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Wie ausgeklügelt muss/sollte eine Welt eigentlich sein?

Begonnen von Sonnenblumenfee, 27. Februar 2011, 12:22:17

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HauntingWitch

Zitat von: Sternsaphir am 24. März 2014, 14:01:25
Ich habe mich früher in seitenweise Landschaftsbeschreibungen verloren.

Wie macht man das? Ansonsten gebe ich dir zwar Recht, es gibt auch zu viel des Guten. Aber ich habe oft das Gefühl, dass meine Beschreibungen zu knapp sind. Wie beschreibt man eine Landschaft seitenweise? Ich könnte das gar nicht und bin immer wieder fasziniert, wenn ich darauf stosse. Allerdings auch schnell etwas gelangweilt.  ;)

Und ich schleisse mich FeeamPC an, in den Bergen gibt es tatsächlich oft auch viele Seen.

Zur Titelfrage: Ich sage ja immer, wie besser man sich mit etwas auskennt, umso besser kann man es beschreiben, aber manchmal reicht das Wesentliche tatsächlich aus. Die Leser machen sich nicht halb so viele Gedanken wi wir. Um bei Sonnenblumenfees Beispiel zu bleiben: Natürlich würde es reichen, nur Europa genau zu kennen. Ich für mich finde, ich muss aber zumindest wissen, dass es da noch irgendwo ein Australien gibt. Ausfüllen würde ich es dann zu gegebenem Zeitpunkt und wenn dieser nie kommt, dann kenne ich eben nur mein Europa. ;) Bei mir entwickeln sich die Welten auch aus und mit der Geschichte, ich konstruiere nicht vorher ein Korsett, in das die Geschichte dann gefälligst reinpassen soll. Aber ich denke, letztlich muss jeder für sich entscheiden, welche Arbeitsweise ihm am liebsten ist.

Exilfranke

Zitat von: Nandriel am 24. März 2014, 15:28:29
Ich denke, das ist auch generell die Art von Exploration, die ich persönlich meistens (aber nicht immer!) bevorzuge.
Es ist eher schwer, in dieser Hinsicht generelle Aussagen zu treffen, da ein Großteil meiner Sympathie oder auch Antipathie für eine Welt und deren Darstellung davon abhängt, wie und zu welchem Zeitpunkt ich darüber etwas erfahre. Ich meine, dass ich, je weiter die Welt von meiner Realität entfernt ist, stärker detailreiche Schilderungen bevorzuge und nur in dem Fall, dass der Protagonist dort ebenfalls fremd ist, ein gemeinsames Entdecken mag. Wobei ich jedoch generell ärgerlich werde, wenn bei solchen Welten dann zu viel Detektivarbeit notwendig wird, denn das wirkt dann schnell gekünstelt.
Anders ausgedrückt: Ich liebe es, wenn in fremden Welten große Räume aufgetan und ich an die Grenzen meiner Vorstellungskraft (und darüber hinaus) gebracht werde. Wenn aber die Welt anders funktioniert als ich das aus meinem "Weltwissen" heraus verstehen und nachvollziehen kann, dann muss ich darüber aufgeklärt werden, da ich sonst unweigerlich falsche Annahmen treffe bzw. Rückschlüsse ziehe, die mich, sofern sie nicht bewusst provoziert und geschickt umgesetzt sind, völlig aus der Story reißen.

Hm... wurde jetzt klar, was ich damit sagen will?  :hmmm:

Beispiel:
Ist es in einer Welt völlig normal, dass es zwei Monde, blaue Bäume, Sklaverei, Monate mit 50 Tagen und wasweißichnochalles gibt, dann brauch ich das nicht mit dem Prota entdecken, für den das ja wahrscheinlich alles völlig normal ist (es sei denn, er ist dort genauso fremd wie ich auch). Ich möchte es kurz erwähnt haben, damit ich mich darauf einstellen kann und mich nicht wundern muss, dass das jetzt (schlimmsten falls völlig unerwartet, weil zuvor nirgends erwähnt) so ist.
Muss ich also mein Bild, das ich mir einmal gemacht habe, 50 Seiten später revidieren, weil hier neue Infos reinkommen, die ich gern zu Beginn gehabt hätte, dann stört mich das enorm. Da bin ich dann glücklich über Sternsaphirs ausschweifende Landschaftsbeschreibungen im tolkienschen Stil - hab ich einmal ein Bild im Kopf, fügt sich die Story vor diesem Hintergrund wunderbar ein.


