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"Ich hab's getan, weil ..." - die Motivation der Charaktere

Begonnen von Siara, 04. Februar 2015, 12:02:58

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Churke

Zitat von: Fafharad am 04. Februar 2015, 14:46:34
Bauchentscheidungen können den Protagonisten durch die ganze Story tragen. Und ich wette, wenn wir ihn als authentisch erleben, fragen wir nicht nach seinen Motiven. Wir hätten uns womöglich auch nicht anders verhalten :).

Wenn die Figur tut, was der Leser auch tun müsste, braucht man nicht viel zu erklären.  ;) Wirklich interessant sind indes die Fälle, in denen die Figur sich so verhält, wie es weder der Leser noch der Autor tun würden. Sei es, weil sie damit den anerkannten Wertekanon verletzt. Sei es, weil sie damit eine Riesendummheit begeht.
Da muss man schon etwas weiter ausholen. An welchen Schrauben muss ich drehen, damit die Entscheidung der Figur plausibel wird?

Lothen

Zitat von: Churke am 04. Februar 2015, 15:23:24Wirklich interessant sind indes die Fälle, in denen die Figur sich so verhält, wie es weder der Leser noch der Autor tun würden. Sei es, weil sie damit den anerkannten Wertekanon verletzt. Sei es, weil sie damit eine Riesendummheit begeht.
Oder weil es - wie in den meisten Romanen - verdammt gefährlich und riskant werden könnte. ;)

Klar, ob mein Prota jetzt in der Kneipe Bier oder Wein bestellt, ist wahrscheinlich keine Entscheidung, die ich gezielt hinterfrage (außer, es gibt Gründe das zu tun) - da wird auch der Leser nicht anfangen, die Motivation dafür zu hinterfragen.

Aber ich denke, Siaras Frage zielte eher auf die Motivation des Charakters im Großen und Ganzen ab, quasi: Waurm wird der Charakter zum Protagonisten oder Antagonisten einer Geschichte?

Sunflower

#17
Oh, was für ein tolles Thema. Motivationen sind unheimlich wichtig, eine "un-motivierte" Figur ist nämlich einfach nur platt und langweilig. Es sei denn, wir nehmen unmotiviert wörtlich ..

Zitat von: heroine am 04. Februar 2015, 14:23:45
]Bequemlichkeit/Faulheit (!= Gewohnheit)

Denn das finde ich auch sehr wichtig.

Eine weitere Motivation, die ich ziemlich wichtig finde und die ich in der Form jetzt noch nirgendwo gesehen hatte - vielleicht auch überlesen?: Der Wunsch, Normalität wiederherzustellen. Das ist vor allem eine Motivation, wenn der Protagonist (oder auch der Anta) aus seiner gewohnten Welt herausgezogen wird und in der neuen alles ganz doof findet, wieder "zurück" möchte. Der Protagonist aus Neil Gaimans Neverwhere (ich schon wieder mit Gaiman ::)) hat diese Motivation. Er wird gegen seinen Willen in die Gegebenheiten eines unterirdischen London gezogen und eine seiner Motivationen ist, zurück nach Hause zu finden. Das ist deshalb so interessant, weil
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Zitat von: Lothen am 04. Februar 2015, 15:31:28
Aber ich denke, Siaras Frage zielte eher auf die Motivation des Charakters im Großen und Ganzen ab, quasi: Waurm wird der Charakter zum Protagonisten oder Antagonisten einer Geschichte?

Im besten (mMn) Fall könnte ein Antagonist ja auch der Protagonist sein, wenn man die ganze Geschichte aus seiner Perspektive erzählen würde. Ein Anta sollte eher nicht "einfach nur böse sein", sondern nur "durch die Augen des Protagonisten" böse sein. Oder zumindest gegen die Ziele des Protagonisten arbeiten und deshalb zum Antagonisten werden. Aber ein Anta braucht genauso nachvollziehbare Motivationen wie ein Protagonist.

