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Alles zur Perspektive

Begonnen von Lastalda, 01. Januar 1970, 01:00:00

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Debbie

#300
Zitat von: Coppelia am 09. Mai 2014, 15:07:00
Aber diesen Forschern geht es nicht darum, die raschen Wechsel zu erfassen, sie setzen andere Schwerpunkte. Aber es ist meiner Meinung nach sehr wichtig zu erkennen, wann Perspektivenwechsel vorliegen, um einen Text sinnvoll zu interpretieren. Dein Doktorand schwitzt also für eine gute Sache (auch wenn ich persönlich finde, dass die Analyse mit diesem Modell nicht schwierig ist, man muss vielleicht einfach nur den Gedanken zulassen, dass Texte mehr Perspektivenwechsel haben können, als man zunächst denken würde). ;)

So, mit dem praktischen Schreiben hat das nicht viel zu tun.

Amen!  :vibes:

Natürlich ist die Fokalisierung ideal um Texte zu analysieren, weil sie einfach mehr Spielraum lässt, nicht so hart abgrenzt und eine detailiertere Einteilung zulässt, aber den Schreibenden kann es mitunter verwirren - muss nicht, kann aber. Für das Verfassen belletristischer Texte ist Fokalisierug nicht von besonderer Bedeutung, sondern eigentlich nur das gängige (Stanzels) Perspektivmodell. Da ist nur wichtig, dass man nicht aus der klassischen Perspektive rutscht, was nicht heißt, dass dabei automatisch die Fokalisierung beibehalten wird. Es sind eben doch, mehr oder weniger, zwei verschiedene Dinge.

Bauchschmerzen bereitet es mir nur, wenn dann z. B. solche Dinge wie die Fokalisierung zur Interpretation herangezogen werden oder das sogar erwartet wird. Denn wenn man davon ausgeht, dass ein Fokalisierungswechsel von einem Autor gewollt und in vollem Bewusstsein der daraus resultierenden Leserwahrnehmung eingesetzt wurde, müsste man theoretisch ebenfalls davon ausgehen, dass der Autor mit einem Fokalisierungsmodell vertraut ist - was die allerwenigsten Autoren sind. Sicher gibt es auch Autoren, die intuitiv ein Gespür dafür haben, was ein Fokaliseriungswechsel in einer bestimmten Szene, einem bestimmten Satz, beim Leser bewirkt. Da bin ich aber eher der Ansicht, dass gerade Fokalisierungswechsel - genau wie Sprünge in der Perspektive - oftmals nur ein "Versehen" und damit unbeabsichtigt sind, was sie zur Interpretation (fast völlig) nutzlos macht.

Zur Textanalyse fand ich übrigens die Einteilung nach Genette (im Grunde) recht gut andwendbar. Für mich gab es da, wenn überhaupt, nur sehr, sehr wenige Stellen, an denen man mit dem Modell nicht weiterkommt. Die meisten lassen sich damit einwandfrei kategorisieren. Aber ich schau mir später mal dein Modell an, sowas interessiert mich immer ...  :)

