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[Praxis] Wie man eine verdammt gute (System-) Dystopie schreibt

Begonnen von Sorella, 30. April 2011, 13:39:58

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Erdbeere

Diese Auflistung der einzelnen Baukästen ist äusserst interessant und werden bei mir bestimmt noch Verwendung finden. Danke schon mal dafür, Sorella.

In Schöne Neue Welt und Equillibrium wird den Menschen im System eine Pille bzw. ein Medikament verabreicht, das ihre Emotionen lahm legt und im Falle von Huxleys Schöner Neuer Welt die Menschen glauben lässt, sie seinen glücklich. Nur durch harte Strafen, wie Churke sie so schön aufgezählt hat, lässt sich ein dystopisches System kaum aufrecht halten.

Die Menschen ausserhalb des Systems können als Wilde oder Barbaren bezeichnet werden, mit denen niemand innerhalb des System tauschen will.

In früheren Dystopien wurde als Warnung oft die Symbolik des Nationalsozialismus oder des Kommunismus mit einbezogen. V for Vendetta ist ein schönes Beispiel, da wird England von einer faschistischen Partei regiert. In manchen Dystopien können auch religiöse Symbole vorkommen oder im Gegenteil, unter androhung von strengsten Strafen verboten sein, was allerdings mMn nur in einem System funktioniert, welches sich als absolut religionsfrei bezeichnet.

Ich finde jedoch, dass der Protagonist nicht zwangsläufig gegen das System rebellieren muss (vor allem muss er ja zuerst merken, dass das System nicht richtig ist). Es kann auch sein, dass er durch puren Zufall aus dem System fällt und mit aller Kraft versucht, wieder hinein zu kommen, woran er am Ende scheitert.

Hm, vielleicht sollte ich mehr dystopische Bücher lesen. Das Thema fasziniert mich nämlich ungemein.  :hmmm:

Sorella

*inSchnappatmungverfall*
Für alle Dystopie-Interessierten Handwerker habe ich einen genialen Link gefunden, er passt prima zu meiner Ansatzsammlung. Es werden unter anderem mögliche Szenarien oder auch Gesellschaftsformen beschrieben uvm.
http://dystopischeliteratur.org/

Danke, Romy, Churke und Erdbeere für euere Gedanken. Ich habe in den nächsten Tagen vor, den o. g. Link noch zu analysieren und für die Zusammenfassung zu verwenden. Euere Anregungen werde ich mit einfließen lassen und in den ersten Post des Threads eben als Zusammenfassung stellen.
Diese können wir dann immer weiter ergänzen, solange jemandem zu dem Thema was Neues einfällt.  :jau:

Romy

Danke für den Link Sorella. Ich hab grad nur mal reingeguckt, aber das sieht wirklich seeeehr vielversprechend aus. Da muss ich mal stöbern gehen. :D

Zu den drei Protatypen, die ich gestern genannt habe, ist mir noch ein klassischer Typ eingefallen:
Ein Prota, der fest in Gesellschaft und System integriert ist und dem es rundum gut geht. Der dann aber durch irgendetwas aufgerüttelt wird oder durch "Zufall" in irgendwas verwickelt wird, was ihn zum Umdenken bringt.

Mir ist auch wieder der Film Aeon Flux eingefallen. Okay, über den kann man streiten. Charlize Theron rennt den Großteil des Films halbnackt rum und ständig fliegen Kugeln durch die Gegend, aber von der Idee fand ich ihn trotzdem sehr ungewöhnlich, es ist aber auch schon viiiiel zu lange her, dass ich ihn gesehen habe.
Sie ist die Rebellin (klassische Sache) und soll ihn, den großen Regierungschef (zweiter Prota) umbringen, der ja vermeindlich für alle Missstände verantwortlich ist. Es stellt sich dann aber heraus, dass er eigentlich recht unschuldig ist und in Wahrheit eigentlich einer seiner Berater (sein Bruder glaube ich?) für alles verantwortlich ist, aber den Namen des Regierungschefs immer vorgeschoben hat. Der ist ein weltfremder Typ und hat von allem nichts mitgekriegt und ist völlig überrascht, dass er plötzlich umgebracht werden soll ...


