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Schreiben - "nur" ein Hobby?

Begonnen von Runaway, 09. Oktober 2011, 11:09:00

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HauntingWitch

@Dani und Grey: Ihr zählt während dem Schreiben die Wörter? Ich habe nicht die leiseste Ahnung, wie viele Wörter meine Skripts haben (vielleicht sollte ich zwischendurch mal diese tolle Wordfunktion nutzen, wenn es sie schon gibt).

Also bei mir ist es so, durchschnittlich schreibe ich, wenn ich frei habe zwischen drei und sechs Stunden pro Tag. Das hängt ein bisschen davon ab, wie viel ich sonst noch zu erledigen habe (ab und zu sollte man vielleicht den Kühlschrank füllen, wäre nicht ganz blöd ;)) und wie ich mich fühle. Es kommt ja auch ein bisschen auf die Tagesform an, manchmal fliesst die Inspiration besser und manchmal weniger gut. Wenn ich arbeite sind es ein bis zwei Stunden pro Tag, je nachdem, wie sehr mich die Arbeit schlaucht und ob ich über Mittag Zeit habe. So ewas wie Kollegialität mit gemeinsamem Mittagessen und so wird hier leider zu gewissen Anlässen mehr oder weniger erwartet.

Dann schwankt das aber auch sehr, denn ich habe auch noch andere Hobbies. Zum Beispiel lesen. Und ich merke jetzt ohne Verlagsdruck und Liefertermin schon, dass das mitunter verdammt eng werden könnte, also werde ich falls ich jemals einen Verlagsvertrag bekomme, wohl die ungelesenen Bücher länger liegen lassen müssen. Da merke ich schon auch ein bisschen etwas.

Aber das ist noch so ein Thema, ich bilde mir ein, bei einigen herauszulesen, dass sie Schreibzeit als "verlorene Zeit" wahrnehmen? Sagt, wenn ich mich irre. ;) Ich nehme es nie als verlorene Zeit wahr, auch wenn ich derweil anderes machen könnte, was mir auch Spass macht. Aber es ist immer eine Wohltat, zu schreiben, weiterzukommen, nur schon den Plot zu entwickeln. Es erfüllt mich einfach innerlich total, ich bin niemals glücklicher, als wenn ich schreibe und/oder wieder ein Stück geschafft habe. :)

Runaway

Zitat von: HauntingWitch am 10. Oktober 2011, 13:45:48
Aber das ist noch so ein Thema, ich bilde mir ein, bei einigen herauszulesen, dass sie Schreibzeit als "verlorene Zeit" wahrnehmen? Sagt, wenn ich mich irre. ;) Ich nehme es nie als verlorene Zeit wahr, auch wenn ich derweil anderes machen könnte, was mir auch Spass macht. Aber es ist immer eine Wohltat, zu schreiben, weiterzukommen, nur schon den Plot zu entwickeln. Es erfüllt mich einfach innerlich total, ich bin niemals glücklicher, als wenn ich schreibe und/oder wieder ein Stück geschafft habe. :)
Hat sich für mich auch so angehört... manchmal. So würde ich das auch nie sehen - eher so, daß alles andere verlorene Zeit ist...
Bin ich süchtig?  :gähn:

Ich zähl übrigens während des Schreibens nicht, das macht mein Schreibprogramm für mich: http://forum.tintenzirkel.de/index.php/topic,5582.msg156107.html#msg156107
Schau da mal auf dem Bild, da ist oben ein Balken "Fortschrittsanzeige", den hab ich auf meine 4000 Wörter eingestellt und der wächst mit jedem Wort, bis er dann knatschblau ist. Find ich gut ;D

