• Willkommen im Forum „Tintenzirkel - das Fantasyautor:innenforum“.
 

Misstrauen gerechtfertigt, wenn ein Verlag viele Anthologieprojekte rausbringt?

Begonnen von gbwolf, 26. Februar 2011, 15:34:07

« vorheriges - nächstes »

0 Mitglieder und 1 Gast betrachten dieses Thema.

gbwolf

Um das ewige Thema einmal von bestimmten Ausschreibungen abzukoppeln und separat zu diskutieren, will ich mal einen eigenen Thread dazu eröffnen. Es nervt mich einfach, dass Verlage Antho um Antho raushauen. Meiner Ansicht nach tun sich damit weder die Verlage noch die Autoren einen Gefallen, egal wie schön es ist, die erste Antho in den Händen zu halten. Meine ersten zwei Veröffentlichungen würde ich am liebsten unter den Dielen verschwinden lassen (Der Verlag ist an den ganzen Anthos ohne Käufer mittlerweile auch eingegangen).

Konkret geht es darum, dass insbesondere ich immer wieder anmeckere, dass Kleinverlage eine Anthologie nach der anderen auf den Markt werfen und Ausschreibungen starten, kaum dass die Auswahl für die letzte Anthologie durch ist. Das hat sicherlich mit unterschiedlichen Vorstellungen, Wünschen und Erwartungen an Kurzgeschichtensammlungen und Verlage zu tun. Ich bleibe hier jetzt stur bei meiner Sicht der Dinge und bin gespannt auf eure Gegenargumente und Einwürfe.

Was erwarte ich von einer Anthologie?

  • Sorgfältige Auswahl: Das darf seine Zeit dauern und es sollten nicht immer so inflazionär viele Autoren in einer Antho sein, denn meine Erfahrung mit Ausschreibungen ist die, dass eigentlich nie 30 qualitativ sehr hochwertige Beiträge eingehen. Mir ist es lieber, die Antho wird abgesagt als dass sie mit Füllmaterial zugehauen wird. Außerdem muss ja alles lektoriert werden und zwei bis drei Durchgänge mit Hobbyautoren, das ist eine Menge Arbeit! Nur weil Geschicten süß sind oder eine nette Idee haben, sind sie noch lange nicht gut!
  • Gutes Lektorat: Lektoren sollten viel Erfahrung mit dem Bearbeiten von Texten haben und sollten ein Gespür dafür besitzen, wie man das Beste aus einem Text herausholt, ohne den Autor zu bevormunden oder in dessen Stil einzugreifen. Da darf es gerne mal ein paar Durchgänge mehr brauchen.
  • Zeit: Auswahl, Lektorat, Layout, Druck, Werbung, das dauert. Mir kann keiner erzählen, dass er nebenberuflich innerhalb von zwei Monaten das alles hinlegt und dann das Buch draußen hat. Gute Druckereien haben in der Regel Aufträge genug und man warte, bis die eigenen Charge gedruckt werden kann. Dann sollte ausreichend Zeit sein, die Antho im Buchhandel anzukündigen oder wenigstens in den einschlägigen Netzwerken. Egal wie die Autoren quengeln: Wenn der Verlag erst in eineinhalb Jahren Platz im Programm hat, dann eben erst in eineinhalb Jahren! (Beipspiel Wurdack-SF-Anthos: Lektorat ist jetzt seit einem halben Jahr fertig, Auswahl noch viel länger, rauskommen wird das Buch im Spätsommer, weil die Antho jedes Jahr ungefähr dann kommt). Die Fans wissen, wann der nächste Band der Reihe kommt und haben genug Zeit, die alte Antho zu lesen. Die Bücher machen sich dann auch keine Konkurrenz.
  • Analyse der Zielgruppe/Engagement im Verkauf: Toll, dass Autoren gerne über Himbeeren, Baumkreaturen oder Toaster schreiben. Toll auch, dass Bestsellerautoren damit Millionen machen, weil es gerade den Mainstream bedient. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass die Leser eine Anthologie mit unbekannten Autoren kaufen, nur weil Frau Maier über toastende Himbeeren geschrieben hat. Fakt ist: Fantasyanthos sind Blei im Verlag. Nichtmal Blei im Regal, weil sie die Regale der meisten Buchhandlungen nicht sehen werden. Selbst bei großen Verlagen mit bekannten Namen sind Anthos meist Ladenhüter. Es gibt aber Marktnischen im Fandom, gerade bei Horror, Phantastik und SF. Ein Verlag muss dieses Publikum kennen, einen guten Kontakt haben, auf die einschlägigen Cons fahren und wissen, in welchemForum er dafür Werbung machen kann. Sonst wird das nichts, mit dem Verkauf.
    Es ist total erhebend, wenn die Antho raus ist, aber dann geht es erst richtig los, mit Rezensentensuche, Conbesuchen, Vermarktung. Wie will ein Verlag dem gerecht werden, wenn er gleich das Lektorat für die nächsten Projekte an der Backe hat?
  • Professionelle Gestaltung: Layout/Buchsatz ist eine Kunst, Typographie ist ein Handwerk. Da gibt es - wie für das Schreiben - Regeln, die natürlich auch gebrochen werden dürfen. Aber nicht jeder, der Word öffnen kann, kann eine Antho layouten (Davon hatte ich jetzt genug in der Hand, um sie den Rest meines Lebens nicht mehr anfassen zu wollen). Von einem Verlag erwarte ich, dass er dieses Handwerk versteht oder in kundige Hände abgibt. Ebenso das Cover: Nicht jedes tolle Foto kommt im Druck auch gut heraus. Eine billige Maschine mit dem falschen Papier oder der falschen Auflösung macht aus dem besten Cover eine grelle Nullnummer. Nicht jede nette Zeichnung der besten Freundin genügt professionellen Ansprüchen. Manche billige Druckerei hat von "Color Management" noch nie im Leben gehört ...