Zitat von: Erdbeere am 02. Mai 2011, 16:20:01
Hm, vielleicht sollte ich mehr dystopische Bücher lesen. Das Thema fasziniert mich nämlich ungemein.  :hmmm:
Geht mir ganz genauso. Vor allem sollte ich mal verstärkt Bücher in die Richtung lesen. Filme habe ich doch einige gesehen, wie mir klar wird, je mehr ich darüber nachdenke.

Churke

Zitat von: Erdbeere am 02. Mai 2011, 16:20:01
Die Menschen ausserhalb des Systems können als Wilde oder Barbaren bezeichnet werden, mit denen niemand innerhalb des System tauschen will.

Da wird es dann wirklich verzwickt: Wenn man ein dystopisches System hat, zu dem es augenscheinlich keine Alternative gibt, befindet sich der Held in einem ausweglosen Dilemma.

Das ist eigentlich auch in Aeon Fluxx so. Das System ist neudeutsch gesagt alternativlos. Den bösen Bruder gibt es nur, um das System auflösen zu können.

zDatze

ZitatWenn man ein dystopisches System hat, zu dem es augenscheinlich keine Alternative gibt, befindet sich der Held in einem ausweglosen Dilemma.
Darf man den Held denn auch in diesem Dilemma stecken lassen? Es wird am System gerüttelt, aber es kann nicht gebrochen werden und am Ende läuft alles weiter wie vorher? Ich finde den Gedanken sehr verlockend, aber ich glaube, die Leser würden den Autor dafür hassen. ::)

Sorella

Zitat von: zDatze am 03. Mai 2011, 11:00:06
Ich finde den Gedanken sehr verlockend, aber ich glaube, die Leser würden den Autor dafür hassen. ::)

Ja genau, diese Bedenken hätte ich auch ... Hmm.

Thaliope

Für mich gehört das eigentlich zum Wesensmerkmal einer Dystopie: Dass das System am Ende erhalten bleibt. Dystopien müssen nach meinem Verständnis eigentlich ein unangenehmes Gefühl beim Leser hinterlassen - sofern man damit etwas aussagen möchte.

Churke

Zitat von: Thaliope am 03. Mai 2011, 11:36:47
Für mich gehört das eigentlich zum Wesensmerkmal einer Dystopie: Dass das System am Ende erhalten bleibt.

Hier muss sich der Dichter entscheiden, was er damit sagen will. Obsiegt das System, dann steht dahinter die Aussage, dass der Einzelne dem übermächtigen System ausgeliefert ist.
Bricht das System zusammen, ist es eben doch nicht allmächtig.
Meiner Meinung nach ist der Zeitpunkt kurz vor dem Zusammenbruch der interessanteste. Denn dann tritt die Realitätsverweigerung am offensten zutage.

Schommes

So, ich habs mal versucht. Sorry, dass es so lange gedauert hat. Ich habe mitunter aus Euren Beiträgen mit gesaugt. Die Links habe ich links liegen lassen, um mir selber nicht den Spaß am selbst entwickeln zu verderben.

CAVEAT aus gegebenem Anlass:
Ein Schema ist eine Denkhilfe, kein Dogma. Gute Romane entstehen oft durch Beherrschung des Schemas. Hervorragende Romane entstehen oft durch (teilweise) Überwindung des Schemas. Zu weite Entfernung vom Schema stört indes den notwendigen Wiedererkennungseffekt beim Leser.