Schommes

Ich greife mal das mit der verlorenen Zeit auf: Verloren ist die Zeit für das Schreiben nicht an sich, sondern aus der Perspektive der anderen Sachen, die man hätte machen können, wollen, müssen, dürfen. Schreibe ich, verliere ich Zeit für mein Kind, verbringe ich Zeit mit Jascha, verliere ich Zeit für mein echtes Hobby Gesang, singe ich, kommt meine Frau eventuell zu kurz, verbringe ich Zeit mit meiner Frau, gehe ich nicht zum Sport, stemme ich Hanteln komm ich nicht zum Schreiben. Den Hauptberuf habe ich jetzt noch ganz raus gelassen.
@Lomax und die anderen zum Thema Beziehung: Meine Frau unterstützt mein Schreiben voll und ganz. Aber das ist eben das große Ganze. Das ändert doch aber nichts daran, dass sie dann im Alltag in einer bestimmten Situation enttäuscht ist, wenn sie gern mehr von mir hätte. Wenn ich Ihr dann jedesmal entgegenhalten würde, na Du hast halt einen SchreiberSportlerSänger geheiratet, wird sie dieses Argument auf Dauer wohl kaum zufrieden stellen. Vielmehr geht es doch darum täglich und immer wieder aufs Neue Kompromisse zu schließen und dabei bei seinem Partner nicht das Gefühl aufkommen zu lassen, dass er die Beschäftigung zweiter, dritter oder vierter Klasse ist, denn das hält keine Beziehung aus und schon gar nicht, wenn Kinder da sind.

Kaeptn

#33
@Schommes: Weiß jetzt nicht aus welchem Thread diese Thematik ausgelöst wurde und was du da vorher geschrieben hast, aber erwägst du wirklich den zweiten Roman sausen zu lassen? Das wäre natürlich wirklich sehr schade. Und das man dir wenigstens bis Frühjahr 2013 Zeit lässt steht nicht zur Debatte?

@Topic: Beruf und Berufung liegen nah beieinander, ich denke man sollte eher Job/Lebensunterhalt oder Hobby fragen. Und da gibt es ja viele Dinge, nicht nur Schreiben. Eine eigene Webseite z.B., da sollte man auch nicht über den Stundenlohn nachdenken.

Mir ist auch erst über die Berichte von vielen von hier, die schon Agentur- oder Verlagsverträge haben, klargeworden, was für eine Ochsentour das professionelle Schreiben eigentlich ist, gerade in unserem, nach wie vor nur in Ausnahmen wirklich massentauglichen Genre, im Krimi-, Thriller- oder Historiengenre mag es mit den Auflagen und damit auch mit den Stundenlöhnen besser aussehen.

Für mich ist aber weniger das Geld als die Arbeitsweise entscheidend. In vier Monaten einen fertigen Roman abliefern, womöglich noch incl. Lektorat, das würde ich nicht schaffen, der Druck würde mich lähmen. Genausowenig hätte ich Lust und Zeit immer wieder nur Exposees und Leseproben zu schreiben, bis man endlich was findet, wo ein Verlag anbeisst. Für mich ist Schreiben Hobby und wenn meine Ergüsse ein Verlag veröffentlichen will, umso besser.


Schommes

Zitat von: Kaeptn am 10. Oktober 2011, 15:23:59
@Schommes: Weiß jetzt nicht aus welchem Thread diese Thematik ausgelöst wurde und was du da vorher geschrieben hast, aber erwägst du wirklich den zweiten Roman sausen zu lassen? Das wäre natürlich wirklich sehr schade. Und das man dir wenigstens bis Frühjahr 2013 Zeit lässt steht nicht zur Debatte?
Nein, natürlich nicht. Ich jammere nur auf hohem Niveau.  ;) Und so eine Verschiebung würde ich selber nicht wollen, denn dann wäre der Aufmerksamkeitserfolg, den ich jetzt mit Asylon erzielt habe, ja wieder verpufft, und ich würde beim Aufbau einer Stammleserschaft quasi von vorne beginnen. Es ist eher so, dass ich bei Piper gebettelt habe, dass sie mich noch kommenden Herbst ins Programm nehmen und der Preis war dann halt, dass ich im Mai fertig sein muss.

Kaeptn

Hm, das passt aber irgendwie nicht so zu deinen anderen Argumenten, die doch sehr danach klingen, als seiest du von der Relation Zeitaufwand/Erlös in Sachen Asylon desillusioniert. Letztlich aber hast du doch genau das richtige getan. Du hast dir Druck gemacht, um auf der bestehenden Leserschaft aufbauen zu können und damit die Relation beim zweiten Roman zu verbessern. Dafür musst du nun vorher in den sauren Apfel beißen und kannst hoffentlich später dann sagen, du hast es richtig gemacht.