Letztes Jahr im September war ich auf einem Schreibworkshop und mit eine der wertvollsten Lektionen war die: Schreib dir auf, was dein Protagonist a) nie sagen würde, b) nie denken würde, c) nie tun würde. Bring ihn in Situationen, wo er genau a) sagt, b) denkt und c) tun muss.
Genau das Gleiche mit dem Antagonisten und am besten mit allen Figuren, die irgendwie einigermaßen relevant sind.

Edit: Typo ausgebessert ;)
"Why make anything if you don't believe it could be great?"
- Gabrielle Zevin: Tomorrow, and tomorrow, and tomorrow

Siara

Danke für eure ganzen Antworten. Die neuen Punke auf der Liste werde ich gleich ergänzen, da sind noch einige extrem wichtige dabei. :) Noch zu ein paar Einzelheiten:

Zitat von: Lothen am 04. Februar 2015, 13:11:41Psychologisch gesehen ist das eben der Unterschied zwischen Traits (also stabilen Persönlichkeitsmerkmalen) und States (aktuellen Zuständen). Solange die Traits irgendwo stimmen, können die States sicherlich auch mal abweichen, ohne, dass es absurd wirkt.
Das finde ich einen sehr interessanten Punkt, der bei genauem Überlegen auch immer wieder in Büchern auffällt. Dasselbe gilt meines Erachtens nach nicht nur für die Persönlichkeit, sondern auch für die Motivation. Die meisten Geschichten werden eine übergeordnete Motivation haben, die auf ein endgültiges Ziel hinführt. Aber auf dem Weg dahin gibt es häufig kleinere Motivationen, die den Charakter in diese oder jene Richtung lenken. Die Verflechtung von "kleinen, momentanen" Antrieben und dem großen Antrieb ergibt ein schönes Netz. Zumal die beiden ja auch durchaus mal kollidieren können.

"Familie" zähle ich übrigens nicht als eigenes Motiv. Man kann es je nachdem unter "Liebe", "Hass" oder "Herdentrieb" ordnen, die sich ja durchaus auf verschiedene Lebensbereiche erstrecken können.

Eben schon kurz angesprochen, aber auch das finde ich irre wichtig: Selten hat ein Charakter nur eine einzige Motivation, die sein ganzes Denken und Handeln bestimmt. Manchmal wirken die verschiedenen Motivationen in eine Richtung und Verstärken sich gegenseitig. Das kann bedeutsam sein, wenn der Charakter am Rand seiner Belastbarkeit steht und so noch einmal einen Kraftschub erhält. Genauso können die Motivationen sich aber auch gegenseitig im Weg stehen - dann wiederum heißt es, eine Entscheidung zu treffen. Auch hier können interessante Konflikte entstehen.

Zitat von: heroine am 04. Februar 2015, 14:23:45
Den Punkt "Macht" versteh ich nicht. Geht es darum Macht zu gewinnen (was für mich auch Gier wäre) oder weil der Zwang durch äußere Macht kommt?
Mit "Macht" meinte ich das Erlangen von Gewalt über einen Einzelnen, eine Gruppe von Menschen oder ein ganzes System. Mit "Gier" (die ich auch aufnehmen werde) würde ich es nicht gleichsetzen, weil diese sich ebenso auf Materialistisches beziehen kann.

Zitat von: heroine am 04. Februar 2015, 14:23:45Einige der Motive überschneiden sich meiner Meinung nach auch, z.B. "Ideologie" und "Religion", sind für mich beides Wertvorstellungen und eng verknüpft mit der Moral.
Es stimmt natürlich, viele Motivationen ähneln und überschneiden sich. Trotzdem wollte ich diese hier getrennt aufführen. "Religion" als einzelner Punkt, weil er sehr oft vorkommt und nicht unbedingt praktische Ziele verfolgen muss. Eine Ideologie hingegen muss nicht religiöser Art sein. Und eine Moral spielt sicher bei beiden eine Rolle, kann aber ebenso gut in kleinerem Maßstab zum Tragen kommen, ohne gleich Teil einer ganzen Ideologie zu sein.

