Vermutlich trete ich jetzt einigen Leuten auf die Füße - aber ich denke, bei dem Thema muss das auch mal erwähnt werden. Nicht zuletzt um denjenigen, die über das Thema schreiben, Gelegenheit zu geben, das eigene Werk dementsprechend kritisch zu hinterfragen ...
Wenn es bei Verlagen Vorbehalte gegen "schwule Themen" gibt, muss das nicht nur mit Vorbehalten gegen ein heikles Thema an sich zu tun haben, oder gar mit Vorurteilen. Was auffällt, wenn man sich in der Branche eine Weile bewegt, ist, dass es wahnsinnig viele junge Frauen bis 25 gibt, die über "schwule Helden" schreiben ... und bei den meisten dieser Autorinnen verliert sich diese Vorliebe danach, weil sie kein Ausdruck eines literarischen Anliegens ist, sondern schlicht Teil eines Prozesses der persönlichen Selbfindung. Was auch immer dabei nun aufgearbeitet wird: Man merkt den Texten an, dass sie das Thema nicht angemessen und/oder glaubwürdig bearbeiten. Und schreiben als Aufarbeitung persönlicher Entwicklungsstufen bringt selten das hervor, was Verlage wollen - es fehlt dann einfach die Distanz, um ein Thema professionell zu bearbeiten (ich sage bewusst "selten", weil es doch einige Bücher dieser Art gibt, die sich ganz gut vermarkten lassen - wenn sie nämlich genau das Publikum ansprechen sollen, das gerade dieselben Entwicklungen verarbeitet. Ich will also auch nicht ganz davon abraten, es nicht trotzdem damit zu probieren

).
Ich für meinen Teil habe jedenfalls schon so viele Texte zum Thema, mit immer denselben thematisierten Problemen und immer derselben Zuordnung zwischen Thema und Lebensstation der Autorin, gelesen, dass sich das bei mir irgendwann festgebrannt hat. Wenn ich inzwischen, auch als Lektor und Gutachter, ein Buch mit einem schwulen Protagonisten von einer U25(oder U30)-Autorin sehe, neige ich mittlerweile dazu, es gar nicht mehr genauer anzusehen, sondern gleich in die Schublade zu stecken mit dem Etikett: "Warum sollte man etwas lesen, was die Autorin selbst in ein paar Jahren nicht mehr anschauen würde"?
Das mag im Einzelfall ungerecht sein, aber 99% der Manuskripte aus dieser Kategorie, die am Markt kursieren, sind genau so. Und in erster Linie geeignet als Fanfic für dieselbe Alters- und Interessengruppe. Man kann davon ausgehen, dass auch andere Lektoren das inzwischen festgestellt haben, und dass das wesentlich dazu beiträgt, das solche Manuskripte bei Verlagen einen schweren Stand haben.
Ich weiß also nicht unbedingt, wie, in welchem Marktsegment und bei welchen Verlagen vielleicht echte Vorbehalte gegen "schwule Themen" verbreitet sind. Ich würde nur sagen, dass man, wenn man diese Themen anbietet, am besten (1) ein Mann, oder (2) über 30 sein sollte ... oder (3) dass man andernfalls bei seinem Angebot sehr genau und überzeugend begründen muss, warum man nicht "die übliche Jungmädchenschwulengeschichte" geschrieben hat, sondern ein Buch, dass sich an ein Publikum wendet und auch für einen Verlag interessant sein könnte. Jedenfalls dann, wenn man das wirklich begründen kann

Tut mir leid, wenn sich jetzt jemand abqualifiziert fühlt, vor allem Angehörige der beschriebenen Altersgruppe, und vor allem solche, die glauben, sie hätten etwas ganz anderes und viel originelleres geschrieben. Wie gesagt, im Einzelfall mag das ja stimmen, und ich maße mir nicht an, jetzt ein Pauschalurteil über alle diese Werke abzugeben.
Aber nach 20 Jahren Fandomerfahrung und 10 Jahren Arbeit für einen Großverlag ist bei mir deutlich der "gefühlte Eindruck" zurückgeblieben, dass
jedes deutsche Mädchen zwischen 16 und 25 zumindest eine solche Geschichte mit schwulen Protagonisten schreibt (und das ich darum jetzt vermutlich gerade
jeder Autorin im Forum auf die Füße getreten bin

). Ich bitte nur um Verständnis für die Ermüdungserscheinungen, die sich bei den Lektoren zu diesem Thema einstellen, nachdem sie ein paar Jahre lang mit mit solchen ewig gleichlaufenden Texten überflutet wurden - das macht dem Thema gegenüber nicht unbedingt aufgeschlossener, selbt wenn ein Verlag
prinzipiell nichts dagegen hätte, auch homosexuellen Figuren in Romanen einen Platz einzuräumen.