auch dem Gefälle gespielt wird, die sich durch solche Settings leider noch weiter in den Köpfen zu verankern drohen.
Die Akzeptanz gerade des orientalischen Settings ist jedoch allgemein sehr hoch, da romantisch verklärt. An sich ist das nichts Schlechtes, ich persönlich mag Aladdin und Co, aber es hat für mich einen faden Beigeschmack gewonnen, irgendwie.
Ich schätze, dass die Akzeptanz, was an Japan, Amerika etc. angelehnte Settings betrifft, geringer ist, da das Bild, das die meisten haben, noch ein Stück abstrakter ist und diejenigen, die sich auskennen, gefühlt richtige Kenner sind. Und Leuten vom Fach/mit entsprechend hohem Interesse fallen dann auch die falschen Punkte vermehrt und vor allem sauer auf, wohingegen bspw. der Orient und das mitteleuropäische Mittelalter als Setting klarer erscheinen(Auch wenn es auch nicht so klar ist, wie es erscheint ;) Da kursiert einiges als Falschwissen und viele glauben aufgrund von etlichen Filmen, Büchern etc., dass sie sie sich auskennen.).

2. Muss man da mehr recherchieren um die Leser zufrieden zu stellen, als für den akzeptierten Standard?
In gewisser Weise, aus oben genannten Gründen, schon. Allerdings sollte man für sich selber überlegen dürfen, wie historisch korrekt man wirklich sein muss. Am Ende ist es eben auch "nur" Fantasy und kein historischer Roman. Was die innere Logik betrifft, schließe ich mich da gerne Mondfräulein an.

3. Oder wie nah darf ich meine Welt an etwas anlehnen, damit diese trotzdem noch als eigenständige Kreation des Autors angesehen wird?
Schwierig. Ich persönlich bin da glaube ich recht kritisch, denn unter "eigener Welt" fällt für mich kein mittelalterliches Setting, dem man ein paar Fabelwesen und Völker beigemengt hat. Es muss für mich wirklich eigenständig sein, mit eigenen Kulturen, Geschichten usw. Die dürfen sich natürlich an bereits Gegebenes anlehnen, schließlich ist die reale Menschheitsgeschichte voller Kulturen, Eigenheiten etc.pp., dass es schwer fallen dürfte, auch nur irgendetwas Neues zu erfinden.
Damit meine ich nicht, dass mittelalterliche Fantasywelten doof sind - sie fallen für mich nur nicht unter "eigene Welt".
Ich mag mittelalterliche Fantasy nämlich meistens gerne. ;) (Und erschaffe selber auch keine supidupitollen, einzigartigen und nie dagewesenen Kulturen ;D )


Schlussendlich, eine Frage als Leser: 4. Wie sehr achtet ihr beim Lesen darauf, dass die Welt nicht nur in sich logisch ist, sondern auch den realen Gegebenheiten entspricht?
Logisch muss sie sein, ansonsten begrüße ich es bzw. finde es einfach spannender, wenn eine Welt eben nicht zu sehr an reale Begebenheiten angelehnt ist.
Titel: Re: Akzeptierte Standards für Fantasywelten
Beitrag von: Maubel am 19. April 2016, 12:05:35
Zitat von: Valkyrie Tina am 19. April 2016, 11:35:31
Ich denke, das konkrete Problem mit diesem Buch von Kristoff ist einfach schlechtes Worldbuilding. Wenn ich haufenweise Fremdwörter in eine Geschichte schmeiß,  muss ich das so tun, dass die Leute nicht drüber stolpern. Wenn sie stolpern, und dann googlen müssen, um die Geschichte zu verstehen, und DANN merken, dass der Autor das Wort falsch verwendet, ist das schlechtes Worldbuilding.
Ich hab mir mal ein paar Rezensionen angesehen, und es hört sich fast an, als hätte der Gute in seinem Manuskript "ersetze 'sir' durch 'shogun' " gemacht. Und "ersetze Wirtshaus durch Pagode. Und da stolpern die Leute drüber, und das kann ein Buch unlesbar machen.

Ja, genau, er hat eben die Titel, die im Japanischen an den Namen ran gehängt werden, alleinstehend gemacht, was so eben nicht richtig ist (also: sensei, statt Maubel-sensei). Dazu kam dann noch die Übersetzung von hai als einfach ja oder okay, aber das geht wohl auch nicht so einfach. Aber um das Buch selber will ich gar nicht diskutieren, ich mochte es aus anderen Gründen nicht so sehr.

Edit: Danke dir @Sipres, da habe ich zu schnell getippt, statt noch mal in Ruhe nachzuschauen. Sensei ist natürlich in Ordnung und es war tatsächlich Sama, das eigenständig benutzt wurde.

Mir geht es tatsächlich darum, dass meiner Meinung nach vielen europäischen Werken ähnliche Patzer verziehen werden und ich denke, das liegt wirklich daran, dass es eben der Standard ist und schon so viele Verunstaltungen gab, dass vieles akzeptiert wird, zumal viele Leser gewisse Anachronismen auch schon erwarten. Wenn ich mir da manchmal durchlese, wie sozialkritisch die Bauern sind, obwohl doch damals eine gottgegebene Ordnung vorherrschte, dann fang ich auch ein wenig an zu meckern.
Die Heftigkeit der Rezensionen, die mit der Geschichte gar nichts mehr zu tun hatte, hat mir aber bewusst gemacht, dass da mit zweierlei Maß gemessen wird. Ja, in europäisch zentrierten (und häufig auch Wüstenvölker) werden solche Ungereimtheiten leichter verziehen, will mir scheinen. Bei einem exotischeren Setting wird da plötzlich ein anderer Maßstab angelegt. Wie ihr selber sagt, erwartet ihr da auch eine bessere Recherche. Gleichzeitig möchte man natürlich auch gerne von anderen Kulturkreisen inspirierte Welten haben. Was mir eben aufgefallen ist, ist, dass schlechtes Worldbuilding im Europa-zentrischen Roman deutlich eher abgenickt wird als im speziellen Setting und das ist natürlich eine Unverhältnismäßigkeit.
Guddy gibt dafür denke ich schöne Gründe, die ich so auch unterzeichnen mag. Es hat eben etwas mit der Häufigkeit und der Leserbildung zu tun.
Titel: Re: Akzeptierte Standards für Fantasywelten
Beitrag von: Mondfräulein am 19. April 2016, 12:25:27
Ich bin nicht sicher, inwiefern ich ein Buch schreiben kann, das losgelöst vom Vorbild ist. Wenn ich zum Beispiel ein Buch schreibe, das sich ganz klar an das alte China anlehnt, dann wird der Leser entweder nicht mehr erkennen, dass ich mich am alten China orientiere, und dann habe ich auch die Ästhetik nicht mehr, die ich wollte, oder aber man erkennt es eben und dann muss ich einfach aufpassen, was ich verändere und vor allem, dass ich respektvoll damit umgehe und vielleicht auch keine rassistischen Stereotypen bediene. Das ist das eine. Aber wenn ich einen Schritt weiter gehe - welche Konzepte kann ich denn überhaupt noch losgelöst von einem bestimmten Setting verwenden? Selbst wenn ich versuche, möglichst weit von irgendeinem Setting weg zu gehen, ist doch alles immer noch aus einer realen Welt entlehnt. Konzepte wie Religion, Priester, Adel, Militär können schlecht neu erfunden werden. Wo fängt dann also die wirklich eigenständige Welt an und wo hört die Assoziation mit einem realen Setting auf? Vor allem - wo liegen die Grenzen für jemanden, der häufig Fantasy liest und wo für einen Durchschnittsleser, oder gar jemanden, der sonst wenig Fantasy liest?

Zitat von: Maubel am 19. April 2016, 12:05:35
Was mir eben aufgefallen ist, ist, dass schlechtes Worldbuilding im Europa-zentrischen Roman deutlich eher abgenickt wird als im speziellen Setting und das ist natürlich eine Unverhältnismäßigkeit.

Wie du schon sagst, ich denke, da gab es einfach schon so viele mittelalterlich angehauchte Bücher, die so viel falsch gemacht haben, dass man sich schon daran gewöhnt hat. Ich habe eine Zeit lang in einem Museum gearbeitet, das sich aufs Mittelalter spezialisiert hat, und es ist teilweise echt unglaublich, mit welcher Überzeugung manche Menschen offensichtlich falsche Dinge für wahr halten. Vielleicht ist gerade das so tückisch - die Menschen glauben, sich auszukennen, glauben fest daran, und nehmen falsche Informationen deshalb eher hin, wenn sie zu ihren eigenen falschen Informationen passen. Da muss man nur mal zählen, wieviele Sklavenmärkte es in mittelalterlichen Settings gibt. :wart:

Ein Problem ist vielleicht auch, dass es eben so wenige Fantasyromane gibt, die sich nicht am europäischen Mittelalter orientieren. Wenn es dann mal unter 1000 Romanen einen einzigen findet, der sich mit Japan beschäftigt und dann ist der auch noch schlecht recherchiert und ein kompetter Reinfall... da würde ich mich, wäre ich Japan-Fan, auch mehr ärgern, als würde ich gerne europäisches Mittelalter lesen. Beim europäischen Mittelalter habe ich immer noch genug Alternativen und kann ein anderes Buch lesen, das besser recherchiert und konzipiert ist. Das ist mit den meisten anderen Settings nicht so einfach, weil man sich da vielleicht schon freut, wenn man überhaupt ein Buch findet, das sich damit beschäftigt.
Titel: Re: Akzeptierte Standards für Fantasywelten
Beitrag von: Malinche am 19. April 2016, 12:26:32
Das ist mal ein interessantes Thema!

Zitat von: Maubel am 19. April 2016, 09:09:42
Das Buch wird nämlich geradezu verrissen, weil es offensichtlich an die japanische Gesellschaft angelehnt ist, aber diese nicht 100% perfekt wiedergibt. Titel werden falsch benutzt, Wortsilben erst recht und generelle Strukturen anscheinend auch.
Nun mag das alles richtig sein, aber der Lotus-Krieg spielt in seiner eigenen Welt. Es ist nicht Japan. Stark angelehnt ja, aber nicht Japan. Woher kommt also dieser Anspruch, dass es dennoch 100% wie Japan zu sein hat?
Hm, ich kenne weder das Buch noch die Rezensionen, aber instinktiv würde ich in eine Richtung tendieren, die Mondfräulein und Valkyrie Tina auch schon angesprochen haben. Es ist – jedenfalls in meinen Augen und vom Gefühl beim Lesen her – ein Unterschied, ob jemand erkennbar bewusst verfremdet und abwandelt oder scheinbar willkürlich und oberflächlich exotisiert. Das hat jetzt auch viel mit Bauchgefühl auf meiner Seite zu tun, sodass ich schwer deutlich machen kann, wo da für mich eine Grenzlinie verläuft. Aber ich könnte mir vorstellen, dass die Reaktionen auf das Buch auch damit zu tun haben.

Zitat von: Maubel am 19. April 2016, 09:09:42
Und die größte aller Fragen, warum wird derselbe Standard nicht auf die abertausenden europäisch inspirierten Welten angewandt, die auch munter ihre Lords durcheinander schmeißen etc.?
Auch eine gute Frage. Instinktiv würde ich sagen: Weil diese europäische Inspiration etwas weitergefasst ist. Das »europäische Mittelalter« ist räumlich und zeitlich ja ein ungeheuer komplexes Konzept, und es ist zumindest für High und Low Fantasy bereits so sehr Topos geworden, dass es wirklich mehr als Flair und Idee wahrgenommen wird denn als Anlehnung an eine Epoche, die historisch akkurat sein will. Umgekehrt stimmt es aber natürlich, dass man einem Autoren dann auch zugestehen kann, mit einer solchen »Idee« einer anderen Kultur zu arbeiten.

@Lothen macht das ja im Prinzip mit ihrem Orientsetting, ich denke, da sieht man es noch einmal besonders schön: Das ist ja explizit nicht die Arbeit mit einem konkreten historischen Vorbild, sondern mit einer »Idee« von Orient, die bestimmte Konnotationen hervorrufen soll, mit denen man dann arbeiten kann. In dem Fall ist das für mein Empfinden auch so klar, dass niemand kommen und sagen wird: »Ey, aber das passt so nicht, denn im echten Orient ...« (weil eben auch klar ist, dass dieser »echte Orient« auch nicht existiert, sondern ein Konstrukt aus unseren märchenhaften Vorstellungen ist). :)

Ich denke aber, die Trennlinie zwischen der »Idee« und dem konkreten historischen Vorbild ist eben oft eine dünne, und umso schwerer zu ziehen, je weniger gängig das Setting ist. Wenn sich jemand jetzt auf Japan (in einer bestimmten Zeit) als Vorbild bezieht, ist das für mich zum Beispiel auch schon mal eine konkretere Ansage, und ich denke, dann möchte ich auch bei einer lediglich japanisch inspirierten Fantasywelt das Gefühl haben, dass der Autor sich mit dem Vorbild tiefgehend genug auseinandergesetzt hat, um eine gute Abwandlung zu schaffen. Vor allem, wenn mir vielleicht durch bestimmte Details suggeriert wird, dass es um mehr geht als die bloße »Idee« Japan. Und wenn ich dann beim Lesen das Gefühl habe, hier ist keine Sorgfalt auf stimmigen Weltenbau verwandt worden, dann bin ich sicher auch erstmal angepisst.

Von Japan habe ich persönlich in dem Zusammenhang keine Ahnung, aber wie schon jemand schrieb, gerade bei dem Setting gibt es ja eine enorme Leserschaft, die sich mit den Hintergründen beschäftigt hat und Abweichungen dann schwerer verzeiht, wenn sie nicht stimmig erklärt sind. Insofern muss man vielleicht wirklich mehr recherchieren, einfach weil solche Settings noch nicht als bloße »Idee« etabliert sind wie die Schablone »europäisches Mittelalter« und man darum vielleicht in der Leserschaft eher auf unversöhnliche Experten stoßen wird, die vieles verzeihen, aber keinen schlampigen Umgang mit der Vorlage.

Mir persönlich geht das so mit Lateinamerika – ich habe vor einer Weile auf einem Buch, das in Peru spielen soll, eine Maya-Pyramide entdeckt und fast in die Tischkante gebissen (das war aber außerdem noch eine Ausgabe als Schullektüre, was es für mich noch heftiger machte). Das war natürlich keine Fantasy, aber ich denke, dass ich eine Fantasywelt nicht mögen würde, in der süd- und mittelamerikanische Kulturen bunt durcheinandergeworfen werden, ohne dass für mich erkennbar dahinter mehr steht als die Freude am exotischen Touch (wie Valkyrie schon schrieb, kommt es da aber auch wieder auf die Story an – es kann natürlich auch passen).

Persönlich schreibe ich ja eigentlich immer im nicht-europäischen Setting, nämlich in Lateinamerika. Mein ehemaliger Agent regte da letztes Jahr genau das Gedankenspiel an, doch mal etwas in einer eigenen, lediglich lateinamerikanisch inspirierten Welt zu machen. Ich fand das auf den ersten Blick total spannend und merkte dann, als ich mich an den Weltenbau setzen wollte, dass ich es einfach nicht konnte. Für mich fühlte es sich unfassbar falsch an, mir Bausteine aus dem Gesamtkontext zu lösen und neu zu arrangieren, Dinge anders zu nennen, von denen wirklich jeder wissen würde, wo sie eigentlich herkamen.

Womit ich auf keinen Fall sagen will, dass solcher Weltenbau nicht auch funktionieren und ziemlich cool sein kann. Ich habe nur in dem Moment gemerkt, wie schwer ich es für mich selbst finde, das gut zu machen. Für mich persönlich ist es eine noch größere Herausforderung als historisch »akkurate« Fantasy, bei der ich die phantastischen Aspekte in das realistische Setting einflechte. Es kommt sicher noch dazu, dass ich in der Hinsicht einiges an Diskussionen aus meinem Studium mit mir herumschleppe, wo postkoloniale Ansätze und die Frage nach Machtverhältnissen eine Rolle spielen. Möglicherweise sind das auch noch Aspekte, die in der Wahrnehmung nicht-europäischer Settings eine Rolle spielen, aber das finde ich dann auch wahnsinnig schwierig zu diskutieren.

Fazit: Ich denke, es ist möglich und auch ungeheuer spannend, historische Settings und Epochen als Vorlage für die eigene Welt zu nutzen und gezielt zu verfremden. Aber es kann auch ein ziemlicher Balanceakt sein, das stimmig und überzeugend hinzubekommen.

[EDIT] ... und jetzt lese ich mal, was in der Zwischenzeit alles geschrieben wurde. Ihr seid zu schnell für mich. :rofl:
Titel: Re: Akzeptierte Standards für Fantasywelten
Beitrag von: Denamio am 19. April 2016, 12:43:28
Zu dem Thema kann ich nicht viel beitragen, nicht zuletzt weil meine Fantasy entweder im europäischen Raum spielt oder extrem weit weg von europäischer Fantasy ist, weil ich bewusst das Irland/Mittelalter Klischee vermeiden will. Was ich aber an der Diskussion interessant finde ist vor allem ein Punkt, der sich mit einem Beispiel verdeutlichen lässt: Man kann es nie wirklich richtig machen.
Und das Beispiel wäre Science Fiction oder besser Space Opera. Unendliche Weiten, wunderbare außerirdische Welten und seit ein paar Jahren ist es einfach wahnsinnig in Mode, die Werke mit schlechten Benotungen abzustrafen. Die große "Schuld": Der Überlichtantrieb ist nach aktuellem Stand nicht möglich, also sind Bücher die Überlichtflug enthalten grundlegend unrealistisch - damit schlecht. Ein Kollege von mir geht sogar hin und stellt in Buchhandlungen Bücher mit Überlichtflug zur Fantasy und beschwert sich sogar bei den Mitarbeitern darüber. Das zeigt doch eine recht absurde Spielweise in dem ganzen Diskurs (und das mein Kollege einen Knall hat ;D).

Tatsächlich aber glaube ich, dass es in jedem Szenario etablierte Bilder gibt. Ja in europäischer Fantasy verzeiht man viel Unsinn, aber tut man das bei fernöstlicher Fantasy nicht? Stichwort Ninjas? Fantasy Bild: Super akrobatische Zauberkiller in nachtschwarzen Klamotten. Realität: Unter anderem rebellische Bauern mit versteckten Waffen. Fantasy: Weg des Samurai, Ehrenkodex, Schwert so toll. Realität: Pffft, Pustekuchen, ein Kunstgebilde, als die Briten längst mit Pengpengs unterwegs waren.
Diese festen Erwartungen an ein Genre gibt es allerdings auch bei west-europäischer Fantasy, beispielsweise gibt es eine Erwartungshaltung beim Begriff Adel. Wenn jemand hingeht und in einem Irland/Mittelalter Szenario den Adel als Feldarbeiter hinschreibt, wo der König den Bauern mit gediegener Herr anspricht, dann wird sich auch darüber aufgeregt. Vor ein paar Wochen hatten wir ja auch eine Diskussion über Pferde in Fantasy, die ähnlich zum Thema passt.

Also besondere Angst hätte ich bei exotischen Szenarien nicht. Man sollte die typischen Konventionen aber schon kennen. Dazu braucht es aber nicht sehr viel Recherche. Die Hardcore Puristen werden auf jeden Fall meckern, die Cultural Appropiation Typen per Definition. Allerdings muss ich dabei aber auch sagen, dass viel Potential verschenkt wird, wenn man nicht richtig recherchiert. Robert Charette schrieb einige Battletech Bücher über das Kurita Kombinat, eine Art Samurai Zukunfts Ding und dort hat er sehr zentral die Begriffe des Ninjō und Giri aufgegriffen.
Ohne diese Konzepte, wären die Bücher ungleich schwächer gewesen. Und wenn man eine fremde Kultur benutzen möchte, warum nicht auch Bräuche aufgreifen, sich reinlesen in faszinierende fremde Welten? Praktisch als Nebeneffekt lernt man dann auch viel über die typischen Konventionen und baut keine Sensei-Sempai Schnitzer.
Titel: Re: Akzeptierte Standards für Fantasywelten
Beitrag von: Sipres am 19. April 2016, 12:44:46
Da das Thema Japan ja hier recht häufig mit angesprochen wird, möchte ich auch mal kurz meinen Senf dazu geben. Es stimmt, man verzeiht mehr "Fehler" im europäischen Mittelalter und auch im orientalischen Raum, zumindest hier bei uns. Aber ich finde es nicht schlimm, wenn sich jemand mal was anderes traut und auch dort Fehler einbaut. Gerade im Zusammenhang mit Japan sind die Japaner sowieso ziemlich krass, was Fehler in ihrer Kultur angeht. Wenn man sich japanische Werke genauer anschaut, also Bücher, Filme, Animes, Mangas (die beiden letzteren haben in Japan einen wesentlich höheren Stellenwert als z.B. in Deutschland, weshalb sie erwähnt werden müssen), wird dort oft nur ein sehr verzehrtes Bild der japanischen Kultur dargestellt. Warum also dürfen es die Japaner, aber wenn es ein Ausländer macht, drehen die Menschen durch? Das ist irgendwie unfair, oder? Man sollte sich also nicht so sehr daran aufhängen.

Zitat von: Maubel am 19. April 2016, 12:05:35Ja, genau, er hat eben die Titel, die im Japanischen an den Namen ran gehängt werden, alleinstehend gemacht, was so eben nicht richtig ist (also: sensei, statt Maubel-sensei).

Bei vielen Titeln/Suffixen hätte ich dir zugestimmt, zum Beispiel -sama, -san, -chan, -kun, etc. Aber sensei ist eine denkbar schlechte Wahl für dein Argument, da sensei wie kohai, senpai, tenno, ojou, etc. allein stehen kann.
Titel: Re: Akzeptierte Standards für Fantasywelten
Beitrag von: Kati am 19. April 2016, 13:05:36
Zitat von: MaubelStark angelehnt ja, aber nicht Japan. Woher kommt also dieser Anspruch, dass es dennoch 100% wie Japan zu sein hat?

Ich glaube, ein großes Problem vieler Leute mit den Lotus-War-Büchern ist, dass es wie eine schlecht durchdachte, sehr verklärte Version des antiken Japans wirkt. Eine Fantasywelt muss nicht 1:1 wie die echte Welt, an die sie angelehnt ist, sein, aber ich finde persönlich auch, dass man, wenn man Titel und Wörter verwendet, die aus der echten Welt stammen, diese korrekt verwenden sollte. Allein schon, um Verwirrung bei den vielen Lesern vorzubeugen, die die richtige Bedeutung der Wörter kennen und voraussetzen. Ich lese in den Rezensionen viel, dass er einerseits korrekt Shinto-Mythologie einbaut und umsetzt, andererseits aber einfach nachzuschauende Begriffe falsch benutzt. Weshalb das so ist, sei mal dahingestellt, aber die Frustration kann ich verstehen und finde es einen ziemlich interessanten Aufhänger für einen Thread. So gern ich Jay Kristoff nämlich mag ("Illuminae" ist großartig), die Kritik an der Lotus-War-Reihe kann ich gut nachvollziehen.