Ah, genau. Sag mir, was ich wissen muss, möglichst am Anfang, sofern es nicht unbedingt Plotrelevant ist - ich glaube, so könnte man es ggf. ausdrücken. Evtl. fällt mir aber nachher auch noch ein Beispiel ein, in dem ich diese These völlig über den Haufen werfe. Mal sehen  ;D

Haha, ich hab dich schon verstanden. Sicher: Je fremdartiger die Welt ist, umso wichtiger ist eine Schilderung der Gegebenheiten. Erst auf Seite 100 zu erfahren, dass die Monate 50 Tage dauern etc. kann schnell nach hinten losgehen. Ich bin da einen doppelten Weg gegangen: Zum einen habe ich meiner Geschichte einen fiktiven Chronik-Text vorangestellt, der den Leser über die wichtigsten Eckdaten der Welt aufklärt und auch gleich den Protagonisten als historische Figur einführt. Auf der anderen Seite verwende ich ein paar Begriffe, bzw. Orte, über die ich den Leser noch im Unklaren lasse, die aber für die Bewohner meiner Welt eine ganz selbstverständliche Bedeutung haben. Da ist tatsächlich etwas Detektiv-Arbeit nötig. Ob das am Ende aufgeht, weiß ich noch nicht.

Ihr könnt ja mal ein euer Meinung nach gelungenes Beispiel einer Landschaftsbeschreibung posten und wir diskutieren das dann. Würde mich schon interessieren, wie ihr das so handhabt! :)

Sternsaphir

#62
Zitat von: HauntingWitch am 24. März 2014, 15:36:09
Wie macht man das? Ansonsten gebe ich dir zwar Recht, es gibt auch zu viel des Guten. Aber ich habe oft das Gefühl, dass meine Beschreibungen zu knapp sind. Wie beschreibt man eine Landschaft seitenweise? Ich könnte das gar nicht und bin immer wieder fasziniert, wenn ich darauf stosse. Allerdings auch schnell etwas gelangweilt.  ;)

Indem ich mir die Landschaftsbeschreibungen förmlich auf der Zunge zergehen lasse. Ich setze mich in meine imaginäre Welt hin und beschreibe alles, was ich sehe, rieche und fühle. Ich beschreibe, was passiert, wie der Wind in den Bäumen rauscht, welche Farben der Himmel bei Sonnenuntergang hat, ziehe Vergleiche oder Metaphern . . .. und schwupps! ist es schon wieder zuviel geworden.  ;)

Nandriel

Zitat von: Exilfranke am 24. März 2014, 15:52:20
[...]
Ihr könnt ja mal ein euer Meinung nach gelungenes Beispiel einer Landschaftsbeschreibung posten und wir diskutieren das dann. Würde mich schon interessieren, wie ihr das so handhabt! :)

Tja, das würde mich tatsächlich ebenfalls interessieren... ich hab aber grad kein Beispiel parat, müsste also erstmal suchen.

Zitat von: Sternsaphir am 24. März 2014, 15:54:07
Indem ich mir die Landschaftsbeschreibungen förmlich auf der Zunge zergehen lasse. Ich setze mich in meine imaginäre Welt hin und beschreibe alles, was ich sehe, rieche und fühle. Ich beschreibe, was passiert, wie der Wind in den Bäumen rauscht, welche Farben der Himmel bei Sonnenuntergang hat, ziehe Vergleiche oder Metaphern . . .. und schwupps! ist es schon wieder zuviel geworden.  ;)