Was den Sadismus angeht, hast du recht: Im Grunde zählt es zu Spaß/Vergnügen und beschreibt einfach nur eine Vorliebe. Daher werde ich es auch wieder aus der Liste streichen.

Zitat von: Sunflower am 04. Februar 2015, 15:55:51Im besten (mMn) Fall könnte ein Antagonist ja auch der Protagonist sein, wenn man die ganze Geschichte aus seiner Perspektive erzählen würde. Ein Anta sollte eher nicht "einfach nur böse sein", sondern nur "durch die Augen des Protagonisten" böse sein.
Da sprichst du auch einen interessanten Punkt an. Weiter ausgewälzt führt er zwar schon wieder vom Thema weg, aber ich finde genau diese Geschichten ebenfalls am aufregensten. Oftmals wird der Antagonist derjenige sein, der von (Macht-)Gier angetrieben wird, sodass der Leser sich leicht auf eine Seite stellen kann - obwohl es eine plausible Motivation gibt. Gerade deswegen spiele ich beim Antagonisten auch gerne mit den ungewöhnlicheren Motivationen.
I'm going to stand outside. So if anyone asks, I'm outstanding.

Lothen

Zitat von: Sunflower am 04. Februar 2015, 15:55:51Schreib dir auf, was dein Protagonist a) nie sagen würde, b) nie denken würde, c) nie tun würde. Bring ihn in Situationen, wo er genau a) sagt, b) denkt und c) tun muss.
Boah, das ist witzig! Ich glaube, in Teilen habe ich das sogar berücksichtigt ... Vielleicht spiele ich mich damit mal. :D

Überreizen würde ich dieses Prinzip aber trotzdem nicht - wenn die Charaktere dauernd das Gegenteil von dem tun, was sie eigentlich tun sollen/wollen, wirkt das vermutlich auch recht erzwungen. Und es erschwert es dem Leser, sich in die Personen und ihre Motivation einzufühlen. Aber als Anregung finde ich das sehr gelungen!

Windstoß

Pflicht oder Pflichtgefühl.

Auf der einen Seite eine eher schwache Motivation, die aber im Alltag häufig vorkommt: Man tut etwas, weil man glaubt, dass die anderen/die Gesellschaft das von einem erwarten.

Als starke Motivation empfinde ich die Pflicht sich selbst, seinen eigenen Überzeugungen und Idealen gegenüber. Dadurch tut man möglicherweise Dinge, die man nicht mag, die unangenehm oder schmerzhaft sind - nur aus dem Grund, weil es einem selber wichtig ist.

Christopher

Den Punkt "Macht" würde ich vielleicht sogar rausnehmen. Ich kenne das von einem meiner Charaktere. Sie versucht letztendlich auch an Macht zu gewinnen, aber dabei geht es nicht um die Macht an sich, sondern darum, über die Macht etwas zu erreichen. Macht als Motivation "nur um sie zu haben" finde ich extrem unnachvollziehbar und gestellt. Jeder der Macht haben will, will sie eigentlich, um etwas anderes damit erreichen zu können.
Be brave, dont tryhard.

Churke

Zitat von: Christopher am 04. Februar 2015, 16:59:40
Den Punkt "Macht" würde ich vielleicht sogar rausnehmen. Ich kenne das von einem meiner Charaktere. Sie versucht letztendlich auch an Macht zu gewinnen, aber dabei geht es nicht um die Macht an sich, sondern darum, über die Macht etwas zu erreichen. Macht als Motivation "nur um sie zu haben" finde ich extrem unnachvollziehbar und gestellt. Jeder der Macht haben will, will sie eigentlich, um etwas anderes damit erreichen zu können.
Das sehe ich anders. Es gibt sogenannte "Macht-Menschen", denen es wirklich nur darum geht, Macht auszuüben. Macht-Menschen sind materielle Dinge egal und deshalb sind sie meist auch nicht korrupt.
Ob man Macht alleine als Motivator sehen kann, ist allerdings eine andere Frage.