Ich bin schon der Meinung, dass man in High Fantasy grundsätzlich erstmal alles machen kann, wie man will, solang es in sich selbst schlüssig ist. Aber darüber hinaus existiert ja High Fantasy trotzdem im Kontext zur richtigen Welt und auf ein paar Dinge sollte man achten. Der Unterschied zwischen emanzipierten Frauen und falsch verwendeten japanischen Begriffen in einer phantastischen Welt ist für mich persönlich, dass die Frauen zum World Building gehören - ich mache mir die Geschichte und Gesellschaft meiner eigenen Welt so, wie ich sie haben will und das ist ja auch der Sinn von High Fantasy. Die falsch verwendeten Begriffe aber sind eben einfach falsch, wenn sie nicht in einer selbst ausgedachten Sprache daherkommen, sondern in echtem Japanisch. Ich habe da auch schon sehr viel Kritik an Werken gesehen, die englische und französische Titel falsch benutzen, daher glaube ich, dass das nicht unbedingt am Setting liegt, sondern eher an der Erwartenshaltung des Lesers Begriffe, die aus einer echten Sprache übernommen werden, auch richtig verwendet vorzufinden, was ich verstehen kann. Wenn in einem Roman mal übertrieben ausgedrückt eine Figur, die nach meiner Kenntnis ein Kammerdiener ist, ständig mit "Prinz" angesprochen würde, wäre ich auch irritiert.

Ich hatte bisher das Gefühl, dass besonders Wüstensettings, oft arabisch angehaucht, in letzter Zeit total im Kommen sind und auch akzeptiert werden. Asiatische Settings scheinen durchzugehen, solang sie japanisch oder chinesisch inspiriert sind und nicht von weniger bekannten asiatischen Kulturen. Da setzen Autoren und Verlage vielleicht wirklich viel darauf, dass eine Kultur gewählt wird, die dem Leser schon ansatzweise bekannt ist - und eben auch den Klischees entspricht, die man gleich im Kopf hat. Das trifft auf das europäische Mittelalter allerdings auch ein gutes Stück weit zu. Man liest mehr Welten, in der das Mittelalter schmutzig, archaisch, brutal und generell total unfair ist und seltener welche, die differenzierter mit dem Mittelalter umgehen und diese Klischees aufbrechen. Sind nicht-europäische Settings trotzdem weniger anerkannt? Ich denke ja. Es gibt zwar mittlerweile einiges an asiatisch und orientalisch angehauchter Fantasy, aber verglichen mit den unzähligen an europäische Geschichte angelehnten Welten ist es natürlich trotzdem wenig.

Ob man jetzt stark an historische Epochen anlehnen sollte oder lieber komplett frei arbeiten sollte.. ist bestimmt auch Geschmackssache. Ich kann beidem etwas abgewinnen. Wichtig ist mir, wie auch schon öfter gesagt wurde, dass es in sich schlüssig ist, dass die Gesellschaft und Welt gut durchdacht und in sich logisch wirkt. Eine Welt zum Beispiel, in der Bauern und generell Menschen niederer Gesellschaftschichten immer nur geknechtet und ausgebeutet und schlecht behandelt werden, kann ich nicht mehr sehen, nicht nur, weil es in so vielen High Fantasys vorkommt, auch, weil so eine Gesellschaft nicht funktionieren würde. Wenn man ein Volk immer nur malträtiert und ausbeutet, gibt es eine Revolution. Niemand lässt sich das gefallen, wenn es keine guten Gründe gibt, es sich gefallen zu lassen. Das ist zum Beispiel so ein Ding, bei dem es mich stören würde, wenn es nicht "historisch korrekt" umgesetzt würde, einfach, weil ich es unlogisch finde, wenn mir erzählt wird eine Gesellschaft funktioniert, die niemals wirklich funktionieren könnte. Ich brauche in einer phantastischen Welt, egal wie abgefahren und verrückt sie ist, eine innere Logik, die auch standhält, wenn man etwas genauer hinschaut. Mehr eigentlich nicht.

Zitat von: MondiVielleicht ist gerade das so tückisch - die Menschen glauben, sich auszukennen, glauben fest daran, und nehmen falsche Informationen deshalb eher hin, wenn sie zu ihren eigenen falschen Informationen passen.

Das ist glaube ich ein richtig wichtiger Punkt hier. Ich denke nämlich, dass ein 1:1 korrektes Mittelalter von einem Großteil der Leser als "falsch" empfunden werden würde, einfach, weil man die klischeebelasteten Darstellungen des Mittelalters mittlerweile gewohnt ist. Gutes Beispiel ist da der Umgang mit Frauen, der in vielen Mittelalterwelten eher viktorianisch wirkt, was aber angenommen wird, weil man es eben so kennt. Schreibt man in einem mittelalterlichen Setting (auch im historischen Roman natürlich) eine selbstbestimmtere Frau wird das als falsch empfunden, selbst, wenn es historisch möglich gewesen wäre. Oder eben die allseitsbeliebte Hexenverfolgung im Mittelalter, die ja eigentlich in die frühe Neuzeit gehört. Das wird angenommen, weil man es eben so kennt und für richtig hält.

Ansonsten wurde von Guddy, Tina, Mondi und Malinche auch viel gesagt, dass ich genauso empfinde.  :)
Titel: Re: Akzeptierte Standards für Fantasywelten
Beitrag von: Araluen am 19. April 2016, 13:17:32
 Ich selbst lese meist Fantasy mit eindeutig europäischen Vorbildern unterschiedlicher Epochen. Mir kommt es aber tatsächlich weniger darauf an, wie gut kopiert und recherchiert wurde, sondern wie stimmig die Welt als eigenständiges System ist. Das schließt Erklärungen, Atmosphäre und vor allem Konsequenzen ein.
Nehmen wir das Beispiel Emanzipation der Frau: Da habe ich nicht nur selbstständige  Adelsweibchen, die alles selbst machen,  im Herrensitz reiten und bei Bedarf auch ganz toll kämpfen können, sondern auch Frauen in Männerberufen, Probleme deswegen und auch eine angepasste Mode. Denn blickt man auf die reale Welt, gehört zur Emanzipation der Frau auch eine Veränderung der Mode, weg vom hübschen aber einengenden Käfig zur bequemen Kleidung, in der man auch arbeiten kann. Korsett, Reifrock und Emanzipation passen zum Beispiel nur schwer zusammen.

Was mich viel mehr stört als schlechte Recherche im realen Vorbild ist das Herauspicken von Rosinen. Das Mittelalter bestand nicht nur aus edlen Rittern und tugendhaften Prinzessinnen. Es war vor allem dreckig und die meisten Leute arm. Ebenso kritsich sehe ich allzu plakative Klischees (der kriegerische Frauenverachtende Wüstenmann mit hitzigem Gemüt oder den stets betrunkenen Genossen aus dem verschneiten Osten) und Charaktere, die entgegen jeder Vernufnt aus dem System ausbrechen wollen, weil der Autor ja weiß, dass patriarchialische Strukturen und Ständesystem doof sind. Deshalb finden seine Charaktere es im Grunde ihres Herzens auch doof. Auch wenn es zum Weltkonzept nicht passt, dass es so viele aufgeklärte Ausreißer gibt. Denn dann müsste es eigentlich eine Revolution geben.

Die Antworten auf die Fragen nach Erklärungen, Konsequenzen und Atmosphäre dürfen gerne vom realen Vorbild abweichen, müssen aber in sich logisch sein.
Denn wenn ein Autor eine Fantasy Welt erschafft, dann erschafft er eine völlig neue Welt. Und damit sollte er in meinen Augen auch alle Freiheiten genießen. Man sollte wirklich unterscheiden, welche Art Werk man vor sich hat. Habe ich eine Fantasygeschichte vor mir, deren Welt an eine bestimmte Kultur oder Epoche angelehnt ist? Dieser Umstand gilt für die meisten Fantasywelten. Nur selten wird das Rad neu erfunden. Oder haben wir es mit einem historischen oder pseudohistorischen Fantasyroman zu tun? Die letzten beiden Kategorien müssen äußerst sorgfältig recherchiert werden, denn hier schafft man ein genaues Abbild der gewählten Epoche. Zudem sollte auch beachtet werden wie sehr das Worldbuilding im Fokus steht. Will ich in eine fremde Welt entführen oder will ich vor allem eine Geschichte erzählen? Die Antwort auf diese Frage entscheidet nicht über die Güte der Recherche, aber über die Detailliertheit der ausgearbeiteten Welt. Will ich lediglich eine Geschichte erzählen, muss ich nicht zwingend auf jede Frage zur Welt eine Antwort haben. Aber das Gesamtpaket soll stimmig erscheinen.

Zitat von: Mondfräulein am 19. April 2016, 10:26:16
Gerade die Obsession mit dem Mittelalter verstehe ich nicht, sie stört mich richtiggehend, weil das Mittelalter in den meisten Fällen nur auf Mythen und Halbwissen basiert, weil da jemand zu faul war, fünf Minuten zu recherchieren. Das fängt schon an, wenn der Held ein Gericht mit Kartoffeln gibt (gab es im Mittelalter nicht).
Hier würde ich, wie gesagt, differenzieren. Ich sehe keinen Grund, warum es in einer frei erdachten Welt, die dem europäischen Mittelalter ähnelt, keine Kartoffeln geben sollte. Wie man heute sieht, kann die Knolle theoretisch überall wachsen. Allerdings gebe ich dir Recht, dass Kartoffelbrei in der mittelalterlichen Schenke von Fantasienland tatsächlich das Produkt von Lebensgewohnheit und einem guten Schuss Recherchefaulheit ist und nicht wirklich auf Überlegung fußt. Dennoch kann man bei Fantasienland nicht von einem Fehler reden, finde ich. Es ist eine Anlehnung kein Abbild. solange alles in sich shclüssig ist, ist alles in Ordnung. Anders sähe das Ganze natürlich aus, wenn Schuster Franz tatsächlich im "Goldenen Heller" bei Magdeburg (nagelt mich jetzt bitte nicht darauf fest, wann der Heller das erste Mal geprägt wurde ;)) im Jahre 1374 eine Schale Kartoffelbrei isst. Bei einem Abbild der Epoche sind Recherchefehler wenig verzeihlich für mich.

Auch für Fantasienland gilt bei aller Freiheit für mich aber, Recherche ist wichtig. Ich kann mich schließlich nur an eine Wand anlehnen, die ich auch gut sehe und von der ich weiß, dass sie mich aushält. Aus dem erworbenen Wissen kann man dann in Fantasienland machen, was einem beliebt. Kennt man durch die Recherche bestimmte Strukturen und Mechanismen unterlaufen einem auch weniger generelle Fehler. Man steckt ja selbst in der Materie drin. Zudem befreit man sich von einigen Klischees und Vorurteilen. Dabei ist es für mich jedoch unerheblich, ob Fantasienland in einem Pseudoeuropa, Ägypten oder Japan spielt. Für wenig vertaute Settings wird die Recherche nur etwas lägner dauern, da ich die Gegebenheiten selbst einfach nicht kenne. Das fängt bei mir aber schon in Italien oder Spanien an, vor allem, wenn man weiter inder Geschichte zurück geht.

Ich wage fast zu behaupten, dass sich in stummer Absprache ein universelles Fantasyzeitalter herausgebildet hat, das irgendwo zwischen Mittelalter und früher Neuzeit zu finden ist mit seinen eigenen stillschweigend akzeptierten Regeln. Denn wirklich diskret in eine Epoche eingliedern lassen sich nur wenige Welten. Das meiste ist im Quasi-Mittelalter eines Pseudoeuropas angesiedelt. Kultur und Gesellschaft lesen sich meist ähnlich von einzelnen Schneeflocken abgesehen. Der Leser weiß damit auch, was ihn erwartet und ebenso, dass er nicht wirklich nach echten historischen Vorbildern Ausschau halten muss. So kann man bei der klassischen Fantasy tatsächlich recht wild seiner Fantasie freien Lauf lassen, sofern man die Logik nicht völlig außer Acht lässt. Da freut sich der Leser sogar eher über jede Neuerung, die von der Norm abweicht.
Da sticht ein Setting, dass sich nicht in die Fantasyepoche eingliedert, natürlich heraus. Und gerade Japan wird mit Sicherheit kritisch beäugt. Durch die Animeszene, Trendessen Sushi, den neuesten Techniktrends, die eigentlich immer aus Japan kommen, usw. gibt es viele passionierte Japanexperten, die sogar freiwillig die Sprache lernen, um Animes in OV zu schauen, und sich mit den japanischen Gepflogenheiten fast besser auskennen als mit denen ihrer Heimat (das ist natürlich überspitzt formuliert). Ein ähnliches Phänomen ist mir bisher nur bei den Ägyptologen untergekommen, die die Dynastien auswendig aufzählen können, das Totenbuch mehrfach abgemalt haben und den Götterkanon vermutlich besser kennen, als die alten Ägypter selbst.
Und dann macht der Autor Fehler. Vermutlich einfach, weil es nun einmal seine eigene Welt ist und nicht das echte Japan. Das fällt den Experten natürlich sofort auf. In meinen Augen liegt der Fehler da aber zu einem guten Stück auch beim Leser. Wenn der Autor sich nur an eine Epoche oder Kultur anlehnen will, dann darf der Leser kein Abbild verlangen oder muss, böse gesagt, eben etwas anderes lesen. Dieser Punkt gilt aber nur, wenn der Autor sich vorher die nötigen Gedanken zu seiner Welt gemacht hat und sie in sich stimmig ist, was aber nicht gleichbedeutend ist mit historischer Korrektheit.. Bei schlechtem Worldbuilding kann man nicht sagen, dass der Leser eben was anderes Lesen muss (also schon, aber die Schuld liegt da beim Autor).


Titel: Re: Akzeptierte Standards für Fantasywelten
Beitrag von: Trippelschritt am 19. April 2016, 13:21:30
Zitat von: Maubel am 19. April 2016, 09:09:42
1. Welche Erfahrungen habt ihr mit der Akzeptanz von nicht-europäischem Weltenbau gemacht?
2. Muss man da mehr recherchieren um die Leser zufrieden zu stellen, als für den akzeptierten Standard?
3. Oder wie nah darf ich meine Welt an etwas anlehnen, damit diese trotzdem noch als eigenständige Kreation des Autors angesehen wird?
Schlussendlich, eine Frage als Leser: 4. Wie sehr achtet ihr beim Lesen darauf, dass die Welt nicht nur in sich logisch ist, sondern auch den realen Gegebenheiten entspricht?


1. Gute! Aber ich bin mir nicht sicher, ob die Leser gemerkt haben, dass es eine nicht-europäische Welt war, die sich ganz allgemein zwar an der Erde orientiert, aber sonst reine Fiktion ist.
2. Die Welt muss überzeugen. wieivel man dafür recherchieren muss ist egal.
3. Schwierig, schwierig. Würde ich einen japanischen Hintergrund wählen, würde ich alles auf einer großen Landmasse spielen lassen, damit von vorn herein klar ist: Es ist nicht Japan. Ich vermeide auch kulturtypische Begriffe wie Shogun, Mandarin oder Graf, weil die mit festen Vorstellungen verbunden sind, die ein Autor nur schlecht brechen kann. Es gibt aber keine Pobleme, wenn ich Worte, Ausdrücke oder Silben aus allen Teilen der Welt verwende und sie munter mische. Man sollte sie aber dann auch noch zusätzlich brechen. "Khan" ist festgelegt. Khanwolf kann aber leicht als besonders großer Wolf gedeutet werden, ohne mit Reitervölkern in Verbindung gebracht werden.
4. Real muss nichts sein, aber alles plausibel. Wenn der Held einem alten Pfad folgt, der seit Jahrhunderten nicht mehr begangen wurde, fliege ich aus der Geschichte und muss lachen, weil die Natur diesen Pfad schon lange rückerobert hätte.
Und bei dem Begriff Mittelalter oder mittelalterlich angehaucht habe ich auch so meine Schwierigkeiten. Ist Mittelerde mittelalterlich? Für mich ganz klar nein. Aber für andere ist Sword & Sorcery bereits per Definitionem mittelalterlich. Und wenn mittelalterlich, dann vor oder nach dem Einzug des Christentums. Ich schreibe in agrarischen Gesellschaften, die Ansätze von Technologie haben können, keine Feuerwaffen, aber immer Magie. Tja, ist das jetzt mittelalterlich angehaucht?

Wenn ich Begriffe wie Sensei benutze, wird es gefährlich. Aber warum nicht Zensai.

Liebe Grüße
Trippelschritt
Titel: Re: Akzeptierte Standards für Fantasywelten
Beitrag von: Big Kahuna am 19. April 2016, 13:28:59
Ich glaube, dass es in diesem Fall einfach eine - naja, mir fällt kein besserer Begriff ein - unglückliche Wahl des Settings war. Einfach deshalb, weil das japanische Setting ja generell eher was für Nischenleser ist (meiner Erfahrung nach zumindest). Eventuell auch für eingefleischte Manga- und Animefans. Und solche Leute befassen sich erstaunlicherweise sehr, sehr oft sehr intensiv mit Japan und dessen Geschichte (und ja, ich gehörte da auch mal dazu - zumindest in der Geschichte der Samurai bin ich sehr bewandert).
Deswegen fällt sowas natürlich eher auf als beispielsweise bei "klassischer" Fantasy, die ans europäische Mittelalter oder die Antike angelehnt ist. Denn die meisten, die so etwas lesen, nehmen es einfach so hin, dass der Prota beispielsweise Kartoffeln isst (fand ich ein sehr geiles Beispiel  ;D). Warum? Vermutlich, weil sich eben genau das als Standard etabliert hat. Man kann ja fragen, wen man will - am besten Leser, die sich nicht so intensiv mit Fantasy befassen wie ein Tintenzirkler - die werden dir alle sagen, dass Fantasy entweder im Mittelalter spielt, oder "sowas wie Harry Potter" ist.

Natürlich bedeutet das für die Autoren nicht, dass man sich jetzt dogmatisch an die historischen Vorlagen halten muss. Ich bin zwar der Meinung, dass man, wenn man beispielsweise historische Titel wie Kaiser und Markgraf benutzt, hier den Markgrafen nicht unbedingt über den Kaiser setzen sollte, da das den Leser verwirrt, aber man muss auch nicht akribisch korrekt noch die etlichen Titel aufzählen, die in der Hierarchie zwischen Markgraf und Kaiser kommen.

Mich persönlich würde es ehrlich gesagt auch gar nicht wundern, dass sich Japaner, die sich sehr intensiv mit Fantasy befassen, die an das europäische Mittelalter angelehnt ist, ähnlich über solche Werke aufregen, wenn sich nicht zu 100% an die Vorlagen gehalten wurde. Aber auch hier ist es eben vermutlich eine Nische, und in diesen sind die Leser einfach engagierter, sich mit den Hintergründen auseinanderzusetzen.

Aber unterm Strich finde ich: Der Autor darf sich insipirieren lassen, wie er es möchte. Und solange die ganzen Titel, Hintergründe usw. in der Welt selbst stimmig sind, kann man diese auch ein wenig anpassen oder andersartig verwenden. Es gibt zwar Grenzen, aber diese sind sehr weit gespannt (siehe Kaiser-Markgraf-Beispiel). Bei solchen Werken ... Naja, das is einfach Pech des Autors, aber viele Leser gehen da höchstwahrscheinlich auch einfach mit einer bestimmten Erwartungshaltung in den Roman.
Titel: Re: Akzeptierte Standards für Fantasywelten
Beitrag von: Voitei am 19. April 2016, 13:33:30
Die Frage, die ich mir immer stelle: Was ist eigentlich "das Mittelalter"? Meint man die Epoche der vollgepanzerten Ritter, Schlösser und Hexenverfolgungen? Oder etwa das im englischen Raum genannte "Dark Age", also die wilden Zeiten nach der Völkerwanderung? Beides für sich gesehen komplett unterschiedliche Epochen, allein schon von Sprache und Kultur her. (Vergleicht einen Text aus dem 9. Jhd. mit einem Text des 15. Jhd. und ihr wisst, was ich meine)

Zudem sollte die Welt, so phantastisch sie auch sein mag, in sich selbst Sinn ergeben. Niemand wird eine vollendete Eisenrüstung schmieden können, wenn Eisen erst seit ein paar Jahrhunderten bekannt ist. Zudem hätte sich vieles anders entwickeln können. Ein nahe liegendes Beispiel: Wer kam auf die Idee, einen Haufen Pergament zwischen zwei Lederflicken zu nähen und das ganze "Buch" zu nennen? Schriftrollen oder etwas anderes hätten sich genau so gut in einer "europäischen" Welt entwickeln können.

Und dann kommt man wieder auf die Frage zurück: Wie weit soll man gehen? Will man "nur" eine Geschichte erzählen oder dazu noch eine neue Welt kreieren? (Ich halte mich an Zweiteres  ;))
Titel: Re: Akzeptierte Standards für Fantasywelten
Beitrag von: Churke am 19. April 2016, 13:52:31
Japan halte ich für ein ganz schwieriges Thema.
Mit Büchern kenne ich mich nicht weiter aus, aber wenn ich mich an Animes und Mangas orientiere, denn machen die Japaner selbst ziemlich viel mit Mittelalter-Japan-Fantasy. Es wurde also entsprechend vorgelegt und es ist zumindest schwierig, sich in diesem Umfeld zu behaupten. Da hat man einen erheblichen Wettbewerbsnachteil und wird von Fans des Genres zerpflückt.

Was nun die BattleTech-Bücher betrifft - ich hoffe, dass Ulisses "Schattenkatze" noch bringt  :psssst: - da habe ich mich ein wenig mit dem Draconis-Kombinat (so heißt der Laden  ;) ) befassen müssen. Ich sehe das Draconis-Kombinat als totalitäre Militärdiktatur, die das mittelalterliche Japan nachahmt. Da die japanische Kultur nur (und das absichtlich) nachgeahmt wird, kommt es auf die Korrektheit nicht mehr an. Ich habe das dann auf die Spitze getrieben und besonders die japanische Schwertkampfkunst ein wenig aufgezogen.  ;D

Im Übrigen: Das Wichtigste ist, dass eine Welt / ein Setting / eine Kultur in sich logisch und stimmig ist. Ist leider nicht so einfach wie es klingt...
Titel: Re: Akzeptierte Standards für Fantasywelten
Beitrag von: Big Kahuna am 19. April 2016, 13:53:30
ZitatDie Frage, die ich mir immer stelle: Was ist eigentlich "das Mittelalter"? Meint man die Epoche der vollgepanzerten Ritter, Schlösser und Hexenverfolgungen?
Hier habe ich die Erfahrung gemacht, dass die meisten Leser sich tatsächlich nur "Ritterrüstungen, Schwerter, Bögen, Burgen, Pferde" drunter vorstellen. Ich traue mich wetten, dass die meisten Leser sagen würden: "Das ist doch gar nicht mittelalterlich", würde man beispielsweise seinen Prota ein Handrohr (Urtyp des Gewehrs, entwickelt um 1300 rum) benutzen lassen. Ebenso, wenn eine feindliche Armee plötzlich mit Kanonen auftaucht, die auch im Mittelalter erfunden wurden.

Insofern ist dieses Phänomen vermutlich auch darauf zurückzuführen, dass die meisten Menschen schlichtweg ein völlig - vermutlich durch Hollywood und anderen Schund - verfälschtes Bild des "Mittelalters" haben.

ZitatZudem sollte die Welt, so phantastisch sie auch sein mag, in sich selbst Sinn ergeben.
Dem ist nichts weiter hinzuzufügen :)
Titel: Re: Akzeptierte Standards für Fantasywelten
Beitrag von: Mondfräulein am 19. April 2016, 14:06:56
Ich finde, @Malinche hat da ein sehr wichtiges Stichwort genannt: Exotisierung. Ich finde, es macht einen Unterschied, ob ich mein Buch an das alte Japan anlehne, weil das so einen exotischen Touch hat, oder ob ich den Anspruch habe, mein Buch ernsthaft an das alte Japan anzulehnen, vernünftig recherchiere und dann natürlich Dinge ändere, weil es ja nicht das alte Japan ist. Bediene ich mich einer "exotischen" Kultur, weil es cool ist, behandle ich die Kultur eben als fremd, exotisch und eigenartig, oder schreibe ich ernsthaft aus der Kultur heraus, versuche ich, sie aus sich heraus zu verstehen und verlasse ich dabei meine eigene, (in diesem Fall) westlich-europäische Perspektive oder betrachte ich die Kultur ausschließlich aus dieser Perspektive heraus? Ich persönlich würde nur Bücher lesen, die die Kultur in sich ernst nehmen und entsprechend behandeln.