Das klingt nach rundum sinnlichen Erfahrungen, was, wenn es gut geschrieben ist und grad passt (weil nicht plötzlich ein Kampf, eine Flucht oder sonstwas Aufregendes passiert) überhaupt nicht langweilig ist sondern mich im Gegenteil völlig in die Welt hineinzieht. In Süßkinds "Das Parfüm" z.B. passiert das ja über das Olfaktorische, in Uwe Timms "Die Entdeckung der Currywurst" über das Gustatorische - ich mag aber durchaus auch die volle Breitseite aller sinnlichen Eindrücke, solange diese nicht mit der Brechstange daherkommen ;)

Exilfranke

Vielleicht sollten wir einen neuen Thread aufmachen, bevor wir damit ins off topic rutschen.  :bittebittebitte:

FeeamPC

Die einfachste Möglichkeit, eine Welt zu beschreiben, ist für mich eine Situation, die nicht mehr der Norm dieser Welt entspricht.

Zum Beispiel:
Seit drei Monden herrschte bereits Dürre. Über der weiten Ebene hatte das purpurne Licht der Sonne jeden Tropfen Wasser verschluckt, und die Flüsse waren nur noch schlammige Rinnsale. Roccon wischte sich den Schweiß von der Stirn. Wie lange sollte das noch so gehen? Acht Monde dauerte der Sommer. Acht  Monde ohne Nachschub an frischem Wasser... Besorgt betrachtete er das Rinnsal, das aus dem städtischen Aquäduct rieselte. Was, wenn auch in den fernen Nebelbergen die Quellen versiegten?

Gibt die Info, Ebene, normalerweise grün, also fruchtbar, darin offenbar eine größere Stadt, dahinter Berge, die normalerweise viel Regen haben, purpurne Sonne, Jahreszeiten, die 8 Monate lang sind, und eine Zivilisation, die in etwa auf dem Stand des alten Roms ist.

So in etwa würde ich Welten-Infos verpacken.

Exilfranke

Zitat von: FeeamPC am 25. März 2014, 13:10:14
Die einfachste Möglichkeit, eine Welt zu beschreiben, ist für mich eine Situation, die nicht mehr der Norm dieser Welt entspricht.

Zum Beispiel:
Seit drei Monden herrschte bereits Dürre. Über der weiten Ebene hatte das purpurne Licht der Sonne jeden Tropfen Wasser verschluckt, und die Flüsse waren nur noch schlammige Rinnsale. Roccon wischte sich den Schweiß von der Stirn. Wie lange sollte das noch so gehen? Acht Monde dauerte der Sommer. Acht  Monde ohne Nachschub an frischem Wasser... Besorgt betrachtete er das Rinnsal, das aus dem städtischen Aquäduct rieselte. Was, wenn auch in den fernen Nebelbergen die Quellen versiegten?

Gibt die Info, Ebene, normalerweise grün, also fruchtbar, darin offenbar eine größere Stadt, dahinter Berge, die normalerweise viel Regen haben, purpurne Sonne, Jahreszeiten, die 8 Monate lang sind, und eine Zivilisation, die in etwa auf dem Stand des alten Roms ist.

So in etwa würde ich Welten-Infos verpacken.

Den Absatz finde ich sehr gelungen und ansprechend. So ähnlich würde ich es vermutlich auch beschreiben. Gerade die indirekten Infos ("eigentlich grüne Ebenen") sind sehr gut, da sie dem Leser eine geistige Eigenleistung nicht nur zugestehen, sondern auch zutrauen. Eine Stadt mit Aquädukten verrät auch sehr viel über den Stand der Technologie und assoziiert Bilder. Ich habe mal etwas vergleichbares mit einer markanten Landschaftsbeschreibung herausgesucht:

