Nehme ich Minderheiten die Chance, ihre eigenen Geschichten zu erzählen, wenn ich meine Bücher veröffentliche?
Unbequeme Antwort: vermutlich ja. Nicht deinetwegen, aber weil es auf dem Markt nunmal aktuell so funktioniert. Letzten Endes ist das eine Debatte, die am Ende wieder auf etwas wie cultural appropriation (zumindest bei PoC) hinausläuft.
Das Problem ist, um mal exemplarisch am Beispiel von Xiran Jay Zhao zu bleiben (die wirklich sehr gut vlogt und twittert!): Fantasy auf Basis chinesischer Mythologie/mit Elementen der chinesischen Kultur ist nunmal ein Nischenbereich. Es ist nicht blasser-Junge-liebt-blasses-Mädchen à la Twilight, es sind keine blassen, europäisch aussehenden Elfen, die aufeinander einkloppen, etc.. Da es als Nischenbereich gehandelt wird, sind weniger Slots verfügbar. Und wenn nun ein*e weiße*r Autor*in daherkommt, vielleicht schon gut etabliert, und was darüber schreiben will, stehen die Chancen sehr hoch, dass er/sie nunmal den Zuschlag bekommt. Und ja, dann kommt das Argument "sorry, Nische schon gefüllt", und beispielsweise eine chinesische PoC bekommt diesen Vertrag eben nicht mehr, obwohl sie die sehr viel authentischere Stimme wäre, und es ihr vielleicht sehr viel mehr zustünde, diese Geschichte zu erzählen.
Cultural Appropriation ist ein anderes Thema, das will ich hier nur kurz runterreißen, und zwar darauf, dass ganz generell die aktuell existierenden Strukturen (auch in der Verlagslandschaft) aufgrund mehrerer Faktoren Weiße bevorzugen, ob nun aufgrund der abweichenden Verfügbarkeit von Ressourcen, Zugängen zu Bildung etc. - das ist eine andere Debatte. Doch ergo ergibt sich so vielleicht ohnehin schon eine kleinere Querschnittssumme aus PoC-Autor*innen, die also per se schon den schlechteren Stand haben. Das noch gepaart mit nischigem Thema - schwierig. Auch fürs Marketing. Also ja. Ich denke, aktuell werden auf diese Art Bücher von PoC/Own-voice Autor*innen verdrängt. Zumindest solange, bis diese Themen eine breitere Akzeptanz auf dem Markt erlangt haben und die Verlagslandschaft hoffentlich auch etwas risikofreudiger wird.
I know white writers write poc main characters because they want poc readers to see themselves in books, but here’s what happens when you do that: publishers end up acquiring books written by white people instead of books by pocs because they find the former easier to relate to.
Im Grunde genommen fasst es dieser Tweet genau zusammen.
Und eigentlich wollte ich jetzt schreiben, dass ich finde, auch Bücher von nicht Own-Voice-Autor*innen haben ihre Daseinsberechtigung. Finde ich auch.
Aber je mehr ich über meine Argumentation grüble, desto weniger pauschal möchte ich das sagen.
Natürlich können nicht-"Betroffene" auch über solche Themen schreiben. Natürlich ist es gut, so Bewusstsein zu schaffen und vielleicht den Markt zu öffnen. Aber dann gehört für mich zwingend sensitivity reading dazu, genauso wie deutliche Kritikfähigkeit, und das damit leben können, wenn trotzdem "Shitstorms" oder Beschwerden aus den entsprechenden Communities kommen. Das gilt für alle am Prozess beteiligten, von Autor*in bis Verlag.
Fair und guten Gewissens von allen erzählt werden können die Geschichten marginalisierter Gruppen nur, wenn auch insbesondere Own Voices mindestens in gleichem Maße Raum geboten wird, ihre Geschichten selbst zu erzählen, wie Außenstehenden. Und ich denke, das ist der Punkt, an dem es für mich hakt. Nicht alle müssen own-voice schreiben, nur weil sie Repräsentation schaffen wollen. Aber solange es Own-Voice-Autor*innen so erschwert wird, ihre eigenen Geschichten zu erzählen, kann keine faire Repräsentation auf Augenhöhe stattfinden.
Soll heißen, genau das:
Wenn es einem wirklich um das Thema und um die Sensibilisierung dafür geht, wäre es besser, Own Voice Autoren zu fördern, statt ihnen ihre Themen wegzunehmen.