Beim Orient bin ich dann aber wieder nicht sicher. Vielleicht hängt das eben mit 1001 Nacht zusammen. Ich würde auch sehr gerne mehr Bücher lesen, die auf der vollkommen verklärten, absolut unrealistischen märchenhaften Vorstellung einer mittelalterähnlichen Welt basieren. Das ist ehrlich gesagt das einzige Mittelalter, das ich lesen würde, auch wenn es mit dem echten Mittelalter wirklich kaum noch etwas zu tun hat. Ist es mit dem Orient nicht das gleiche? Dass ein Buch vielleicht auf der märchenhaften Vorstellung aus 1001 Nacht basiert, wirklich nichts mit dem echten Orient zu tun hat, aber dadurch wieder lesenswert ist?

Zitat von: Araluen am 19. April 2016, 13:17:32
Ebenso kritsich sehe ich allzu plakative Klischees (der kriegerische Frauenverachtende Wüstenmann mit hitzigem Gemüt oder den stets betrunkenen Genossen aus dem verschneiten Osten) und Charaktere, die entgegen jeder Vernufnt aus dem System ausbrechen wollen, weil der Autor ja weiß, dass patriarchialische Strukturen und Ständesystem doof sind. Deshalb finden seine Charaktere es im Grunde ihres Herzens auch doof. Auch wenn es zum Weltkonzept nicht passt, dass es so viele aufgeklärte Ausreißer gibt. Denn dann müsste es eigentlich eine Revolution geben.

Was du beschreibst ist meiner Meinung nach einfach richtig schlechtes Charakterbuilding. Das passiert in historischen Romanen auch richtig oft. Der Autor ist einfach nicht in der Lage, sich aus seiner eigenen Perspektive (meistens westlich-europäisch, 21. Jahrhundert, modern) zu lösen und projeziert seine eigenen Meinungen und Werte auf die Figuren und auf einmal rennen Bewohner des 21. Jahrhunderts durchs Mittelalter. :wart:
Titel: Re: Akzeptierte Standards für Fantasywelten
Beitrag von: Ary am 19. April 2016, 14:17:37
Da sagst du was, Mondi.

Ich finde innere Logik der beschriebenen Welt extrem wichtig - und auch gute Recherche, wenn ich mich irgendwo "anlehne", um dann bewusst Dinge anders zu machen.
Ich schreibe gerade so eine märchenhaft verklärte Orientgeschichte mit 1001-Nacht-Flair, ich habe 1001 Nacht gelesen und spiele jetzt ganz bewusst mit den gängigen Klischees. Aber ich nenne bewusst den in der Geschichte vorkommenden Herrscher nicht Schah oder Sultan, ich habe mir einen eigenen Fürstentitel ausgedacht, blumig und ein bisschen geschwollen, wie es sich für eine ordentliche Orientgeschichte gehört. Genauso blumig fluchen meine Figuren auch, weil es eben in so einer Geschichte dazugehört.

Klischees sind für mich nicht nur etwas, was man vermeiden sollte, sondern etwas, mit dem man auch hervorragend herumspielen kann. Mit einer guten Portion Selbstironie und Augenzwinkern können sie dann auch mal ganz witzig sein.


Titel: Re: Akzeptierte Standards für Fantasywelten
Beitrag von: Voitei am 19. April 2016, 15:13:32
Was mir persönlich ständig (vor allem in Filmen) unterkommt sind (ich nenne sie einmal) "Powerfrauen". Ich weis, ich begebe mich gerade auf nadeldünnes Eis, aber lasst mich einmal ausreden: Die Idee, das Frauen zu kämpfen haben um sich in der "Männerwelt" des Mittelalters zu beweisen war am Anfang wirklich interessant, jedoch sehe ich nun Massen an Filmen, in denen Frauen (manchmal mit realistischer, manchmal mit lächerlich freizügiger "Rüstung") plötzlich zur Waffe greifen und kämpfen. Versteht mich nicht falsch, die Idee einer Kopfgeldjägerin oder Kriegerin ist nach wie vor gut, jedoch nicht die "Magd und Bauerstochter", die aus unerfindlichen Gründen einen Krieger nach dem anderen niederstreckt, ohne jemals eine Kampfausbildung genossen zu haben.

Auch ermüdet mich das Klischee des Schönseins. Egal ob weiblich oder männlich, der Prota und mindestens 75% aller im Buch wichtigen Charaktere sind entweder schön oder "schön, aber durch eine Narbe entstellt". Dies setzt natürlich voraus, dass die Figuren überhaupt dahingehend beschrieben werden. Sehen wir uns einmal auf einem modernen Stadtplatz um. Sehen hier drei viertel aller Passanten "schön" aus, oder wenigstens "schön, aber entstellt"? Ich denke nicht, also warum sollte es im Mittelalter anders gewesen sein?

Natürlich sollte ein Prota nicht potthässlich sein, wenn dies nicht Handlungsrelevant ist, aber währe es so schlimm, wenn alle Personen des Buches nur "normal" sind und nur extrem wenige, gut drapierte Ausnahmen wirklich "schön"?
Titel: Re: Akzeptierte Standards für Fantasywelten
Beitrag von: Fianna am 19. April 2016, 15:29:55
@Lothen
Ich finde es ziemlich irritierend, dass Du mein Zitat rauspickst, und meinst, Dich dagegen verteidigen zu müssen. Du und der als Beispiel genommene Autor macht doch komplett unterschiedliche Dinge!
Du nimmst Dir ein paar Dinge für das Flair, aber erfindest viel Mythologie, Kultur und sogar Bamen selbst.
Er nimmt eine vergangene Kultur, die tatsächlich existiert hat, mit allen möglichen dazugehörigen Elementen, hält sich aber nicht an die dortigen "Vorgaben" und steckt dafür Kritik ein. Wenn das Marke Eigenbau sein soll, ist doch verständlich, dass es Irritationen gint, wenn er keine eigenen Worte erfindet (nicht mal das) und wenn er sich wirklich einfach stark an die Geschichte anlehnt, hat er mies recherchiert - das sind die beiden Rezensions-"Lager", die ich aus der Diskussion entnommen habe (ich kenne seine Bücher nicht).

Wieso Du da Parallelen zu Deinen Werken siehst und meine Ansicht daher auf Dich münzt und als Kritik auffasst, das kann ich absolut nicht nachvollziehen.
Titel: Re: Akzeptierte Standards für Fantasywelten
Beitrag von: Pygmalion am 19. April 2016, 15:51:22
Also, das genannte Beispiel kenne ich nicht, aber hier wurde auch schon von Hardebusch Sturmwelten genannt. Davon habe ich den ersten Teil gelesen und zuerst fand ich das recht gut gemacht, man wird mit Verlauf des Buches jedoch immer stärker darauf aufmerksam, welche realen Kulturen hier Pate gestanden haben und irgendwie hat mich das auch irritiert.
Ich glaube es wäre auch ein Fehler, sein gut rechechiertes Wissen in dem Fantasybereich 1:1 abbilden zu wollen. Man muss einen gewissen Abstraktionsgrad erreichen, nicht einfach, indem einzelne Begriffe ausgetauscht werden und der eine Gott irgendeinen anderen Namen kriegt, sondern indem Strukturen verändert werden, wodurch sich die eigene Welt ganz klar von der echten unterscheidet. Ok, häufig tut sie das schon dadurch, dass die Vorstellung im Kopf so weit von der Wirklichkeit entfernt ist, dass das als Abstraktion genügt :D
Gleichzeitig mag ich es aber auch, mit den eher unbekannten Tatsachen des Mittelalters zu arbeiten, wie die schon angesprochene Erfindung der Feuerwaffen oder auch die aufkommende und immer weiter verbreitete Nutzung der Armbrust. Oder dass Leibeigenschaft auch in Mitteleuropa kein zwingendes Element ist und z.T. erst in der Neuzeit wirklich aufkam.

@Voitei: Das sind natürlich wichtige Fragen und für viele gibt es einfach "Mittelalter" und fertig. Ich finde das relativ in Ordnung, weil es, gerade im Fantasyroman, nicht um historische Korrektheit geht, sondern um um innere Funktion der Welt. Die Leute sollen sich selbst ja auch nicht als im Mittelalter befindlich wahrnehmen, sondern organisch in der Welt leben. Wenn die Welt stimmig ist und augenscheinlich so funktionieren kann, wie sie präsentiert wird, können da meinetwegen auch Sachen vorkommen, die es so nicht gab.
Ggenerell liefen die Entwicklung in (Süd)england und dem Festland kulturell recht ähnlich ab. So viel wilder als auf dem Festland war die Zeit nach der Völkerwanderung auch in England eigentlich nicht. Aber das ist eben hoch spannend, sich auch mal diese frühmittelalterlichen Sachen anzusehen und daraus Dinge für sich mitzunehmen. Und Hexenverbrennung ist echt sowas von Neuzeit! Da haben sich mir aber wirklich auch die Fußnägel hochgerollt, als Hexenverfolgung in dem historischen Roman "Die Päpstin" thematisiert wurde. Das Buch ist sowieso der Inbegriff des schlecht recherchierten Frühmittelalterromans. Das ist genau das, was hier schon vielfach erwähnt wurde: Ein Mittelalter, wie es sich eine Amerikanerin vorstellt. Gruselig.
Titel: Re: Akzeptierte Standards für Fantasywelten
Beitrag von: Lothen am 19. April 2016, 16:07:25
@Fianna : Sorry, den Eindruck wollte ich nicht erwecken. :knuddel:

Ob und inwieweit sich die Herangehensweise von Jay Kristoff und mir unterscheidet, kann ich nicht sagen, da ich die Bücher ja nicht kenne. Tatsache ist: In beiden Fällen wurde ein Setting verwendet, das im weitesten Sinne als historisch bezeichnet werden kann (Orient vs. Japan) und es wurden Begrifflichkeiten aus diesem Setting genutzt. Inwieweit Kristoff diese falsch angewendet hat, kann ich schlecht sagen, weil ich mich mit dem japanischen Kram nicht auskenne. ;)

Aber wenn man wollte, könnte man mir schon auch vorwerfen, ich würde z.B. den Titel Wesir inkorrekt verwenden, weil der eher ins osmanische als ins persische Reich passt und daher eher zu einem Kalifen/Sultan gehört als zu einem Schah. Würde mich aber wenig tangieren, weil ich ja nie vorhatte, diese Gegebenheiten irdisch korrekt wiederzugeben.

Zitat von: MondfräuleinIch würde auch sehr gerne mehr Bücher lesen, die auf der vollkommen verklärten, absolut unrealistischen märchenhaften Vorstellung einer mittelalterähnlichen Welt basieren.
Das sind doch dann eigentlich die klassischen Märchen, oder? Prinz rettet Prinzessin, Held erschlägt Drache, gute Hexe, böse Hexe usw. Märchen hatten ja nie wirklich den Anspruch, historisch korrekt zu sein, egal in welchem Kulturkreis man sich bewegt. Die dürfen, sollen sogar verklärt und stereotyp sein, damit die Botschaft, die sie transportieren, auch entsprechend ankommt.

Zitat von: Big KahunaInsofern ist dieses Phänomen vermutlich auch darauf zurückzuführen, dass die meisten Menschen schlichtweg ein völlig - vermutlich durch Hollywood und anderen Schund - verfälschtes Bild des "Mittelalters" haben.
Ich denke auch, dass das "europäische Mittelalter", das sich in den meisten Fantasy-Romanen findet, eher eine künstlich durch Konventionen entstandene Welt mit geringem Technisierungs-Grad ist. Mit unserem historischen Mittelalter hat das schon so wenig gemeinsam, dass man sich über historische Abweichungen dabei keine großen Gedanken mehr macht. Das erscheint mittlerweile literarisch anerkannt, dank Tolkien, Zimmer-Bradley und diverser Rollenspiel-Systeme, die sich ja auch wild an allen Epochen bedienen. Bei anderen Settings hat sich das noch nicht so etabliert.
Titel: Re: Akzeptierte Standards für Fantasywelten
Beitrag von: Mithras am 19. April 2016, 16:28:01
Urks. Da habe brav alle Beiträge gelesen, und nun, da ich selbst antworten will, sind 13 neue dazu gekommen. Man verzeihe mir, wenn ich die nur überflogen habe! ;)

Ich lege generell hohe Ansprüche an den Weltenbau an, egal, wie "eigenständig" die Kulturen sind. Der Großteil meiner Kulturen ist, inklusive der Sprache, realen Vorbildern nachempfunden, jedoch nicht aus Faulheit, sondern weil mich ihre realen Vorbilder faszinieren und ich mit den Motiven spielen will. Es ist dabei immer eine Gratwanderung zwischen guter Recherche und bewusster Anlehnung einerseits, um de Welt authentisch zu machen, und Verfremdung andererseits, um nicht uninspiriert zu wirken. Als Beispiele für zwei Extreme, die mir nicht gefallen haben, fallen mir da die Sarantium-Reihe von Guy Gavriel Kay und Die Brücke der Gezeiten von David Hair ein.

Kays Welt ist so bewusst an unsere Erde angelehnt, dass dass man ihm im Grunde keinerlei Faulheit vorwerfen kann, denn er hat gut recherchiert und will eine alternative spätantike Welt entwerfen. Das geht mir aber einfach zu weit, denn für jede Stadt und jede historiscche Person lässt sich ein reales Vorbild finden (und zum Teil sind die Namen nicht einmal kreativ oder überhaupt verfälscht, z. B. Ravenna - Varena oder Anahita), so dass ich die handlung bis zu einem gewissen Punkt vorhersagen lässt, wenn man sich etwas mit der Epoche auskennt. Ganz schlimm ist für mich jedoch die Darstellung der Religion. Das Pendant zu den Christen betet die Sonne an, die Pseudo-Juden die beiden Monde, und er in Entstehung begriffene Fantasy-Islam die Sterne. Die noch existierenden fiktiven Zoroastrier verehren wiederum die Sonne als pberste gottheit und die beiden Monde als deren Schwestern, wobei eine einfach mal nach der altiranischen Göttin Anahita benannt ist. Sonstige Glaubensinhalte? Nope. Und das stört mich ganz extrem, denn gab es in der Realität je eine Religion, die so simpel war? Und abgesehen davon ergeben solche Glaubenssysteme nicht einmal Sinn, weil sie nicht am Fundament der Religion kratzen, keinerlei Antworten auf die großen Fragen des Lebens bieten und natürlich auch viel zu perfekt und untereinander abgesprochen wirken, um so wirklich nebeneinander zu existieren.

David Hair, mit dessen Auftaktbuch ich nach ein paar Dutzend Seiten aufhören musste, weil ich aggressiv wurde, orientiert sich auch stark an der Realität und versucht sich an Verfremdungen, was ich prinzipiell begrüße. Nur: Diese Verfremdungen zeigen, wie wenig er im Grunde von der Materie versteht. ich habe das nicht mehr so ganz im Kopf, aber ich erinnere mich daran, dass die Wochentage verfremdete persische namen tragen. Das persische System ist verdammt einfach, weil die Tage einfach nummeriert werden. Die Zählung beginnt mit dem Samstag (Shanbeh), Sonntag wäre damit entsprechend "Ein-Samstag" (Yek-Shanbeh), Montag "Do-Shanbeh" (jap, das ist es, was der name der Tadschikischen Hauptstadt bedeutet) usw. Hair hat dieses System übernommen, doch da seine Woche nur sechs Tage hat, musste er einen streichen, und wenn ich das noch richtig im Kopf habe, war das nicht der letzte, so dass die Zählung wenig Sinn ergibt. Aber dafür lege ich meine Hand nicht ins Feuer, da ich auf das Buch gerade nicht zugreifen kann.
Die Namen waren übrigens leicht verfremdet, also nicht "Shanbeh" sondern "Shambeh" oder so, und das ärgert mich fast mehr. Einerseits (schlecht) kopieren, andererseits unbedingt verfremden, um sich nicht vorwerfen zu lassen, "nur" kopiert zu haben., und es dann so uninspiriert tun, dass es trotzdem mehr als auffällig ist. Die Wochentage sind da keine Ausnahme, es betrifft auch Titel, Ländernamen usw. Schade, die Welt hätte Potential gehabt.

Ein ähnliches Beispiel: Monarchies of God von Paul Kearney. Deutlich an die osmanische Eroberung Konstantinopels angelehnt, nur dass Kearneys Osmanen eine Art persische Sprache sprechen. Ihr Herrscher trägt den Titel "Shahr", nur dass das im Persischen "Stadt" bedeutet. Einfach mal recherchieren anstatt nur zu vefremden, ohne wirklich Ahnung zu haben. Ich erwarte ja nicht, dass man gleich anfängt, die persische Sprache zu lernen (Kann ja nicht jeder wie ich sein! ;D), aber ein bisschen sollte man in die Kulturen schon eintauchen... Für mich gehört zu einer guten Geschichte auch eine zumindest halbwegs gut ausgearbeitet Welt, denn Konflikte ergeben sich nicht nur aus den Interaktionen zwischen den Charakteren untereinader, sondern auch mit ihrer Umwelt: Politische Situation, Religion, Geschichte, ...

An mittelalterliche Fantasy lege ich im Grunde keine anderen Maßstäbe an als an Fantasy vor anderen Hintergründen. Der Punkt ist nur der, dass ich eigentlich nur mittelaterliche Fantasy von George R. R. Martin lese, weil mir das Mittelalter generell zu  hals heraus hängt... ::) Schhorsch hat wenigstens recherchiert und stellt die Epoche aus meiner Sicht überzeugend dar. So überzeugend, dass ich vor jahren auf Amazon mal eine Diskussion geführt habe, in der er als Sexist bezeichnet wurde, weil sich die Frau in seiner Welt in ihr Schicksal gefügt habe un keine Emanzipation herrsche. Ähm, ja, natürlich nicht. Warum sollte man an eine Fantasywelt andere Maßstäbe in SWachen innere Logik anlegen als an eine reale, nur weil es Fantasy ist?
Titel: Re: Akzeptierte Standards für Fantasywelten
Beitrag von: Denamio am 19. April 2016, 16:29:40
Zitat von: Churke am 19. April 2016, 13:52:31
Japan halte ich für ein ganz schwieriges Thema.
Mit Büchern kenne ich mich nicht weiter aus, aber wenn ich mich an Animes und Mangas orientiere, denn machen die Japaner selbst ziemlich viel mit Mittelalter-Japan-Fantasy. Es wurde also entsprechend vorgelegt und es ist zumindest schwierig, sich in diesem Umfeld zu behaupten. Da hat man einen erheblichen Wettbewerbsnachteil und wird von Fans des Genres zerpflückt.

Was nun die BattleTech-Bücher betrifft - ich hoffe, dass Ulisses "Schattenkatze" noch bringt  :psssst: - da habe ich mich ein wenig mit dem Draconis-Kombinat (so heißt der Laden  ;) ) befassen müssen. Ich sehe das Draconis-Kombinat als totalitäre Militärdiktatur, die das mittelalterliche Japan nachahmt. Da die japanische Kultur nur (und das absichtlich) nachgeahmt wird, kommt es auf die Korrektheit nicht mehr an. Ich habe das dann auf die Spitze getrieben und besonders die japanische Schwertkampfkunst ein wenig aufgezogen.  ;D

Im Übrigen: Das Wichtigste ist, dass eine Welt / ein Setting / eine Kultur in sich logisch und stimmig ist. Ist leider nicht so einfach wie es klingt...

Ups, du hast Recht. Das ist das Draconis Kombinat, damals unter Kurita Führung. Meine Battletech Zeit ist lange her und ich hatte sogar witzigerweise nachgeschlagen und genau eine Seite erwischt wo Wolf schnippisch vom Kurita Kombinat spricht. Mein Fehler. :) Aber ich finde das Draconis Kombinat ist ein interessantes Beispiel wie man damit umgehen kann. Gerade in Sci-Fi sehe ich das häufiger, dass Kultur-Karikaturen um 500-600 Jahre in die Zukunft versetzt werden.
Es hat in fast jeder Space Opera Imperien, Föderationen und Commonwealths, die sich über hunderte Planeten erstreckt haben aber trotzdem die idealisierte Kultur-Karikatur als Regierungsform haben. Aber selbst da wird die Authentizität dann über Bräuche und vor allem Wortgebrauch hergestellt. Das würde wieder zu den Konventionen passen, die zu einem Szenario dazugehören.

Ein spannendes Beispiel was Japan und Westen angeht ist für mich das Videospiel Dark Souls. Einer der zentralen Entwickler hat oft zwei Einflüsse für seine Reihe genannt. Den Manga Berserk und west-europäische Sagen und Fantasy, die er nur schlecht verstanden hat und sich den Rest zusammengereimt hat.
Das Ergebnis ist ein äußerst exotischer Blick auf westliche Fantasy, der bekannte Elemente aufgreift (Sonnengötter, Blitzgötter, der verstoßene Königssohn, Schuld und Sühne) und doch auf eine Art absolut fremdartig macht. So fremdartig, dass ich es nicht als westliche Fantasy bezeichnen würde, obwohl es das ausgesprochen ist.
Titel: Re: Akzeptierte Standards für Fantasywelten
Beitrag von: Mondfräulein am 19. April 2016, 16:59:49
Bezüglich der Päpstin muss ich aber mal ganz schnell eine Lanze brechen - für den Film. Der war nämlich zumindest von der Requisite und Ausstattung her sehr, sehr gründlich und liebevoll gemacht, aber mehr will ich dazu hier so öffentlich nicht sagen. :psssst:

Zitat von: Lothen am 19. April 2016, 16:07:25
Zitat von: MondfräuleinIch würde auch sehr gerne mehr Bücher lesen, die auf der vollkommen verklärten, absolut unrealistischen märchenhaften Vorstellung einer mittelalterähnlichen Welt basieren.
Das sind doch dann eigentlich die klassischen Märchen, oder? Prinz rettet Prinzessin, Held erschlägt Drache, gute Hexe, böse Hexe usw. Märchen hatten ja nie wirklich den Anspruch, historisch korrekt zu sein, egal in welchem Kulturkreis man sich bewegt. Die dürfen, sollen sogar verklärt und stereotyp sein, damit die Botschaft, die sie transportieren, auch entsprechend ankommt.

Ich meinte wirklich nur das Setting. Die typische Märchenhandlung ist dann optional. Natürlich hatten auch Märchen keinen Anspruch, irgendetwas korrekt darzustellen, aber typische Märchenfilme oder Märchenbücher sind ja doch vom technologischen Stand oder der Gesellschaft immer ans Mittelalter angelehnt. Ich finde es wahnsinnig interessant, mit diesem Setting zu spielen und auf das Setting eine märchenuntypische Fantasy-Geschichte zu legen, darin teilweise sogar echte Märchen vorkommen zu lassen. Ich habe hier noch die DVD von "Das 10. Königreich" liegen - ewig nicht mehr gesehen, aber das ist vielleicht ungefähr, was ich meine. Die Geschichte basiert ja auf Märchen, aber an sich ist sie keins.

Zitat von: Mithras am 19. April 2016, 16:28:01
An mittelalterliche Fantasy lege ich im Grunde keine anderen Maßstäbe an als an Fantasy vor anderen Hintergründen. Der Punkt ist nur der, dass ich eigentlich nur mittelaterliche Fantasy von George R. R. Martin lese, weil mir das Mittelalter generell zu  hals heraus hängt... ::) Schhorsch hat wenigstens recherchiert und stellt die Epoche aus meiner Sicht überzeugend dar. So überzeugend, dass ich vor jahren auf Amazon mal eine Diskussion geführt habe, in der er als Sexist bezeichnet wurde, weil sich die Frau in seiner Welt in ihr Schicksal gefügt habe un keine Emanzipation herrsche. Ähm, ja, natürlich nicht. Warum sollte man an eine Fantasywelt andere Maßstäbe in SWachen innere Logik anlegen als an eine reale, nur weil es Fantasy ist?