ZitatInstinktiv griff der Quadym nach seinem Kriegshammer und machte sich daran, den Hügel zu erklimmen, hinter dem er die Quelle des Tumultes vermutete.
Am Hügelkamm angekommen, lichtete sich der Wald vor Logwar und gab den Blick auf ein weites und trostloses Tal frei, das sich bis an den Horizont erstreckte. Wo eben noch dichtes, grünes Unterholz jeden Meter Boden bedeckt hatte, ragten jetzt die kümmerlichen Überreste verkohlter Baumstümpfe aus dem Erdreich.
Logwar konnte sich nicht daran erinnern, jemals einen Ort von solcher Düsternis erblickt zu haben. Dieses Land war tot und verdorben, das spürte er. Eine Aschewüste von erschreckenden Ausmaßen, nur hin und wieder unterbrochen von Dickicht aus unnatürlich verkümmerten Bäumen, deren Äste grau und blattlos waren. Auf einem  Plateau, dass sich in der Mitte dieses lebensfeindlichen Tals erhob, erkannte der Barbar die Türme und Mauern einer riesigen Festung.

canis lupus niger

#67
Ha, eine Wüste hätte ich auch zu bieten:

ZitatUnd schließlich erreichten sie an einem Nachmittag den Rand einer Ebene, die den verwöhnten Mittländern bereits trostlos und unfruchtbar erschienen war. Vor ihnen lag, flach wie ein Teller, eine unwirtliche Landschaft. Große und kleine Felsbrocken lagen umher wie willkürlich ausgestreut. Grau und gelb waren die einzigen Farben unter einem fast weißen Himmel. Von diesem  brannte die unbarmherzige Sonne mit einer Hitze herunter, wie sie sie bisher noch nicht erlebt hatten. Die staubtrockene Luft flimmerte über dem Erdboden, der mit scharfkantigen Steinen übersät war. Entsetzt starrten die Männer auf die lebensfeindliche und schier endlose Ebene.

Oder eine Stadt am Rand dieser Wüste:
ZitatEines Morgens, einige Tage danach, waren sie der Küste so nahe gekommen, dass man sie in ihrer ganzen Schönheit im perlmutterfarbenen Licht des Sonnenaufganges liegen sah: Castasarna, die weiße Stadt. Ausgangspunkt aller Fernstraßen, Beginn fast aller Karawanen über den schwarzen Kontinent, das Tor zu seinem Herzen. So sollte man sie sehen, wenn man sie zum ersten Mal besuchte, mit dem Schimmer des Morgenlichts auf ihren goldenen Kuppeln und weißen Mauern.
    Schon wenige Stunden später würde diese größte Stadt und der bedeutendste Handelsplatz am Binnenmeer, die Heimstatt unzähliger Menschen, in der Mittagshitze kochen. Und ihr Gestank würde es unmöglich machen, die Augen für ihre Schönheit zu öffnen. Schweigend und mit vor der Brust verschränkten Armen stand Wanja am Mast und sah der näher kommenden Küste entgegen. Nur mit halbem Ohr hörte er den bewundernden Bemerkungen seiner Reisegefährten zu. Er kannte nicht nur das engelgleiche Gesicht der weißen Stadt, sondern auch ihr schwarzes, verdorbenes Herz.
   Wo durch den Handel mit allen erlaubten und verbotenen Gütern der Welt solche Reichtümer verdient wurden, da gab es auch Menschen, die sich durch Verbrechen einen Anteil daran sichern wollten.
Auch ich finde, dass man nicht einfach nur ein Bild darstellen darf, so wie ein Foto, sondern eher dass man das herausheben muss, was diese Landschaft im Unterschied zu der uns vertrauten Umwelt ausmacht. Das, was der Leser sich selber vorstellen kann, weil er Vergleichbares kennt, muss man höchstens anreißen. Da reicht dann ein Stichwort wie "Aquädukt" oder "Karawane", um eine ganze Lawine an Assoziationen in Gang zu setzen,

Exilfranke

Die Beschreibung der Stadt ist sehr lautmalerisch. Gefällt mir ausgesprochen gut und klingt nach einem Schauplatz, den ich gerne näher kennen lernen würde. Orientalisch angehaucht, ein Hinweis auf Dekadenz und Verderbtheit hinter den prächtigen Mauern der Paläste und in den zwielichtigen Tavernen am Hafen...das klingt nach einer Stadt der Abenteuer. :jau:

canis lupus niger

Danke schön!  :knuddel:
Dein Zitat ist aber auch sehr anschaulich.