Im Gay Romance Genre sehe ich, wozu das führen kann, denn hier werden haufenweise Bücher von nicht-Betroffenen für nicht-Betroffene geschrieben. Frauen schreiben für Frauen über schwule Männer.
Hier möchte ich nur ein kleines Problem mit der Terminologie ansprechen, das ich persönlich in solchen Debatten immer habe, ist wirklich nicht böse gemeint. Aber die Verwendung von "Betroffenen" sollte sorgsam gewählt werden. "Betroffene" sind durch dieses Wording ausgegrenzt.
"Betroffen" bin ich, beispielsweise, von Rassismus. "Betroffen" bin ich nicht davon, zwei Nationalitäten zu haben. Diese Unterscheidung ist zumindest mir wichtig. Genauso würde ich einen Schwulen Mann nicht als "von Gay Romance betroffen" bezeichnen. Sondern eben als schwulen Mann und Zugehörigen zur entsprechenden Gruppe, während er von Diskriminierung aufgrund seines Schwulseins betroffen ist.
Die Argumentation scheint sich ja in erster Linie auf PoC zu beziehen - nur haben wir als Autoren auf dem deutschen Buchmarkt, insbesondere in der Phantastik, die Situation, dass so ziemlich alle Autor*innen weiß sind.
Auch da möchte ich vehement einhaken. Das glaube ich nicht. Alle großen und etablierten Autor*innen? Schon eher. Alle? Nein. Aber fast alle whitepassing oder vielleicht hinter whitepassing Pseudonym versteckt? Ziemlich sicher.
Lass uns das mal auf den Tintenzirkel runterbrechen. Wie viele PoC Mitglieder fallen euch aus dem Stehgreif ein? (Insbesondere denen, die keinen Zugang zu Klarnamen etc. haben und tatsächlich nur aus dem Forenprofil und -auftreten schließen müssen.)
Mir, mit ein bisschen Nachdenken, sechs. Erstaunlich – und erschreckend – wenige. Eigentlich glaube ich, dass es (hoffentlich) mehr sein müssten. Allein statistisch sollten es mehr sein.
Umso erschreckender, weil mir auf Anhieb gleich doppelt so viele queere Mitglieder einfallen, beispielsweise, und zwar ohne Nachdenken.
Warum haben wir eigentlich so wenig PoC im Zirkel? Ich stelle mir die Frage wirklich schon länger, und ich glaube, ganz wesentlich sind zwei Punkte:
- Die Zugänglichkeit, die ich oben schon angerissen habe. Greift auch hier im Zirkel und dem Weg, hier überhaupt Mitglied zu werden. Kennt man die Vernetzung? Fühlt man sich da auch gesehen, repräsentiert und willkommen? Wurde man in der Schule auf Möglichkeiten zur Förderung im literarischen Schreiben beispielsweise überhaupt hingewiesen? Bestanden von vornerein dieselben Bildungschancen? Etc. pp. ; nicht alle PoC können diese Fragen mit ja beantworten, und die wenigsten alle davon. Mit Sicherheit fanden und finden insgesamt überhaupt weniger PoC ihren Weg bis zum Zirkel.
- Die Tatsache, dass quasi keins dieser Mitglieder sich groß als PoC outet. Oft kommt das in Nebensätzen, Andeutungen, kurzen Worten mal raus, und das war es. Die meisten werden das vermutlich kaum registrieren. Ehrlich gesagt finde ich, derzeit schreibt gefühlt auf weiter Flur kein einziges Mitglied offen als PoC hier im Forum. Ich habe hier in den Menschengeschichten einen Thread dazu gemacht und mich vor allem im vergangenen Jahr auch in Diskussionen mehrfach dazu geäußert, deutsch-iranischer Abstammung zu sein, und was das für Auswirkungen auf meinen Alltag und mich insgesamt hat. Resultat? Aussagen von mir wurden im RL von Mitgliedern ohne Erlaubnis vor anderen zitiert, augenzwinkernd und schulterklopfend, um pseudo-solidarisch ein paar Lacher einhzuheimsen. Mir ist Orientalismus als quasi guter Wille zu verkaufen versucht worden, und dann waren Leute sauer, weil ich nicht begeistert war, auf die Art fetischisiert zu werden. Mir wurde gesagt, ich würde zu persönlich betroffen/emotional reagieren, nur weil ich persönlich betroffen bin, zu dogmatisch, und eigentlich habe Rassismus auch für gewisse Mitglieder einen im Grunde genommen positiv belegten Kern. Und das alles, während ansonsten quasi ausschließlich weiße Forenmitglieder über die Fragestellung diskutiert und sich überlegt haben, inwiefern meine (stellvertretende) Betroffenheit jetzt überhaupt gerechtfertigt ist.