Gerade George R.R. Martin ist doch ein gutes Beispiel für jemanden, der gerade nicht im klassischen Mittelalter schreibt, weil er das alles eindeutig mit Kolonialismus mischt. Das ist prinzipiell ja auch nicht schlecht und an sich nichts, was ich kritisieren würde, ich will ihm auch nicht absprechen, dass er gründlich recherchiert hat, aber es ist eben nicht strikt Mittelalter. Ich habe die Bücher aber nicht gelesen, sonst könnte ich sagen, ob er nicht sogar ein Beispiel für eine gelungene Veränderung der tatsächlichen Geschehnisse ist.
Titel: Re: Akzeptierte Standards für Fantasywelten
Beitrag von: Pygmalion am 19. April 2016, 17:20:57
@Mondfräulein : Das glaube ich dir gerne, aber ich rede ja über das Buch :P Das wird auch durch gut recherchierte Ausstattung des nachfoldenden Films nicht besser, gesehen habe ich den Film aber noch nicht.

Bzgl: Dem Setting bei G.R.R. Martin: Also, doch, nach seiner eigenen Aussage ist das angelehnt ans "klassische" Mittelalter vor allem auf den Britischen Inseln und u.a. stark inspiriert von den Rosenkriegen. Also Kolonialismus entdecke ich da wirklich nicht. Aber es ist tatsächlich ein Beispiel für gelungene Abstraktion der Realität. Man findet sie zwar haufenweise darin wieder, aber eben doch wunderbar in die eigene Welt verpackt.
Titel: Re: Akzeptierte Standards für Fantasywelten
Beitrag von: Coppelia am 19. April 2016, 17:31:53
Ich habe ähnliche Erfahrungen wie im Eingangspost beschrieben bei meinem selbst programmierten Computerspiel gemacht, von dem es einige Let's-Plays gibt. Ich glaube inzwischen, Let's-Player rezensieren einfach gern.
Das Problem ist nicht, dass ich schlecht recherchiert hätte (ok, man könnte sicher noch besser recherchieren) oder dass manche Dinge keinen Sinn ergeben (was sicher immer mal wieder der Fall ist). Ich sehe vor allem drei Probleme, wenn etwas Unbekanntes, Unerwartetes auf massive Kritik stößt: Problem Nr. 1: Die Leute, die gerne zeigen, dass sie etwas besser wissen, äußern dies gern öffentlich, auch dann, wenn sie es gar nicht besser wissen. Problem Nr. 2: Die Realität ist manchmal komplexer als das Klischee im Kopf, und eine fiktive Realität kann das auch sein. Problem Nr. 3: Wer eine festgefügte Meinung davon hat, wie etwas "sein muss", nimmt keine Alternativen an. Ich berichte mal kurz von meinen Erfahrungen. ;)

Mein Spiel hat ein pseudo-schottisches Fantasy-Setting, das ca. 1850 entspricht. Realistischerweise ist in den Städten die Technologie fortgeschrittener, aber vor allem in den abgelegenen Gebieten gibt es weniger Technologie. Auch haben Clan-Strukturen dort noch großen Einfluss. Trotzdem werden mir meine Zeitung und Eisenbahn angelastet, obwohl sie in dem Setting völlig richtig am Platz sind - nämlich in den technologischen Zentren. Der Grund: Die Rezipienten meinen, das Setting müsse "mittelalterlich" sein. Wenn es darum geht, ein Setting möglichst klar zu definieren, habe ich vielleicht am Beginn versagt, aber ich sollte sagen, dass die Zeitung sogar sofort zu Anfang vorkommt ... hier herrscht also offenbar das Denken vor, etwas müsse "so sein", auch wenn es eigentlich keinen Grund dafür gibt.
Ich habe auch gehört, wie ein Let's Player, der auch mal über seine Homosexualität spricht, bemängelt, dass Homosexualität in meinem Setting kein Problem ist. Hier habe ich den Fall, dass mein Setting mit der "Realität" nicht übereinstimmt, aber es ist Fantasy und muss das nicht. Und dass ich mich gerade über diese Kritik gewundert habe, muss ich wohl nicht noch extra betonen, obwohl ihm die Kritik natürlich unbenommen bleibt.

Ich glaube aber insgesamt, dass dieses Problem nicht so wahnsinnig groß ist. Besserwisser werden sich, wie gesagt, immer aufspielen, aber die meisten Leute akzeptieren, was ihnen vorgesetzt wird. Sie hinterfragen es oft auch gar nicht, was natürlich auch nicht immer gut ist. Und natürlich kommt auch der Fall vor, dass man mit einer festgefügten Meinung an eine fiktive Welt herangeht und erst blöd findet, was man vorfindet, sich dann aber eines Besseren belehren lässt. Ich z. B. kann "Römermissbrauch" nicht leiden, nämlich wenn Klischeerömer als fiese Klischeeeroberer als Klischeebösewichte auftreten. Ich hatte bei Fallout - New Vegas zuerst den Eindruck, dass dort "Römermissbrauch" vorliege, aber während des Spielens habe ich gemerkt, dass eine originelle und gut umgesetzte Idee dahintersteckte. Wobei ich weiß Gott selbst meist eher ein schlechtes Beispiel und oft unbelehrbar und stur bin!
Titel: Re: Akzeptierte Standards für Fantasywelten
Beitrag von: Guddy am 19. April 2016, 17:46:13
Zitat von: Voitei am 19. April 2016, 15:13:32
Natürlich sollte ein Prota nicht potthässlich sein, wenn dies nicht Handlungsrelevant ist, aber währe es so schlimm, wenn alle Personen des Buches nur "normal" sind und nur extrem wenige, gut drapierte Ausnahmen wirklich "schön"?

Aber das ist doch bei allen Romanen ein "Problem" und nicht speziell bei Romanen mit exotischem Setting?
Mit der Schönheit verhält es sich dort meiner Meinung nach so wie bei vielen anderen Fragen: Erlaubt ist, was innerhalb der erzählten Geschichte stimmig ist.

Ähnliches bei Klischees: Ich mag Klischees, da man sich wunderbar an ihnen entlang hangeln und es schön humorvoll verpacken kann. Ich finde nur, dass man aufpassen sollte, in welchem Kontext man sie verwendet (gerade wenn es sich um Klischees handelt, die an kulturelle Vorurteile angrenzen)und, wieder einmal, ob es zum Setting passt. (
Das heißt jetzt nicht, dass ich Klischeesettings grundsätzlich undurchdacht finden würde! Benutze sie zuweilen selber gerne. Es kommt für mich einfach auf das Wie und den Respekt an.

Als Leser erwartet man bestimmte Details und Atmosphären ja auch.
Umgekehrt ist es leider umso schwieriger, bspw. Wüstenssettings zu kreieren, die keinen 1001-Flair haben sollen, da der glaube ich meistens vom Leser erstmal vorausgesetzt wird, sobald von einem "in Städten lebenden Wüstenvolk" die Rede ist. Ist aber nur mein gefühl und ich kann mich echt irren. ;D

Wenn man ein bestimmtes Setting spannend findet und seine eigene Welt daran orientiert, sollte man aber frei darüber schreiben dürfen, gleich ob es nun Indien, Nordafrika oder Japan ist. Ob es in einem mittelalterlichen Setting Kartoffeln gibt, finde ich auch nur störend, wenn das Setting bewusst historisch angelegt wurde - andernfalls ist es für mich kein Fehler. Es sei denn, die Kartoffeln wachsen im tiefsten Schnee. Dann wäre es ein Logikfehler. ;) (Oder eine Schneekartoffel.) edit: Oder gibt es wirklich Schneekartoffeln? Nicht , dass ich jetzt Blödsinn erzählt habe! ;D Habe noch nie über Kartoffeln recherchiert.
Titel: Re: Akzeptierte Standards für Fantasywelten
Beitrag von: Leann am 19. April 2016, 18:31:46
Bei "Römermissbrauch" habe ich erst an was ganz anderes gedacht.

Der Mensch neigt dazu, Vergleiche zu Bekanntem zu ziehen. Das passiert ganz automatisch und kennt man ja auch, wenn man verreist, da kommt oft der Gedanke auf: Das sieht aus wie in *Land*. Vermutlich suchen wir instinktiv nach einer gewissen Art Sicherheit und finden sie in Anhaltspunkten von etwas, das uns vertraut ist. Auch beim Lesen stellen wir uns gerne das Setting etc. vor und orientieren uns an Altbekanntem, das wir vielleicht aus der Historie oder anderen Romanen kennen. Das führt zu bestimmten Erwartungen. Die richten sich unter anderem danach, wie viel der Leser über die Kultur, die er zu erkennen glaubt, weiß (oder zu wissen glaubt). Jemand, der z.B. Japan liebt und sich viel damit beschäftigt, freut sich wahrscheinlich, wenn er japanische Anklänge in einem Roman findet, seine Erwartungshaltung ist dadurch aber eine andere als die eines Lesers, der keine Ahnung von der japanischen Kultur hat und dementsprechend keine speziellen Erwartungen hegt. Wenn die Erwartungen nicht erfüllt werden, kann das zu Enttäuschungen führen.Oder aber der Leser ist zunächst irritiert, dann jedoch bereit, sich auf das Neue einzulassen und sich dafür begeistern zu lassen.

Letzteres ist, wie ich finde, das Ziel, das wir beim Schreiben erreichen wollen. Dann muss eine auf den ersten Blick mittelalterlich anmutende Welt nicht historisch korrekt sein, sondern kann umso mehr faszinieren, wenn sie spannende Neuheiten bringt, die aber in sich stimmig und passend sind. Funktioniert natürlich nicht bei jedem Leser, aber das ist nun mal so, manche mögen es eben nur in den immer gleichen Bahnen (ist ja auch nicht schlimm, nur für die schreibe ich dann eben nicht).

Ansonsten denke ich: In unseren Welten sind wir Göttin, bzw. Gott! Wir können alles machen. Einschränkungen durch "akzeptierte Standards" finde ich langweilig und hemmend. Ich möchte mich beim Entwickeln meiner Welt ja gerade nicht nach "Standards" richten. Wie gesagt, ich halte es für wichtiger, dass die Welt in sich stimmig ist. Es bleibt dann letztendlich dem Leser überlassen, ob er meine Welt, wie ich sie erschaffen habe, akzeptiert oder nicht. 
Titel: Re: Akzeptierte Standards für Fantasywelten
Beitrag von: Valkyrie Tina am 19. April 2016, 23:35:07
Zitat von: Denamio am 19. April 2016, 12:43:28
Zu dem Thema kann ich nicht viel beitragen, nicht zuletzt weil meine Fantasy entweder im europäischen Raum spielt oder extrem weit weg von europäischer Fantasy ist, weil ich bewusst das Irland/Mittelalter Klischee vermeiden will. Was ich aber an der Diskussion interessant finde ist vor allem ein Punkt, der sich mit einem Beispiel verdeutlichen lässt: Man kann es nie wirklich richtig machen.

Dazu wollte ich noch mal was sagen, was ich schon am Anfang der Diskussion schwierig fand und du noch mal so schön zusammengefasst hast: der letzte Satz stimmt nämlich so nicht. Richtig wäre "Man kann es nie allen Lesern gleichzeitig recht machen."
Das Buch was wir grad als Beispiel haben. Hat zu 60% fünf und viersternbewertungen bei Goodreads. Viele Leser hat das Setting also nicht abgeschreckt, und/oder sie haben es gar nicht erst bemerkt.
Dasselbe mit deinem Beispiel mit Space Opera. Es gibt Leute, für die ist das Lichtgeschwindigkeitreisen ein Killerkriterium. Für viele andere nicht. (Für mich beispielsweise ist es ein Stilmittel, das ganz bewusst eingesetzt wird, um vertraute Problemfelder ins unvertraute All zu verfrachten.)

Jeder Leser bringt seine eigene Erfahrung und seine eigenen Erwartungen in ein Buch mit, und es gibt kein Buch, kein Einziges, das von allen Lesern geliebt wird. Ich finde echt, wir sollten zwar als Autoren versuchen, so gut wie möglich zu sein, aber uns von der Vorstellung freimachen "wenn ich nur genug recherchiere/handwerklich gut schreibe/alles richtig mache, dann ist mein Buch nicht mehr kritisierbar." Dann endet man nämlich nur frustriert und betrunken schreiend "warum war Twilight ein Bestseller und mein Buch nicht?"
Titel: Re: Akzeptierte Standards für Fantasywelten
Beitrag von: Kati am 20. April 2016, 00:08:53
Hm, das Problem mit der Frage "Was ist eigentlich das Mittelalter?" ist denke ich, dass es sich um eine sehr lange, sehr vielseitige Epoche handelt, die man auf keinen Fall einfach komplett über einen Kamm scheren kann. Und natürlich hat pyon Recht, wenn er sagt, dass die Hexenverfolgung in die Frühe Neuzeit gehört und es im "Mittelalter" noch keine groß angelegte Verbrennung von Hexen gab. Trotzdem gibt es aber ein Verbot aus Paderborn, dass es strafbar macht Leute als Hexen zu verbrennen, aus dem Jahr 785. Frühmittelalter. Es muss also irgendjemand mehrfach Leute als Hexen verbrannt haben, damit es jemand anders für nötig empfand dieses Gesetz zu erlassen. Ein ähnliches Verbot gibt es 794 aus Frankfurt, also scheint Hexenverbrennung wohl auch schon im Frühmittelalter ein Phänomen gewesen zu sein - nur anscheinend nicht im großen Stil. Und das ist denke ich ein großes Problem bei der Frage was das Mittelalter überhaupt ist und was wann angefangen hat. Weil man gar nicht so genau sagen kann, was wann angefangen hat, was in welche Epoche gehört etc. Da ärgert man sich, weil in einem Fantasyroman, der eindeutig an unsere Welt zur Zeit Karl des Großen angelehnt ist eine Hexe verbrannt wird und hat auch eigentlich Recht, dass das nicht in diese Zeit gehört, aber dann stolpert man doch über Fälle, in denen eben um 800 Menschen als Hexen verbrannt worden sind. Was macht man dann?

Man kann der Lebensrealität vergangener Zeiten einfach nicht mit "Dies und das gab es exakt ab [Jahreszahl]" gerecht werden. Dass es besonders in England die Dark Ages gab, in der die gesamte Kultur mit Abzug der Römer den Bach runtergegangen ist, galt auch jahrelang als Fakt. Mittlerweile läuft eine riesige Diskussion dazu, dass es diese Dark Ages und den kulturellen Verfall eben doch nicht gab. Geschichte ist ja eben immer zum größten Teil Interpretation und, je weiter man historisch zurückgeht, Spekulation und es passiert immer wieder, dass Fakten, die man für todsicher gehalten hat, sich im Nachhinein als falsch herausstellen. Das muss man besonders beim Schreiben (und Lesen?) historischer Romane im Auge behalten, aber was an Geschichte angelehnte High Fantasy angeht, eben auch. Deshalb ist es mir persönlich wichtiger, dass soziale Umstände gut erklärt und hergeleitet werden, als, dass sie 1:1 auf eine historische Epoche passen. Wenn es einen Karl-der-Große-Verschnitt in der Welt gibt und alles in der Welt an die Karolingerzeit angelehnt ist, nehme ich eine Hexenverbrennung oder Schusswaffen oder fliegende Raumschiffe auf jeden Fall hin - solang der Autor mir gute Gründe dafür gibt, es im Kontext der Welt hinzunehmen. Gleichzeitig kann eine High Fantasy mit einem Karl dem Großen und Karolingeranklägen stark enttäuschen, auch, wenn alles anstandslos recherchiert ist - wenn eben die Welt an sich nicht aufgeht und nicht überzeugen kann.
Titel: Re: Akzeptierte Standards für Fantasywelten
Beitrag von: Big Kahuna am 20. April 2016, 10:27:04
Es gibt ja auch Beispiele, wo es völlig akzeptiert ist, dass in einem "mittelalterlichen" Setting plötzlich Flugmaschinen und Schusswaffen auftauchen. Nehmen wir doch nur mal das bekannte Spiel Warcraft. Anfangs reiten nur Pferde herum, kloppen sich Orks mit Äxten. Und plötzlich tauchen Zwerge mit Flinten und Kobolde mit Flugmaschinen auf. Das ist für mich so eines der Paradebeispiele, dass das durchaus geht, es muss nur eben in sich stimmig sein.

ZitatHm, das Problem mit der Frage "Was ist eigentlich das Mittelalter?" ist denke ich, dass es sich um eine sehr lange, sehr vielseitige Epoche handelt, die man auf keinen Fall einfach komplett über einen Kamm scheren kann.
Danke, Charlotte.
Ich sehe es nämlich ganz genauso, da es ja genau genommen drei "Mittelalter" gab - Früh, Hoch und Spät.
Und diese unterscheiden sich im Grunde ganz gewaltig voneinander. Im Frühmittelalter waren noch Einflüsse aus der Antike bzw. dem römischen Imperium zu spüren, die erst nach und nach in die Strukturen übergingen, unter denen vermutlich die meisten das "Mittelalter" verstehen - nämlich das Hochmittelalter, wo dann Feudalismus usw. vorherrschend waren.
Mit dem Spätmittelalter kenne ich mich jetzt nicht so gut aus, aber da begann dann die Zeit von Schusswaffen und Kanonen, wenn ich mich nicht irre.

Ich fände es aber mal sehr erfrischend, eine Geschichte zu lesen, die sich wirklich im Spätmittelalter bzw. in einem spätmittelalterlichen Setting abspielt, wo Ritter langsam an Macht verlieren, die Technologie fortschreitet usw.
Hmm ... Vielleicht sollte ich mir mal ein neues Projekt vornehmen.
Titel: Re: Akzeptierte Standards für Fantasywelten
Beitrag von: Fianna am 20. April 2016, 10:36:16
Aus Lesersicht gibt es ja mindestens 4, das schliesst das 17. Jahrhundert noch mit ein. Da beginnen Rezensionen meist mit "Eigentlich finde ich Mittelalter doof, aber das Buch war so toll!!"
:-X
Titel: Re: Akzeptierte Standards für Fantasywelten
Beitrag von: Churke am 20. April 2016, 10:55:34
"Mittelalter" ist eine Interpretation. In der Renaissance teilte man die Geschichte in 3 Epochen auf. Zwischen "Antike" und "Neuzeit" lag das finstere "Mittelalter". Das ist - oder besser war - der Kamm, über den man das Mittelalter geschert hat. In der Romantik entdeckte man die höfische Kultur des Hochmittelalters (wieder) und die Sache wurde etwas heller und es gab tapfere Ritter in glänzenden Rüstungen und weiße Jungfrauen und so... Ich denke, dass jedes mittelalterähnliche Setting sich irgendwo in dieser Gemengelange einsortiert.

Zitat von: Charlotte am 20. April 2016, 00:08:53
Mittlerweile läuft eine riesige Diskussion dazu, dass es diese Dark Ages und den kulturellen Verfall eben doch nicht gab.
Warum heißt ein römisches Glasfenster "window"?  ;D
Titel: Re: Akzeptierte Standards für Fantasywelten
Beitrag von: Trippelschritt am 21. April 2016, 16:50:20
Soweit ich weiß gab es das "Dark Age". Es war das Ergebnis eines Vulkanausbruchs, der für ein paar Jahre den Himmel verdunkelte und mehrfach zu missernten führte. Mit allen Konsequenzen, die Hungersnöte nach sich zogen? Müsste aber in mein Archiv für die Details.

Liebe Grüße
Trippelschritt
Titel: Re: Akzeptierte Standards für Fantasywelten
Beitrag von: Churke am 22. April 2016, 10:42:32
Dark Ages im engeren Sinn meint die Epoche zwischen Spätantike und Mittelalter, speziell in England. "Dark" bezieht sich zum einen auf die fehlenden Quellen - alle Berichte über die römische Provinz Britannien reißen Anfang des 5. Jahrhunderts einfach ab - meint nach traditionellem Verständnis (genau genommen seit 1.400 Jahren) aber auch den Untergang der Zivilisation. Letzteres ist heute etwas unmodern geworden, der Mainstream-Historiker vertritt die Transformations-Theorie. Vielleicht, weil es heute politisch unkorrekt ist, Kulturen abzuwerten.

Dieses Dark Age unterscheidet sich in einigen zentralen Punken vom nachfolgenden Mittelalter. Das Mittelalter war eine Feudalgesellschaft, die Spätantike ein absolutistischer Beamtenstaat.
Titel: Re: Akzeptierte Standards für Fantasywelten
Beitrag von: Kati am 22. April 2016, 14:15:24
Naja, mit "unmodern" oder "Mainstream" hat das sehr viel weniger zu tun, als mit dem Heranziehen von neuen archäologischen Quellen, die darauf hinweisen, dass es einen Wandel gab, aber eben keinen Untergang der Zivilisation. Ich möchte das jetzt nicht wieder ausweiten, weil wir uns mittlerweile sehr weit von der eigentlichen Fragestellung des Threads entfernt haben, kann aber nur nochnal sagen, dass Geschichte eben nichts Statisches ist - wenn einmal eine Epoche benannt oder etwas als Fakt deklariert worden ist, heißt das nicht, dass neue Erkenntnisse oder Funde nicht das bisher Bekannte aushebeln können. Die Diskussion zu den Dark Ages in Britannien läuft noch, aber wir befinden uns momentan mitten drin in genau so einem Prozess. Schriftliche Quellen mag es wenige geben und es stimmt, dass mit dem Verschwinden der Römer auch die römische Kultur verschwunden ist. Dafür hat sich allerdings eine nicht minder entwickelte keltische Kultur herausgebildet (oder eher fortgesetzt, da die celtic britons natürlich schon vor den Römern in Britannien existiert haben), in manchen Teilen Britanniens mehr, in manchen minder beeinflusst durch die römische Kultur. Unter dem Ende einer Zivilisation stelle ich mir Chaos, keinerlei soziale Gliederung oder komplette Verwahrlosung vor, während wir aber im sub-roman Britain durchaus die Herausbildung neuer Königreiche in dieser Zeit annehmen können, Elitenbildung und all sowas. Wir haben auch archäologische Beweise für Import aus dem mediterranen Raum und wunderschönen keltischen Schmuck, der ein florierendes Kunsthandwerk in der Epoche belegt. Anstatt des kompletten Verfalls der Kultur würde ich eher sagen, dass es sich um ein Zurückkehren zu alten keltischen Traditionen handelt, natürlich aber nicht unberührt durch die lange römische Herrschaft. Ob man das jetzt für das Ende einer Zivilisation halten möchte, kommt drauf an, was man von den Kelten hält. Aber bisher gibt es eben leider nur Hinweise und Interpretationen dazu, was genau im fünften und sechsten Jahrhundert in Britannien los war.