Nandriel

Ah, genau...

Das sind wunderbare Beispiele, denn ich wollte einen Unterschied zwischen einer zu meiner Realität völlig verschiedenen Welt (Fee) und einer Welt, die gewissermaßen in meinem Erfahrungsbereich liegt (Exilfranke, canis), machen:

Zitat von: FeeamPC am 25. März 2014, 13:10:14
[...] Seit drei Monden herrschte bereits Dürre. Über der weiten Ebene hatte das purpurne Licht der Sonne jeden Tropfen Wasser verschluckt, und die Flüsse waren nur noch schlammige Rinnsale. Roccon wischte sich den Schweiß von der Stirn. Wie lange sollte das noch so gehen? Acht Monde dauerte der Sommer. Acht  Monde ohne Nachschub an frischem Wasser... Besorgt betrachtete er das Rinnsal, das aus dem städtischen Aquäduct rieselte. Was, wenn auch in den fernen Nebelbergen die Quellen versiegten?
[...]

Ich weiß jetzt nicht ob das von dir stammt, Fee, oder ein Zitat ist, es trifft aber jedenfalls ziemlich genau meinen Geschmack. Völlig unaufdringlich erfahre ich hier etwas über eine Welt, auf der ganz andere Bedingungen herrschen als auf der Erde.

Diese Hervorhebung des Ungewöhnlichen, weil von der Norm abweichenden wirkt natürlich in einer völlig unbekannten Welt noch stärker als normal.
In sofern gefallen mir zwar auch die anderen Beispiele, sie folgen aber anderen Regeln als das von Fee, denn zum einen spielen sie nicht in einer völlig fremdartigen Welt und zum anderen beschreiben sie zwar kontrastierende Umgebungen, aber eben nicht über die Hervorhebungen ungewöhnlicher Umstände.

Ist verständlich, was ich hier meine? Hm...  ::)

Ergänzung zu "ungewöhnliche Welt":
Eine eigene, ausgedachte Welt ist für mich noch lange nicht ungewöhnlich, denn so lange sie sich meines "Weltwissens" als Leser bedient und meinen dahingehenden (Genre-)Erwartungen entspricht, kenne ich mich auch dann aus, wenn alles in einem fiktiven Mittelalter spielt und Elfen oder Trolle vorkommen. Ausufernde Beschreibungen empfände ich hier wahrscheinlich als völlig überflüssig, und seien sie auch noch so schön formuliert. Glaub ich wenigstens  ;)

Mithras

Zitat von: Exilfranke am 24. März 2014, 14:51:40Exakt. Und: Die Welt muss der Story dienen, nicht umgekehrt.
Nach dieser Definition würde alles, was nicht direkt der Handlung dient, als überflüssig herausfallen, und das ist mir klar zu eng gefasst. Ich würde das gerne erweitern: Die Welt muss dem Gesamterlebnis dienen und kann damit zu einem gewissen Grad auch Selbstzweck sein, denn allein die Auseinandersetzung mit einer gut durchdachten Welt - ohne direkte Handlungsrelevanz - kann überaus faszinierend sein. Sie kann aber auch zum Nachdenken anregen und damit zu einem tieferen Verständnis der Geschichte verhelfen. Eine gut durchdachte und geschickt präsentierte Welt kann dem Gesamterlebnis viele Ebenen und Facetten hinzufügen und maßgeblich zur Atmosphäre beitragen. Wichtig ist nur, den Leser nicht unter einer Informationsflut zu ersticken oder ihn zu bevormunden, aber das versteht sich wohl von selbst.