System-Dystopie:
Setting:
Fundament ist die Ist- Welt. Das dystopische Setting ist eine Weiterentwicklung dieser Ist-Welt. Oft wird sie daher in die Zukunft verlagert, womit sie sich mitunter mit der SF überschneidet. Die Welt des dystopischen Romans muss für den Leser als imperfekt erkennbar sein bzw. im Laufe des Romans werden. Dies geschieht im Regelfall in dem ein oder mehrere Parameter der Welt des Protagonisten im Vergleich zur Ist-Welt ins Negative projiziert werden. Z.B. starke Einschränkung der bürgerlichen Freiheitsrechte, Ressourcenmangel, gesundheitsschädliche Umwelt, übergriffige Exekutivorgane, starke gesellschaftliche Spaltungen, extreme Eingriffe in Bereiche persönlicher Lebensgestaltung, starke Betonung aggressiver gesellschaftlicher Impulse etc. pp. Die Veränderungen gehen, soweit sie soziologischer Natur sind, oft auf eine herrschende Kaste zurück. Zweck der Veränderungen kann purer Machterhalt sein, ist aber oft eher die Bekämpfung einer von diesen Herrschenden als negativ empfundenen gesellschaftlichen Entwicklung mit extremsten Mitteln (Die zur Dystopie gewordene Utopie). Da die extremen Einschränkungen notwendigerweise Widerstände hervorrufen ist die Herrschaftsform häufig eine Art von Diktatur, die sich z.B. auf faschistoide Gewalt, geistige Manipulation, starken Konformitätsdruck, künstliche Verknappung oder Kontrolle von Ressourcen und/oder auf gezielte Fehlinformation stützt (manchmal betrifft die dystopische Entwicklung allerdings auch nur Teile dessen was wir unter dem Begriff Staat verstehen, z.B. ausschließlich die Justiz oder die Gesundheitsverwaltung etc.). Häufig stellt die herrschende Kaste im Verhältnis zu den Beherrschten eine relative Minderheit dar. Der mitunter vorhandene, bereits erwähnte futuristische Aspekt von Dystopien kommt häufig dadurch zum Ausdruck, dass fiktive Technologien das Mittel des Machterhalts der herrschenden Kaste sind und die Phänomenologie der dystopischen Welt mitunter deutlich prägen. Dabei kann die Technik im Rahmen einer Mangelgesellschaft selbst düster und mangelhafte daherkommen, oder im Gegenteil klinisch perfekt. In manchen Dystopien gibt es jenseits der Grenzen der dystopischen Welt eine Art Gegenwelt, die sich insbesondere durch die Abwesenheit der dystopischen Elemente auszeichnet, die also ein Ort der Fülle, der Freiheit, der Würde ist etc. Es liegt dann in der Natur der dystopischen Welt, sich gegen diese Gegenwelt abzugrenzen, oft im manifesten Sinne des Wortes. Ein weiterer Wesenszug der dystopischen Welt ist oft das Vorhandensein von strukturellem Widerstand meist in subversiver Form. Bei den eher technoid gehaltenen Dystopien wendet der Widerstand mitunter die technischen Errungenschaften der herrschenden Kasten gegen diese.