Coppelia

#301
ZitatBauchschmerzen bereitet es mir nur, wenn dann z. B. solche Dinge wie die Fokalisierung zur Interpretation herangezogen werden oder das sogar erwartet wird. Denn wenn man davon ausgeht, dass ein Fokalisierungswechsel von einem Autor gewollt und in vollem Bewusstsein der daraus resultierenden Leserwahrnehmung eingesetzt wurde, müsste man theoretisch ebenfalls davon ausgehen, dass der Autor mit einem Fokalisierungsmodell vertraut ist - was die allerwenigsten Autoren sind. Sicher gibt es auch Autoren, die intuitiv ein Gespür dafür haben, was ein Fokaliseriungswechsel in einer bestimmten Szene, einem bestimmten Satz, beim Leser bewirkt. Da bin ich aber eher der Ansicht, dass gerade Fokalisierungswechsel - genau wie Sprünge in der Perspektive - oftmals nur ein "Versehen" und damit unbeabsichtigt sind, was sie zur Interpretation (fast völlig) nutzlos macht.
Da muss ich widersprechen. Das Fokalisierungsmodell ist wie quasi alle erzähltheoretischen Modelle dazu gemacht, die Struktur von Texten zu beschreiben und zu analysieren. Diese Modelle entstanden als Reaktion auf komplexe Texte. Es ist vollkommen zulässig, ältere Texte mit modernen Methoden zu analysieren und die daraus gewonnenen Ergebnisse zur Interpretation zu verwenden, es gehört sogar zum Zweck dieser Modelle. Ansonsten dürfte man keine Erzählperspektive in einem Text untersuchen, der vor der Entwicklung irgendeines Modells zur Erzählperspektive geschrieben wurde, oder keinen Text von einem Autor, der kein theoretisches Wissen darüber besitzt. Und selbst solchen Autoren passieren nicht alle Perspektivenwechsel bewusst. Genauso gut könntest du sagen, man dürfte die Verwendung von Erzählperspektive überhaupt nicht zur Interpretation verwenden.
Wenn ein Perspektivenwechsel keine Bedeutung für einen Text hat (und das kommt ja häufig vor), wird man ihn bei der Analyse zwar finden, aber nicht weiter beachten. Wenn aber erzähltheoretische Modelle herangezogen werden, um sinnfreie Interpretationen vermeintlich zu beweisen, sieht es aus, als läge der Fehler in der Analysemethode, er liegt aber in der Interpretation.

Mir persönlich hat die Beschäftigung mit dem Thema gebracht, dass ich viel sicherer und bewusster im Gebrauch von Perspektive geworden bin - aber den Texten merkt man es wohl nicht an. Ansonsten pflücke ich einfach gern anderer Leute Texte auseinander. ;D

Debbie

Zitat von: Coppelia am 09. Mai 2014, 16:58:26
Das Fokalisierungsmodell ist wie quasi alle erzähltheoretischen Modelle dazu gemacht, die Struktur von Texten zu beschreiben und zu analysieren. Diese Modelle entstanden als Reaktion auf komplexe Texte.

Genau, und dafür sind sie ganz großartig.


ZitatEs ist vollkommen zulässig, ältere Texte mit modernen Methoden zu analysieren und die daraus gewonnenen Ergebnisse zur Interpretation zu verwenden, es gehört sogar zum Zweck dieser Modelle

Ich weiß, dass es zulässig ist und gewollt - aber mir gefällt es einfach nicht. Ich hab generell oftmals Probleme mit literarischen Textinterpretationen und besonders mit Literaturschlüsseln. Meines Erachtens hat das sehr viel mit Psychologie zu tun und eine wirklich gute Interpretation lässt sich nur erreichen, wenn Autor und Interpret wirklich viel von Psychologie verstehen und/oder eine ausreichende Menschenkenntnis besitzen. Aber gute Germanisten sind nicht zwangsläufig gute Psychologen oder Menschenkenner.
In der Oberstufe und im Studium habe ich mehrfach mit meinen Lehrern über diverse Interpretationen gestritten - und zum Schluss entweder Recht gekriegt oder es wurde zumindest eingeräumt, dass meine Interpretation zumindest eine schlüssige Variante ist.

Ich schätze Interpretationen (und sogar die meisten Psychologen) sind für mich ein rotes Tuch. Für mein Gefühl wird da zu wenig über den Tellerrand geschaut und in Frage gestellt, weil Wisschenschaftler oft (und gerne) in Kategorien denken. Natürlich ist das auch ein Ziel der wissenschaftlichen Forschung, die Einteilung in Kategorien und deren Ermöglichung, aber dabei wird das Ergebnis der ursprünglichen Motivaiton oft nicht (in ausreichendem Maß) gerecht. Das ist einfach meine ganz subjektive Meinung  :-\