Es hängt auch immer ganz von der art der Geschichte ab, die man erzählen will. Ist die Handlung sehr komplex und umfasst mehrere Länder, Völker oder politische Parteien, die um die Macht ringen, gehört eine gut durchdachte Welt einfach dazu. Wenn zwei Völker, die sich seit Jahrhunderten nicht ausstehen können, durch eine dritte Partei in ein fragiles Bündnis gezwungen werden, ist eine Ausarbeitung der gemeinsamen Geschichte und der Folgen für Gesellschaft und Mentalität unumgänglich. Vielleicht kommen auch noch religiöse Streitigkeiten hinzu, und spätestens dann muss auch die Religion bis zu einem gewissen Grad ausgearbeitet werden, denn das ist ein sehr komplexes Thema und erfordert viel Fingerspitzengefühl. Wohin eine unzureichende Ausarbeitung führt, wurde mir bei Guy Gavriel Kay klar: Es gibt bei ihm drei Religionen, die auf dem Judentum, dem Christentum und dem Islam basieren, deren Lehrere aber ausschließlich daraus besteht, dass die einen die Sonne, die anderen die beiden Monde und die letzten die Sterne verehren. Mehr nicht. Keine konkreten Glaubensinhalte, über die man sich streiten könnte, obwohl religiöse Konflikte stets im Zentrum stehen. So wird die Geschichte nie auch nur ansatzweise an die Komplexität der Konflikte heranreichen, die z. B. in der Spätantike um die wahre christliche Lehre im untergehenden Römischen Reich ausgetragen wurde. Und deshalb kann eine Welt in meinen Augen nicht detailliert genug ausgearbeitet sein - auch wenn weniger nicht unbedingt der Geschichte schadet.

canis lupus niger

Die ausgearbeiteten Details müssen dem Leser ja nicht einmal alle aufgezwungen werden. Selbst Tolkien hat viele Details seiner Welt und Weltgeschichte nicht in den Herrn der Ringe und den Hobbit hineingeschrieben, sondern nur in Form von Notizen festgehalten. Diese Einzelheiten kamen, meine ich, erst durch seinen Sohn Christopher und das Silmarillion an die Öffentlichkeit.

Eine bis ins letzte ausgearbeitete Welt schadet deshalb einem Roman keinesfalls. Sie bereichert ihn aber und macht ihn komplexer. Außerdem wird dadurch das Schreiben leichter, denn der Autor kann jederzeit wieder auf seinen Fundus an Details zurück greifen und ist nicht in Gefahr, sich in irgend einem Punkt zu widersprechen. Manchem Autor wäre es zu wünschen, dass er sich schon zu Beginn seiner Arbeit ausreichend Gedanken über die Hintergründe gemacht hätte. Bei einer Nach-und-Nach-Entwicklung der Welt schleichen sich doch allzu leicht Fehler ein.

Exilfranke

ZitatNach dieser Definition würde alles, was nicht direkt der Handlung dient, als überflüssig herausfallen, und das ist mir klar zu eng gefasst. Ich würde das gerne erweitern: Die Welt muss dem Gesamterlebnis dienen und kann damit zu einem gewissen Grad auch Selbstzweck sein, denn allein die Auseinandersetzung mit einer gut durchdachten Welt - ohne direkte Handlungsrelevanz - kann überaus faszinierend sein. Sie kann aber auch zum Nachdenken anregen und damit zu einem tieferen Verständnis der Geschichte verhelfen. Eine gut durchdachte und geschickt präsentierte Welt kann dem Gesamterlebnis viele Ebenen und Facetten hinzufügen und maßgeblich zur Atmosphäre beitragen. Wichtig ist nur, den Leser nicht unter einer Informationsflut zu ersticken oder ihn zu bevormunden, aber das versteht sich wohl von selbst.