Klassische Charaktere der Dystopie:
Der Protagonist der Dystopie ist recht häufig ein Vertreter der herrschenden Kaste, der im Verlauf der Handlung einen Moment der Desillusionierung erlebt. In diesem Fall zeichnet er sich gegenüber weiteren Figuren meist durch seine privilegierte Stellung aus, die ihm eine bessere Versorgung, Bildung etc. ermöglicht. Ein solcher Protagonist ist nach dem Moment der Desillusionierung deswegen ein besonders gefährlicher Feind für die herrschende Kaste, da er Insiderwissen besitzt. Möglich ist natürlich auch eine Konstruktion in welcher der Held dem Widerstand gegen die herrschende Kaste angehört. Aus dramaturgischen Gründen ist eine solche Konstruktion eher selten, den die Dystopie mit ihrer negativen und antiromantischen Unterströmung erlaubt kaum einen als ,,Happy End" zu wertenden unbedingten Sieg eines solchen Helden (ich werde daher im Weiteren nicht darauf eingehen). Eine weitere häufig vertretene Variante ist der neutrale Held, der weder der herrschenden Kaste noch dem Widerstand sondern quasi dem gemeinen Volk angehört. Oft hegt er zwar negative Gefühle gegenüber der herrschenden Kaste, beugt sich aber ihrem Konformitätsdruck.
Der Protagonist als Teil der herrschenden Kaste hat nicht selten einen Sidekick, der wie er selbst dem System angehört. In diesem Fall wird sich der Weg der beiden nach der Desillusionierung des Helden notwendigerweise trennen und der Sidekick wird meist zum (Haupt-)Antagonisten den Helden. Es gibt allerdings auch den Fall, dass sich der Sidekick des Protagonisten quasi als Shapeshifter zu irgendeinem Zeitpunkt der Handlung als Angehöriger des Widerstands entpuppt, sei es um den Protagonisten bei seinem Kampf gegen das System zu unterstützen, sei es, um als von der herrschenden Kaste bestimmtes Opfer des Protagonisten dessen Desillusionierung zu bewirken.
Die Desillusionierung des Protagonisten wird nicht selten auch durch eine Frau als Versucherin (die bei weiblichen Protagonisten natürlich auch ein Mann sein kann), die dann im weiteren Verlauf der Handlung zur romantischen Beziehung des Protagonisten wird. Nicht selten fällt er/sie der herrschenden Kaste zum Opfer.
Die Freunde, die der Protagonist im Verlauf der Handlung gewinnt, sind oft Angehörige des Widerstands, die ihm dann gegen Antagonist und herrschende Kaste zur Seite stehen.  Einige Angehörige dieses Widerstands können Shapeshifter also in Wahrheit Vertreter des Systems sein. Umgekehrt kann der Protagonist im Verlauf der Handlung innerhalb der herrschenden Kaste auf unverhoffte Freunde des Widerstands entdecken.
Auch in Dystopien gibt es manchmal orakelhafte Gestalten, die dem Protagonisten über die Schwelle der Desillusionierung helfen, indem sie ihn über den ,,wahren" Charakter des Systems aufklären.
Auch kann es einen Propheten geben, der z.B. in der Rolle des Führers des Widerstands auftritt und dann nicht selten zum Opfer wird.
Der Antagonist des Helden ist in jedem Fall ein Vertreter der herrschenden Kaste, oft gerade deren Führer oder zumindest  ein hohes Mitglieder Hierarchie. Solche Antagonisten sind zu Beginn der Handlung oft Mentoren des Protagonisten, die sich erst nach seiner Desillusionierung gegen ihn wenden. Wie bereits geschildert kann der Antagonist aber auch der anfänglich gleichgestellte Sidekick des Helden sein, der insofern dann später die ansonsten recht unsichtbare herrschende Kaste personifiziert. Ist der Protagonist zu Anfang Teil des Systems, so kann der Antagonist in seltenen Fällen auch gerade Teil des Widerstands sein, der dessen Zwecke mit extremen Mitteln verfolgt und dadurch für den Leser trotz seiner verständlichen Motivation zwiespältig wirkt. Eine solche Dystopie endet dann regelmäßig damit, dass der Antagonist sich nach einem Moment gegenseitigen Annäherung letztendlich opfert, um dem Protagonisten endgültig die Augen zu opfern bzw. ihm den entscheidenden Anstoß oder das Mittel zur Überwindung des Systems in die Hände zu geben.