HauntingWitch

Zitat von: Schommes am 10. Oktober 2011, 15:44:27
Und so eine Verschiebung würde ich selber nicht wollen, denn dann wäre der Aufmerksamkeitserfolg, den ich jetzt mit Asylon erzielt habe, ja wieder verpufft, und ich würde beim Aufbau einer Stammleserschaft quasi von vorne beginnen.

Aber das ist ja noch total neu (wenn ich mich jetzt nicht total verrenne), wäre es da nicht eben deshalb auch eine Überlegung wert, sich mehr Zeit zu nehmen (oder notfalls zu erbetteln ;))? Denn einerseits muss es ja erstmal bei den Lesern ankommen, also in dem Sinn, dass es landet, wirkt, weiterempfohlen wird, wiederum wirkt... und wem es gefällt, der wird ein weiteres ohnehin lesen wollen und wer nicht, sowieso nicht. Aber klar, wenn du das selbst nicht willst und dich mit weniger (Abflau)Zeit wohler fühlst, ist es sicher besser so. Und dann ist das natürlich die Leser-Theorie und der Marketing-Strategist hat eine andere.  ::)

Schommes

Landläufiger Erfahrung nach beschränkt sich das Erinnerungsvermögen der Leser (Ahh, den kenn ich, der hat was gutes geschrieben, den will ich wieder lesen) auf eine Spanne von einem Jahr im Schnitt. Klingt blöd, scheint aber so zu sein. Du musst also in diesem Zeitraum nachlegen oder noch schneller. Die meisten Kollegen landen irgendwann bei zwei Büchern pro Jahr.

Feuertraum

Zitat von: Schommes am 10. Oktober 2011, 16:29:55
Landläufiger Erfahrung nach beschränkt sich das Erinnerungsvermögen der Leser (Ahh, den kenn ich, der hat was gutes geschrieben, den will ich wieder lesen) auf eine Spanne von einem Jahr im Schnitt. Klingt blöd, scheint aber so zu sein. Du musst also in diesem Zeitraum nachlegen oder noch schneller. Die meisten Kollegen landen irgendwann bei zwei Büchern pro Jahr.

Sorry fürs Off-Topic, aber zu dieser Aussage habe ich eine "dumme" Frage: Wäre es dann nicht sinnvoller zu sagen, ich schreibe erstmal auf Vorrat (also so, dass die Manuskripte wirklich druckreif sind), und wenn man dann einige Manuskripte auf Halde hat, sich erst dann auf die Suche nach einem Verlag machen?
Was hat eigentlich He-Man studiert, dass er einen Master of the universe hat?

Schommes

Zitat von: Feuertraum am 10. Oktober 2011, 16:38:10
Sorry fürs Off-Topic, aber zu dieser Aussage habe ich eine "dumme" Frage: Wäre es dann nicht sinnvoller zu sagen, ich schreibe erstmal auf Vorrat (also so, dass die Manuskripte wirklich druckreif sind), und wenn man dann einige Manuskripte auf Halde hat, sich erst dann auf die Suche nach einem Verlag machen?

Korrekt. Nur die wenigsten Leute haben diese Geduld. Es könnte ja sein, dass man die ganze Zeit nur Ausschuss produziert.