An wen soll denn diese Menge von Feld-Wald-Wiesenathologien verkauft werden? Wie enttäuscht sind die Autoren, wenn sie nach drei Anthos denken, sie wären gut und müssten sich nicht verbessern, weil das Lektorat hat ja alles so toll gefunden und dann schaffen sie es nicht, ihren Roman an einen Verlag zu bekommen? Das treibt einen doch geradezu in den Selbstverlag, weil man hat ja Bestätigung erhalten und denkt, man ist schon wer.
In einem anderen Forum habe ich einen netten Kommentar gelesen, den ich hier sinngemäß wiedergeben möchte: Früher gab es Fanzines, in denen die Autoren ihre Sporen verdient und die ersten Rezis kassiert haben. Heute müssen sich diese "fannischen", unreifen Texte auf einem Markt bewähren, für den sie nicht geeignet sind, weil Leser und Autoren gebundene Bücher automatisch als hochwertig empfinden und die selben Maßstäbe anlegen, wie an eine Veröffentlichung in einem Publikumsverlag (Auch, wenn man den Preis betrachtet). Diesen Anspruch aber erfüllen die wenigsten Magazine und Anthologien.

Mein Plädoyer ist also eindeutig:
Weniger veröffentlichen und mehr Energie auf eine gute Arbeit verwenden (Gilt sowohl für Verlage als auch für Autoren).
Spaßtexte, an denen man lernen möchte in Foren, die gute Textkritik zurückgeben oder in Fanzines, bei denen einem im Fanzinekurier oder Fandom Observer der Kopf gewaschen wird.

Edit: Übrigen kann ich "Wir sind ein Sprungbrett ..."/Autorenförderblah als Argument für lieblose Anthologie nicht mehr hören  >:(

Bin gespannt auf eure Meinungen. Man kann das durchaus anders sehen, denke ich.

Grüße,
Nadine

Lomax

Man muss halt wissen, was es ist. Die typischen Kleinverlagsanthos und die zugehörigen Verlage sind halt die moderne Fortsetzung der klassischen Fanzinetradition - das Fanzine ist tot, was früher da lief, ist entweder ins Netz gewandert oder bringt in Zeiten des BoD halt Bücher raus (Die paar aufrechten Fanzines, die geblieben sind, hake ich dann mal ab als statistische Streuung und Ausnahme, die die Regel bestätigt ;)).
  Wenn man das Gros der Anthoveröffentlichungen in nichtkommerziellen Hobbyverlagen mit "richtigen" Büchern vergleicht, kommt einem manches merkwürdig vor und man findet einiges zu meckern. Wenn man hingegen auf die Entwicklung der Szene in den letzten 20 Jahren zurückschaut, diese Anthos nicht mit professionellen Veröffentlichungen vergleicht, sondern eben mit den traditionellen Fanzines ... dann nicht mehr. Alles wie gehabt. Was man da im Guten wie im Schlechten beobachten kann, war bei Fanzines schon immer so, nur dass Bücher meist doch ein wenig "edler" aussehen ;D.
  So wie man früher in der Szene aktiv sein konnte, kann man das jetzt halt bei Anthos. Mehr zu erwarten, wird der Sache nicht gerecht. Wenn man wählerisch sein will, muss man sich jedes einzelne Projekt genauer anschauen und auch mal Bücher aus den "Verlagen" lesen, bevor man dort veröffentlicht - aber das war bei Fanzines früher auch zu empfehlen. Das einzige, was innerhalb dieser Traditionslinie am modernen "Anthomodell" zu bemängeln wäre, ist die doch etwas geringere Kommunikation. Es konzentriert sich halt sehr auf Geschichten; andere Beiträge, die früher in Fanzines gerne mit Storys gemischt werden, geraten ins Hintertreffen, und da die Anthos formal voneinander unabhängig erscheinen, gibt's auch keine lebhaften Leserbriefe und eine im Durchschnitt geringere "Szenezugehörigkeit"; der Teil hat sich, so vorhanden, auch stark ins Netz verlagert.

Davon abgesehen denke ich, dass Problem bei den Anthos sind weniger die Anthos selbst, als die Erwartungen, die an sie herangetragen werden. Die fannischen Verleger und Herausgeber tun dasselbe, was sie schon immer gemacht haben; sie tun es nicht schlechter, sondern holen im Durchschnitt sogar eher mehr heraus als früher. Wer über diese Szene an sich motzt, erwartet einfach zu viel und vergleicht sie mit Profiverlagen und eben nicht mit der Fanzinertradition, in der sie sachlich betrachtet stehen.
  Die von dir beschriebenen Kriterien halte ich eher für eine Liste, mit der man ambitioniertere Kleinverlage, die ein richtiges Programm pflegen wollen, von dem bunten Mischmasch des Hobbybetriebes unterscheiden kann. Wer als Verleger solche Pläne hegt und sich von der Szene absetzen will, mag das tun; ein Grund, die Hobbyszene insgesamt gleichzuschalten, ist das allerdings nicht. Die strukturiert sich schon selbst, wie sie es immer getan habt, mit allen Höhen und Tiefen, mit Edel- und Trash- und Egotrips, und im Zentrum steht die Community und das Machen, nicht das Werk.