Es hängt auch immer ganz von der art der Geschichte ab, die man erzählen will. Ist die Handlung sehr komplex und umfasst mehrere Länder, Völker oder politische Parteien, die um die Macht ringen, gehört eine gut durchdachte Welt einfach dazu. Wenn zwei Völker, die sich seit Jahrhunderten nicht ausstehen können, durch eine dritte Partei in ein fragiles Bündnis gezwungen werden, ist eine Ausarbeitung der gemeinsamen Geschichte und der Folgen für Gesellschaft und Mentalität unumgänglich. Vielleicht kommen auch noch religiöse Streitigkeiten hinzu, und spätestens dann muss auch die Religion bis zu einem gewissen Grad ausgearbeitet werden, denn das ist ein sehr komplexes Thema und erfordert viel Fingerspitzengefühl. Wohin eine unzureichende Ausarbeitung führt, wurde mir bei Guy Gavriel Kay klar: Es gibt bei ihm drei Religionen, die auf dem Judentum, dem Christentum und dem Islam basieren, deren Lehrere aber ausschließlich daraus besteht, dass die einen die Sonne, die anderen die beiden Monde und die letzten die Sterne verehren. Mehr nicht. Keine konkreten Glaubensinhalte, über die man sich streiten könnte, obwohl religiöse Konflikte stets im Zentrum stehen. So wird die Geschichte nie auch nur ansatzweise an die Komplexität der Konflikte heranreichen, die z. B. in der Spätantike um die wahre christliche Lehre im untergehenden Römischen Reich ausgetragen wurde. Und deshalb kann eine Welt in meinen Augen nicht detailliert genug ausgearbeitet sein - auch wenn weniger nicht unbedingt der Geschichte schadet.

Richtig. Und dann dient die Ausarbeitung ja der Story! ;) Vielleicht habe ich mich auch ein wenig zu radikal ausgedrückt. Worauf ich hinauswollte, habe ich in einem anderen Thread schon mal angeschnitten. Ich zitiere mich mal selbst:

ZitatGenerell versuche ich immer plot-driven zu schreiben, heißt, dass jede Szene die Geschichte voranbringen muss. Da ich meine Kurzgeschichten auf max. 25 Word-Seiten limitiere, ist ein solches Vorgehen auch ratsam. Ich habe versucht, mir selbst folgende Richtlinie aufzuerlegen.

Eine Szene hat Berechtigung, wenn sie

a) Die Handlung vorantreibt
b) etwas über einen Protagonisten enthüllt
c) der Atmosphäre dient
d) dem Leser die Welt nahebring

Dabei besitzt a) höchste, d) niedrigste Priorität. Meist können c) und d) sinnig in a) und b) integriert werden und müssen nicht allein stehend den Text aufblähen. Aber da ist natürlich nur Theorie. Walter Moers schreibt beispielsweise in seinen Zamonien-Romanen kapitelweise Fluff oder schildert seitenlang Kochrezepte und es klappt trotzdem. Warum? Moers kann seine bizarren Ideen derart genial in Sprache verpacken, dass selbst der profanste Nebensatz zum Lesevergnügen wird. Kann aber nicht jeder.

Fianna

Zitat von: Mithras am 25. März 2014, 18:31:17
Nach dieser Definition würde alles, was nicht direkt der Handlung dient, als überflüssig herausfallen, und das ist mir klar zu eng gefasst. Ich würde das gerne erweitern: Die Welt muss dem Gesamterlebnis dienen und kann damit zu einem gewissen Grad auch Selbstzweck sein, denn allein die Auseinandersetzung mit einer gut durchdachten Welt - ohne direkte Handlungsrelevanz - kann überaus faszinierend sein.
Eine Geschichte lebt nicht nur von Handlung, sondern auch von Atmosphäre, daher finde ich den Satz passend, so wie er ist.
Ob man sowas auf die reine Handlung/action oder auch Charakterentwicklung, show don't tell usw bezieht, ist ja ohnehin ein ständiger Diskussionspunkt im Tizi.

Was man natürlich auch gut machen kann, ist die Umgebung/Atmosphäre auf die Situation des Perspektivträgers zu reflektieren. So kann eine Stadt mit ihren hohen Gebäuden bedrückend sein oder wie ein Gefängnis wirken, oder Ähnliches - mir fällt grad kein besseres Beispiel ein. Da kann man über den Gefühlszustand des Perspektivträgers auch Informationen reinbringen.