Um das jetzt wieder näher an die eigentliche Fragestellung zu rücken: Es ist wichtig, dass Kultur und kulturelle Identität niemals etwas statisches war, dass keine Veränderung zugelassen hat. Die post-römische Kultur in England, oder zumindest das, was wir davon erfassen können, schlägt ein ziemlich interessantes Hybrid aus römischen und keltischen Einflüssen vor. Und ich denke, wenn man eine komplexe High-Fantasy-Welt bauen möchte, sollte man genau solche Prozesse auch im Auge behalten, die Veränderung und gegenseitige Beeinflussung verschiedener Kulturen untereinander, oft freiwillig, manchmal durch Besetzung oder Kriegshandlungen, all sowas. Für mich ist das momentan das Spannendste am Weltenbau, mir zu überlegen, weshalb die Kultur meiner Leutchen so ist, wie sie ist und wie sie sich von der Nachbarskultur unterscheidet und wo sie ihr ähnelt und warum das so ist. Ich denke aber, dass bei Weitem nicht jede High Fantasy so komplex sein muss. Es kommt stark darauf an, was der Autor mit dem Roman erreichen will. Geht es um höfische Machtspiele oder um Probleme innerhalb eines kleinen Dorfes, kann man sich das glaube ich eher sparen, als wenn man über einen großen, länderübergreifenden Krieg schreiben möchte. Aber ich denke, sich reale Beispiele aus der Weltgeschichte anzuschauen, kann sehr dabei helfen, eine in sich logische und stimmige Gesellschaft und Kultur für einen Fantasyroman zu entwickeln. 

Fianna: Ich finde solche Rezis eigentlich immer schön. Der Autor hat es geschafft dem Leser etwas nahezubringen, was er eigentlich ablehnt und vielleicht entwickelt der Leser jetzt ein neues Interesse an der Epoche, liest mehr in die Richtung und lernt noch, dass die frühe Neuzeit nicht mehr zum Mittelalter gehört und warum.  :) Und wenn nicht, ist das auch okay. Jemand, der nicht weiß, wann das Mittelalter aufhört, kann gleichzeitig ein top Mathematiker sein, wovon ich wiederum keine Ahnung habe.  :rofl:
Titel: Re: Akzeptierte Standards für Fantasywelten
Beitrag von: Churke am 23. Mai 2016, 13:36:05
Ich lese gerade "Fünf Ringe" von Myamoto Musashi. Kampfkunst als ganzheitliche Philosophie wirkt auf den Mitteleuropäer reichlich esoterisch. Im mittelalterlichen Japan ist ziemlich vieles ziemlich anders, als wir es gewöhnt sind. Sich aus so einem Setting zu bedienen, ist wahrlich kein Selbstläufer.

Eines kann ich von Musashi aber schonmal mitnehmen: Man soll nicht nachahmen, sondern aus sich selbst heraus verstehen. Das gilt auch fürs Schreiben.
Titel: Re: Akzeptierte Standards für Fantasywelten
Beitrag von: canis lupus niger am 23. Mai 2016, 18:35:41
Das Buch der fünf Ringe hab ich auch gelesen, und natürlich die Biografie von Musashi, die einem westlichen Menschen sehr helfen kann, die Philosophie nachzuempfinden. Interessant finde ich, dass seine Lehre (Buch der fünf Ringe) als Strategiehandbuch für japanische Führungskräfte verwendet wird. Die Kampfkunst ist in Japan offenbar immer noch gelebte ganzheitliche Lebensphilosophie.
Titel: Re: Akzeptierte Standards für Fantasywelten
Beitrag von: Sturmbluth am 23. Mai 2016, 18:55:12
Zitat von: canis lupus niger am 23. Mai 2016, 18:35:41Die Kampfkunst ist in Japan offenbar immer noch gelebte ganzheitliche Lebensphilosophie.
Hm, das halte ich für eine Romantisierung  ;)   
Kampfkunst in Japan ist häufig nichts anderes als Fußball bei uns: Sport. Die ganze Ideologie-Geschichte interpretieren Westler gerne hinein.

Sorry, für's OT.
Titel: Re: Akzeptierte Standards für Fantasywelten
Beitrag von: canis lupus niger am 23. Mai 2016, 19:18:12
Kein wirkliches OT.  ;) Sachbücher oder auch Belletristik-Klassiker stellen eine hervorragende Grundlage für Fantasyromane dar, weil die darin beschriebenen (oder angewendeten) Regeln auch in ein Fantasy-Setting übertragen funktionieren können. Ein großes Vorbild ist darin wieder einmal Sir Terry Pratchett, der in seinen Romanen ganz reale Fragen phantastisch aufbereitet hat. Eines meiner Lieblingsbücher ist der Roman "Fliegende Fetzen" über Sinn und Unsinn des Krieges. Darin wird erstmals ein Feldherr namens "Takticus" erwähnt, der durchaus bei Musashi oder Clausewitz gelernt haben könnte.

Romantisch finde ich Kampfkunst überhaupt nicht. Das Buch der fünf Ringe ist eine knallharte Strategielehre, ebenso, wie Clausewitz´Buch "Vom Kriege", das nicht nur in Deutschland, sondern weltweit zur Ausbildung von Führungskräften verwendet wird.

Titel: Re: Akzeptierte Standards für Fantasywelten
Beitrag von: Churke am 23. Mai 2016, 20:34:11
Zitat von: canis lupus niger am 23. Mai 2016, 18:35:41
Das Buch der fünf Ringe hab ich auch gelesen, und natürlich die Biografie von Musashi, die einem westlichen Menschen sehr helfen kann, die Philosophie nachzuempfinden.

Aus Kampfkunst eine Philosophie zu machen, ist halt ein ganz anderes Ufer. Bei uns gilt der Philosoph seit jeher als das Gegenteil des Kriegers. Das kann man jetzt spannend finden. Aber das heißt noch nicht, dass man das Konzept wirklich verstanden hat oder dass es beim Leser ankommt.
Titel: Re: Akzeptierte Standards für Fantasywelten
Beitrag von: FeeamPC am 23. Mai 2016, 22:23:03
Ich bin mehr für handfeste Krieger ohne Philosophie. Gesunder Menschenverstand reicht.
Titel: Re: Akzeptierte Standards für Fantasywelten
Beitrag von: Trippelschritt am 24. Mai 2016, 07:40:36
Ooops, kaum weg und schon wird es spannend. Ich fang mal von hinten an mit meinem Senf.

@ FeeamPC Das ist völlig o.k. In Deinem Fall empfehle ich historische oder neuzeitliche Kriegsliteratur. Da gibt es spannende Bücher. Aber wenn ich Fantasy lese, dann hätte ich gern etwas jenseits von Realtität und gesundem Menschenverstand.

@ Churke Ganz Deiner Meinung. Es ist schwierig, das zu vermitteln. Aber auch reizvoll. Generell mag ich es, ein wenig Philosophie in der Fantasy zu finden und zwar dann, wen sie in den Handlungen durchscheint oder sich hinter einem Regelwerk versteckt. Wenn sie ausgeführt oder gar erklärt wird, wird sie zu Parmesan. Etwas trocken.

@ Canis lupus niger Das Buch der fünf Ringe eine Strategielehre? Nein, das ist Charakterschulung. Kann es sein, dass Du dieses Buch mit Sun Tse "Die Kunst des Krieges" verwechselst? Und die Biographie von musashi? Meinst du die von Yoshikawa? Das ist ein Roman und fast reine Fiktion. Aber ein großartiger Roman, der immer das Gefühl vermittelt: Ja, so hätte es sein können.

@ Sturmbluth Ja, so ist es und auch wieder nicht. Es sind alte Tugenden, die man beispielsweise beim Militär und den Soldaten nicht wiederfindet. Und bei sportlichen Wettkämpfen? Klar, wenn das zwei Fleischkolosse ineinanderkrachen und der eine den anderen in wenigen Augenblicken aus dem Ring purzeln lässt - aus und vorbei - und die Halle tobt, das ist Fußball Championsleague. Und doch, die Rituale um den Kampf herum sind fest in der Tradition verankert. Ob das Romantisierung ist, weiß ich nicht, aber der Samurai-Ethos war lange Zeit in der Wirtschaftselite ein Teil des Denkens. Ob das bei der jüngeren Generation auch noch so ist, kann ich nicht sagen. Ich war lange nicht mehr da.

Generell finde ich es jedenfalls faszinierend fremdes Gedankengut in die eigenen Geschichten einzuarbeiten. Ich selbst habe den Taoismus, Yin und Yang, das I Ging und die fünf Elemente Lehre in meine Geschichten eingebaut, weil ich mich da etwas auskenne. Aber es geht auch mit griechischer Philosophie, der Natureligion der Indianer oder was es sonst noch so alles gibt. Für mich ist auch das ein Weg, die Welt ein bisschen besser zu verstehen. Und in Fantasy kann man das machen - wenn man möchte.

Liebe Grüße
Trippelschritt
Titel: Re: Akzeptierte Standards für Fantasywelten
Beitrag von: FeeamPC am 24. Mai 2016, 14:28:34
Oh, glaub mir, meine Fantasy ist durchaus magisch und teilweise irreal. Nur eben nicht die Krieger. Die kämpfen und sterben mit dem Schwert in der Hand, und gehen am liebsten allem, was auch nur entfernt nach Magie aussieht, meilenweit aus dem Weg.
Titel: Re: Akzeptierte Standards für Fantasywelten
Beitrag von: Sipres am 24. Mai 2016, 14:39:35
Zitat von: Trippelschritt am 24. Mai 2016, 07:40:36@ FeeamPC Das ist völlig o.k. In Deinem Fall empfehle ich historische oder neuzeitliche Kriegsliteratur. Da gibt es spannende Bücher. Aber wenn ich Fantasy lese, dann hätte ich gern etwas jenseits von Realtität und gesundem Menschenverstand.

Die Ausage kann ich nicht wirklich nachvollziehen. Jenseits der Realität - okay, das geht noch, obwohl sich auch Fantasy an der Realität bedienen kann, wenn auch mit dem einen oder anderen Extra. Jenseits von gesundem Menschenverstand finde ich aber etwas seltsam. Nur weil jemand Magie anwendet, heißt da ja nicht, dass er sich nicht seines Verstandes bedient. In meinen Büchern ist Magie etwas, was zum Alltag gehört. Jeder Mensch verfügt über Magie. Damit werden sämtlich Maschinen betrieben und einige benutzen sie auch als Waffe. Da steckt keinerlei Philosophie hinter, Magie wird nicht etwas als Abstraktes, Wunderbares angesehen. Es ist wie Elektrizität - vorhanden, nutzbar, schon cool, aber eben nichts außergewöhnliches. Deswegen bin ich nicht der Meinung, das man da immer irgendwelche Philosophien mit einbinden muss.
Titel: Re: Akzeptierte Standards für Fantasywelten
Beitrag von: Churke am 24. Mai 2016, 16:17:45
Zitat von: Trippelschritt am 24. Mai 2016, 07:40:36
Generell finde ich es jedenfalls faszinierend fremdes Gedankengut in die eigenen Geschichten einzuarbeiten. Ich selbst habe den Taoismus, Yin und Yang, das I Ging und die fünf Elemente Lehre in meine Geschichten eingebaut, weil ich mich da etwas auskenne.

Ich denke nicht, dass man eine Philosophie von ihrer Gesellschaft lösen kann. Konfuzianismus und Kalifat geht nur bis zu den ersten Toten gut.  ::)

Nebenbei bemerkt stimme ich Canis zu. Musashis blumige Sprache und geistische Überhöhung sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich um eine Anleitung zum Schwertkampf handelt. Einiges davon kann übrigens auch bei Johannes Liechtenauer nachlesen. Aber der drückt sich halt anders aus.

Titel: Re: Akzeptierte Standards für Fantasywelten
Beitrag von: AlpakaAlex am 21. Mai 2019, 17:26:28
Das ist ein interessantes Thema. Nicht nur, weil mein Hass auf den romantisierten Eurozentrismus in High Fantasy ja ein wenig so etwas, wie mein Steckenpferd ist, sondern auch, weil es ja auf dem letzten PAN ein wenig von Berhard Hennen angesprochen wurde. Effektiv sprach er ja davon, dass man, wenn man verkaufen will, am besten bei sehr, sehr, sehr traditioneller Fantasy bleibt. Also: Pseudo-Europäisches Mittelalter, Schwerter, Magie, vielleicht ein paar Zwerge, Elfen, Orks und auf keinen Fall Schwarzpulver!

Zitat von: Maubel am 19. April 2016, 09:09:42
1. Welche Erfahrungen habt ihr mit der Akzeptanz von nicht-europäischem Weltenbau gemacht?
Wie gesagt, für mich ist ein Hauptgrund, warum ich kaum etwas, außer Contemporary Fantasy lese, dass ich den Eurozentrismus beim Weltenbau so furchtbar, furchtbar ätzend finde. Entsprechend bewege ich mich meistens auch in Kreisen, in denen die Leute meine Einstellungen teilen und vor allem eben nicht-eurozentrisches Fantasy eher hypen. Allerdings unter bestimmten Voraussetzungen. (Dazu gleich was.)

Allgemein ist es natürlich so, dass es schwerer ist einen Markt für so etwas zu finden - speziell wenn es wirklich aus dem üblichen ausbricht und nicht eine mehr oder minder eurozentrische Geschichte vor einen exotisierten Backdrop packt.

Selbst bin ich immer noch der Meinung, dass der Grund dafür in der Vergangenheit zu finden ist und welche Geschichten veröffentlicht wurden. Ich denke zentral hat es eben damit zu tun, was zur Zeit von Pulp Geschichten veröffentlicht wurde und auch, was die frühe Nerdszene via Rollenspiel o.ä. geprägt hat. Das hat halt einfach die Erwartungshaltung geschaffen, dass Fantasy mit "Europäisches Mittelalter mit bestimmter Auswahl einiger Arten von Lebewesen" gleichzusetzen ist. Und Gewohnheiten sich halt schwer zu brechen.

Zitat von: Maubel am 19. April 2016, 09:09:42
2. Muss man da mehr recherchieren um die Leser zufrieden zu stellen, als für den akzeptierten Standard?
Nun, wenn ich ehrlich bin: In meinen Augen recherchieren auch viele der eurozentrisch schreibenden Autoren nicht genug, aber das sei einmal auf ein anderes Blatt geschrieben. (Ich habe mich zu oft über die Darstellung von Schwertern und Rüstungen aufgeregt und über Baustile und und und ...) Doch natürlich erfordert es mehr Recherche, wenn man sich an einer Kultur anlehnt, die nicht die eigene ist. Das gebietet einfach der Respekt! Stichwort hier sollte kulturelle Aneignung sein. Man kann meiner Meinung nach nicht einfach hingehen und sich ein paar Elemente aus einer anderen Kultur schnappen, weil sie so cool oder so schön exotisch sind, und den Kontext komplett ignorieren. Schlimmstenfalls unterstützt man damit die Entstehung von Vorurteilen.

Ich gebe deswegen auch offen zu: Auch wenn ich bevorzugt Geschichten aus anderen Kulturen lese, so bin ich immer misstrauisch, wenn sie von jemanden geschrieben wurden, der keine Verbindung zu dieser Kultur hat. Dahingehend bin ich durch jahrelangen Kontakt zur weebo Szene ein wenig geschädigt.

Zitat von: Maubel am 19. April 2016, 09:09:42
3. Oder wie nah darf ich meine Welt an etwas anlehnen, damit diese trotzdem noch als eigenständige Kreation des Autors angesehen wird?
Hier gebe ich offen zu: Ich verstehe die Frage nicht. Weltenbau ist Weltenbau und was ganz eigenes wird man eh nie haben. Selbst wenn man historisches oder contemporary Fantasy schreibt, ist das, was man mit Magie und Co. macht noch Weltenbau.

Zitat von: Maubel am 19. April 2016, 09:09:42
4. Wie sehr achtet ihr beim Lesen darauf, dass die Welt nicht nur in sich logisch ist, sondern auch den realen Gegebenheiten entspricht?
Ziemlich. Mir ist wichtig, dass eine Welt in dem gegebenen Rahmen glaubwürdig ist. Und das heißt, ich erwarte, dass Dinge, bis mir explizit das Gegenteil gesagt wird, etwa so funktionieren, wie in unserer Welt. Das heißt halt: Wenn etwas mit der gegebenen Realität bricht, dann muss es begründet werden. Sei es mit Magie, sei es anders. Und das gilt halt auch für Kulturen.

Nehmen wir mal eine japanische Welt, wie im Eingangspost angesprochen. Das mindeste, was ich erwarte, ist, dass diese Kultur auf einer halbwegs ähnlichen Landschaft spielt, was die Ressourcen und Gefahren angeht. Das heißt: Inselstaat, viel Gebirge, wenig bebaubares Land, starke Monsunregen einmal im Jahr, Hauptnahrungsquellen ähnlich. Weil das sind Aspekte, die Japan zentral als Kultur geprägt haben.
Titel: Re: Akzeptierte Standards für Fantasywelten
Beitrag von: Amanita am 21. Mai 2019, 20:01:37
Zitat von: NelaNequinWie gesagt, für mich ist ein Hauptgrund, warum ich kaum etwas, außer Contemporary Fantasy lese, dass ich den Eurozentrismus beim Weltenbau so furchtbar, furchtbar ätzend finde.

Zitat von: NelaNequinAuch wenn ich bevorzugt Geschichten aus anderen Kulturen lese, so bin ich immer misstrauisch, wenn sie von jemanden geschrieben wurden, der keine Verbindung zu dieser Kultur hat.

Diese beiden Aussagen lese ich so oder so ähnlich öfter, wenn ich Diskussionen zum Thema Vielfalt in der Fantasy verfolge. Ich kann beides durchaus nachvollziehen, aber mir erschließt sich hieraus  für europäische Autor*innen ohne persönliche Verbindung zu einer anderen Kultur keine Möglichkeit es "richtig" zu machen.
Wobei ich auch ehrlich sagen muss, dass für mich die so genannte "mittelalterliche Fantasy" auch wenig mit einer realistischen Darstellung der europäischen Geschichte zu tun hat und sich häufig in wesentlichen Punkten von dieser unterscheidet, was sich ja durch die Existenz von Magie und magischen Wesen auch automatisch ergibt. Eurozentristisch ist hier eher das zugrundeliegende Weltbild, aber ich denke mir, dass so sozialisierte Autoren, da auch nur selten aus ihrer Haut können.

Deswegen tendiere ich hier eher dazu mich deiner zweiten Aussage anzuschließen. Bücher, die stark an andere Kulturen angelehnt sind, aber von Autoren ohne Bezug dazu verfasst, meide ich auch eher. Ich finde aber, dass man den europäischen Autoren dann keinen Vorwurf daraus machen kann, dass sie bevorzugt schreiben, was sie kennen und von eigenen philosophischen und moralischen Prinzipien ausgehen und ihre Geschichten hierauf aufbauen. Auf der viel praktischeren Ebene finde ich es auch wesentlich leichter als deutsche Autorin realistisch und detailgetreu über die kürzer werdenden Tage im Herbst und alles, was sonst mit den Jahreszeiten zusammenhängt, zu schreiben, als beispielsweise über das Warten auf Regen zum Ende der Trockenheit in einer afrikanischen Savannenregion. (Wobei der letzte Sommer ein bisschen dabei geholfen hat, sich das besser vorstellen zu können, aber ich schweife ab.) Man kann solche Dinge noch so viel recherchieren, aber das wird doch nie dasselbe sein, als wenn sie das eigene Leben prägen. weil manche Details dann einfach verlorengehen und diese Dinge auch nie das eigene (Gefühls)leben beeinflusst haben.

Der ersten Aussage stimme ich insofern zu, dass ich es nicht nur aus moralischen Gründen, sondern auch aus persönlichem Interesse sehr begrüßen würde, wenn mehr Fantasybücher, die von Menschen mit anderen kulturellem Hintergrund geschrieben wurden, den Weg in die Regale finden würden.
Titel: Re: Akzeptierte Standards für Fantasywelten
Beitrag von: Fianna am 21. Mai 2019, 21:33:27
Zitat von: Amanita am 21. Mai 2019, 20:01:37
Deswegen tendiere ich hier eher dazu mich deiner zweiten Aussage anzuschließen. Bücher, die stark an andere Kulturen angelehnt sind, aber von Autoren ohne Bezug dazu verfasst, meide ich auch eher. Ich finde aber, dass man den europäischen Autoren dann keinen Vorwurf daraus machen kann, dass sie bevorzugt schreiben, was sie kennen und von eigenen philosophischen und moralischen Prinzipien ausgehen und ihre Geschichten hierauf aufbauen.
Diese Haltung ist etwas schwierig - wonach beurteilst Du denn [Edit: vor dem Kauf], ob der Autor einen Bezug dazu hat? Wenn er oder sie das nicht unbedingt in seiner Biographie preis gibt, kann man gar nicht beurteilen, wie der Bezug des Autors zu dieser Kultur oder seinem Thema ist.
Auch ein Own Voice Autor ist vor allem deswegen own voice, weil er oder sie sich entschieden hat, soviel von seinem (Privat-)Leben preis gibt. Man kann aber nicht umgekehrt darauf schließen, dass jemand keine own voice ist oder keinen Bezug zu der Kultur hat, nur weil es nicht in der Autorenbiographie hoch gehalten wird, dass jemand queer ist, von einem japanischen Stiefpapa aufgezogen wurde oder was auch immer eben den authentischen Bezug geben würde.
Titel: Re: Akzeptierte Standards für Fantasywelten
Beitrag von: AlpakaAlex am 21. Mai 2019, 23:25:15
Zitat von: Amanita am 21. Mai 2019, 20:01:37
Wobei ich auch ehrlich sagen muss, dass für mich die so genannte "mittelalterliche Fantasy" auch wenig mit einer realistischen Darstellung der europäischen Geschichte zu tun hat und sich häufig in wesentlichen Punkten von dieser unterscheidet, was sich ja durch die Existenz von Magie und magischen Wesen auch automatisch ergibt.
[Hmm. Eigentlich fast eher ein Thema für eins der Realismus-Topics, eh? Egal, ich antworte mal hier.]
Nun ja, die Sache ist, dass ich bei wenig Fantasywelten, die pseudo europäisches Mittelalter sind, das Gefühl habe, dass sich darüber viele Gedanken gemacht wurde. Das ist genau einer der Gründe, warum ich diese Art von Fantasy halt so sehr ablehne: Sie baut auf einem falschen Mittelalterverständnis auf und ist dabei im eigentlichen Weltenbau oftmals nicht wirklich bedacht.
Was ich damit beispielsweise meine, ist, dass wir ein mehr oder minder europäisches Mittelalter haben (also bzgl. Königreiche, Ritter, Waffen (zumindest dem Namen nach) und dergleichen), aber die Grundlagen nicht. Es geht keine Antike voraus, die ein solches Mittelalter voraussetzen würde, noch wird es anders erklärt, noch gibt es eine Religion, die die Rolle des Christentums vernünftig einnehmen kann. Meist gibt es auch keine historische Entwicklung der Welt was Kultur und Technologie angeht. Das ist einfach seit tausenden Jahren alles so, wie es ist. Historisch passiert allerhöchstens mal was von wegen Krieg oder neuen Königen. Die Welt wurde oft irgendwann von irgendeinem Gott einfach so geschaffen und niemand hat Neugierde oder Erfindungsgeist.
Derweil wird diese ganze "europäisches Mittelalter" Klamotte allerdings wiederum dafür genutzt etwaig eine Stellung der Frau zu begründen oder warum es nur weiße Menschen in dieser Welt gibt.  :nöö:
Auch wie bspw. Waffen oder Rüstungstechnik sich verändert hätte, hätten Menschen in einer Welt mit Drachen und Magie gelebt, sehe ich selten adressiert. Waffen und Rüstungen sind zwar unrealistisch - aber auf eine Art, die eher mit Fehlinformation zu tun hat, als mit Weltenbau.

Und um das klar zu machen: Ich sage nicht, dass es in allen europäisch angehauchten Fantasywelten so ist, sondern, dass ich so viele gelesen habe (gerade bei den großen Serien), dass ich genug davon habe und mich dem Subgenre allgemein abgewandt habe.