Lavendel

Da es hier ja oft um Schreiben/Beziehung/Familie und die Zeitaufteilung dazwischen geht: Ich finde, in einer Partnerschaft (ob mit oder ohne Kind), sollte man  nicht nur gemeinsamen Raum zu schaffen (was nicht heißen soll, dass das nicht das wichtigste an Partnerschaft und Familie wäre), sondern man sollte auch versuchen, dem anderen den Raum zu freizuschaufeln, den er für sich selbst braucht. Zum Beispiel kann man als Partner ab und zu sagen, ich nehme am Sonntag den kleinen und fahre zu meinen Eltern/einer Freundin etc., dann kannst du in Ruhe schreiben (oder was auch immer, nicht nur zum Schreiben braucht man Zeit für sich). Dann lassen sich das Frühstück und der Abend für alle ganz entspannt gemeinsam verbringen.
Ansonsten kann es sehr hilfreich sein, sich feste Zeiten einzuplanen und die abzusprechen. Man muss als Schreibender da wohl selbst auch ein paar Opfer bringen, wenn man seine Ruhe haben möchte. Man kann eine Stunde früher aufstehen als sonst. Man kann aber auch mit dem Partner abklären, nach dem Abendessen eine Stunde im Arbeitszimmer zu verschwinden und dann zurückzukommen. Spricht man solche Regeln ab, kann das vieles leichter machen, auch wenn man wahrscheinlich trotzdem am Ende vor so vielen Ausnahmesituationen steht, dass die Regel zur Ausnahme wird (Schlachtpläne überleben nie den Feindkontakt ;) )

Im Großen und Ganzen denke ich, es ist weniger gut, sich zu sagen, wenn ich das eine mache, fehlt mir Zeit fürs andere, bzw. ich vernachlässige das andere. Damit macht man sich ein schlechtes Gewissen egal, was man gerade tut, und man produziert geradezu das Gefühl, es könne gar nicht alles unter einen Hut gehen. Besser wäre, sich zu sagen: Heute hatte ich jede Menge Zeit für mein Kind/meinen Partner/ ein gutes Buch/ zu schreiben etc.
Ich halte es für unglaublich wichtig, in einer Partnerschaft an einem Strang zu ziehen. Vorausgesetzt, man ist sich da einig, kann es ein echt tolles Gefühl sein, dem Partner auch seinen Freiraum zu ermöglichen, und sowas stärkt meiner Meinung nach auch die Beziehung. Es geht nicht darum, was zuerst kommt Hobby/Beruf oder Familie. 'Unter einen Hut bringen' ist meiner Meinung nach eine unglückliche Metapher, weil das klingt, als müsste man viele Dinge auf kleinem Raum zusammenquetschen. Für mich ist es wichtig, das man in einer Familie die Interessen der anderen Familienmitglieder als Teil des 'Organismus Famile' (kann man das so sagen? Mir fällt nichts besseres ein ...) sieht. Man gehört zusammen, und das bedeutet nicht unbedingt, dass der einzelne sich beschneidet, sondern dass man sich gegenseitig dabei unterstützt das zu tun, was einem wichtig ist. Für jemanden, der Schreibt und damit ein ziemlich beanspruchende Tätigkeit womöglich noch neben dem Beruf ausübt, gilt das ganz besonders.

Ich bin sicher in den allermeisten Fällen passiert das alles in euren Familien längst schon, aber ich finde, wenn man sich die Situation von dieser Seite aus klar macht, kann man manche Sachen einfach in einem anderen Bewusstsein angehen. Man sollte sich einfach gegenseitig gut finden. Man versuchen zu sehen, wie gut es ist, was der andere macht und wie gut es ist daran Anteil zu nehmen. Und durch das Anteil nehmen kommt das gemeinsam Erleben schon ziemlich von selbst, und wenn es dabei nur um Kleinkram geht (zum Beispiel, wenn ich mir den zehnten Internecomic durchlese, den mein Göttergatte so witzig findet, während ich von allein nie darauf kommen würde, mir sowas reinzuziehen).
Naja, jedenfalls sehe ich das so. Manche Paare denken ja, sie müssten ständig ganz großartige Dinge miteinander unternehmen. Das muss man eben nicht unbedingt.

Schreiben ist eben nicht nur ein Hobby. Es beansprucht einen mehr, als die Freizeitvergnügungen, denen andere Leute so frönen. Und da ist es ganz besonders wichtig, dass der Rest der Familie hinter einem steht und es gut findet, was man da macht.