Coppelia

Die Gegenargumente spare ich mir einfach mal, da ich nicht mehr sehe, dass wir in der Hinsicht noch auf einen Nenner kommen, weil wir offenbar einen komplett anderen Hintergrund, andere Herangehensweisen und Prioritäten haben. Die anderen sind wahrscheinlich ohnehin schon genervt genug von der Diskussion. Back to normal. ;)

Anj

@Coppelia:
ZitatAber Egozentrik eines Perspektiventrägers bzw. Fokalisators ist etwas anderes als Fokalisierung/Perspektive an sich. Wenn sich bei der Analyse eines Erzähltextes Egozentrik feststellen lässt, kann das ein deutlicher Hinweis darauf sein, dass Fokalisierung durch eine Figur (von Genette interne Fokalisierung genannt) bzw. Figurenperspektive vorliegt, und auch darauf, welche Figur Perspektive hat/fokalisiert. Vor allem aber ist es ein Hinweis auf die Denkweise dieser Figur. Ich würde es als Bestandteil der Figurencharakterisierung betrachten, die durch den Gebrauch von Fokalisierung/Perspektive möglich ist.
Ja, ich denke, genau das meine ich.

@Debbie:
ZitatIch bin auch nicht ganz sicher, ob ich genau weiß was du meinst ... Für mich hört es sich so an, als ging es dir um die Interaktion der Figur mit der Außenwelt. Also nicht, dass die Person alles auf sich bezieht, im Sinne von "damit hat er bestimmt mich gemeint" oder "das macht er nur, um mir einen Gefallen zu tun/mir eins auszuwischen" etc.. Das wäre nämlich ein Teil der Charakterisierung, wie Coppi schon so schön gesagt hat ... Paranoia, wenn du mich fragst  ;)
Es ist im Grunde beides denke ich. ;) Die Ausprägung, wie die Interpretation ausfällt ist natürlich Sache der Charakterisierung, aber dass dort ständig Interpretationen über die Außenwelt stattfindet, das ist für mich essentiell für eine nahe personale Perspektive.

ZitatDas andere, dass die Außenwelt des Charas sowie die anderen Figuren nur durch die Wahrnehmung des Charas widergegeben werden (der VP Charakter also gemäß seines Charakters und seiner Weltanschauung "filtert" welche Information der Lesern bekommt und/oder mit seiner subjektiven Wahrnehmung den Leser beeinflusst), ist das, was Coppi als "Subjektivität" angeführt hat und ich schätze darum geht es. Und auch da hat Coppi wieder recht: Subjektivität ist immer vorhanden, nur nicht immer wahrnehmbar. Nicht wahrnehmbare Subjektivität sorgt aber für den Eindruck einer "neutralen" (gefühllosen) Sichtweise - also etwas, dass man als Romanautor möglichst niemals anstreben sollte, es sei denn man will es bewusst als Werkzeug einsetzen und damit einen gewissen Effekt erzielen. Für den durchschnittlichen Romanautor ist die spürbare Subjektivität des VP Charakters aber von großer Bedeutung.
Ja, da hast du das schön zusammengefasst. ;)

ZitatWichtig ist dann eben (zwecks Konstanz in der Perspektive und um Beschreibungen möglichst gleichzeitig als Werkzeug zur Charakterisierung zu nutzen), dass die Erzählfigur "wertend" wiedergibt. Je besser dem Autor diese Technik gelingt, desto höher die Identifikation mit der Figur, die Manipulation des Lesers (eben durch Identifikation oder Abneigung) und je leichter der Zugang zur Geschichte und der Welt.
Japp, schön gesagt!  :jau:
"Wenn du andere Leute ansiehst, frage dich, ob du sie wirklich siehst, oder ob du nur deine Gedanken über sie siehst."
Jon Kabat-Zinn.