gbwolf

Es gibt so Knochen, da weiß man, wer anbeißt  ;D

Die Erwartung ist für mich das größte Problem, mir scheint es nämlich nicht so zu sein, dass viele der neuen Kleinverlage sich als "fannisch" betrachten, ebenso die Autoren. Die Arbeitsweise ist aber eine ähnliche wie im Fandom früher, da gebe ich dir recht. Es wirkt auf mich eher so als würden die Verlage sich selbst und den Autoren eine Professionalität vorgaukeln, die nicht vorhanden ist. Nicht gegen Spaßprojekte und Verlage, die dazu stehen, dass sie einfach Spaß haben und ein paar nette Bücher machen wollen! Aber dieses Gerede von "Wir wollen unbekannten Autoren ein Sprungbrett anbieten ... blahblah" und dann kommt ein dickes Fanzine mit Trashcover raus, das finde ich unehrlich.
"Nova" ist für mich sowas wie ein Paradebeispiel für ein buchgewordenes Fanzine (Erscheint auch mit ISSN als Magazin). Die Geschichten orientieren sich an der Herausgebermeinung und da ist immer mal was zwischen, bei dem man sich an die Stirn fasst, es gibt Sachbeiträge, die in der Regel sehr hochwertig sind, manchmal aber auch purer Pulp, die Illustrationen reichen von sehr gut bis "üb lieber noch ein bisschen". Und wann die nächste Nummer erscheint, ist Gegenstand zahlreicher Legenden. Aber irgendwie macht es Spaß, weil die Jungs ungezwungen rangehen und durch das Reihenschema gibt es auch ein Publikum.

Zitat von: Lomax am 26. Februar 2011, 16:32:56Man muss halt wissen, was es ist. Die typischen Kleinverlagsanthos und die zugehörigen Verlage sind halt die moderne Fortsetzung der klassischen Fanzinetradition
Genau das ist einer meiner Hauptkritikpunkte: Ist das Autoren und Kleinverlagen bewusst? Ich habe das Gefühl, dass die Erwartungshaltung an das Produkt von beiden Seiten dem nicht entspricht.
Vor allem, weil Leser/Freund/Familie auch etwas anderes erwarten, wenn man ihnen ein Buch in die Hand drückt und nichtmehr ein Heftchen.

Und ja, ich bin furchtbar schleckig geworden und suche mir die Kleinverlage sorgfältig raus - inklusive mal hier und dort Produkte des Verlags kaufen, weil ich ja a) erwarte, dass man auch mein Produkt kaufen wird und ich b) wissen möchte, auf was ich mich einlasse.

Edit: Es sind ja auch meistens dieselben Verlage, die unprofessionell arbeiten und sich als Sprungbrett zum Großverlag ansehen, die dann "noch zu klein sind", um ein Belegexemplar an die Autoren zu schicken. Da sie aber nicht für den Markt und den Leser arbeiten, werden sie auch nie groß genug werden, um Belegexemplare ausgeben zu können.

Maria

In meinen Augen ist der Hauptzweck vieler Anthos und Anthoverlage, so viele Beiträge wie möglich reinzuquetschen, damit so viele Autoren so viele Exemplare wie möglich kaufen.
Das geht natürlich nur, wenn die Autoren so glücklich über ihr "ich bin drin" sind, dass sie gleich Dutzende Bücher kaufen und stolz in der Verwandschaft, in der Kollegenschaft und im Freundeskreis verteilen.
Und am glücklichsten sind jene Autoren, die damit ihre ersten Schritte machen (war bei mir nicht anders).

Die wenigsten Hobby-Anthoverleger mit ein bisschen Erfahrung rechnen damit, die Bücher normal zu verkaufen. Daher ist es schon überlebenswichtig, so viele Geschichten (daher je kürzer desto größer die Chance) wie möglich zwischen die Buchdeckel zu quetschen.

Ganz extrem aufgefallen ist mir das bei der Anthologie "Menschen im Glück", da kam beim Vertrag auch gleich die Frage, wie viele man kaufen würde, falls man reinkommt.
Die Antologie selbst war dann auch dicht an dicht. Kleine Abstände, kaum Seitenrand, viele kurze Beiträge (auch Gedichte), also jede Menge Autoren. Ich habe zwei gekauft, eines für mein Regal, eines für meine Mutter. Es hat gereicht.  Ich weiß nicht, ob ich reingekommen wäre, wenn ich "0" hineingeschrieben hätte.


Kaeptn

Bin ja mal gespannt was treogen dazu sagt, der macht ja derzeit auch eine Ausschreibung nach der anderen und dürfte sich somit angesprochen fühlen :)

Allgemein denke ich gibt es solche und solche Anthos, das sehe ich ja aktuell selber. Bei Candela denke ich z.B. ist die Autoren-Rekrutierung ein wichtiger Punkt. Du kannst halt einen Autor mal im Lektorat "kennenlernen", sehen wie er auf Vorschläge reagiert, wie die Zusammenarbeit läuft und so das Risiko bei einem vielleicht parallel eingereichten Roman-Manuskript minimieren. In dem Gutachten zu meinem eingereichten Roman wurde jedenfalls von der Lektorin auf die gute KG-Zusammenarbeit hingewiesen, weswegen sie keine Sorge hätte, dass ihre Probleme mit dem Manuskript ausgeräumt werden könnten.