Fafharad

Zitat von: ChristopherMacht als Motivation "nur um sie zu haben" finde ich extrem unnachvollziehbar und gestellt. Jeder der Macht haben will, will sie eigentlich, um etwas anderes damit erreichen zu können.
Verhält es sich nicht genau so mit dem Wunsch, berühmt zu werden? Irgendwo weiter oben fiel schon das Schlagwort "Anerkennung" (hab's nicht wiedergefunden).
Das ist ein Motiv, das ganz gut als Selbstzweck funktioniert und das gerade wir (ohne jemandem nahe treten zu wollen  ;D) als Autoren sicher gut nachvollziehen können.
Natürlich wäre es toll, von der Schreiberei die Familie ernähren zu können, aber die greifbarere Währung ist nun mal die Anerkennung für die eigene Leistung.
So wie ich als Autor meine Motivation aus dem Wunsch nach Anerkennung schöpfe, kann ich mir auch gut unsympathische Charaktere vorstellen, die das Gefühl genießen, Macht über andere auszuüben - ohne damit etwas erreichen zu wollen, nur zur Befriedigung des Egos. (Wobei - damit dient sie ja doch wieder einem Ziel  :wums:.)
Um ehrlich zu sein - ich kenne solche Typen sogar in der Realität. Traurig genug  :'(.

HauntingWitch

Ein spannendes Thema. Ich gehöre auch zu denen, die mit Motivation Mühe haben. Ich habe mir das bisher gar nie so genau überlegt. Ich schreibe ja sehr intuitiv und wenn man mich fragt, warum meine Protagonisten sind, wie sie sind, dann sage ich: "Weil er eben so ist."  ;D Ich weiss genau, warum sie so handeln und nicht anders, aber ich kann das nicht erklären. Es ist für mich einfach klar. Aber vielleicht sollte ich mir darüber wirklich mehr Gedanken machen.

Wenn ich das nun so aufdrösele, stelle ich fest, dass die meisten meiner Antagonisten tatsächliche Machtgier oder Rache, oft verbunden mit Frust/Verbitterung als Antrieb haben. Meine Protagonisten hingegen handeln meistens eher aus Notwendigkeit heraus, weil ein äusserer Umstand ihr gemütliches Leben stört. Im Verlaufe der Geschichte kommen da natürlich noch andere Dinge hinzu, wie z.B. Liebe. Und einen habe ich, der vor allem aus Pflichtgefühl heraus agiert, das ganze sich für ihn dann aber zu einer Sinnsuche entwickelt.

In einem neuen Projekt habe ich zum ersten Mal von Anfang an Liebe als Motivation für den Prota. Mir wird gerade klar, dass es aber nicht so einfach ist. Oft sind es ja mehrere Dinge, die einen antreiben und nicht nur eines. Interessant wird es wohl, wenn zwei Motivationen derselben Figur sich widersprechen. Insofern stimme ich mit Brandon Sanderson überein, Menschen verhalten sich manchmal durchaus vermeintlich unlogisch oder widersprüchlich. Ergo dürfen Buch-Charaktere das auch. Das Problem dabei ist nur, dass es weiterhin glaubwürdig wirkt. Ein Mensch hat ein Unterbewusstsein, in dem diverse Dinge abgespeichert sind, die ihn zu dem machen, was er ist. Als Autor einen Charakter zu erschaffen, der auch nur annähernd so komplex ist wie ein realer Mensch, halte ich für so gut wie unmöglich. Natürlich versucht man das und natürlich können auch Buch-Charaktere tiefgründig sein. Aber es ist nicht vergleichbar mit einem realen Menschen. (Man könnte jetzt natürlich dagegen halten, dass es auch reale Menschen gibt, die flacher sind als manche Buch-Charaktere, aber ich glaube, das ist eine andere Diskussion. ;))

Miezekatzemaus

Bei meinen aktuellen beiden Hauptprojekten sieht das so aus: Bei Projekt eins ist die Motivation der drei Protagonisten Abenteuerlust, später das Verlangen nach Aufklärung über etwas. Die Motivation des Antagonisten ist Anerkennung.