Lazlo

Hallo liebe Schreiberlinge,

ich habe eine Frage, die mir schon lange im Kopf herum schwirrt:

Ich habe gelernt Perspektivwechsel sollen nur kapitelweise vorgenommen werden, wenn, dann auch nicht zu häufig. In letzter Zeit lese ich allerdings fast nur noch Bücher aus einer Erzählperspektive, maximal zwei (Protagonist/Antagonist)
Jetzt zu meiner Frage: Was haltet ihr davon, wenn während einer Erzählperspektive, z.B. aus der des Protagonisten, in einem Absatz (oder nur ein paar Sätzen) ein allwissender/auktorialer Erzähler zu Wort kommt? Ist das empfehlenswert? Und wenn ja, habt ihr vielleicht gelungene Beispiele?

andere Frage:
Ich habe bei meinem aktuellen Projekt aus der Perspektive des Opfers begonnen, dieses dient aber nur dazu Spannung zu erzeugen und tritt dann das gesamte Buch über nicht mehr auf. Was denkt ihr darüber? Besteht die Gefahr, das der Leser sich mit dem Opfer gleich am Anfang zu sehr identifiziert?

Vielen lieben Dank im Voraus

Lazlo (die Neue ;D)

Churke

Zitat von: Lazlo am 04. August 2014, 17:18:45
Jetzt zu meiner Frage: Was haltet ihr davon, wenn während einer Erzählperspektive, z.B. aus der des Protagonisten, in einem Absatz (oder nur ein paar Sätzen) ein allwissender/auktorialer Erzähler zu Wort kommt? Ist das empfehlenswert?
Gegenfrage: Was willst du damit erreichen?
Man kann einem personalen Erzähler für einen begrenzten Bereich ein auktoriales Wissen geben - zum Beispiel bei der Beschreibung einer Stadt.
Die Sache ist nur die: Normalerweise gibt es einen Grund dafür, dass man sich für einen bestimmte Erzählperspektive entschieden hat. Weshalb sollte man mittendrin die Pferde wechseln?

ZitatUnd wenn ja, habt ihr vielleicht gelungene Beispiele?
In Alatriste gibt es 2 Erzähler: Den "normalen" Erzähler (a) und einen allwissenden Chronisten (b). Der Autor verwendet für (b) auch einen andere Stil und ahmt spanische Barockliteratur nach. Das funktioniert soweit, ist auch richtig gut gemacht, aber ich halte es dennoch für nicht die beste Idee.

Zitat
andere Frage:
Ich habe bei meinem aktuellen Projekt aus der Perspektive des Opfers begonnen, dieses dient aber nur dazu Spannung zu erzeugen und tritt dann das gesamte Buch über nicht mehr auf.
Klassiker. Wird oft gemacht, meiner Meinung nach zu oft.

Lothen

Zitat von: Lazlo am 04. August 2014, 17:18:45Ich habe gelernt Perspektivwechsel sollen nur kapitelweise vorgenommen werden, wenn, dann auch nicht zu häufig.
Das würde ich nicht so streng sehen - ich halte mich da auch nicht dran ;) Ich finde bei Perspektivwechseln wichtig, dass man als Leser in der Lage ist, die neue Perspektive gut aufzunehmen und sich hineinzufinden. Zu viele Wechsel würden mich jetzt persönlich verwirren, vor allem, wenn sich die Perspektivträger an vielen unterschiedlichen Orten befinden und ganz unterschiedlichen Plotsträngen ausgesetzt sind. In einem angemessenen Umfang sind sie aber ein schönes Stilmittel. Trotzdem würde ich nicht "festlegen", wie viele Perspektivwechsel angemessen sind, zumal Kapitellängen auch immens variieren können.

ZitatJetzt zu meiner Frage: Was haltet ihr davon, wenn während einer Erzählperspektive, z.B. aus der des Protagonisten, in einem Absatz (oder nur ein paar Sätzen) ein allwissender/auktorialer Erzähler zu Wort kommt? Ist das empfehlenswert? Und wenn ja, habt ihr vielleicht gelungene Beispiele?
Das finde ich schwierig! Du müsstes sehr genau kennzeichnen, wo ein Perspektivwechsel auf den auktorialen Erzähler stattfindet, damit sich der Leser nicht fragt, woher der/die Prota das jetzt eigentlich weiß - und es müsste, wie Churke schon sagte, deutlich werden, WARUM du das tust. Ich fürchte, ich würde mich da schnell verwirren lassen.