Aus Autorensicht: Ich wollte halt endlich mal was in meiner Vita stehen haben. Ob KG-Einträge einem weas bringen, sei mal dahingestellt, aber letztlich GAR KEINE Vita abgeben zu können, ist halt auch doof. Nun hab ich in Bälde drei KG-Einträge, das reicht mir dann auch erstmal. Damit will ich nicht ausschließen, dass ich nochmal bei Antho-Ausschreibungen mitmache, aber nun nur noch, wenn ich sofort eine Idee und Lust habe, diese mal eben runterzuschreiben.

gbwolf

Zitat von: Kaeptn am 27. Februar 2011, 12:06:21Bin ja mal gespannt was treogen dazu sagt, der macht ja derzeit auch eine Ausschreibung nach der anderen und dürfte sich somit angesprochen fühlen :)
Weshalb? Er hat insgesamt wenig Anthologien im Verlag, hat ein klar definiertes Programm, das auch Romane einschließt, ist im Fandom bekannt, sucht auf Cons Kontakt und arbeitet immer wieder mit Herausgebern zusammen, die entweder bereits eine Anthologie für ihn fertiggemacht haben oder die man im Fandom kennt.

Autoren-Rekrutierung ist ein Argument, ja. Aber auch da halte ich den Kontakt mir potentiell 90-150 Autoren über Anthologien für einen immensen Arbeitsaufwand und den Aufbau von 10-15 Romanautoren gleichzeitig für einen Kleinverlag für ein sehr experimentelles Unterfangen.
Ich bin persönlich ein großer Fan von kleinen Programmen mit langsamem Aufbau und zur Finanzierung vielleicht noch ein oder zwei gut laufenden Reihen (Wurdack, Atlantis). Oder von Verlagen, die gleich professionell einsteigen mit allem Drum und Dran des Risikos wie Werbung im Börsenblatt oder Ständen auf den Buchmessen (Bsp.: Edition Fredebold oder stadtsagen.de). Aus meinen Erfahrungen kenne ich kein Beispiel eines Verlags, der im Hobbybereich mit 10 Romanen und mehreren Anthos startet und sich über Jahre gehalten hat. Aber ich lerne gern dazu, ich kenne schließlich nicht alles (Erotik-Kleinverlage vielleicht einmal ausgenommen).

Lomax

Zitat von: Die Wölfin am 26. Februar 2011, 16:44:23Es gibt so Knochen, da weiß man, wer anbeißt
Da wir das Thema mindest schon einmal in anderem Kontext angesprochen hatten, fühlte ich mich natürlich verpflichtet, eine alternative Perspektive hier einzubringen.

Außerdem bin ich ja bekanntermaßen sehr bissig, und da war das nicht wirklich schwer vorhersehbar  ;)
Zitat von: Die Wölfin am 26. Februar 2011, 16:44:23Die Erwartung ist für mich das größte Problem, mir scheint es nämlich nicht so zu sein, dass viele der neuen Kleinverlage sich als "fannisch" betrachten, ebenso die Autoren. Die Arbeitsweise ist aber eine ähnliche wie im Fandom früher, da gebe ich dir recht. Es wirkt auf mich eher so als würden die Verlage sich selbst und den Autoren eine Professionalität vorgaukeln, die nicht vorhanden ist.
Mal im Ernst: Ändert das etwas an der Sachlage? Da habe ich schon in alten Fanzinetagen genug Herausgeber der damals üblichen Hefte erlebt, die den Höhenflug bekamen und sich mit Profimagazinen verglichen. Gar nicht gezählt diejenigen, die ihre Publikationen als Kritik an den etablierten Veröffentlichungen herausbrachten und für sich in Anspruch nahmen, auf irgendeine Weise "besser" zu sein. Ich sehe in dieser Hinsicht bei den hobbymäßigen Anthoprojekten keinen Unterschied zu den seit Jahrzehnten üblichen Verhältnissen im Fandom. Jedenfalls keinen grundsätzlichen.
  Dass es einen quantitativen Unterschied gibt, dass die Buchform schlichtweg mehr Herausgeber dazu verführt, die Unterschiede zu übersehen und Größenwahn zu pflegen, nur weil die Publikation technisch etwas weniger von einem Profiprodukt unterscheidbar ist, das mag sein. Tatsächlich habe ich das Gefühl, dass die Zahl solcher Fälle im Antho-Fandom gegenüber dem früheren Heft-Fandom zugenommen hat.
  Aber, wie gesagt, ich habe da auch noch nichts erlebt, was ich im alten Fandom nicht auch schon kennen gelernt habe. Es kommt öfter vor, aber es ist nichts Neues - und damit wird jeder einzelne dieser Fälle für sich betrachtet auch nicht weniger "fannisch", als es bei früheren Publikationen mit Höhenflug im Fandom der Fall gewesen ist.