HauntingWitch

Zitat von: Schommes am 10. Oktober 2011, 16:29:55
Landläufiger Erfahrung nach beschränkt sich das Erinnerungsvermögen der Leser (Ahh, den kenn ich, der hat was gutes geschrieben, den will ich wieder lesen) auf eine Spanne von einem Jahr im Schnitt. Klingt blöd, scheint aber so zu sein. Du musst also in diesem Zeitraum nachlegen oder noch schneller. Die meisten Kollegen landen irgendwann bei zwei Büchern pro Jahr.

Echt?  :o Das habe ich nicht gewusst. In dem Fall scheint mein Lesergedächtnis besonders gut zu sein, wenn ich den Namen eines Autors sehe kann ich in der Regel festmachen, was ich wann von ihm gelesen habe und ob ich es gut fand (der Inhalt kommt mir teilweise abhanden, aber meine Empfindungen gegenüber der Sache nicht). Wobei ich aber auch noch keine 1'000 oder so Bücher gelesen habe. ;)

Zwei Bücher pro Jahr wäre mir vermutlich auch zu viel Stress. Das mit dem auf Vorrat schreiben ist so eine Sache. Ich habe zum Beispiel ein Skript so gut wie fertig, ein Konzept für eine mögliche Fortsetzung steht, ausserdem ein weiteres, neues Skript angefangen, an dem ich jetzt kontinuierlich dran bin. Insofern, wenn ich jetzt in absehbarer Zeit einen Verlag für das erste Skript fände, hätte ich erstens bis dahin und zweitens bis zur Veröffentlichung wiederum Zeit für das andere, was dann wieder reifer wäre, so dass es bald nachgeschoben werden kann. Das ist aber nur Theorie. Denn in Realität ist es dann so, dass das Skript beim Lektorat noch einmal überarbeitet werden muss und ich dafür auch Zeit brauche. Ausserdem habe ich ja dann möglicherweise noch Werbe-Aufwand usw., was bestimmt auch nicht zu unterschätzen ist. Dann sollte ich irgendwann an dem zweiten Skript weitermachen, wo ich aber gewissermassen blockiert sein werde, dadurch, dass das erste ja Überarbeitung verlangt. Das überlappert sich und schwupps, hat man keine Zeit mehr. So schön die Schreibtätigkeit an sich auch ist, das ganze Drumherum braucht auch Zeit.

Wenn ich warten würde mit der Verlagssuche für das erste, bis das nächste fertig ist, wie Schommes sagt, die Geduld. Ich würde durchdrehen, denn ich weiss, ich brauche noch mindestens ein Jahr (und geschätzte eher zwei) für das neue Skript. Da ich aber nun schon drei Jahre an meinem fast fertigen gearbeitet habe, drückte es mir ganz schön auf die Psyche... so gesehen verstehe ich es schon, nur ich würde vermutlich das Risiko des Vergessens eingehen. Aber wahrscheinlich sieht auch das in der tatsächlichen Realität dann wieder anders aus. ;)

Lomax

Zitat von: Alana am 10. Oktober 2011, 11:33:45Ich weiß, was du meinst, aber trotzdem finde ich, dass der Vergleich hinkt.
Denn man kann atmen und sich gleichzeitig um das Kind kümmern.
Ehrlich gesagt, finde ich nicht wirklich, dass der Vergleich hinkt. Man gleichzeitig atmen und sich um das Kind kümmern - aber schon wenn es darum geht, sich um das Kind zu kümmern und den Lebensunterhalt zu verdienen, fangen die Kompromisse an. Und das war in der Geschichte der Menschheit niemals anders. Auch wenn es durchaus möglich ist, Früchte zu sammeln und Feldarbeit zu machen und gleichzeitig ein Auge auf das Kind zu halten, heißt das halt auch, dass die Aufmerksamkeit nicht mehr 100% beim Kind ist und das man halt irgendwie beides gleichzeitig tun muss. Das hieß aber niemals, dass den Eltern die Kinder weniger wert waren als Feldarbeit oder Essen sammeln. Es gehörte halt beides zum Leben und Überleben, und es musste beides gehen, weil es halt anders nicht ging.
Zitat von: Feuertraum am 10. Oktober 2011, 11:34:45Darum mag ich Ihre, Lomax', Argumentation, dass man keine Reihenfolge der Prioritäten setzen sollte, nicht unterschreiben.
... und darum mag ich mich auch Feuertraums Ansicht hier nicht anschließen. Es muss eben durchaus auch möglich sein, ein paar Sachen gleichzeitig und gleichwertig unterzubringen; die Prioritäten muss man setzten, wenn man entscheidet, was einem so überlebenswichtig ist, dass man es nicht zurückstellen kann. Eine weitere Abstufung zwischen diesen Dingen ist sinnlos. Wenn sich diese gleichermaßen nicht verzichtbaren Dinge nicht vereinbaren lassen, scheitert das Leben. Man kann das Problem nicht dadurch lösen, dass man eins davon als wichtiger einstuft und das andere zurückstuft - denn das würde auch auf das abfärben, was man retten will und am Ende alles vergiften.
  Wenn man allerdings Prioritäten setzen kann und das Schreiben beispielsweise zugunsten der Familie aufgeben und damit glücklich sein - dann war es halt nie ein lebenswichtiges Bedürfnis, sondern immer tatsächlich nur ein Hobby.