In einem Schreibratgeber war mal die KG "Dein Liebhaber hat eben angerufen" von John Updike als Beispiel für einen solchen Perspektivenwechsel (in der Kurzgeschichte) angegeben, wie du ihn beschreibst. Eigentlich wird die Geschichte aus einer personalen Perspektive erzählt, nur im letzten Satz wechselt der Autor zu einer auktorialen Perspektive und verrät dem Leser dadurch die Pointe, die die handelnden Personen eigentlich nicht kennen. Das gefällt mir ziemlich gut, das Stilmittel wird hier aber auch sehr sparsam eingesetzt.

Insofern würde ich mir gut überlegen, ob dieser Perspektivwechsel wirklich wichtig ist oder den Leser nur verwirr.

THDuana

#308
Zitat von: Lazlo am 04. August 2014, 17:18:45
Ich habe gelernt Perspektivwechsel sollen nur kapitelweise vorgenommen werden, wenn, dann auch nicht zu häufig.
Das ist mir neu. Es gibt einige Romane, in denen das so gehandhabt wird, aber ich kenne auch genug Gegenbeispiele, etwa "Dracula", das ich gerade lese. Als Leser stört es mich nicht, wenn in einem Kapitel die Erzählperspektive geändert wird, sofern dieser Wechsel deutlich angezeigt wird. Ein Kapitel ist für mich eine Sinneinheit und endet an einem spannenden Moment oder wenn eben diese Sinneinheit abgeschlossen wird. Und manchmal passt es dann, zwei Erzählstränge in ein Kapitel zu packen, da beide Gemeinsamkeiten aufweisen, sich gegenseitig beeinflussen oder Ähnliches.

ZitatJetzt zu meiner Frage: Was haltet ihr davon, wenn während einer Erzählperspektive, z.B. aus der des Protagonisten, in einem Absatz (oder nur ein paar Sätzen) ein allwissender/auktorialer Erzähler zu Wort kommt?
Da frage ich zurück: Wo liegt die Fokalisierung? Es gibt nicht nur den Allwissenden Erzähler und den Protagonisten, sondern auch Erzählerpositionen dazwischen und Mischformen. Es ist auch möglich, einen Allwissenden Erzähler zu haben, der großteils aus der Perspektive der Figur erzählt bzw. dem Leser Einblicke in die Figur gibt und diese dann kommentiert. Dabei muss es auch nicht sein, dass der Leser eine fehlende Nähe zum Protagonisten empfindet, denn die Gedanken und Gefühle werden beschrieben. Die Fokalisierung ist dann intern, im Gegensatz zur Nullfokalisierung bei einem strikten Allwissenden Erzähler. (Das ist Genettes Erzähltheorie.)

ZitatIch habe bei meinem aktuellen Projekt aus der Perspektive des Opfers begonnen, dieses dient aber nur dazu Spannung zu erzeugen und tritt dann das gesamte Buch über nicht mehr auf. Was denkt ihr darüber? Besteht die Gefahr, das der Leser sich mit dem Opfer gleich am Anfang zu sehr identifiziert?
Es dauert bei mir als Leser einige Zeit, bis ich mich an die Figur gewöhnt habe, was aber nicht bedeutet, dass ich davor nicht mit ihr fühle. Wenn eine Figur nur für ein Kapitel auftritt, ist es nicht schlecht, mit ihr zu fühlen. Dieses Kapitel/der Anfang hat dann eben eine besondere Stellung in der Erzählung.

Edit: Vielleicht hilft dir dieser Thread weiter: Alles zur Perspektive.

Lamarie

ZitatIch habe gelernt Perspektivwechsel sollen nur kapitelweise vorgenommen werden, wenn, dann auch nicht zu häufig.

Ich würde jetzt mal eiskalt sagen, dass ich davon nichts halte - wobei man sagen muss, dass es beim Schreiben einfach kein Patentrezept gibt. Vieles ist von Genre, Zielgruppe etc. abhängig.