Ob so ein Kleinstverlagprojekt eher mit einem "richtigen" Verlag vergleichbar ist oder eher "fannisch" ist, würde ich weniger vom Selbstverständnis der Verleger oder auch nur der dort schreibenden Autoren abhängig machen. Man sieht es an der Arbeitsweise, an der Programmpflege, am regelmäßigen Arbeiten, am Einhalten von Standards. Das zu lernen, tatsächliche Unterschiede zu sehen und sich nicht auf Aussagen von Herausgebern oder äußerliche Details zu verlassen, halte ich sogar für eine wertvolle Erfahrung, die ein Autor bei solchen Anthoprojekten gewinnen kann.
  Übergroßes Selbstbewusstsein halte ich auch nicht per se für "unehrlich". Darauf stößt man überall immer wieder mal, und eigentlich muss jeder lernen, damit umzugehen und so was selbst einschätzen zu können. Erst dann, wenn selbst fandomübliche Regeln nicht mehr eingehalten werden, ist für mich eine Grenze überschritten, wo man wirklich vor Anthos warnen sollte (beispielsweise bei fehlenden Belegexemplaren).
  Da habe ich dann allerdings wirklich das Gefühl, dass diese Fälle im Antho-Fandom gegenüber dem klassischen Fandom zugenommen haben. Dafür mache ich dann allerdings weniger die Antho-Welle und die dem zugrundeliegende BoD-Möglichkeiten verantwortlich, sondern tatsächlich das Internet: Seit zehn Jahren kann halt jeder Noob übers Netz direkt eintauchen und nach ein paar Klicks sehen, dass es eine Community gibt, dass er Bücher selbst machen kann - und, wenn er Interesse daran hat, auch direkt einen "Verlag" gründen.
  Vor zwanzig Jahren konnte man froh sein, wenn man erst mal zwei, drei Gleichgesinnte getroffen hat. Bis man auf Fanzines stieß, war schon ein Eintauchprozess in die Szene erforderlich. Und bis man genug Kontakte und Anregungen hatte, um auf die Idee zu kommen, selbst ein Fanzine herauszugeben, war man in den allermeisten Fällen schon ein paar Jahre in der Szene sozialisiert, stand unter Peer-Control und wusste, was üblich ist und was man besser lässt. Dieser langsame Sozialisierungsprozess fehlt heute vielfach, und das merkt man leider dem Auftreten vieler Hobbyherausgeber auch an - dass sie halt nur als Außenstehende über das Internet eine Möglichkeit gefunden haben, sich selbst zu produzieren und Opfer für ihren Egotrip zu finden, als Kunden wie als Mitarbeiter, und das im Prinzip das komplette Interesse fehlt, sich selbst als Teil einer Community zu sehen und irgendwelche Regeln und Gepflogenheiten zu akzeptieren.
  Da gibt es eine Menge Projekte, die auf diese Weise sowohl nach den Regeln des Fandoms wie auch nach den Maßstäben richtiger Verlage durchfallen und die gar nichts von beidem sind, keine "richtigen" Veröffentlichungen und keine "Fanzines in Buchform". Aber diesen Umstand sieht man halt auch nicht an der rein formalen Tatsache, dass es Antho-Verlage mit, hm, wenig durchdacht wirkendem Programm sind, denn viele von denen funktionieren nach fannischen Gesichtspunkten durchaus ganz gut und sind als "ehrbar" anzusehen.

gbwolf

Zitat von: Lomax am 27. Februar 2011, 14:02:47Außerdem bin ich ja bekanntermaßen sehr bissig, und da war das nicht wirklich schwer vorhersehbar  ;)
Nichts ist erfrischender als eine Diskussion mit verschiedenen Ansichten! Insofern war es eine Hoffnung, dich anzulocken.

Die Sachlage sehe ich nämlich anders, weil nur noch ein Bruchteil der Autoren überhaupt weiß, was ein Fandom ist und von denen ein Gutteil die Fanzine-Ära nicht mehr aktiv mitbekommen hat. Da schließe ich mich ein. Über das SF-Netzwerk sehe ich zwar lose den Tellerrand und sehe mit Befremden Streitigkeiten, die ihre Wurzeln 20 oder 30 Jahre zurück haben und die verbissen ausgefochten werden, als ginge es um den Weltfrieden. Aber die wirkliche Hochzeit des Fandoms habe ich nicht mitbekommen, mein Austausch begann 2004 gleich über das Internet, über kurzgeschichten.de, das von alten Fandomstreitigkeiten frei ist. Für mich war ein Verlag immer eine Einrichtung, die sich hochwertigen Magazinen und Büchern verpflichtet sieht. Dass es eine breite Hobbyszene gibt, habe ich erst über die Jahre wahrgenommen.
Meine Wahrnehmung von Veröffentlichungen kommt also aus einer anderen Ecke und ich denke, so geht es vielen Nachwuchsautoren, die "Buch" sehen und "in der Buchhandlung" assoziieren. Erleichtert von den Versprechungen auf den Seiten der Kleinverlage: "Die Anthologie wird in jeder Buchhandlung erhältlich sein", "kauft mit Rabatt, dann verdient ihr richtig was", "Eine Chance für aufstrebende Autoren".
Ohne dieses Gefloskel würde ich die Sache nicht so ernst sehen. Aber da entseht eine Erwartungshaltung, die meiner Ansicht nach Augenwischerei ist.
Im Endeffekt müsste ich sie nicht ernst nehmen. Jeder von uns ist alt genug, um sich selbst zu informieren und das Internet macht es uns auch viel leichter als früher. Was ich definitiv ab sofort unterlassen werde ist, bei jeder zweiten Ausschreibung meine Bedenken drunterzuschreiben, weil zum einen die Autoren selbst einen Kopf haben, um eine Sache nach ihren Ansprüchen und Kriterien zu bewerten und ich es zum anderen schon so oft runtergeleiert habe, dass eh alle meine Meinung zum Thema kennen.

Maria

Da wäre für mich noch die Sache mit der Werbung für Anthologien, die für mich ein Problem darstellt.
Viele Hobbyverleger machen sie nicht oder ich kriege sie nicht mit, weil sie ihre BOD Exemplare ja nur nach Vorbestellung drucken und sobald ihre Erstellungskosten durch die Kauffreude der beteiligten Autoren gedeckt sind, wird null Marketingmühe (von Geld rede ich da gar nicht) in das Buch investiert.
Man verlässt sich darauf, dass die Autoren stolz an vielen Stellen im Netz (sind ja auch viele Autoren) herumerzählen, wie toll das Buch ist.
Ich mache zwar so viel Werbung für meine Bücher wie mir möglich ist, aber ich bewerbe meine (unbezahlten) Anthologiebetiräge nicht.
- Ich habe als Autor keinen Cent mehr, wenn hundert Bücher mehr verkauft werden.
- Ich kann ja nicht nur meine Geschichte bewerben, ich müsste das ganze Buch bewerben. Und das ist in meinen Augen bei Anthos reine Verlagssache.