Bei Projekt zwei ist die Motivation der Wunsch einer anderen Person, die für das Leben der Protagonistin sehr wichtig war (in diesem Fall ihre Mutter). Genau genommen handelt es sich um den letzten Wunsch der Mutter, direkt danach stirbt sie. (Dramatisch, ich weiß, aber mir gefiel's für die Geschichte gut.) Das ist natürlich auch eine Art von Druck, aber er kann sowohl positiv als auch negativ sein - auf jeden Fall aber war er eine positive Vorstellung (bei meiner Geschichte, nicht bei allen!) von jemand anderem.

Christopher

#26
Zitat von: Churke am 04. Februar 2015, 17:20:58
Das sehe ich anders. Es gibt sogenannte "Macht-Menschen", denen es wirklich nur darum geht, Macht auszuüben. Macht-Menschen sind materielle Dinge egal und deshalb sind sie meist auch nicht korrupt.
Ob man Macht alleine als Motivator sehen kann, ist allerdings eine andere Frage.

Ich hab so einen Menschen noch nie gesehen, höchstens in Filmen/Büchern Figuren, die so dargestellt werden (bzw. die ich so wahrgenommen habe). Und ich kann es mir auch nicht vorstellen. Ich kann mir z.b. durchaus vorstellen, was einen Menschen dazu bringt, sich selbst in die Luft zu sprengen um anderen zu schaden (was ja schon eine höchst abnormale Handlung ist) aber Macht haben wollen nur um der Macht willen? Nein. Das kann ich mir nicht vorstellen. Da steht immer ein anderer Grund dahinter, auch wenn man den vielleicht nicht sehen kann.

EDIT: Etwas schlecht ausgedrückt. Also, ich kann mir durchaus vorstellen, dass Menschen schlicht nach Macht streben, aber dann eben aus einem Antrieb heraus. Also Macht nicht als Motivation, sondern eben wie bereits gesagt um Anerkennung, Selbstbestätigung o.ä. zu bekommen.
Be brave, dont tryhard.

Aylis

Ich finde am interessantesten die Überzeugung, etwas zu ändern.
Also im Prinzip Rebellion, Freiheitsdrang, Umsturz der bisherigen Lebensumstände.
Da kann man viel draus machen, weil natürlich Manipulation und Rücksichtslosigkeit mit im Spiel sind.
Und dieser Konflikt zwischen Weltverbesserungswunsch und der Gefahr, dass danach alles noch schlimmer ist bzw. seine moralischen Überzeugungen über den Haufen zu werfen, gefühlt mir total.
Wo genau sollen wir einbrechen? - In die namenlose Festung.

Siara

#28
Zum Thema Macht als Motivation: Ich bin mir sehr sicher, dass es diese Motivation durchaus gibt. Die meisten der aufgeführten Punkte können ja schlecht allein stehen, sondern lassen sich immer irgendwie verbinden. Rache hängt eng mit persönlicher Feindschaft ebenso wie mit Liebe zusammen, Anerkennung kann mit Gruppenzwang verknpüft sein und läuft wiederum auf eine Art von Zufriedenheit und damit Spaß hinaus. Kurz: Eine Motivation ist zwangsläufig nie Selbstzweck, sondern hat immer Hintergründe, die sich verbinden lassen.