Zitat von: Amanita am 21. Mai 2019, 20:01:37
Ich finde aber, dass man den europäischen Autoren dann keinen Vorwurf daraus machen kann, dass sie bevorzugt schreiben, was sie kennen und von eigenen philosophischen und moralischen Prinzipien ausgehen und ihre Geschichten hierauf aufbauen.
Ich finde es halt immer so ein wenig kompliziert. Denn ich sehe es an sich gerade als Autor*in sehr wichtig an, dass man etwas über andere moralische Grundlagen lernt, als die, mit denen man aufgewachsen ist. Das gehört für mich allgemein zu Weltenbau dazu, sich zu überlegen, was am Kontext einer Welt und einer Figur moralisch Sinn macht. Ich meine, meine Vampire, Magier und Werwölfe sind bspw. natürlich von unserer modernen Welt beeinflusst - aber gleichzeitig leben sie halt doch in einer leicht anderen Welt, die ihre Moralvorstellungen und ihre Lebensphilosophie beeinflusst.

Wobei mein größtes Problem halt wirklich immer wieder ist, dass mit anderen Kulturen öfter Mal respektlos umgegangen wird. Für mich gehört dazu halt auch, dass bestimmte Kulturen es ungerne sehen, wenn speziell Weiße über sie schreiben. Beispiel wären hier die Navajo, die halt auch gute Gründe dafür haben. Vor allem sind sie halt auch oft sauer, wenn über die yee naaldlooshii geschrieben wird durch Leute, für die es einfach nur ein "cooles" Monster ist.

Zitat von: Fianna am 21. Mai 2019, 21:33:27
Diese Haltung ist etwas schwierig - wonach beurteilst Du denn [Edit: vor dem Kauf], ob der Autor einen Bezug dazu hat? Wenn er oder sie das nicht unbedingt in seiner Biographie preis gibt, kann man gar nicht beurteilen, wie der Bezug des Autors zu dieser Kultur oder seinem Thema ist.
Recherche. Wer es nicht preisgibt, hat halt Pech gehabt und muss damit leben, aus der Perspektive kritisiert zu werden. Zumal ich sagen muss: Ein japanischer Stiefpapa macht dich nicht zu einem Japaner. Gerade bei Kultur merkt man schon üblicherweise aus welchem Kulturkreis ein Autor kommt. Natürlich kann auch ein japanischer Autor ein historisch japanisches Setting verballhornern - können deutsche Autoren mit europäischen Setting wie gesagt ja auch - aber bestimmte kulturelle Dinge merkt man eben doch.
Titel: Re: Akzeptierte Standards für Fantasywelten
Beitrag von: Maubel am 22. Mai 2019, 00:00:13
Zitat von: NelaNequin am 21. Mai 2019, 23:25:15
Zitat von: Amanita am 21. Mai 2019, 20:01:37
Wobei ich auch ehrlich sagen muss, dass für mich die so genannte "mittelalterliche Fantasy" auch wenig mit einer realistischen Darstellung der europäischen Geschichte zu tun hat und sich häufig in wesentlichen Punkten von dieser unterscheidet, was sich ja durch die Existenz von Magie und magischen Wesen auch automatisch ergibt.
[Hmm. Eigentlich fast eher ein Thema für eins der Realismus-Topics, eh? Egal, ich antworte mal hier.]
Nun ja, die Sache ist, dass ich bei wenig Fantasywelten, die pseudo europäisches Mittelalter sind, das Gefühl habe, dass sich darüber viele Gedanken gemacht wurde. Das ist genau einer der Gründe, warum ich diese Art von Fantasy halt so sehr ablehne: Sie baut auf einem falschen Mittelalterverständnis auf und ist dabei im eigentlichen Weltenbau oftmals nicht wirklich bedacht.
Was ich damit beispielsweise meine, ist, dass wir ein mehr oder minder europäisches Mittelalter haben (also bzgl. Königreiche, Ritter, Waffen (zumindest dem Namen nach) und dergleichen), aber die Grundlagen nicht. Es geht keine Antike voraus, die ein solches Mittelalter voraussetzen würde, noch wird es anders erklärt, noch gibt es eine Religion, die die Rolle des Christentums vernünftig einnehmen kann. Meist gibt es auch keine historische Entwicklung der Welt was Kultur und Technologie angeht. Das ist einfach seit tausenden Jahren alles so, wie es ist. Historisch passiert allerhöchstens mal was von wegen Krieg oder neuen Königen. Die Welt wurde oft irgendwann von irgendeinem Gott einfach so geschaffen und niemand hat Neugierde oder Erfindungsgeist.
Derweil wird diese ganze "europäisches Mittelalter" Klamotte allerdings wiederum dafür genutzt etwaig eine Stellung der Frau zu begründen oder warum es nur weiße Menschen in dieser Welt gibt.  :nöö:
Auch wie bspw. Waffen oder Rüstungstechnik sich verändert hätte, hätten Menschen in einer Welt mit Drachen und Magie gelebt, sehe ich selten adressiert. Waffen und Rüstungen sind zwar unrealistisch - aber auf eine Art, die eher mit Fehlinformation zu tun hat, als mit Weltenbau.

Mein großes Problem ist auch vor allem diese Stasis - gibt ja sogar einen Trope dafür. Die Welt muss sich nicht genauso entwickelt haben, aber wenn dann zum Beispiel Zeitrahmen wie 8000 Jahre im Lied von Eis und Feuer hat und dort seit mehreren Jahrtausenden eine statische Monarchie mit wechselnden Häusern herrscht, ist das schon etwas merkwürdig. Erfinder und Entdecker fehlen mir in den meisten Fantasyromanen, genauso wie kulturelle Sachen wie Theater, Oper oder Literatur (oft gibt es genau ein Werk ...). Wir mögen das Mittelalter zwar als dunkles Zeitalter ansehen, aber tatsächlich hat sich zwischen 800 und 1500 eine Menge getan. (Und ich will immer noch einen Roman schreiben, in dem Flugblätter und erste Zeitungen eine Rolle spielen - aber ich bin auch eher ein Freund der Neuzeit)

Das mit den Waffen und Rüstungen ist auch so ein Punkt, den ich zum Beispiel in meiner Ravenblood-Saga drin habe. Es ist eine hochmagische Welt, jeder einzelne kann Magieformen zumindest rudimentär und je nach ausgiebigem Studium auch expertenmäßig, natürlich kämpfen die nicht in einer normalen Rüstung und Schwert. Die Magie ist sowohl bei der Herstellung, als auch bei der Taktik und den einzelnen Kampfschritten dabei. Die Tatsache, dass es ein Nebelreich gibt, durch das man verkürzte Transportzeiten hat (wenn man nicht vom Weg abkommt und verrückt wird), ist einer der Hauptgründe, warum mein vadisches Reich (nachempfunden dem Heiligen Römischen Reich deutscher Nationen) solche Eroberungserfolge hatte. Wie willst du dich dagegen verteidigen, wenn der Feind hinter deiner Frontlinie auftauchen kann etc.? Und dann gibt es tatsächlich zwischen Band 2 und 3 eine bahnbrechende Neuentwicklung. Meine Welt ist also nicht nur vorher unstatisch gewesen, sondern auch währenddessen und das nicht nur auf politischer Ebene.

Was das Schreiben anderer kultureller Kreise angeht, muss ich mich für die Diversität aussprechen. Ich finde es schade, dass fernöstliche Kulturen auch in Fantasyromanen wenn dann nur das fremdartige Land weit weit weg vom Plot sind - ich finde, das ist viel mehr Klischee, als die Geschichte dort spielen zu lassen und vielleicht nicht alle Nuancen zu treffen - wohl auch, weil man sie gar nicht treffen will - denn sonst würde die Geschichte eben in Japan oder China oder sonst wo spielen, statt in einer Fantasywelt. Ich finde es in der Hinsicht nicht logisch, einen anderen Maßstab an diese Vorlagen anzulegen, als an die eurozentrischen, die genauso klischeebelastet sein können und oft sind. Natürlich erwarte ich von einem guten Roman, dass er keine Klischees produziert, aber da gilt mein Maßstab für alle und ich persönlich würde mir mehr diverse Settings im Fantasybereich wünschen. Das gilt auch für vollkommen andere Moralvorstellungen wie die meiner Dämonen. Die sind nun mal einfach nicht menschlich, aber sie machen aus ihrer Geschichte, Wahrnehmung und Kultur heraus absolut Sinn.

Mit meinem Bezug zu Japan bin ich übrigens immer sehr offen umgegangen. Die Grundlage für Tanz der Feuerblüten ist die Geschichte des Prinzen Genji, über deren historischen Kontext ich zum ersten Mal mit 15 gelesen habe und seitdem alles Mögliche zu Japan verschlungen habe. Mittlerweile habe ich auch Genji selbst gelesen, um ein Gefühl für die Atmosphäre zu bekommen, ich war in Japan zum Urlaub (ja viel zu kurz) und habe dort viel abseits der Wege aufgenommen und eingeatmet. Macht mich das zum Experten, definitiv nicht und es ist auch absolut kein own-voice, aber ich bilde mir ein, dass mein Roman sehr nuanciert ist und es mir gelungen ist, die Atmosphäre im Großen und Ganzen einzufangen.

ZitatNehmen wir mal eine japanische Welt, wie im Eingangspost angesprochen. Das mindeste, was ich erwarte, ist, dass diese Kultur auf einer halbwegs ähnlichen Landschaft spielt, was die Ressourcen und Gefahren angeht. Das heißt: Inselstaat, viel Gebirge, wenig bebaubares Land, starke Monsunregen einmal im Jahr, Hauptnahrungsquellen ähnlich. Weil das sind Aspekte, die Japan zentral als Kultur geprägt haben.

Und hier würde ich noch einiges aus dem Wesen der Japaner mit einfließen lassen. Die Dichotomie zwischen Natur und Zivilisation, die Miteinbeziehung von Leerflächen in der Kunst, Shintoismus und Buddhismus
Titel: Re: Akzeptierte Standards für Fantasywelten
Beitrag von: AlpakaAlex am 22. Mai 2019, 00:58:37
Zitat von: Maubel am 22. Mai 2019, 00:00:13
Wir mögen das Mittelalter zwar als dunkles Zeitalter ansehen, aber tatsächlich hat sich zwischen 800 und 1500 eine Menge getan.
Ja, eben das. Gilt ja auch nicht nur für Song of Ice and Fire (wobei es mich da besonders nervt, weil so vieles an dieser Serie - allen Dingen voran die Gewalt gegen Frauen - mit "Realismus" und "Geschichte" begründet wird, aber der gesamte Weltenbau so furchtbar unrealistisch ist, auch für eine Welt mit Drachen und Eiszombies), sondern bspw. auch für Herr der Ringe, wo sich nicht wirklich viel tut.
Ich hatte dazu mal einen Blog geschrieben und halt versucht darauf einzugehen, dass viele Zeitalter, die wir heute als sehr monolithisch ansehen (auch die Antike) eigentlich enorme Entwicklung kulturell, aber auch technologisch mit sich gebracht haben. Ich fand das ja, bei allen Fehlern, die die Reihe hat, in Assassins Creed Origins mit den Pyramiden schön dargestellt. Ja, das Spiel spielt im "alten Ägypten". Aber die Zeit des Pyramidenbaus ist den Charakteren genau so fremd, wie ihre Kultur uns.

Und ja, ich liebe Erfinder-Charaktere. Ich habe selbst bei mir - und wie gesagt, ich bin contemp - halt eine Magiergruppe eingebaut, die halt forscht, wie man Magie und Wissenschaft in Einklang bringen kann. Denn während bei mir Technologie sich nicht von Magie beirren lässt, wäre es natürlich dennoch cool, könnte man das Handy bspw. mit Magie verbessern.

Zitat von: Maubel am 22. Mai 2019, 00:00:13
Ich finde es in der Hinsicht nicht logisch, einen anderen Maßstab an diese Vorlagen anzulegen, als an die eurozentrischen, die genauso klischeebelastet sein können und oft sind.
Muss man aber, da wir nun einmal leider in einer Welt leben, in der Kolonialismus passiert ist und auf gewisse Weise noch immer passiert. Die europäischen Mächte haben den Rest der Welt besetzt und ausgenommen - jedenfalls zu großen Teilen - und das sind Dinge, die man bis heute bemerkt. Rassismus ist real und sehr wohl lebendig. Deswegen spielt es, wenn man als Autor einfach über eine fremde Kultur schreibt, in dieses Machtgefälle mit hinein.

Das europäische Mittelalter zu verballhornern ist halt nicht schön, aber so gesehen schadet es niemanden so sehr (nun, außer Frauen und queeren Menschen, aber das ist eine andere Geschichte), wie es halt schadet, eine asiatische Welt mit einer Mischung aus Wuxia und Kung Fu Hollywood Tropes zu füllen oder dunkelhäutige, naturverbundene, wilde Baummenschen zu haben (böser Blick zu DSA). Denn das eine ist vorrangig einfach nur uninformiert. Das andere ist eine Form von Rassismus, selbst wenn es nicht als solcher beabsichtigt ist.

Lindsay Ellis hat es in ihrem Video zu Disneys furchtbaren Pocahontas-Film relativ gut erklärt (https://www.youtube.com/watch?v=2ARX0-AylFI): Wenn jemand aus einer historisch kolonialisierenden Kultur über eine historisch kolonialisierte Kultur schreibt, dann ist es kulturelle Aneignung und hat schnell (wenn man nicht sehr, sehr, sehr gut recherchiert) negative Konsequenzen für die Menschen aus der kolonialisierten Kultur. Schreibt jemand aus einer kolonialisierten Kultur über eine kolonialisierende Kultur und stellt sie falsch dar, dann geschieht dadurch halt kein Schaden - da die kolonialisierende Kultur eben bis heute die Macht hat. Deswegen kann der Herr Khan halt durch ein klischeehaftes New York singen und tanzen und man kann darüber auch als Amerikaner einfach lachen, während ein Film wie Slumdog Millionaire für Inder verdammt verletzend ist.

Allerdings gebe ich auch offen zu, dass genau aus dem Grund Japan auch ein etwas seltsames Ding ist. Denn technisch gesehen ist Japan auch eine Kolonialmacht und wurde nie vom Westen kolonialisiert. Was nicht heißt, dass Japaner nicht immer noch massiven Rassimus ausgesetzt sind, wenn sie sich im Westen aufhalten, aber ... Es ist kompliziert. Gerade da Japan mehr als irgendeine andere üblicherweise betroffene Kultur ihre Kultur tonnenweise bereitwillig exportiert.  Das macht Japan in diesem Kontext so schwer einzuordnen.  ???
Titel: Re: Akzeptierte Standards für Fantasywelten
Beitrag von: Yamuri am 22. Mai 2019, 07:54:42
1. Welche Erfahrungen habt ihr mit der Akzeptanz von nicht-europäischem Weltenbau gemacht?

Auf mich wirkt es so, als würden viele nicht-europäischen Weltenbau ablehnen. Aber ich glaube, das war/ist ein Vorurteil das ich gegenüber den Europäern habe. Denn gerade hier im TiZi fällt mir auf, dass sehr großes Interesse da zu sein scheint und es doch einige gibt, die mehr nicht-europäischen Weltenbau lesen möchten. Mir fällt auch auf, dass Ängste vorherrschen etwas falsch zu machen oder Skeptik, dass andere Autoren es richtig machen.

2. Muss man da mehr recherchieren um die Leser zufrieden zu stellen, als für den akzeptierten Standard?

Da ich jeden Mensch als Unikat und eigenständiges Miniuniversum betrachte, empfinde ich Recherche immer als wichtig. Zu wissen was es gibt, hilft uns Klischés und Vorurteile zu brechen. Wenn ich durch Recherche herausfinde, dass meine Annahmen unberechtigt sind, kann ich das ändern. Falsche Vorstellungen kann man von jeder Kultur haben, auch von der in der man aufgewachsen ist. Recherche und Beobachtung ist daher immer gleich wichtig in meinen Augen.

3. Oder wie nah darf ich meine Welt an etwas anlehnen, damit diese trotzdem noch als eigenständige Kreation des Autors angesehen wird?

Das kommt darauf an, welche Anforderungen ich erfüllen will. Möchte ich eine neue Welt schaffen? Oder will ich eine Geschichte in unserer schreiben? In einer neuen Welt, muss ich mich gar nicht an das anlehnen, was hier ist. Ich kann etwas völlig Neues und Abstraktes schaffen, das nur bedingt an die Gegebenheiten hier angelehnt ist, darf es dann aber auch nicht als europäisch/ostasiatisch/indigen/afrikanisch usw. bezeichnen. Es kann dort auch Menschen mit blauer, grüner, feuerroter, goldener Hautfarbe geben, wenn ich das so möchte. Will ich aber Contemporary schreiben, sollte ich mich so gut wie möglich an realen Gegebenheiten orientieren und mich um eine reale Darstellung bemühen.

4. Wie sehr achtet ihr beim Lesen darauf, dass die Welt nicht nur in sich logisch ist, sondern auch den realen Gegebenheiten entspricht?

Ich achte gar nicht darauf wenn ich lese. Die Geschichte muss in sich stimmig sein und soll mich in eine andere Welt entführen. Wäre dort alles wie hier, wäre ich enttäuscht. Ich erwarte das Ungewöhnliche, das Neue, das noch nicht da Gewesene in Fantasy Geschichten. Ich will überrascht werden und nicht lesen, was alle denken oder für die allgemeingültige Wahrheit halten und daher immer und immer wieder neu reproduzieren. Ich will das Herz dessen fühlen, was der Autor erschaffen hat. Gelingt dem Autor das, hat er alles richtig gemacht, gelingt es nicht, spielt es leider keine Rolle mehr, ob manche Darstellungen noch so "realistisch" (bezogen auf unsere Realität) sind. Und wenn ich Geschichten über unsere reale Welt lesen möchte, lese ich Krimis oder Geschichtsbücher.

Sorry but you are not allowed to view spoiler contents.
Titel: Re: Akzeptierte Standards für Fantasywelten
Beitrag von: Amanita am 22. Mai 2019, 08:43:17
Zitat von: NelaNequinWas ich damit beispielsweise meine, ist, dass wir ein mehr oder minder europäisches Mittelalter haben (also bzgl. Königreiche, Ritter, Waffen (zumindest dem Namen nach) und dergleichen), aber die Grundlagen nicht. Es geht keine Antike voraus, die ein solches Mittelalter voraussetzen würde, noch wird es anders erklärt, noch gibt es eine Religion, die die Rolle des Christentums vernünftig einnehmen kann. Meist gibt es auch keine historische Entwicklung der Welt was Kultur und Technologie angeht. Das ist einfach seit tausenden Jahren alles so, wie es ist. Historisch passiert allerhöchstens mal was von wegen Krieg oder neuen Königen. Die Welt wurde oft irgendwann von irgendeinem Gott einfach so geschaffen und niemand hat Neugierde oder Erfindungsgeist.
Derweil wird diese ganze "europäisches Mittelalter" Klamotte allerdings wiederum dafür genutzt etwaig eine Stellung der Frau zu begründen oder warum es nur weiße Menschen in dieser Welt gibt.   
Da stimme ich dir völlig zu. Das stört mich auch alles nicht, insbesondere die fundamentale Bedeutung, die unterdrückte Frauen anscheinend in den Augen vieler für eine ,,realistische Darstellung" haben (ist ja auch hier im Thread ein Beispiel), während bei diversen anderen Themen der Realismus auf einmal gar keine so groß Rolle mehr spielt.

Zitat von: NelaNequinIch finde es halt immer so ein wenig kompliziert. Denn ich sehe es an sich gerade als Autor*in sehr wichtig an, dass man etwas über andere moralische Grundlagen lernt, als die, mit denen man aufgewachsen ist. Das gehört für mich allgemein zu Weltenbau dazu, sich zu überlegen, was am Kontext einer Welt und einer Figur moralisch Sinn macht.

Das denke ich auch, aber du hast ja selbst von einem persönlichen Bezug zu einer Kultur gesprochen und das ist für mich mehr als ,,nur" Recherche, wobei ich niemandem, der sich intensiv mit einer anderen Kultur beschäftigt absprechen möchte, dass er auch auf angemessene Art darüber schreiben kann.

Zitat von: NelaNequinSchreibt jemand aus einer kolonialisierten Kultur über eine kolonialisierende Kultur und stellt sie falsch dar, dann geschieht dadurch halt kein Schaden - da die kolonialisierende Kultur eben bis heute die Macht hat.
Ich fürchte so verallgemeinern kann man das auch nicht. Beispielsweise werden weiße Frauen in Bollywoodfilmen gerne mal extrem freizügig und sexuell verfügbar dargestellt, während es dann in Großbritannien teilweise systematische sexuelle Übergriffe durch pakistanische Männer gegen einheimische Frauen gibt. Da würde ich eine solche Darstellung dann durchaus auch als potenziell schädlich bezeichnen.

Zitat von: NelaNequinDas macht Japan in diesem Kontext so schwer einzuordnen.
Das denke ich mir auch. An sich befindet sich Japan ja was die weltpolitische Machtstellung angeht in einer ganz ähnlichen Position wie Deutschland. Aggressor und Verlierer im Zweiten Weltkrieg, seitdem militärisch relativ bedeutungslos, aber wirtschaftlich sehr erfolgreich...

Allgemein finde ich es in diesem Zusammenhang auch immer schwierig, diese ja eigentlich aus den USA stammende, wo sie auch Sinn ergibt Gegenüberstellung ,,Weiße gegen alle anderen" auf die ganze Welt zu übertragen.
Gerade was Japan betrifft ist das Verhältnis zu Deutschland aus offensichtlichen Gründen ein völlig anderes als das Verhältnis zu den USA. Deutschland hatte zwar auch Kolonien in Afrika, aber nie in dem Umfang wie Frankreich oder gar Großbritannien. Im ost-und südostasiatischen Raum hatte Deutschland eigentlich nie eine besondere Machtposition, dafür hat es blutige Eroberungskriege in der näheren Umgebung geführt und wie wir alle wissen den Holocaust zu verantworten, womit andere Länder nicht in Verbindung gebracht werden.
Die tatsächliche weltpolitische Macht von Deutschland heute ist aber in keinster Weise mit der US-amerikanischen zu vergleichen, da muss man sich ja nur anschauen, wie sogar Trump trotz allem in den Allerwertesten gekrochen werden muss.
Dazu kommen muslimische Reiche, die auch kolonialisiert haben, teilweise auch ,,weiße" Regionen von Europa und sich dabei nicht unbedingt ,,netter" verhalten haben als die europäischen Kolonialisten einschließlich Sklaverei.
Ganz so schwarz und weiß wie das alles dargestellt wird, ist es nicht.
Titel: Re: Akzeptierte Standards für Fantasywelten
Beitrag von: Maubel am 22. Mai 2019, 09:19:08
Zitat von: NelaNequin am 22. Mai 2019, 00:58:37
Muss man aber, da wir nun einmal leider in einer Welt leben, in der Kolonialismus passiert ist und auf gewisse Weise noch immer passiert. Die europäischen Mächte haben den Rest der Welt besetzt und ausgenommen - jedenfalls zu großen Teilen - und das sind Dinge, die man bis heute bemerkt. Rassismus ist real und sehr wohl lebendig. Deswegen spielt es, wenn man als Autor einfach über eine fremde Kultur schreibt, in dieses Machtgefälle mit hinein.

Das europäische Mittelalter zu verballhornern ist halt nicht schön, aber so gesehen schadet es niemanden so sehr (nun, außer Frauen und queeren Menschen, aber das ist eine andere Geschichte), wie es halt schadet, eine asiatische Welt mit einer Mischung aus Wuxia und Kung Fu Hollywood Tropes zu füllen oder dunkelhäutige, naturverbundene, wilde Baummenschen zu haben (böser Blick zu DSA). Denn das eine ist vorrangig einfach nur uninformiert. Das andere ist eine Form von Rassismus, selbst wenn es nicht als solcher beabsichtigt ist.