Es geht auch nicht wirklich um das "Aufteilen der Zeit". Was das betrifft, hätte ich beispielsweise keine Probleme, Partnerin oder Familie in jeder Einzelfallentscheidung Priorität zuzubilligen und mir halt für die Zeit zu nehmen. Ich bin eh leicht abzulenken. ;) Und wenn es schon so ist, dass ich in jedem konkreten Einzellfall, wo es wichtig ist, für die Familie dazusein, mir die Zeit für die Familie nehmen würde und mich gegen das schreiben entscheide, dann würde ich es auch für falsch halten, zu sagen, dass die Familie für mich eine niedrigere Priorität hat als das schreiben. Das wird dem Alltag nicht gerecht.
  Andererseits ist es halt auch so, wenn die Summe dieser Einzelfallentscheidungen dazu führen würde, dass ich gar nicht mehr zum Schreiben komme, dass ich beispielsweise mögliche Veröffentlichungen ausschlagen muss oder dass gar das Schreiben an sich prinzipiell durch Familie/Beziehung in Frage gestellt wird, dann weiß ich auch, dass dann auch die Beziehung nicht funktionieren wird. Ich habe selbst schon vor zwanzig Jahren erlebt, wie jeder soziale Kontakt, der dem schreiben wirklich im Weg steht, für mich vergiftet wurde. Ich merke, wie "das liebende Auge", mit dem man nahestehende Personen ja für gewöhnlich betrachtet, verloren geht, sobald ich sie als Bedrohung für mein Schreiben wahrnehme - und keine Beziehung, keine Familie kann ohne einen liebenden Blick bestehen. Ich merke, wie Widerwillen am Umgang in mir wächst.
  Das ist keine bewusste Entscheidung. Ich würde niemals in irgendeinem Einzelfall sagen, "ich hab jetzt keine Zeit für Familie/ich kann das jetzt nicht mit meiner Partnerin unternehmen, weil ich schreiben muss". Aber es verändert meine Haltung gegen Menschen, ganz langsam und unmerklich.
  Deshalb mein Vergleich mit dem atmen - und deshalb denke ich auch nicht, dass der Vergleich hinkt. Wenn einem Partner in der Beziehung buchstäblich die Luft zum atmen fehlt, erstickt er irgendwann, und damit ist die Beziehung auch zu Ende - selbst wenn derjenige gerne bereit war, seinem Partner die höchste Priorität einzuräumen und aufs atmen zu verzichten. Und wenn irgendwas bei mir verquer zum schreiben (Geschichtenerzählen  ;)) steht, dann vergiftet das über kurz oder lang mein Verhältnis zu diesem Menschen/diesen Umstand/was auch immer es ist.
  Und zwar selbst dann, wenn ich in jedem einzelnen Fall mich für dieses "andere" entscheiden würde, und wenn ich es gerne tue. Aber man kann halt nicht beides haben: Umgang mit mir pflegen und meinem natürlichen Bedürfnis im Weg stehen. Das ist kein Problem, dass man mit "Prioritäten" lösen kann. Wenn ich mich wirklich für einen Partner (oder für einen Kind, für eine Bekanntschaft) und gegen das schreiben entscheiden müsste, würde ich den betreffenden irgendwann hassen. Oder vielleicht nicht hassen, nicht bewusst, ich würde diese Person immer noch lieben und für meinen Freund halten oder was auch immer, aber ich würde im Umgang unbewusst Dinge tun, die dieser Person wehtun, bis sie irgendwann keine Lust mehr auf den Umgang hat und froh ist, wenn ich stattdessen was anderes tue, und bis auf diese Weise ganz von selbst der Umgang zum Schreiben entsteht.
  Hab ich alles schon erlebt und weiß, wie der Mechanismus funktioniert. Ich glaube also nicht, dass ich wirklich irgendjemandem einen Gefallen täte, wenn ich irgendwann bewusst entscheide, dass ich dieser Person die höchste Priorität in meinem Leben einräume und aufs Schreiben verzichte, um möchlichst viel Zeit für sie zu haben. Was für einen Wert hätte es also, so eine entweder/oder Entscheidung zu treffen und "klare Prioritäten" zu setzen?
Zitat von: Schommes am 10. Oktober 2011, 15:05:22Wenn ich Ihr dann jedesmal entgegenhalten würde, na Du hast halt einen SchreiberSportlerSänger geheiratet, wird sie dieses Argument auf Dauer wohl kaum zufrieden stellen.
Aber ich denke, genau so ist es nun einmal. Es ist, wie gesagt, nichts, was man dem anderen im Einzelfall entgegenhalten sollte. Würde ich auch nie tun - wie gesagt, ich denke mal, in jedem Einzelfall würde ich halt nicht zum schreiben kommen und mir Zeit für die Menschen nehmen.
  Aber im großen und ganzen ist dieser Satz genau das, was das Umfeld akzeptieren muss, wenn es funktionieren soll. Am besten unausgesprochen, oder wenn es gesagt wird, nicht unbedingt dann, wenn man tatsächlich mal seinem Partner eine Abfuhr erteilt. Aber ich denke, wer mit einem Künstler zusammen ist, egal auf welchem Gebiet, der muss genau das akzeptieren, oder es funktioniert nicht.
  Die Geschichte der Literatur und anderer Kunstfelder ist voll von Biographien, die das zumindest für viele Fälle belegen, und ich kann das aus meiner Sicht nur bestätigen.