Plot:
Die Dystopie beginnt wie die meisten Heldenreisen oft mit der Schilderung der Ist-Welt mittels derer der Leser die Besonderheiten der Dystopie kennenlernt. Eine Schilderung ist Rückblenden ist denkbar aber wegen der notwendigen Informationsfülle schwierig, eine gemischte Darstellung recht üblich. In diesem Teil ist Wert auf die Unterschiede der Lebenswelten der herrschenden Kaste, der Normalmenschen und (falls vorhanden) des Widerstands zu legen.
Ein Held der Teil des Systems ist oder diesem mehr oder weniger neutral gegenüber steht bedarf eines Momentes der Desillusionierung, der zugleich Plot Point 1 der Handlung ist und demgemäß in aller Regel spätestens nach einem Viertel der Seiten erfolgen sollte. Die Desillusionierung kann auf die verschiedensten Arten erfolgen:
•   Der Held erhält unverhofft Insiderinformationen über die wahre Natur des Systems
•   Eine d andere Figur wird Opfer des Systems. Diese Figur ist dem Helden sympathisch und/oder die Opferung geschieht in besonders extremer Form
•   Der Held wird unversehens selber zum Opfer des Systems
•   Der Widerstand tritt mit dem Held in Verbindung um ihn zu erwecken. Dies kann auch gewaltsam geschehen oder – wie oben geschildert – durch die Frau als Versucherin.
Diese Desillusionierung setzt den Helden in Gegensatz zum System/zur herrschenden Kaste und damit die Handlung in Gang.
Über den Mittelteil der Handlung lässt sich wegen der Variationsbreite der denkbaren Abläufe am wenigsten sagen. Allgemein wird es so sein, dass der Held hier die weitere Vertiefung seines Konfliktes mit dem System erlebt, sich für den Kampf mit diesem rüstet, indem er sich informiert, Unterstützung gewinnt und ,,Waffen" findet. Die Dystopie mit ihrer eher düsteren Zeichnung bedingt einen opferreichen Gang des Helden auch in dieser Phase.
Der Plotpoint 2 bzw. die ,,tiefste Höhle" besteht wie in den meisten Abenteuergenres in der finalen Konfrontation von Protagonist und Antagonist. Hierbei wird in aller Regel der Protagonist als Vertreter des Widerstands und der Antagonist als Vertreter bzw. das System selbst auftreten, allerdings kann es – wie oben geschildert – auch umgekehrt sein. Kämpft der Held für den Widerstand wendet er in dieser Situation häufig die Machterhaltungsmethodik des Systems gegen dieses. In aller Regel endet die finale Konfrontation mit der physischen oder symbolischen Auslöschung des Antagonisten. Wird hierbei der Antagonist als Widerstandskämpfer geopfert, so bewirkt dies zugleich die endgültige Desillusionierung des Protagonisten bzw. seine finale Konfrontation mit der herrschenden Kaste.
Im auf den Plotpoint 2 folgenden Denouement nutzt der Protagonist seine neugewonnenen Fähigkeiten meist zur endgültigen Beseitigung des Systems, z.B. indem er dem Volk die Augen öffnet, die herrschende Kaste besiegt oder den Machterhaltungsapparat des Systems zerstört. In anderen Fällen nutzt der Protagonist seine Fähigkeiten zur Flucht aus dem System in die Gegenwelt. Nicht undenkbar ist auch die Beendigung der finalen Konfrontation mit der Auslöschung des Helden (der dabei oft mit dem Antagonisten zum Doppelopfer wird). In diesem Fall fordert die gängige Dramaturgie das symbolische Überleben des Helden in Form eines physischen oder geistigen Kindes, also eines Nachkommen, einer überlebenden geliebten Person, einer Hinterlassenschaft die dann oft die Befreiung vom System zur Folge hat oder zumindest andeutet. In einer Dystopie ist es nicht unbedingt erforderlich, die Überwindung des Systems im Denouement zu zeigen. Nicht selten wird nur ihre Möglichkeit angedeutet aber letztlich offen gelassen. Entscheidet sich der Autor dafür eine komplette Überwindung des Systems zu zeigen, so kann der düstere Charakter des Dystopie dadurch erhalten bleiben, dass die Möglichkeit einer Rückkehr des alten Systems angedeutet wird.
Stil:
Die Dystopie ist definitionsgemäß ein negatives Szenario. Daher wird ihr Stil in der Regel schwer und düster sein, allerdings nicht elegisch oder gar episch. Die Sprache der handelnden Figuren wird oft von knapp und scharf sein. Witz fließt zumeist in der Form von Sarkasmus oder Lakonik in die Schilderung und Sprache ein. Dramaturgische Fallhöhe entsteht oft durch die Gegenüberstellung der Wärme menschlicher Beziehung und der Kälte der Welt in der sie stattfinden. Die Schilderung romantischer Beziehung wird die Rauheit der Welt, in der sie stattfinden, zumeist reflektieren.

Ditt war et. Viel Spaß beim Ergänzen, Ändern und dran reiben. Fledderung zum Zwecke der Weiterentwicklung ist ausdrücklich erwünscht. Es ist wirklich nur als Baukasten gedacht.

Liebe Grußies, Thomas

Sorella

#24
WOW! Äh, Leute ihr seid alle genial. Danke Thomas, dass du deine umfangreichen Werkzeuge zur Verfügung stellst. Das ist wirklich ein unschätzbarer Gewinn für den Thread. Bist du nicht der Autor Thomas Elbel dessen Debütroman "Asylon" im August 2011 bei Piper erscheint? Eine Dystopie, wie ich gehört habe.
;D

Jede Menge Stoff für mich, den ich in (hoffentlich) strukturierter Form im ersten Post dieses Threads zusammenstellen werde. Bin heute leider mobil unterwegs und tippe mir die Finger auf dem Smartphone wund. Wenn ich wieder zuhause bin mache ich mich daran.