Was du da schreibst, finde ich gut und wichtig, allerdings finde ich die Beispiele zu extrem. Es liegt für mich noch eine ganze Menge zwischen Klischee oder schlecht verkleideten und in dem Fall auch noch dummen Rassismus und own-voice und ich finde, dass es Autoren gibt, die ein gutes Gespür für andere Menschen haben, auch wenn sie nicht in deren Haut gesteckt haben. Aus der Begründung heraus, ist man nämlich ganz schnell bei "Schreibe nur was du kennst" und damit deutlich weniger Diversität und einem extrem langweiligen Cast, wenn man es auf den Punkt genau nimmt. Ich finde es wichtig, own-voice-Autoren zu unterstützen und zu fördern, aber ohne generell zu verpönen, wenn jemand anderes sich mit guter, sensibler Recherche einigen Elementen bedient. Ja, vielleicht wird dieser Autor nicht alles 100%ig richtig machen, aber in der Hinsicht hat er die Fiktion und im Besonderen die Fantasy auf seiner Seite. Die Frage ist halt auch immer aus welchen Gründen man über andere Kulturen schreiben will - weil es cool ist? (eher schlechter Grund) Weil man die Diversität der Welt zeigen oder diversere Fantasywelten schaffen möchte? (eher guter Grund).

Ein own-voice Roman hat etwas Besonderes, weil er Nuancen zeigt, die den meisten entgehen und deshalb oft besonders reichhaltig ist, aber in den anderen Romanen fehlen die Nuancen dem Leser nicht unbedingt. Sie fallen kaum ins Gewicht der Geschichte und würden nur im direkten Vergleich deutlich - aber ich fände die Literatur würde mehr verlieren, wenn wir Diversität nur noch in eine Richtung erlauben und nicht in beide - zumal das Auseinandersetzen damit ja Autor wie Leser in dieser Hinsicht fördert. Also auch viel Gutes "anrichten" kann.

@Yamuri Zu deinem Exkurs - Danke, dass du ihn geschrieben hast. Gerade in den ersten Absätzen drückst du besser aus, wie ich darüber denke, als ich es könnte - ich hatte lange keinen Bezug zum Deutschsein, aber gerade der Punkt, dass wir dann eben auch nicht über Geschichtliches schreiben könnte, resoniert sehr stark in mir. Es schwächt meiner Meinung nach auch die Fantasy, so zu denken, denn damit wird Fantasy automatisch zu irrelevanter Gedankenspielerei, eben etwas Fantasie. Dabei kann sie so viel mehr sein, ein Spiegel, ein Labor, eine Zukunftsvision, aber nur, wenn man ihr auch anerkennt, dass sie tiefgehend und Wurzeln in der Realität und über diese hinaus wachsen kann.

@Amanita Deine Punkte bezüglich der US-konzentrierten Wahrnehmung finde ich auch sehr interessant. Ich denke, ganz kann man sich davon auch nicht lösen, aber es ist auf jeden Fall komplexer und ganz sicher keine Schwarz-Weiß-Malerei.

Und ich merke, dass ich die Fragen im Eingangspunkt alle sehr unglücklich formuliert habe - Der Titel hätte auch besser gewählt werden können  :versteck:
Titel: Re: Akzeptierte Standards für Fantasywelten
Beitrag von: AlpakaAlex am 22. Mai 2019, 10:28:29
Zitat von: Amanita am 22. Mai 2019, 08:43:17
Ich fürchte so verallgemeinern kann man das auch nicht. Beispielsweise werden weiße Frauen in Bollywoodfilmen gerne mal extrem freizügig und sexuell verfügbar dargestellt, während es dann in Großbritannien teilweise systematische sexuelle Übergriffe durch pakistanische Männer gegen einheimische Frauen gibt. Da würde ich eine solche Darstellung dann durchaus auch als potenziell schädlich bezeichnen.
Du übergehst dabei allerdings einen wichtigen Punkt: Britische weiße Frauen haben in der Britischen Gesellschaft einen höheren Stand als pakhistani Männer. Während in den UK, wie so bei uns auch, die Exekutive schnell blind ist und keinerlei Beweise sieht, wenn ein weißer Mann für einen sexuellen Übergriff verantwortlich ist, so sehen sie selbst dann Beweise, wenn ein dunkelhäutiger Mann es eigentlich nicht war. Und ich wäre vorsichtig von "systematisch" zu sprechen. Das tut man hier auch sehr gern, wenn es um Nordafrikaner geht und unterstellt eine organisierte Struktur, die so aber nicht vorhanden ist.

Nur zur Klarstellung: Ich finde sexualisierte Darstellung von Frauen prinzipiell schlecht. Aber dann da allein über Bollywood und Pakistan (warum eigentlich Pakistan und nicht Indien?) zu sprechen finde ich auch falsch. Denn dasselbe kannst du locker für Hollywood oder auch UK produzierte Filme sagen und siehe da, die meisten Täter, vor allem die meisten Täter die nicht oder nur milde verurteilt werden, sind nachwievor weiß.


Zitat von: Amanita am 22. Mai 2019, 08:43:17
Deutschland hatte zwar auch Kolonien in Afrika, aber nie in dem Umfang wie Frankreich oder gar Großbritannien.
Was allerdings vollkommen egal ist, da Deutschland gerade heute noch wunderbar von der Kolonialisierung und Ausbeutung Afrikas profitiert. Nur weil Deutschland ein wenig spät in das Kolonialisierungsspiel eingestiegen ist (und damit ganz nebenbei Europa weiter destabilisiert hat, stichwort Panthersprung), heißt es nicht, das Deutschland hier auszunehmen ist. Deutschland hat es, obwohl so spät eingestiegen, wunderbar geschafft, beinahe gänzlich allein einen Genozid zustande zu bringen. Ja, es gab verhältnismäßig wenig deutsche Kolonien, aber an der Unterdrückung war auch Deutschland beteiligt, genau so, wie an dem Raub diverse kultureller Artefakte und Kunstgegenstände. Deutschland hat kolonialisiert und in diesem Rahmen viele, viele Verbrechen begangen. Es ist vielen nur nicht bewusst, da wir darüber in der Schule nicht aufgeklärt werden.

Und die ganzen Aspekte die damit einhergehen hast du halt auch hier. Die ganzen Kolonialismus Mythen, die so im Hinterkopf festsitzen, dass man sie schwer losbekommt. Auch hier ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass einer nicht-weißen Familie die Kinder weggenommen werden aus vorgeschobenen Gründen. Auch hier hat man sogar schwarzen Familien ganz systematisch die Kinder weggenommen und ins Pflegesystem gegeben. Es ist halt leider nun mal so.

Und dasselbe gilt halt doppelt so für kulturelle Aneignung. Hier sind wir besonders schlimm. Ich sage nur "Karl May" und Indianerkostüme. Aber rassistische Kostüme gibt es in ganz vielen Variationen. Rassistische Darstellungen werden gesellschaftlich auch von unserer Kindheit an in den Medien wiedergegeben. Ich meine, ich bin heute "weiß" (also white passing), aber als Kind sah man mir bis zur Pubertät durchaus an, dass meine Urgroßmutter Chinesin war. Was meinst du wie viele replizierte Rassismen und Stereotype ich von Kindern, aber auch Lehrern wiedergegeben gehört habe?

Deutschland ist von diesen Dingen genau so geprägt wie UK, Frankreich oder die USA. Wir reden nur nicht drüber.
Davon abgesehen macht die Tatsache, dass wir relativ wenig mit dem Genozid in Amerika zu tun hatten, es unsere rassistischen Darstellungen indigener amerikanischer Völker nicht weniger rassistisch.

Zitat von: Maubel am 22. Mai 2019, 09:19:08
Was du da schreibst, finde ich gut und wichtig, allerdings finde ich die Beispiele zu extrem. Es liegt für mich noch eine ganze Menge zwischen Klischee oder schlecht verkleideten und in dem Fall auch noch dummen Rassismus und own-voice und ich finde, dass es Autoren gibt, die ein gutes Gespür für andere Menschen haben, auch wenn sie nicht in deren Haut gesteckt haben.
Ich sage nicht, dass es das nicht gibt, nur, dass man extrem vorsichtig sein sollte, gerade da es nun einmal - und das lässt sich nur sehr, sehr schwer vermeiden - kulturelle Aneignung ist. Und wie gesagt, wenn halt indigene Stämme in Amerika sagen: "Wir wollen nicht, dass ihr unsere Mythen und Kultur in eurer Unterhaltung verwendet, egal wie gut recherchiert", dann muss man das meiner Meinung nach respektieren.

Weil technisch gesehen kann man eigene Welten um viel herum bauen - immerhin geht unsere Geschichte weiter zurück, als das Jahr 700 n. Chr.. Umso mehr, wenn wir andere zentral- und nordeuropäische Länder mit hineinnehmen (die eben nicht von Rassismus betroffen sind).

Nicht zu vergessen, dass man halt auch eine gänzlich eigene Welt bauen kann, selbst wenn das noch mehr Recherche erfordert, wenn man perfektionistisch ist. (Wegen der Frage: "Okay, wenn diese und jene Eigenschaft gegeben ist, wie wirkt sich dass dann auf die Kultur aus?")

Und wenn man mehr lesen will, dann kann man eventuell bei Verlagen ein wenig Druck machen, dass die eben mehr von Menschen aus den Kulturkreisen veröffentlichen. Wir haben zum einen massenhaft Autor*innen in Deutschland, die aus den Kreisen kommen und gerne veröffentlicht würden, es aber damit öfter schwer haben, und es gibt in anderen Ländern natürlich massenhaft Romane (auch Fantasy), die richtig cool sind, aber leider nie übersetzt werden. (Ich meine, eins meiner liebsten Bücher ist ein dystopischer japanischer Fantasy-Roman ... Der vor drei Jahren in den USA herauskam, bis heute aber keine Deutsche Übersetzung hat.)

Die Sache ist halt einfach: Ich glaube ich kenne kein einziges Beispiel in High Fantasy, wo jemand weißes eine Welt oder die Region einer Welt geschaffen hat, die auf einer anderen Kultur basierte, ohne dass es vor Rassismus nur so tropfte. Und das war keine böse rassistische Absicht, sondern halt einfach nur die Replikation von Dingen, die der etwaige Autor als "normal" wahrgenommen hat.

Übrigens: Nein, ich bin kein Anhänger von "Only write, what you know", aber es ist halt eben die Sache ... Ich bin dafür, dass deutlich mehr Diversity geschrieben wird, aber diese Charaktere sollten dann halt Figuren sein, die ihr Arc haben und dabei eben auch asiatisch, schwarz, indigen, queer oder zum Beispiel auch behindert sind. Nicht allerdings sollten sie darüber definiert werden, dass sie diese Sachen sind. Ihr Arc sollte nicht von ihrer Abweichung von unserer "Norm" handeln. Das ist nur verdammt schwer, wenn man eine ganze Kultur darum baut und die Geschichte darin spielen lässt.
Titel: Re: Akzeptierte Standards für Fantasywelten
Beitrag von: Maubel am 22. Mai 2019, 11:14:30
Zitat von: NelaNequin am 22. Mai 2019, 10:28:29
Ich sage nicht, dass es das nicht gibt, nur, dass man extrem vorsichtig sein sollte, gerade da es nun einmal - und das lässt sich nur sehr, sehr schwer vermeiden - kulturelle Aneignung ist. Und wie gesagt, wenn halt indigene Stämme in Amerika sagen: "Wir wollen nicht, dass ihr unsere Mythen und Kultur in eurer Unterhaltung verwendet, egal wie gut recherchiert", dann muss man das meiner Meinung nach respektieren.

Darauf können wir uns einigen. Es ist mit Sicherheit eine Gratwanderung und in Fällen, wo ausdrücklich darum gebeten wird, es nicht zu tun, natürlich gegeben, das auch zu akzeptieren. So sehr ich früher meine Indianerbücher auch als Kind geliebt habe (und nein, nicht Karl May, sondern die Söhne der großen Bärin), mir würde nie einfallen heute über die Sioux und andere indigene Völker Amerikas zu schreiben. Ebenso fühle ich mich nicht gewachsen, ein Buch in Neuseeland aus Sicht eines Maori-Protagonisten zu schreiben, es wäre ein absoluter Fehltritt, ein Buch in Neuseeland spielen zu lassen und dabei keine Maoristämmigen Charaktere auftreten zu lassen.
Titel: Re: Akzeptierte Standards für Fantasywelten
Beitrag von: Amanita am 22. Mai 2019, 11:40:32
Zitat von: NelaNequinDu übergehst dabei allerdings einen wichtigen Punkt: Britische weiße Frauen haben in der Britischen Gesellschaft einen höheren Stand als pakhistani Männer. Während in den UK, wie so bei uns auch, die Exekutive schnell blind ist und keinerlei Beweise sieht, wenn ein weißer Mann für einen sexuellen Übergriff verantwortlich ist, so sehen sie selbst dann Beweise, wenn ein dunkelhäutiger Mann es eigentlich nicht war.
Es gibt sicherlich Fälle, wo dies so zutrifft und nicht-weißen Männern aus rassistischen Gründen Sexualverbrechen vorgeworfen werden, die sie gar nicht begangen haben, bzw. wo sie eher angeklagt und verurteilt werden als weiße Männer.
Bei den Fällen, von denen ich hier gesprochen habe, Beispiel Rotherham ging es aber ganz konkret darum, dass von (hier tatsächlich) pakistanischen Männern junge weiße Frauen mit niedrigem gesellschaftlichem Status systematisch, was man in diesem speziellen Fall durchaus sagen kann, missbraucht wurden. Und auch, dass die Behörden lange nichts getan haben, um sie zu schützen, da die Frauen als nicht glaubwürdig galten und man Rassismusvorwürfen aus dem Weg gehen wollte. Darüber, warum es jetzt Pakistani und keine Inder waren, kann und ich will ich nicht spekulieren.
Natürlich habe ich nie behauptet, dass es in Hollywood-Filmen keine problematischen Darstellungen von Frauen gibt, das Beispiel war rein darauf bezogen, dass klischeehafte Darstellungen durchaus Schaden anrichten können, auch wenn die klischeehaft dargestellten einer (angeblich/meistens) "höherstehenden" Gruppe angehören.Leider ist es ja sowohl in der "westlichen" als auch in vielen anderen Kulturen so, dass dies auf Frauen immer nur relativ beschränkt zutrifft.

Zitat von: NelaNequinÜbrigens: Nein, ich bin kein Anhänger von "Only write, what you know", aber es ist halt eben die Sache ... Ich bin dafür, dass deutlich mehr Diversity geschrieben wird, aber diese Charaktere sollten dann halt Figuren sein, die ihr Arc haben und dabei eben auch asiatisch, schwarz, indigen, queer oder zum Beispiel auch behindert sind. Nicht allerdings sollten sie darüber definiert werden, dass sie diese Sachen sind. Ihr Arc sollte nicht von ihrer Abweichung von unserer "Norm" handeln.
Das sehe ich ganz genauso. Auch schon bei Frauen, wo es mich ziemlich nervt, dass man so oft die "einsamen Rebellinen gegen das als Norma angesehene patriarchalische System" hat.

Selbstverständlich befürworte ich auch keine aneignenden Darstellungen von amerikanischen Ureinwohnern, wobe ich aber glaube, das dies in alternativen Fantasywelten eher selten Thema ist, in den zeitgenössischen in der realen Welt spielenden Sachen vielleicht schon eher.
Wobei ich aber tatsächlich glaube, dass diese deutschen "Indianergeschichten" nicht als rassistische Abwertung gemeint waren, sondern eher als eine Art Projektion von Idealvorstellungen von Tapferkeit/Kriegerehre etc. auf weit entfernt lebende Menschen, mit denen man in der Realität sowieso nichts zu tun hat.
Da finde ich die Geschichten aus dem kolonialen Afrika, wo sowohl der Kontinent als auch die dort lebenden Menschen nur als bedrohlich-böse, wilder Hintergrund irgendwelcher Geschichten über die weißen Protagonisten dient wesentlich schlimmer, was nicht heißt, dass es nicht zu respektieren ist, wenn Betroffene diese Art von Darstellung explizit ablehnen.

Titel: Re: Akzeptierte Standards für Fantasywelten
Beitrag von: Churke am 22. Mai 2019, 13:55:21
Zitat von: Maubel am 22. Mai 2019, 00:00:13
Mein großes Problem ist auch vor allem diese Stasis - gibt ja sogar einen Trope dafür. Die Welt muss sich nicht genauso entwickelt haben, aber wenn dann zum Beispiel Zeitrahmen wie 8000 Jahre im Lied von Eis und Feuer hat und dort seit mehreren Jahrtausenden eine statische Monarchie mit wechselnden Häusern herrscht, ist das schon etwas merkwürdig.

Die Vorstellung einer statischen Welt ist keine Erfindung der Fantasy. Wenn man wie die spätrömischen Kaiser im Namen Gottes über die Erdkreis herrscht, ist bereits der Gedanke an eine andere Welt- und Gesellschaftsordnung pure Blasphemie. So ist das nun nun mal am Ende der Geschichte.
Wir haben ähnliche Epochen in Japan oder im Reich der Mitte. Natürlich dauerten die keine Jahrtausende, man muss aber bedenken, dass alle diese Systeme durch externe Faktoren zusammenbrachen.


Zitat von: NelaNequin am 22. Mai 2019, 10:28:29
Was allerdings vollkommen egal ist, da Deutschland gerade heute noch wunderbar von der Kolonialisierung und Ausbeutung Afrikas profitiert.

Halbwissen- und  Legendenalarm, sorry.  ::)
Die deutschen Schutzgebiete waren ausnahmslos defizitär. Man betrieb als Kolonialreich als Viagra-Ersatz für Kleinbürger.

Überhaupt muss ich immer wieder entdecken, dass unser Bild der Vergangenheit von Legenden und medialen Frames bestimmt wird, besonders, wenn sie eine tagespolitische Bedeutung haben. Vielleicht liegt man manchmal gar nicht so falsch, wenn man die Dinge, die einem nicht gefallen, einfach wegstreicht und dazu steht. 


Zitat von: Amanita am 22. Mai 2019, 11:40:32
Da finde ich die Geschichten aus dem kolonialen Afrika, wo sowohl der Kontinent als auch die dort lebenden Menschen nur als bedrohlich-böse, wilder Hintergrund irgendwelcher Geschichten über die weißen Protagonisten dient wesentlich schlimmer,
Frage: Warum?
Für die weiße koloniale Oberschicht war das Realität. Kann man in den einschlägigen Romanen nachlesen, z.B. bei Edgar Wallace.
Titel: Re: Akzeptierte Standards für Fantasywelten
Beitrag von: AlpakaAlex am 22. Mai 2019, 15:45:42
Zitat von: Maubel am 22. Mai 2019, 11:14:30
Ebenso fühle ich mich nicht gewachsen, ein Buch in Neuseeland aus Sicht eines Maori-Protagonisten zu schreiben, es wäre ein absoluter Fehltritt, ein Buch in Neuseeland spielen zu lassen und dabei keine Maoristämmigen Charaktere auftreten zu lassen.
Das auf jeden Fall. Genau so, wie es in gewissen Gegenden der USA halt falsch wäre es so zu schreiben, dass keine nicht-weiße Figur vorkommt. (Ich schaue da nur auf gewisse Buchreihen, die es schaffen, ein schneeweißes Chicago zu erschaffen - ausgerechnet Chicago, wohlgemerkt, eine Stadt mit einer weißen Minderheit!) Es geht halt letzten Endes darum die Charaktere nicht darüber zu definieren.

Ich meine, bei Mosaik ist es ja auch so. Die Geschichte spielt in Südafrika. Also sind viele Charaktere schwarz. Weil es halt einfach so ist. Ich habe unter den Protas zwei weiße Charaktere, drei schwarze, zwei aus dem persischen Raum (wobei ironischerweise beide in Europa aufgewachsen sind) und eine Japanerin. Aber keiner der Charaktere ist wirklich über die Herkunft oder Hautfarbe definiert.

Zitat von: Amanita am 22. Mai 2019, 11:40:32
Bei den Fällen, von denen ich hier gesprochen habe, Beispiel Rotherham ging es aber ganz konkret darum, dass von (hier tatsächlich) pakistanischen Männern junge weiße Frauen mit niedrigem gesellschaftlichem Status systematisch, was man in diesem speziellen Fall durchaus sagen kann, missbraucht wurden. Und auch, dass die Behörden lange nichts getan haben, um sie zu schützen, da die Frauen als nicht glaubwürdig galten und man Rassismusvorwürfen aus dem Weg gehen wollte. Darüber, warum es jetzt Pakistani und keine Inder waren, kann und ich will ich nicht spekulieren.
Gut, davon wusste ich nicht. Ich wäre halt nur vorsichtig es so allgemein auszudrücken, weil das stellt dann Männer aus der Gruppe unter Generalverdacht (und das sorgt leider öfter dafür, dass die Reaktion von diesen dann ist: "Wenn man es mir eh vorwirft, mache ich es halt!"). Es ist halt ein kompliziertes Thema. Ich würde hier allerdings auch weniger Bollywood (allein schon wegen Indien und Pakistan und all dem) sehen, sondern allgemein die kulturelle Darstellung von Frauen und halt auch westlichen Frauen als "schlampig".

Zitat von: Amanita am 22. Mai 2019, 11:40:32
Auch schon bei Frauen, wo es mich ziemlich nervt, dass man so oft die "einsamen Rebellinen gegen das als Norma angesehene patriarchalische System" hat.
Oh ja, das nervt mich auch so sehr. Vor allem wenn man die tatsächlichen historischen Bewegungen in der Richtung (die eben keine Einzelkämpfe waren) betrachtet. Uh.

Zitat von: Amanita am 22. Mai 2019, 11:40:32
Wobei ich aber tatsächlich glaube, dass diese deutschen "Indianergeschichten" nicht als rassistische Abwertung gemeint waren, sondern eher als eine Art Projektion von Idealvorstellungen von Tapferkeit/Kriegerehre etc. auf weit entfernt lebende Menschen, mit denen man in der Realität sowieso nichts zu tun hat.
Ich weiß. Allerdings macht es das halt in so vielerlei Hinsicht nicht besser. Ich hatte die Diskussion vor einer Weile auf der Arbeit. Dort habe ich einen Kollegen, der ein großer "Indianer-Fan" ist. Aber was er beschreibt ist effektiv genau so "Fantasy", wie Elfen Fantasy sind. "Der edle Krieger" nimmt so gesehen eben genau so die einfache Menschlichkeit, wie "der Wilde" als Stereotyp. Genau das ist halt eben das Problem: Es macht reale Menschen, eine reale Kultur zu einer vereinfachten Fantasy-Kultur. Und ungelogen: Ja, ich habe bereits mit Erwachsenen geredet, die davon überzeugt waren, dass es "Indianer" nie wirklich gegeben hat.  :-\ Tja, da weiß ich auch nicht mehr, was man sagen soll. Ich meine, natürlich gab es "Indianer" nie, aber das heißt nicht, dass da nicht dennoch Menschen waren, von denen viele, sehr, sehr viele getötet wurden.

Zitat von: Churke am 22. Mai 2019, 13:55:21
Die deutschen Schutzgebiete waren ausnahmslos defizitär. Man betrieb als Kolonialreich als Viagra-Ersatz für Kleinbürger.
Und du redest von Halbwissen, eh? lol
Nur weil unsere Kolonien (Schutzgebiete, ist das dein Ernst?) damals keinen Profit gemacht haben, heißt es nicht, dass wir keinen Profit heute aus Kolonialismus schlagen. Denn woher kommen die Rohstoffe, die die Grundlage bspw. für unsere geliebte Autoindustrie sind? Und warum die so billig sind? Der Westen hat nun ein gutes Jahrhundert lang Raubbau in Südamerika und Afrika betrieben. Und das ist nur dank der Folgen des Kolonialismus möglich (Stichwort Destabilisierung). Afrika und die amerikanischen Staaten wurden fast durchweg auch nach Kolonialismus durch Gruppen, die aus Europa kamen, kontrolliert. Und selbst wo sich das geändert hat, ist die Politik - nicht zuletzt dank zufälliger gezogener Grenzen - so instabil, dass es leicht ist die Länder zu kontrollieren und so die Möglichkeit zu haben, die Rohstoffe für wenig Geld abbauen zu lassen.