Ein Grund, um nach Macht zu streben, kann auch Angst sein. Wer sich vor anderen fürchtet, sucht eine Machtposition, um sie kontrollieren zu können. Er handelt also aus Angst und Argwohn. Nach einer Weile kann sich die Macht aber durchaus zum Selbstzweck entwickeln - und zu einer Sucht, was wiederum eine andere Motivation ist. Ich möchte Macht ungern aus der Liste streichen. Wenn die Macht als einzelner Punkt nicht zählt, weil sie (zumindest anfangs) meist zu einem anderen Zweck angestrebt wird, könnte man auf gleiche Weise auch alle anderen Punkte entkräften. Dann gäbe es nur noch eine einzige Motivation mit dem Titel: Bedürfnisbefriedigung

Pflichtgefühl und auch die Wünsche eines anderen werde ich noch mit aufnehmen.

@Aylis: Alles interessante Punkte, die du ansprichst. Gerade die Weltverbesserer ergeben die schönsten Helden für Tragödien, finde ich. ;D Rebellion würde ich unter Widerstand werten und den Weltverbesserer unter Ideologie. Da Freiheitsdrang aber auch im Kleinen stattfinden kann, kommt das gleich noch mit in die Liste.
I'm going to stand outside. So if anyone asks, I'm outstanding.

Fynja

#29
Sehr interessantes Thema! Und danke für die ausführliche Auflistung, Siara. :)

Erst mal generell: Ich finde Motive unglaublich wichtig. Natürlich muss man nicht jede kleine Entscheidung hinterfragen, aber jeder hat irgendwelche Motive, die das Handeln beeinflussen, ob er sich dessen bewusst ist oder nicht. Diese Motive müssen nicht explizit im Buch stehen, aber es muss doch erkennbar sein, dass es Gründe für relevante Aktionen gibt, sonst kommt eine Romanfigur meines Erachtens nach einfach nicht glaubwürdig rüber. Das Gefühl, eine Figur zu kennen, kommt erst, wenn ich ihre Motive kenne, das gilt sowohl für fremde Bücher wie auch für meine eigene. Es ist bereits mehr als einmal vorgekommen, dass ich mit einigen Figuren Probleme hatte, bis mir irgendwann aufgefallen ist, dass das daran liegt, dass ich selbst zwar die Taten meiner Protas oder Antas kenne, aber nicht ihre Motivation dafür. Seitdem ist das bei mir ein sehr wichtiger Punkt in der Charakterentwicklung. Bei meiner Dystopie, die ich zurzeit schreibe, ist die Motivation meiner Prota teils Ideologie, teils Moral (beides hängt zusammen, aber es gibt dennoch Unterscheidungen, die ich da treffe - besonders bei Dystopien wichtig.) und teils Liebe/ Beschützerdrang zu bestimmten Menschen. Bei meinem Anta, der im Laufe der Geschichte immer mehr Prota wird, ist es erst ebenfalls Ideologie, interessanterweise teilt er sich diese Ideologie mit meiner Prota, was aber zu unterschiedlichen Handlungsweisen führt, weil er seine Ideologie über die Moral stellt und meine Prota eben nicht. Hoffentlich klingt das nicht zu wirr. Und eine dritte wichtige Instanz in der Geschichte ist die Regierung, deren Motiv Kontrolle/ Macht ist.

Achtung, ich werde jetzt ein wenig klugscheißern. ;D Aber ich hatte letztes Semester erst ganz viele Vorlesungen zum Thema Motivation und vor kurzem eine Vorlesung in Entwicklungspsychologie darüber. Vielleicht hilft dem einen oder anderen ja dieses Wissen. Teilweise überschneiden sich die Motive, die ich aufzählen werde, sicherlich mit der Liste im Anfangspost, aber vielleicht ist meine Aufzählung ja trotzdem hilfreich zum Ergänzen.