Lomax

Zitat von: Die Wölfin am 27. Februar 2011, 14:55:00Die Sachlage sehe ich nämlich anders, weil nur noch ein Bruchteil der Autoren überhaupt weiß, was ein Fandom ist und von denen ein Gutteil die Fanzine-Ära nicht mehr aktiv mitbekommen hat.
In der Sache kann ich dir da nicht widersprechen. Gerade die Kommunikation und Vernetzung, die früher das Fandom ausgemacht und Fanzines und Szene verbunden, hat in der Zwischenzeit ... nun, "sehr gelitten" kann man nicht wirklich sagen, aber sie hat sich verschoben. Viele Anthologien existieren heutzutage eher neben der Szene, und sie tun zwar im Prinzip dasselbe wie früher die Fanziner, nur tun sie es für sich und im Rahmen eher zufälliger Internet-Kontakte, nicht mehr in einer Gruppe, die ein mehr oder minder geschlossenes Selbstverständnis entwickelt.
  Trotzdem würde ich die Sache halt anders bewerten, gerade weil es im Prinzip halt doch dasselbe ist, was die Leute tun - mit denselben Mängeln, demselben Größenwahn etc., den man früher schon bei einzelnen Teilnehmern der Szene finden konnte. Und auch früher war es nicht so, dass Fanziner und ihre Klientel sich automatisch einem "Fandom" verbunden fühlten - es ergab sich halt einfach zufällig so, dass man die Szene brauchte, um Leser und Autoren für seine Publikationen haben, und dass man auf diese Weise halt ins Fandom reingerutscht ist, ob man wollte oder nicht.
  Nur weil das heute nicht mehr so automatisch passiert, kann ich mich doch nicht dazu durchringen, die Leute, die heutzutage im Prinzip dasselbe tun, plötzlich anders wahrzunehmen und zu bewerten. Es braucht für mich kein Fandom und keine Kenntnis des Fandoms durch die Betroffenen, damit ich ihr Verhalten als "typisch fannisch" wahrnehme und mir nostalgisch denke: "Ach ja, das kenn ich ja von früher." Oder, wichtiger: "Ach ja, wenn's das damals schon gegeben hätte, dann hätte ich unsere Fanzines auch in Buchform rausgegeben."
  Denn das ist für mich der Hauptgrund, warum ich die Kontinuität zwischen der modernen Anthoszene und dem damaligen Heftfandom erkenne: Ich habe nicht nur erlebt, wie sich das eine langsam aus dem anderen entwickelt hat. Ich weiß auch, wäre meine aktive Zeit zehn, zwanzig Jahre später gewesen, hätte ich meine Fanzineprojekte genauso als Buchform herausgegeben. Es ist also recht eindeutig nur ein Wandel der Zeitumstände und der technischen Möglichkeiten, der heute dasselbe in anderem Gewand erscheinen lässt.
Zitat von: Die Wölfin am 27. Februar 2011, 14:55:00Über das SF-Netzwerk sehe ich zwar lose den Tellerrand und sehe mit Befremden Streitigkeiten, die ihre Wurzeln 20 oder 30 Jahre zurück haben und die verbissen ausgefochten werden, als ginge es um den Weltfrieden.
Die soziale Vernetzung ist ja im Prinzip ein anderer Faktor als die Frage nach den Publikationen. Man kann es zusammen sehen, weil es in der Vergangenheit automatisch zusammenhing. Aber wenn beides heute nun mal nicht mehr so selbstverständlich zusammenhängt, kann man beides getrennt betrachten und eine Kontinuität des einen Zweiges feststellen, auch wenn der andere keine entsprechende Fortsetzung gefunden hat.
  Abgesehen davon bin ich ja auch ein Späteinsteiger im Fandom, und 20 Jahre sind für die "Wurzeln" dessen, was man da an Geschichte beobachten kann, schon eher tief gegriffen. ;D
Zitat von: Die Wölfin am 27. Februar 2011, 14:55:00Meine Wahrnehmung von Veröffentlichungen kommt also aus einer anderen Ecke und ich denke, so geht es vielen Nachwuchsautoren, die "Buch" sehen und "in der Buchhandlung" assoziieren ... Im Endeffekt müsste ich sie nicht ernst nehmen. Jeder von uns ist alt genug, um sich selbst zu informieren und das Internet macht es uns auch viel leichter als früher.
Du sagst es selbst - viele schätzen das wohl falsch ein. Aber das war vor 20, 30 Jahren und mehr auch nicht anders, da kamen gewiss auch genug Leute mit falschen Vorstellung in die Szene, und es war ja gerade ein Vorteil, da erst mal Erfahrungen sammeln zu können mit vielen Dingen, von denen man auch später noch profitieren kann. Was durchaus ein Wert an sich ist und m.E. nach wichtiger, als dass jeder 16-Jährige gleich eine garantiert professionelle Veröffentlichung bei einem zukunftsweisendem Verlag bekommt, auf dem Silbertablett serviert und ohne sich vorher mal genau umzuhören und sich mit dem Marktsegment vertraut machen zu müssen, in das er strebt.
  Früher war der Unterschied zwischen "fannischen" und richtigen Veröffentlichungen vielleicht leichter zu erkennen als heute, wo alles als scheinbar richtiges "Buch" daherkommt. Nur war es damals eben auch deutlich schwerer als heute, sich zu informieren. Da denke ich, ist die Entwicklung beidseitig und ausgeglichen: Vielen Hobbyverlegern fällt es leichter, als "Verlag" aufzutreten, aber sie treffen auf eine potenziell aufgeklärtere Kundschaft, die mit einer einzelnen Google-Abfrage so ziemlich alles zu jedem "Verlag" diskutiert finden kann, was es dazu nur zu sagen gibt.