Und das hier ist noch ein verhältnismäßig geschütztes Umfeld, in dem es noch insgesamt zivilisiert bei diesen Debatten zugeht.
Dass andere PoC, egal ob hier oder generell „draußen“ in der Verlagslandschaft trotzdem keine Lust auf diese Dinge haben, und dann lieber Whitepassing versuchen, oder sich einfach nicht aktiv zu Wort melden und mit Zielscheibe versehen, verstehe ich. Wäre der einfachere Weg.
Was ich jetzt aber noch einmal ausdrücklich sagen will: Es gibt in Deutschland PoC Autor*innen. Ich bin PoC. Ich bin Autorin. Ich bin zu 120% überzeugt, nicht die einzige zu sein. Klar bin ich keine große Autorin und nicht veröffentlicht oder auf irgendeine Weise etabliert. Aber es gibt mich, und es muss andere geben, die da schon weiter, aggressiver, erfolgreicher sind. Niemand überzeugt mich vom Gegenteil.
Wir sollten uns also vielmehr die Frage stellen, warum gibt es nicht mehr von uns offen sichtbar, und warum auch insbesondere in „unserem“ Genre? Indem wir bequemerweise sagen, Own Voice sei nicht so wichtig und wird schon noch kommen, wenn wir „diese Leute“ erst mal als lesbar und lesenswert etabliert haben, verschärfen wir das Problem.
Und hier möchte ich auch noch eine andere Sache anmerken, die immer wieder passiert. Own voice gibt es in vielen Dingen. Aber jetzt in einem Topf über beispielsweise queere, PoC und neurodiverse Own Voices zu diskutieren, wird meiner Meinung nach keiner der Gruppen gerecht, weil die Debatten, die wir führen müssten, jeweils andere sind.
Man kann queer und weiß sein. Dann ist Diskriminierung zwar vorhanden, aber von einer anderen Qualität, als wenn man cis het und PoC ist. Es fußt auf verschiedenen Begründungen für die Diskriminierung. Man kann beides sein, dann ist man sogar intersektional betroffen. Aber wir müssen insgesamt diverser denken und von multipleren Standpunkten an Diversität als Thema und Represäntation als Thema rangehen. Das ist uns schon in der Debatte im Sommer um Rowlings -ismen passiert, als wir schließlich den Rassismus (zurecht) abgespalten haben, und daraus sollten wir lernen.
Sicher sind die Own Voice Autor*innen Wegbereiter, die helfen, dass solche Themen auch in der Masse angekommen - aber dass man am Ende die Own Voices selbst nicht mehr zu Wort kommen lässt, das sehe ich nicht. Ich verstehe auch meine Agentin, wenn sie die Lage auf dem deutschen Buchmarkt im Auge hat und ich da mit anderen deutschsprachigen Autoren um die Verlagsplätz konkurriere, nicht mit Auslandslizenzen, und wir in Deutschland bislang keine Own Voices für ein vergleichbares Setting haben. Aber wenn, dann würde eher ich den kürzeren ziehen, weil Own Voice wirklich so ein starkes Verkaufsargument ist.
Auch da bin ich leider nicht einverstanden. Own Voices, in diesem Fall geht es wieder um PoC, kommen oft leider gar nicht erst an dem Punkt an, an dem sie in direkte Konkurrenz zu dir treten könnten. Es gibt keine bisher veröffentlichten Referenzen. Nicht, weil die nicht existieren, sondern weil irgendwo entlang des Weges immer ein Stolperstein lag. Naja, und jetzt? Jetzt gibt es für sie ja auch keine Referenzen als Türöffner.
Ich möchte dir gar nicht dein Recht absprechen, ein diverseres, abwechslungsreicheres Setting zu schreiben. Im Gegenteil. Ich begrüße das. Es ist ein Gewinn in puncto Repräsentation, diese Dinge denkbar zu machen. Aber das hat nichts darüber zu sagen, ob eine own voice gerade dieselben Chancen hätte, aktuell mit demselben Setting erfolgreich zu sein. Weil sie vermutlich gar nicht erst so schnell an den Punkt als veröffentlichte, von einer super Agentur vertretene Autorin zu kommen. So weit sind wir leider gar nicht.
Own Voice als Verkaufsargument bleibt momentan leider in erster Linie eins: ein Token. Und Token braucht man dummerweise nicht allzu viele auf einmal.