Erst einmal wären das allgemein die Befriedigung der biogenen Bedürfnisse, also alles, was zum Überleben wichtig ist, Nahrung usw. Diese Motive sind angeboren und logischerweise bei jedem Menschen vorhanden, können aber eben in unterschiedlicher Stärke als Motive für Handlungen fungieren.
Angeboren sind auch noch Neugierde, wurde hier ja auch schon genannt, und Leidvermeidung - erklärt sich wohl auch von selbst.
Eines der wichtigsten angeborenen Motive ist außerdem das Bindungsmotiv. Bei Neugeborenen selbsterklärend, aber auch bei Erwachsenen äußert sich das in Form von der Suche nach Zugehörigeit, nach Anschluss/ Affiliation. Wurde hier ja auch schon genannt, aber da es eines der stärksten Motive ist, wollte ich es nochmal erwähnen.
Das Anschlussmotiv wird oft zusammen mit dem Machtmotiv und dem Leistungsmotiv zu den "Big Three" der Motivation gezählt. Die letzteren entwickeln sich allerdings erst zwischen dem 4. und 6. Lebensalter, sind also nicht angeboren, sondern eher antrainiert/ angelernt. Für Geschichten find ich es hier immer wichtig, wenn eines dieser Motive im Spiel ist, den Hintergrund zu erklären, wie es dazu gekommen ist, dass eines dieser Motive so stark ausgeprägt ist. Macht gilt also sehr wohl als eigenständiges Motiv, mit dem Ziel, Kontrolle über andere auszuüben - allerdings, und das könnte bei Antagonisten sehr interessant sein, geht das Machtmotiv oft mit der Furcht, selbst von anderen dominiert zu werden, einher.
Beim Leistungsmotiv gibt es auch noch einen interessanten Aspekt, nämlich dass dieses anfangs sehr stark von außen kommt, aber im Laufe der Entwicklung interiorisiert wird. Hier geht es um das Erfüllen eines Tüchtigkeitsmaßstabs, der sozial vermittelt wird, aber irgendwann hat man diese Maßstäbe so verinnerlicht, dass das Motiv auch von innen kommen kann. Hierbei unterscheiden sich Leute beim genauen Anreiz für die Leistung: einige sind eher erfolgsorientiert, bei anderen liegt der Antrieb darin, Misserfolg um jeden Preis zu vermeiden. Auch das führt zu teilweise ganz unterschiedlichem Verhalten, obwohl das eigentlich gleiche Motiv aktiviert ist.
Auch Prosozialität gilt als eigenes Motiv, hier kann man aber natürlich auch darüber diskutieren, ob bedingungsloser Altruismus möglich ist oder nicht doch irgendeinem anderen Zweck dient, auch wenn es nur der ist, dass man sich nicht schlecht fühlt. Bedingungslos altruistische Protas nerven mich meistens, normalerweise hat man nämlich dennoch irgendwelche Gründe, anderen zu helfen, und selbst, wenn es Liebe ist, ist auch die nicht bedingungslos altruistisch.  ;D Das ist aber jetzt natürlich keine fachliche, sondern nur meine subjektive Meinung.

Bei alldem können sich verschiedene Motive natürlich überschneiden oder ineinander übergehen. Wir haben auch die Unterscheidung getroffen zwischen funktionell autonomen Motiven, also solchen, die als Motiv alleine fungieren (zum Beispiel Leistung), oder nicht autonomen Motiven, also solchen, die eigentlich der Befriedigung eines anderen Motivs dienen (zum Beispiel Agression).
Was außerdem wichtig ist, ist das, was Lothen schon angemerkt hat: Die Unterscheidung zwischen trait und state. Sehr oft spielt die Situation eine viel größere Rolle für die Handlung einer Person, als Außenstehende denken würden. In Film und Literatur gibt es da sicherlich genügend Beispiele dafür, dass nicht jeder, der Böses tut, von Grund auf boshaft ist, stattdessen können Dinge wie Gruppenzwang usw sehr vieles ausrichten. (Dazu gibt es auch noch das schöne Wörtchen "Konformität").