Generell macht es natürlich Sinn, klare Grenzen zu ziehen. Du möchtest trotzdem mehr Perspektivwechsel? Dann machst du halt kürzere Kapitel - daher finde ich, dass es wenig Sinn macht.

Ich sehe es nicht als Problem, dass du mit dem Opfer beginnst - viel mehr glaube ich, dass es tatsächlich viel Spannung erzeugen kann. Siehst du es als Problem, dass der Leser sich mit dem Opfer identifiziert? Schließlich ist das ja der Aspekt, der eben Spannung erzeugt.

zDatze

Dass du häufig Bücher mit strikt eingehaltener Perspektive erwischst, mag durchaus daran liegen, dass das Switchen zwischen Erzählperspektiven als Anfängerfehler betrachtet wird. Wenn es nicht wirklich gut gemacht ist, um z.B. einen bestimmten Effekt zu erzielen, dann würde es dir wohl auch jeder Leser als Fehler oder zumindest als Unsauberkeit ankreiden.

In den letzten Jahren kamen viele Bücher heraus, bei denen die Perspektive nicht nur nahe an der Figur dranklebte, sondern die ganze Story durch die Augen des Protagonisten erzählt wurde. "Die Tribute von Panem" sind da das beste Beispiel. Ich-Perspektive und in der Gegenwart erzählt. Ein auktorialer Erzähler baut automatisch eine Distanz zur Figur und zum Geschehen auf. Das hat seine Vor- und Nachteile, und momentan ist es eher ein Nachteil, da viele Leser es gewohnt sind, möglichst nahe an der Figur dran zu sein.

Vielleicht hilft es dir, gezielt Bücher zu lesen, die ebenfalls mit der Perspektive spielen. Ein Fantasybuch will mir gerade nicht einfallen, daher mal zwei Lesetipps, die dir vielleicht weiterhelfen:
1. "Die Bücherdiebin" von Markus Zusak. Harter Stoff und die Erzählweise unterstreicht das noch.
2. "Limit" von Frank Schätzing. Ich erinnere mich an eine Szene am Anfang, bei der der Autor in einer Szene von einer Figur zu nächsten gewechselt hat. Allerdings habe ich den Wälzer nur angelesen.

Heva


Lazlo, hierzu als gelungenes und meines Erachtens nach erfolgreichstes Beispiel: Peter Pan. :)

Ich persönlich mag Bücher, die in der Perspektive wechseln sehr viel lieber als jene, in denen alles nur von einer Seite beleuchtet wird, egal wie interessant das Setting auch ist und wie der Perspektivträger es erfährt und durchlebt - es gibt immer zwei Seiten einer Medaille, und in vielen Fällen sogar drei bis vier Parteien, die eine maßgebliche Rolle in einem Buchgeschehen spielen können und wenn es dann nur eine Perspektive gibt... kann es auch schon vorkommen, dass ich mich verarscht fühle, weil sich dann so unendlich viele Fragen auftun, die von "Aber was geschieht gerade dort?", "War er einfach nur zu faul?", "Hat der Autor das überhaupt richtig durchdacht?", "Macht er es sich zu einfach?" bis zu "Das macht der doch nur, um mich zu ärgern!" reichen.

Es kommt also auch hier total darauf an, wie du dein Setting und die wechselnden Perspektiven darin organisierst, das ist ganz wichtig. Ob das eine oder das andere leichter ist, oder nicht, lässt sich, wie ich finde, gar nicht derart konkret beantworten, weil du bei beiden Optionen auf unterschiedliche Dinge achten musst. Für mich ist das eine Frage dessen, was man selbst bevorzugt. Ich liebe gut umgesetzte Perspektivwechsel.