Lomax

Zitat von: Schommes am 10. Oktober 2011, 16:29:55Landläufiger Erfahrung nach beschränkt sich das Erinnerungsvermögen der Leser (Ahh, den kenn ich, der hat was gutes geschrieben, den will ich wieder lesen) auf eine Spanne von einem Jahr im Schnitt. Klingt blöd, scheint aber so zu sein. Du musst also in diesem Zeitraum nachlegen oder noch schneller.
Das kann ich übrigens bestätigen. Genau das wurde mir auch so gesagt, bevor ich meinen ersten Roman rausgebracht habe.

Sobald mehr als ein Jahr zwischen zwei Büchern liegt (+/- ein paar Monaten, so exakt ist die Grenze auch nicht), fängt man wieder von vorne an. Jedenfalls in der Genreliteratur - die Hochliteratur mag ein besseres Gedächtnis haben, wenn man sich da den Output so manches Kollegen anschaut  ;)

Runaway

Zitat von: Lavendel am 10. Oktober 2011, 17:12:09
'Unter einen Hut bringen' ist meiner Meinung nach eine unglückliche Metapher, weil das klingt, als müsste man viele Dinge auf kleinem Raum zusammenquetschen.
Also genau so fühlt sich das für mich auch an. Es soll halt nix zu kurz kommen. Das ist ein ganz schöner Gewaltakt...
Dafür hab ich aber auch mal festgestellt, daß ich wesentlich weniger konsumiere als andere Leute, sondern viel mehr produziere. Während andere im Netz surfen, fernsehen, Spiele spielen, Bücher lesen oder sonstwas, schreibe ich. Ich kann mich nicht passiv berieseln lassen. Nur selten - nur zur Ablenkung oder zum Pause machen.