Zitat von: Churke am 22. Mai 2019, 13:55:21
Kann man in den einschlägigen Romanen nachlesen, z.B. bei Edgar Wallace.
Du bist dir dessen bewusst, dass Romane reine Quellen sind, wenn man nicht gerade Literatur studiert, oder?
Edgar Wallace ist in einer sehr rassistischen Welt aufgewachsen und hat diese Rassismen dupliziert. Seine Bücher sind keine Quellen für irgendeine Realität, sondern Fiktion. (Und nebenbei sind natürlich auch viele Sachbücher aus der Zeit damals mit der Intention geschrieben worden, die nicht-weiße Menschen zu entwerten, weshalb viele ebenfalls keine guten Quellen herstellen und wir bspw. auch zu einigen Kulturen, die durch den Westen vernichtet wurden auch einfach jedwede Quellen fehlen.)
Titel: Re: Akzeptierte Standards für Fantasywelten
Beitrag von: Trippelschritt am 22. Mai 2019, 16:12:02
Ich kenne Südafrika leider nicht, habe aber einige Bekannte gehabt, die aus damals Deutsch-Südwest kamen. Nach dem, was sie so aus ihrer Heimat erzählt haben, habe ich wenig Zweifel daran, dass die Afrika-Romane von Edgar Wallace sehr authentisch waren. Dasselbe könnte ich auch für einige Abenteuerromane aus meiner Kindheit sagen, kann sie aber nicht mehr zitieren, weil meine Eltern meine jugendbücher "entsorgt" haben.

Selbstverständlich wurden diese Geschichten mit einer ganz bestimmten Brille und aus einer ganz bestimmten Perspektive geschrieben. Aber solche Romane vermitteln oft ein besseres Bild als die so hochgelobten Sachbücher. Denn die sind ebenfalls alles andere als objektiv. Sie enthalten einfach andere Verzerrungen.

Meine Faszination für China und Asien kam zu einem großen Teil aus den Romanen von Clavell, dann aus den klassischen Romanen Chinas und erst an dritter Stelle von Sachbüchern. Na ja, und dann (ab 1980) habe ich die Gegenden besucht, von denen ich vorher nur gelesen hatte. War das eine Überraschung. :D

Trippelschritt
Titel: Re: Akzeptierte Standards für Fantasywelten
Beitrag von: AlpakaAlex am 22. Mai 2019, 16:31:20
Zitat von: Trippelschritt am 22. Mai 2019, 16:12:02
Denn die sind ebenfalls alles andere als objektiv. Sie enthalten einfach andere Verzerrungen.
Deswegen empfehle ich, Briefe und Tagebücher als Referenzen herzunehmen. Natürlich merkt man in diesen auch etwaige Einflüsse, aber sie sind effektiv die besten Quellen für die Lebensrealität aus irgendeiner historischen Epoche. Speziell wenn man die Briefe von vielen unterschiedlichen Personen liest.
(Ich ärgere mich heute darüber, dass wir in der Schule nicht mehr damit gearbeitet haben, speziell im Lateinunterricht.)
Titel: Re: Akzeptierte Standards für Fantasywelten
Beitrag von: canis lupus niger am 22. Mai 2019, 17:16:19
Zitat von: NelaNequin am 22. Mai 2019, 10:28:29
Die Sache ist halt einfach: Ich glaube ich kenne kein einziges Beispiel in High Fantasy, wo jemand weißes eine Welt oder die Region einer Welt geschaffen hat, die auf einer anderen Kultur basierte, ohne dass es vor Rassismus nur so tropfte. Und das war keine böse rassistische Absicht, sondern halt einfach nur die Replikation von Dingen, die der etwaige Autor als "normal" wahrgenommen hat.
Beispiel: Joy Chant, "Der Mond der brennenden Bäume" über den Befreiungskampf eines nomadischen Reitervolkes, der Alnei (vergleichbar den Skythen, aber auf Einhörnern reitend!!!). Die "Bösen" sind in dem Roman die großgewachsenen, blonden, sesshaften Kelanat.  ;)
Titel: Re: Akzeptierte Standards für Fantasywelten
Beitrag von: Judith am 22. Mai 2019, 18:36:29
Zitat von: Maubel am 22. Mai 2019, 00:00:13
Mein großes Problem ist auch vor allem diese Stasis - gibt ja sogar einen Trope dafür. Die Welt muss sich nicht genauso entwickelt haben, aber wenn dann zum Beispiel Zeitrahmen wie 8000 Jahre im Lied von Eis und Feuer hat und dort seit mehreren Jahrtausenden eine statische Monarchie mit wechselnden Häusern herrscht, ist das schon etwas merkwürdig. Erfinder und Entdecker fehlen mir in den meisten Fantasyromanen, genauso wie kulturelle Sachen wie Theater, Oper oder Literatur (oft gibt es genau ein Werk ...). Wir mögen das Mittelalter zwar als dunkles Zeitalter ansehen, aber tatsächlich hat sich zwischen 800 und 1500 eine Menge getan. (Und ich will immer noch einen Roman schreiben, in dem Flugblätter und erste Zeitungen eine Rolle spielen - aber ich bin auch eher ein Freund der Neuzeit)

Mir kommt diese Kritik, dass in den meisten Fantasywelten keine geschichtliche Entwicklung stattfindet, immer wieder unter, aber ehrlich gesagt fallen mir dazu kaum Beispeile ein. Bei den wenigsten Fantasywelten weiß man doch überhaupt genug über die Kultur und Gesellschaft von vor 1000 oder mehr Jahren, um zu beurteilen, ob das nun "Mittelalter" ist oder doch eher "Bronzezeit". Meistens wird die Vergangenheit nicht so detailliert aufgedröselt - und selbst wenn, erfährt man das alles in der Regel aus der Perspektive von Figuren, die kaum über genaue schriftliche und/oder archäologische Quellen verfügen und vermutlich nur ein oberflächliches, vielleicht sogar falsches Bild von einer meist nebulösen, oft mythologisch verklärten Vergangenheit haben. Die mittelhochdeutsche Artus-Epik ist auch in einem hochmittelalterlichen Umfeld angesiedelt, woraus wir nun kaum den Schluss ziehen können, dass es in Britannien um 500 n. Chr. bereits so aussah wie im Hochmittelalter.
Und wenn man sich etwa in unserer Welt das alte Ägypten nur ganz oberflächlich (!) ansieht, dann nimmt man das vielleicht auch eher als 1000 Jahre ohne großartige Entwicklung wahr.

Ich weiß auch gar nicht, woher der Eindruck kommt, dass im Lied von Eis und Feuer 8000 Jahre lang eine statische Monarchie mit wechselnden Häusern herrscht? Zunächst man hat man auch dort nur In-World-Quellen und die besagen, dass vor 8000 Jahren, als in Westeros die "First Men" lebten, für mehrere Jahrtausende ein "Zeitalter der Helden" herrschte, über das nur wenig bekannt ist, und vieles davon lediglich Legenden, Geschichten, Sagen, die alle erst viel viel später aufgezeichnet worden sind. Und mit den Andalen, die erstmals Eisen nach Westeros brachten, begann ja auch eine sehr wechselhafte Zeit, bei der sehr viel Mythenbildung mit im Spiel ist. Eine wirklich detaillierte Schilderung (und auch einem deutlichen Eindruck, wie die Gesellschaft ausgesehen hat) bekommt man doch erst ab der Zeit der Targaryen, die etwa 300 Jahre lang über Westeros herrschten. Das mag zwar eine lange Zeit sein, kommt mir aber auch noch unrealistisch lange vor.
Titel: Re: Akzeptierte Standards für Fantasywelten
Beitrag von: Churke am 22. Mai 2019, 20:06:03
Zitat von: NelaNequin am 22. Mai 2019, 15:45:42
Denn woher kommen die Rohstoffe, die die Grundlage bspw. für unsere geliebte Autoindustrie sind?

Welche Rohstoffe?
Bei Eisenerz und Steinkohle (Stahl) macht Afrika 4 - 6 der Weltförderung aus und davon entfallen 80 % auf Südafrika, das das die Hälfte seiner Produktion selbst verbraucht.
Erdöl (Kunststoffe) kommt zu 40 % aus Russland und 22 % aus Norwegen.

ZitatEdgar Wallace ist in einer sehr rassistischen Welt aufgewachsen und hat diese Rassismen dupliziert.
Selbst wenn - wo ist das Problem? Du kannst einen britischen Kolonialoffizier des Jahres 1914 nicht mit dem Mindset einer progressiven SWJ ausstatten. Auf die "Eingeborenen" dürfte das übrigens gleichermaßen zutreffen.
Titel: Re: Akzeptierte Standards für Fantasywelten
Beitrag von: AlpakaAlex am 22. Mai 2019, 20:40:29
Zitat von: Churke am 22. Mai 2019, 20:06:03
Welche Rohstoffe?
Bei Eisenerz und Steinkohle (Stahl) macht Afrika 4 - 6 der Weltförderung aus und davon entfallen 80 % auf Südafrika, das das die Hälfte seiner Produktion selbst verbraucht.
Erdöl (Kunststoffe) kommt zu 40 % aus Russland und 22 % aus Norwegen.
Jetzt frage ich mich prompt, warum du ignorierst, dass ich "Afrika und Südamerika" schreibe. Scheint mir fast, als würdest du in Bad Faith argumentieren. Etwas, das durch neurechte Ausdrücke, wie "SJW" natürlich nicht verbessert wird.

Es gibt dankbarerweise einige Recherchen in das Thema, woher die Rohstoffe kommen, die in der Automobilindustrie verbaut werden. Etwas, das, wenn man es sich genauer anschaut, sehr undurchsichtig ist - wie oft in der modernen Industrie.

Außerdem ist Eisen nicht das einzige, was zu guten Mengen für den Autobau gebraucht wird.

Ich empfehle diese Aufsatzsammlung zur Lektüre (https://www.misereor.de/fileadmin/publikationen/dossier-vom-erz-zum-auto-2013.pdf) und diese kleine interaktive Präsentation (https://tool.wiwo.de/wiwoapp/3d/storyflow/102017/fuerdeinauto/index.html). Denn ja, ein Großteil des verbauten Stahls kommt nun einmal aus Brasilien, wo die Förderungsbedingungen vielleicht besser sind, als in Südafrika, aber weit, weit ab von hiersigen Standards. Und, guess what, Brasilien ist ehemaliges Kolonialgebiet, das bis heute darunter leidet.

Und noch eine tolle Sache: Es gab auch damals schon "SJWs". Ob du's glaubst oder nicht. Waren meistens nur nicht die reichen, gebildeten Leute, die am meisten vom Status Quo profitiert haben. Hätte es die nicht gegeben, hätten wir bis heute Sklaverei und kein Wahlrecht für irgendwen, außer reiche, weiße Männer aus bestimmten Familien. Wenn wir überhaupt Wahlen hätten.
Titel: Re: Akzeptierte Standards für Fantasywelten
Beitrag von: Malinche am 22. Mai 2019, 22:22:15
Zitat von: Churke am 22. Mai 2019, 13:55:21
Zitat von: Amanita am 22. Mai 2019, 11:40:32
Da finde ich die Geschichten aus dem kolonialen Afrika, wo sowohl der Kontinent als auch die dort lebenden Menschen nur als bedrohlich-böse, wilder Hintergrund irgendwelcher Geschichten über die weißen Protagonisten dient wesentlich schlimmer,
Frage: Warum?
Für die weiße koloniale Oberschicht war das Realität. Kann man in den einschlägigen Romanen nachlesen, z.B. bei Edgar Wallace.

Worauf genau beziehst du dich mit deinem "Warum"? Dass das die Wahrnehmung der weißen kolonialen Oberschicht gewesen ist und etwa bei Wallace (zusammen mit anderen problematischen Stereotypen seiner Zeit wie z.B. dem chinesischen Bösewicht) erzählerisch so auftaucht (und damit natürlich keinen Aufschluss über Realitäten gibt, wohl aber über herrschende Weltsicht), mag die eine Sache sein.

Das macht diese Wahrnehmung aber nicht weniger problematisch - und nur, weil das in einer bestimmten Zeit (und einem bestimmten gesellschaftlichen Kontext) gängige und wenig hinterfragte Stereotypen und Tropes waren, heißt das ja nicht, dass das heute weiterhin so rezipiert bzw. so dargestellt werden muss. Von daher verstehe ich deinen Einwurf nicht. Mit dem Threadthema hat das meiner Meinung nach nichts zu tun.
Titel: Re: Akzeptierte Standards für Fantasywelten
Beitrag von: Trippelschritt am 23. Mai 2019, 09:07:06
Das ist ein interessanter Einwand, Malinche, über den es sich lohnt zu diskutieren. Nur in einem Punkt teile ich Deine Meinung nicht. Dass es mit dem Threadthema nichts zu tun hat. Ich finde, es liegt genau im Zentrum.

Denn der Autor muss für sich und seine Geschichte entscheiden, welche Perspektive und welchen Standpunkt er wählt. Und dieser Standpunkt muss zu der Geschichte passen. In einer Geschichte, in der Kolonialismus herrscht, gibt es wenige überzeugende Standpunkt. Eigentlich nur drei oder besser zweieinhalb. Man kann sie aus der Sicht der Unterdrücker beschreiben oder aus der sicht der Opfer, was viel schwerer ist, weil ein Teil der Opfer auf der Seite der Unterdrücker stand, weil sie davon profitierten. Und dann eventuell ist als dritte, aber unwahrscheinliche Perspektive noch die eines mehr oder weniger unbeteiligten Beobachters möglich - z. B. der zurückgezogene zynisch resignierte Eigenbrötler - , was aber den Nachteil hat, dass viel Distanz aufgebaut wird.

Eine heutige Debatte über Kolonialismus in eine andere Zeit zu verpflanzen halte ich für sehr problematisch. Wer das als Thema bearbeiten möchte, kann ja eine modernere Zeit wählen oder eien ganz anderen Kulturkreis einer willkülichen Zeit. Die Leser werden dann beurteilen, ob die Wahl glücklich war oder nicht.

Liebe Grüße
Trippelschritt
Titel: Re: Akzeptierte Standards für Fantasywelten
Beitrag von: Sascha am 23. Mai 2019, 11:00:40
Zum Thema Rohstoffe auch dieser Bericht:
https://www.tagesschau.de/inland/themenwoche-gerechtigkeit-smartphone-101.html (https://www.tagesschau.de/inland/themenwoche-gerechtigkeit-smartphone-101.html)
Die Leuts brauchen ja auch unbedingt alle zwei Jahre ein neues Smarty. Ohne geht nicht. :omn:
Titel: Re: Akzeptierte Standards für Fantasywelten
Beitrag von: Amanita am 23. Mai 2019, 12:22:07
Werke, in denen die Protagonisten eine andere Weltanschaung vertreten als der Autor sind immer eine Herausforderung, der man sich aber je nachdem welches Setting man wählt, nicht entziehen kann. Ich finde aber durchaus, dass es möglich ist, solche Geschichten zu schreiben und dabei trotzdem subtil zu zeigen, dass die Einstellung der Figuren nicht der absoluten Wahrheit entspricht. Leicht ist es aber nicht, das gut zu machen und führt dann leider auch oft zu Figuren, deren Einstellung nicht den Vorstellungen der Zeit entspricht und wie ein Fremdkörper wirkt.

Zitat von: ChurkeÜberhaupt muss ich immer wieder entdecken, dass unser Bild der Vergangenheit von Legenden und medialen Frames bestimmt wird, besonders, wenn sie eine tagespolitische Bedeutung haben. Vielleicht liegt man manchmal gar nicht so falsch, wenn man die Dinge, die einem nicht gefallen, einfach wegstreicht und dazu steht.
Das fällt tatsächlich häufig auf, nicht nur bei historischen Betrachtungen, sondern beispielsweise auch, wenn es um die Beschreibung des Verhaltens von Tieren geht. Da gab es zum Beispiel bei Pferden erst einen Leithengst als Führer der Herde, dann eine Leitstute und inzwischen wird die Existenz einer festen Hierarchie teilweise komplett negiert... Oder die Bienenkönigin, die man früher für männlich gehalten hat, weil man sich nicht vorstellen konnte, dass der Bienenstaat von einem weiblichen Wesen geführt wird.
Deswegen denke ich mir auch, dass zumindest bei der Erschaffung von Fantasywelten überhaupt nichts dagegenspricht, sich auszusuchen, was man haben möchte, solange sich daraus dann etwas in sich Schlüssiges ergibt.
Überhaupt verstehe ich dieses starre Festhalten an angeblichem oder tatsächlichem Realismus nicht.  Beispielsweise stört es mich wirklich null, wenn die Leute in einem mitteleuropäischen Setting Kartoffeln anbauen, auch wenn es in dieser Welt kein Amerika gibt. Wenn sie dort Freilandmangos anbauen würden, wäre es etwas anderes. Da bräuchte ich dann zumindest eine in sich schlüssige magische Erklärung.


Off-topic:
Zitat von: Sascha am 23. Mai 2019, 11:00:40
Zum Thema Rohstoffe auch dieser Bericht:
https://www.tagesschau.de/inland/themenwoche-gerechtigkeit-smartphone-101.html
Die Leuts brauchen ja auch unbedingt alle zwei Jahre ein neues Smarty. Ohne geht nicht. :omn:
Leider ist es aber auch so, dass in diesem Bereich (so wie auch bei den Computern) ein künstlicher Zwang erzeugt wird, die Geräte regelmäßig auszutauschen, weil die vollständige Nutzbarkeit irgendwann durch bewusste Maßnahmen nicht mehr gegeben ist. Ich musste beispielsweise auch vor zwei Jahren meinen noch voll funktionsfähigen Laptop mit Windows Vista drauf ersetzen, weil ich mit diesem Betriebssystem nicht mehr auf die Angebote der Unibibliothek und anderes zugreifen konnte.
Dass in der globalisierten Weltwirtschaft vieles schief läuft, bestreitet sicherlich niemand. Inwiefern und in welchem Maße dies sowie die diversen Probleme in Entwicklungs-und Schwellenländern eine direkte Folge des Kolonialimus sind, von der wir noch profitieren lässt sich kontrovers diskutieren, genau wie die Frage inwiefern es für Deutschland tatsächlich gut ist, dass komplette Industriezweige vollständig ausgelagert werden, weil die Produkte anderswo günstiger zu haben sind, aber ich fürchte das führt hier wirklich zu weit vom Thema ab.
Titel: Re: Akzeptierte Standards für Fantasywelten
Beitrag von: Churke am 23. Mai 2019, 13:34:30
Zitat von: Malinche am 22. Mai 2019, 22:22:15
Das macht diese Wahrnehmung aber nicht weniger problematisch - und nur, weil das in einer bestimmten Zeit (und einem bestimmten gesellschaftlichen Kontext) gängige und wenig hinterfragte Stereotypen und Tropes waren, heißt das ja nicht, dass das heute weiterhin so rezipiert bzw. so dargestellt werden muss.

Was du für problematische Wahrnehmung hältst, halte ich für Erzählperspektive. Geht es nicht beim personalen Erzählen darum, die Welt durch die Brille einer Figur zu betrachten? Ich lehne viele Figuren ab, aber ich habe noch nie eine Erzählstimme abgelehnt.


Titel: Re: Akzeptierte Standards für Fantasywelten
Beitrag von: FeeamPC am 23. Mai 2019, 17:20:46
[ROSENTINTE]
Rassistisches Vokabular entfernt (16.2.21)
[/ROSENTINTE]

Und wenn ich eine Welt durch die Augen eines Protas betrachte, dann auch mit der Konsequenz, dass er/sie in dieser Welt lebt und ihre Regeln verinnerlicht hat, ohne sie groß zu hinterfragen. Machen wir doch auch. Meine Welt hat einen nicht-weißen Hintergrund mit einer Mischung aus Orient, China und Japan, und in der Hauptgesellschaft sind Frauen definitiv Wesen zweiter Klasse. Aber keine von ihnen geht hin und macht eine Kampagne für Emanzipation. Die würden nicht einmal auf die Idee kommen. Die Götter haben schließlich diese Welt so eingerichtet. Und wenn das bei anderen Völkern nicht so ist? Wenn die Frauen achten, vielleicht sogar als Regierung haben? Barbaren eben, die es nicht besser wissen.

Natürlich definieren sich Protas über das, was sie sind. Jeder Mensch tut das. es ist unsinnig, zu fordern, dass das keine Rolle spielt. Es wird erst dann zum Politikum, wenn diese Definition die persönlichen Rechte einer Gruppe stark beschränkt oder gar annulliert.

Was die Aneignung fremder Kulturen angeht: Ohne die [Ersetzung: rassistische Fremdbezeichnung für indigene Völker]bücher meiner Kindheit hätte mich AIM kalt gelassen, würde ich heute kein Verständnis für den Kampf der nordamerikanischen [Ersetzung: rassistische Fremdbezeichnung für indigene Völker] für ihre Rechte haben. Wie sonst hätte ich diese fremden Kulturen denn sonst kennenlernen sollen? Andere Informationsquellen gab es für mich nicht. Aber sie haben dazu geführt, dass mich Interesse packte und ich weitergelernt habe.
Titel: Re: Akzeptierte Standards für Fantasywelten
Beitrag von: AlpakaAlex am 23. Mai 2019, 17:42:44
Zitat von: FeeamPC am 23. Mai 2019, 17:20:46
Was die Aneignung fremder Kulturen angeht: Ohne die I*******bücher meiner Kindheit hätte mich AIM kalt gelassen, würde ich heute kein Verständnis für den Kampf der nordamerikanischen I******* für ihre Rechte haben. Wie sonst hätte ich diese fremden Kulturen denn sonst kennenlernen sollen? Andere Informationsquellen gab es für mich nicht. Aber sie haben dazu geführt, dass mich Interesse packte und ich weitergelernt habe.
Menschen aus den indigenen Kulturen haben ihrerseits auch Bücher geschrieben und Filme gemacht. Diese werden nur nie so weit verbreitet, wie die kulturell angeeigneten, oftmals falschen Darstellungen, die von irgendwelchen Weißen gemacht werden.

Ich empfehle dahingehend die Dokumentation Reel Injun, die sich mit dem Thema auf die Filmindustrie bezogen beschäftigt.
Titel: Re: Akzeptierte Standards für Fantasywelten
Beitrag von: FeeamPC am 23. Mai 2019, 18:21:52
ZitatMenschen aus den indigenen Kulturen haben ihrerseits auch Bücher geschrieben und Filme gemacht. Diese werden nur nie so weit verbreitet,

Genau das. Versuch du mal, in einer Kleinstadt mit einer katholischen Pfarrbücherei als einzige größere Buchquelle in den 1960er Jahren Bücher von indigenen Autoren zu finden.
Umso wichtiger waren die Bücher, die tatsächlich zur Verfügung standen. Und die hatten eben Weiße geschrieben.
Politisch korrekt ist schön und gut, aber es muss auch irgendwie machbar sein.
Titel: Re: Akzeptierte Standards für Fantasywelten
Beitrag von: AlpakaAlex am 23. Mai 2019, 18:30:12
Zitat von: FeeamPC am 23. Mai 2019, 18:21:52
Politisch korrekt ist schön und gut, aber es muss auch irgendwie machbar sein.
Dann muss man sich halt dafür einsetzen. Was mal war, kann man nicht ändern. Was ist dagegen schon.