Mir wäre es auch wichtig, was für einen auktorialen Erzähler zu dazwischen wirfst, weil - da schließe ich mich einem genannten Punkt bereits an - es tatsächlich merkliche Distanzen schafft, was ich allerdings gar nicht verkehrt finde, wenn es stattdessen eine wissende und im Anbetracht deines Opfers unheilvolle Atmosphäre erzeugt. Gerade dem Opfer eine Perspektive zu geben finde ich deshalb gut - reißt einen ins Geschehen und trifft einen deshalb vielleicht ja umso heftiger.

Generell aber würde ich sagen: vielleicht einfach das schreiben und umsetzen, wie du es dir denkst. Kritik einholen, Fragen stellen, das ist alles schön und gut, kann aber die eigene Schreibmotivation gerne mal hier und da... einstampfen.


Lazlo

Vielen Dank erst mal für eure Ansichten und Beispiele!
Mir ist das einmal superschwer gefallen, mich zu entscheiden. Es ging um eine Landschaftsbeschreibung, also ähnlich wie Churke die Beschreibung einer Stadt meinte, bei der man natürlich aus Sicht eines neutralen Erzähler (unsichtbaren Beobachters) oder eines allwissenden die Szene besser beschreiben kann, als aus der subjektiven Sicht des personalen Erzählers. Habe mich dann letztendlich doch nur für den personalen Erzähler entschlossen, weil ich mich damit besser fühlte. So auch mit meinem Anfang aus der Sicht des Opfers.
Wahrscheinlich sollte ich wirklich mal gute Bücher mit verschiedenen Perspektivwechseln lesen, vielleicht traue ich mich dann eher, mal etwas anderes auszuprobieren. Momentan fühle ich mich sicherer es bei der personalen Perspektive zu belassen.


Aleya Sihana

Dieses Thema beschäftigt mich auch immer wieder.
Eigentlich mag ich es nicht, wenn so häufig die Perspektive gewechselt wird, weil ich mich während dem Lesen extrem in die entsprechende Figur und die Situation einfühle und wenn ich dann da so rausgerissen und in eine andere Szene geworfen werde, unterbricht das meinen Lesefluss. ::)
Aber wenn es spezifische Verbindungspunkte zwischen den Figuren gibt (z.B. eine gemeinsame Szene), die einem sorgfältig von der einen Figur zur anderen vermitteln, ist der Wechsel sehr angenehm. Da muss auch nicht das Ende eines Kapitels dazwischen sein, aber darf natürlich ab und zu.

Gerade lese ich ein Buch, in dem die Protagonistin und der Protagonist (ihr Partner) sich mit der Perspektive abwechseln, geschrieben ist das Buch aber in der ersten Person im Präsens. Das ist mir bisher so noch nie untergekommen, aber der Stil gefällt mir. Hier wird kapitelweise gewechselt und oben steht immer der Name der Figur, die grade dran ist.

ZitatIch habe bei meinem aktuellen Projekt aus der Perspektive des Opfers begonnen, dieses dient aber nur dazu Spannung zu erzeugen und tritt dann das gesamte Buch über nicht mehr auf. Was denkt ihr darüber? Besteht die Gefahr, das der Leser sich mit dem Opfer gleich am Anfang zu sehr identifiziert?

Ist diese Szene denn im ersten Kapitel enthalten oder ist es der Prolog? Das schreit für mich geradezu nach Prolog. ;)

Lazlo

Aleya, um Deine Frage zu beantworten: Nein, es ist das erste Kapitel. Ich hatte erst einen Prolog drin, dort ging es um die Schöpfungsgeschichte meines Unterwasserreiches, allerdings habe ich das jetzt in die Handlung mit eingebaut und finde es jetzt viel spannender. Ich bin nicht so der Prolog-Fan, dieser muss für mich schon zwingend notwendiges Hintergrundwissen für die Geschichte enthalten und der Protagonist sollte darin vorkommen. Außerdem sollte man dann auch mit einem Epilog abschließen. Dass hat für mich alles nicht gepasst. Lieber mit einem ganz normalen Kapitel beginnen, der den Leser in die Handlung zieht und Lust auf mehr macht, das ist meine Meinung.

lieben Gruß, Lazlo