Ich muss sagen, sowohl als Autor wie auch als Hobbyverleger wäre ich vor 20 Jahren froh gewesen, die Verhältnisse vorzufinden, die da heute herrschen. Vermutlich hätte ich auch meine "Anthos" herausgegeben. Vermutlich hätte ich mir auch vorher nicht vorgestellt, was dabei schlecht laufen kann und was man alles beachten muss und wie viel Kleinarbeit tatsächlich in professionell gemachten Publikationen steckt. Und vermutlich hätte ich aus den Erfahrungen viel gelernt, worauf ich später auch bei professionellen Tätigkeiten in dem Bereich zurückgreifen kann und was einfach erheblich mehr Sicherheit gibt, als wenn man nie schlechte Erfahrungen selbst gemacht hat und alles nur aus der Theorie kennt. Und die guten Erfahrungen hätten vermutlich auch dann als kleine Motivationen ausgereicht, um weiterzumachen und sich Schritt um Schritt weiterzuarbeiten.

Tanrien

Lomax, du schreibst so lange Beiträge, die könnte man ganz zitieren... Was ich sagen wollte: Ich finde diese Diskussion sehr interessant und hatte den Zusammenhang zwischen Fanzines und Anthologien bisher nicht gesehen, finde ihn aber für mich einleuchtend. Auch, wenn ich für Fanzines etwas zu spät dran war. Was mir dabei aber auffällt, wenn schon die Parallele gezogen wird: Ich hatte in Gesprächen (im englischsprachigen Fandombereich, aber gut) immer das Gefühl, Fanzines werden als "Vorläufer" von Mailinglisten gesehen und sind danach "ausgestorben". Da kam es mir so vor, dass die, die noch laufen, mehr von nostalgischem Wert seien, einfach, weil sie nicht mehr benötigt werden. (Klärt mich gerne auf, wenn es noch andere Gründe gibt!) Das gäbe es ja für Anthologien eher selten, also, den Nostalgiewert (Siehe Wölfins Punkt zu "Wer kauft das eigentlich?"), aber dann wiederum: Wo soll man denn sonst qualitativ gute Kurzgeschichten/Novellen finden? (Außer auf gewissen Seiten, auf denen man wirklich gute Sachen kostenlos finden kann...)

Damit gäbe es aus meiner Sicht die "Gründe" für die Existenz von Anthologien...
- Nostalgie: Eine Anthologie-Reihe gibt es schon länger; es hat damit auch etwas besonderes, dort zu landen mit einer
- (Die der "blinden") Veröffentlichung: Als Extra in der Autorenvita, egal, wie gut/dämlich die letztendliche Anthologie-Veröffentlichung ist und als einfach zu realisierendes Projekt für den Verlag.
(- Verdienst: Bezweifle ich irgendwie, sowohl für Verlag als für Autor?)
- Qualität der Anthologiebeiträge als Kaufgrund für den Leser

Alle Gründe sind miteinander verwoben und die Grenzen verwischen, aber jeder Autor und jeder Verlag setzt seinen Schwerpunkt anders. Erinnert mich also an BoD - manches Mal passt es perfekt, manches Mal ist es Ausbeuterei, manches Mal ist es einfach nur seltsam. Aber wer bewusst an die Sache rangeht, kann sein Ziel erreichen, welches auch immer das sein sollte. Von daher muss sich vielleicht, meiner Meinung nach, nicht die "Anthoszene" ändern, weil die nach Lomax' Ausführungen anscheinend schon ein breites Spektrum aufweist, sondern es kann, wie bei BoD, schlicht darüber informiert werden, was der Autor erwarten kann. Der Rest regelt sich dann von alleine.

... Irgendwie ist dieser Post aus dem Ruder gelaufen, denn ein wirkliches Ende fehlt. Aber ich persönlich bin kein Fan (im neutralen Sinne!) von Anthologien, weil sie mich praktisch Null interessieren, weder als Autor noch als Leser noch, ehrlich gesagt, als Beobachter. Von daher fällt mein Ergebnis vielleicht auch so nichtssagend aus.

edit: Ach, da war ja eine Frage im Titel! Äh, dann würde meine Antwort lauten, dass ich zwar nicht von Misstrauen reden würde, aber von einer gewissen Antipathie Akzeptanz mit negativer Grundhaltung gegenüber der Tatsache, dass es so viele Anthologieprojekte gibt. Anders formuliert: Es macht die "Anthoszene" nicht besser, aber ich denke, die Gruppe der Leute, die durch diese "Ausdehnung" dazugewonnen wurde, ist größer als die, die sich davon abgeschreckt fühlt, und so funktioniert nun einmal die Welt.

Lomax

Ach so, P.S.:
Zitat von: Die Wölfin am 27. Februar 2011, 14:55:00Was ich definitiv ab sofort unterlassen werde ist, bei jeder zweiten Ausschreibung meine Bedenken drunterzuschreiben, weil zum einen die Autoren selbst einen Kopf haben, um eine Sache nach ihren Ansprüchen und Kriterien zu bewerten und ich es zum anderen schon so oft runtergeleiert habe, dass eh alle meine Meinung zum Thema kennen.
Dazu sehe ich nun aber auch keinen Anlass. Wenn du im konkreten Einzelfall der Ansicht bist, dass der entsprechende "Verlag" nun nicht zu den Glanzpunkten der Szene gehört, kannst du eventuelle Interessenten ruhig darüber aufklären. Das gehört ja zu den Informationsvorteilen der heutigen Szene. Und wenn man solche Hobbyprojekte als Möglichkeit betrachtet, um Erfahrungen zu sammeln, gilt das für die Verleger natürlich genau so wie für die Autoren.
  Entsprechendes Feedback zu ihrem Wirken, und sei es in indirektem Gemäkel an ihren Ausschreibungen, müssen die Hobbyverleger natürlich auch ertragen lernen. Auch das gehört zur "klassischen Fandomkultur"  ;)