Dann können wir wunderbar weiter zusammentragen, bis uns nix mehr einfällt (oder wir machen einen Ratgeber draus und verdienen Kohle damit ...Quatsch- Sorry ich bin ein unverbesserlicher Kapitalist)


Schommes

#25
Es folgt eine Liste aller mir persönlich bekannten(System- Dystopien), die mir eingefallen sind und die Ihr anderen gerne ergänzen oder für die Streichung vorschlagen könnt.
[EDIT] Liste in Extrathread verlegt. Guckstu hier: http://forum.tintenzirkel.de/index.php/topic,7774.0.html

Churke

Dystopien müssen nicht immmer erfundene, literarische Konstrukte sein. Es gab (gibt?) Dystopien oder Gesellschaften mit dystopischen Zügen auch in der Realität.

- Der Sozialismus des 20. Jahrhunderts.
- Die stalinistische Kleptokratie in Nordkorea.
- Der Terror der Wohlfahrtsausschusses in der Französischen Revolution.
- Salazars Neuer Staat in Portugal.
- Das Imperium Romanum von 313 - 636.

Irgendwie typisch für solche Systeme ist eine ausgeprägte Realitätsverweigerung, die besonders in der Endphase realsatirische Züge annehmen kann.

Schommes

Zitat von: Churke am 04. Mai 2011, 15:31:21
Dystopien müssen nicht immmer erfundene, literarische Konstrukte sein. Es gab (gibt?) Dystopien oder Gesellschaften mit dystopischen Zügen auch in der Realität.
Lieber Churke, Du erwähntest so was ähnliches bereits in dem anderen Thread. Aber hier geht es der Natur des Forums entsprechend meines Erachtens eben um die erfundene Dystopie. Solltest Du allerdings irgendwann einmal im Sinne haben, eine reale Dystopie aufzubauen (nach Schema oder ohne) sag mir bitte unbedingt Bescheid. Ich bin sofort dabei.

gbwolf

Die Sache mit der erfundenen Dystopie sehe ich eigentlich wie Churke: Man kann sehr gut irdische Beispiele und dazu nutzen, entweder Dystopien in Fantasywelten zu konstruieren oder zu überlegen, weshalb diese Systeme so dystopisch wurden.
Das ist auch ein Ansatz, den ich gerne verfolge, wenn ich SF schreibe. Es muss auch nicht immer gleich ein Staat sein, finde ich. Eine Gesellschaft beschränkt sich manchmal schon auf wesentlich kleinere Systeme. Mich gruselt es zum Beispiel, wenn ich sehe, welchen Schaden wohltätige Organisationen anrichten können mit "gut gemeint ist nicht gut gemacht". Da entstehen in Krisenregionen und Entwicklungsländern Schäden, die für die Einheimischen ein dystopischer Alptraum sein müssen!
Momentan schmöckere ich mich durch die Homepage und die Lizenzsausgaben der Bundeszentrale für politische Bildung und ganz allgemein durch Romane und Sachbücher zu gesellschaftwissenschaftlichen Themen. Da lagern so unendlich viele Erfahrungen und Ideen.

Eine gute Dystopie macht für mich aus, wenn nicht nur der Protagonist größtmöglichen Schrecken erlebt, sondern für mich als Leser ein ungutes Gefühl zurück bleibt, ein "Da könntest du ganz schnell selbst drin stecken".

Schommes

Liebe Wölfin, natürlich kann das eine gute Inspirationsquelle z.B. für den look and feel einer dystopischen Welt sein. Aber erstens geht es darum in diesem Thread (anders als mittlerweile in dem anderen, den ich aufgesetzt hatte) eben nicht. Und außerdem halte ich es für einen relativen Anfänger für extrem schwierig einen Plot um eine gehaltvolle politische Botschaft herumzustricken. Ich hatte es glaube ich an anderer Stelle schon mal erwähnt: Wenn man in sowas nicht sehr geübt ist, gerät das ganze leicht krampfig und für den Leser unangenehm pädagogisch. Kurz gesagt, ich bin kein Freund von Büchern, die mir allzudeutlich eine Botschaft vermitteln wollen und diese über den Unterhaltungsfaktor setzen. Ist natürlich nur meine Meinung.