Zitat von: Lomax am 10. Oktober 2011, 17:30:58
  Deshalb mein Vergleich mit dem atmen - und deshalb denke ich auch nicht, dass der Vergleich hinkt. Wenn einem Partner in der Beziehung buchstäblich die Luft zum atmen fehlt, erstickt er irgendwann, und damit ist die Beziehung auch zu Ende - selbst wenn derjenige gerne bereit war, seinem Partner die höchste Priorität einzuräumen und aufs atmen zu verzichten. Und wenn irgendwas bei mir verquer zum schreiben (Geschichtenerzählen  ;)) steht, dann vergiftet das über kurz oder lang mein Verhältnis zu diesem Menschen/diesen Umstand/was auch immer es ist.
  Und zwar selbst dann, wenn ich in jedem einzelnen Fall mich für dieses "andere" entscheiden würde, und wenn ich es gerne tue. Aber man kann halt nicht beides haben: Umgang mit mir pflegen und meinem natürlichen Bedürfnis im Weg stehen. Das ist kein Problem, dass man mit "Prioritäten" lösen kann. Wenn ich mich wirklich für einen Partner (oder für einen Kind, für eine Bekanntschaft) und gegen das schreiben entscheiden müsste, würde ich den betreffenden irgendwann hassen. Oder vielleicht nicht hassen, nicht bewusst, ich würde diese Person immer noch lieben und für meinen Freund halten oder was auch immer, aber ich würde im Umgang unbewusst Dinge tun, die dieser Person wehtun, bis sie irgendwann keine Lust mehr auf den Umgang hat und froh ist, wenn ich stattdessen was anderes tue, und bis auf diese Weise ganz von selbst der Umgang zum Schreiben entsteht.
Ganz genauso empfinde ich das auch. Ich hatte nur irgendwie gerade nicht die passenden Worte, um das so zu beschreiben und so auf den Punkt zu bringen. Es klingt natürlich auch brutal und hart, aber so ist es gar nicht gemeint. Nicht wertend. Es ist eben einfach eine Tatsache.
Jetzt ist mir natürlich grad der Name entfallen, aber vor ein paar Jahren kam ein junger Autor mit Mitte 20 ganz groß raus, der kompromißlos nach dem Abi gesagt hat: Ich mach jetzt nix (kein Studium oder eine Ausbildung), sondern ich jobbe nur, um viel Zeit fürs Schreiben zu haben.
Diese Kompromißlosigkeit fehlt mir, obwohl ich ihn soooo gut verstehen kann... Vielleicht hat mich auch nur gerettet, daß ich auch noch andere Interessen hab, von denen ich mir vorstellen konnte/kann, sie zum Broterwerb zu nutzen. Sonst hätte ich vielleicht auch so etwas gemacht...

Zitat von: Lomax am 10. Oktober 2011, 17:30:58
Wenn man allerdings Prioritäten setzen kann und das Schreiben beispielsweise zugunsten der Familie aufgeben und damit glücklich sein - dann war es halt nie ein lebenswichtiges Bedürfnis, sondern immer tatsächlich nur ein Hobby.
Davon bin ich überzeugt. Uneingeschränkt.

Zitat von: Lomax am 10. Oktober 2011, 17:30:58
  Aber im großen und ganzen ist dieser Satz genau das, was das Umfeld akzeptieren muss, wenn es funktionieren soll. Am besten unausgesprochen, oder wenn es gesagt wird, nicht unbedingt dann, wenn man tatsächlich mal seinem Partner eine Abfuhr erteilt. Aber ich denke, wer mit einem Künstler zusammen ist, egal auf welchem Gebiet, der muss genau das akzeptieren, oder es funktioniert nicht.
Und deshalb fand ich es nur fair, meinem Freund das vorher zu sagen, weil das damals schon ein Thema für mich war. Ich hätte es akzeptiert, wenn er damit nicht klargekommen wäre - muß ich ja schließlich auch.
Aber er akzeptiert es, und das finde ich ganz großartig und dafür bin ich sehr dankbar!