Lomax

Zitat von: Tanrien am 27. Februar 2011, 21:59:26Ich hatte in Gesprächen (im englischsprachigen Fandombereich, aber gut) immer das Gefühl, Fanzines werden als "Vorläufer" von Mailinglisten gesehen und sind danach "ausgestorben".
Mailinglisten? Das ist sicher zu eng. Fanzines hatten zu einer Zeit ohne Internet sicher auch den Zweck, Infos zu verbreiten - diesen Zweck kann man sicher in Mailinglisten auslagern. Aber Fanzines hatten auch genug Inhalte, die gewiss nicht in Mailinglisten passen. Und es gab ja auch immer die reinen "Storyzines".
  Wenn man aus den "Mailinglisten" ein "Internet" im Allgemeinen macht, passt es allerdings schon irgendwie. Dahin hat sich sicher ein Großteil der Aktivitäten verlagert, die früher über Fanzines abgewickelt wurde.
  Aber ein anderer Teil ist eben auch in die Anthoszene gewandert. Das hat man damals in den Anfängen sehr deutlich gemerkt, als die BoD-Anthologien sehr explizit angefangen haben, die klassischen "Storyfanzines" abzulösen. Daran, dass der bedeutsamere Teil der Fandomaktivitäten in Netz abgewandert ist, würde ich allerdings auch nicht zweifeln.
  Vermutlich auch der bessere Teil, denn dass viele der heutigen Antho-Herausgeber die Möglichkeiten des Print eben nicht optimal nutzen und vielfach eine eher schlechtere Qualität produzieren als frühere High-End-Printzines, ist durchaus auch ein Kritikpunkt, den ich teilen würde. Wir haben damals eben auch Fanzines gemacht, um Layout zu zeigen, grafische Seitengestaltung, die Verbindung von Bild und Text - sozusagen als "Gesamtkunstwerk", das man zu diesen Regeln im Netz eben nicht nachbilden kann. Von diesem Zweig der "Fanzinekultur" hat sich in den modernen Printbereich leider herzlich wenig gerettet; da ist leider doch nur der reine Text angekommen, oft lieblos gesetzt zu möglichst-viele-Buchstaben-billig-in-ein-Buch-gequetscht :(.
  Aber ich habe schon zu Fanzinetagen gesagt, bevor man da veröffentlicht, sollte man erst mal ein Exemplar kaufen und sehen, worauf man sich einlässt. Wenn man das tut, weiß man damals wie heute, was einen erwartet. Insofern hält sich mein Bedauern für Autoren, die das heute versäumen und an eines der zahlreichen Beispiele für liebloses Bücherfüllen geraten, auch in Grenzen.
Zitat von: Tanrien am 27. Februar 2011, 21:59:26Da kam es mir so vor, dass die, die noch laufen, mehr von nostalgischem Wert seien, einfach, weil sie nicht mehr benötigt werden. (Klärt mich gerne auf, wenn es noch andere Gründe gibt!) Das gäbe es ja für Anthologien eher selten, also, den Nostalgiewert
Damit etwas nostalgischen Wert erringt, muss es erst mal vorbei sein und nicht mehr aktuell. Insofern können die wenigen noch aktiven Fanzines so was schon per se für sich verbuchen - Anthoprojekte naturgemäß nicht. Die gibt's ja noch zuhauf.
  Für Autoren individuell können Anthos allerdings durchaus einen nostalgischen Wert entwickeln - wenn man als Autor nämlich nicht mehr in der Szene aktiv ist, aber dann und wann mal Bücher aus der Zeit zur Hand nimmt, in der man es noch war. Auch da finde ich, bietet ein grafisch abwechslungsreich gesetztes Zine mehr an nostalgischem Gefühl als eine bleiwüstige BoD-Antho ... aber das ist dann naturgemäß ein sehr subjektives Gefühl.

FeeamPC

Misstrauen gerechtfertigt?

Ich betrachte das mal von zwei Seiten.

Als Autorin: ich habe bislang zwei Geschichten in Anthos veröffentlicht, und auch ein Belegexemplar bekommen. Verkauft worden ist meines Wissens nach nicht viel, aber es war für mich ein guter Kick für´s Selbstbewußtsein. Ich würde es wieder tun. Allerdings sind Anthos bestimmt nicht als himmelhochjauchzende Karrereleiter für Schriftsteller zu betrachten. Eher als eine Art Unterlegklötzchen für wackelige Anfänge.

Und von der Verlagsseite aus: ich habe gerade eine Antho ausgeschrieben, und wenn die funktioniert, ist es bestimmt nicht die letzte. Ich betrachte die Antho als reines Spaßprojekt, denn auch als Verlag kann ich mir an allen 10 Fingern abzählen, dass ich damit kaum etwas verdienen kann. Ich habe aber den Ehrgeiz, ein schönes Buch zu gestalten, und hoffe im Wesentlichen tatsächlich, ein paar gute Autoren zu finden, mit denen ich gerne auch einmal ein größeres Projekt verwirklichen kann.

Viele Anthos auf einmal wären in diesem Fall aber kontraproduktiv. Ein Verlag, der nur im Fließbandverfahren Anthos produziert, der scheint andere Ziele im Sinn zu haben und würde auch bei mir auf Misstrauen stoßen.

treogen

Zitat von: Kaeptn am 27. Februar 2011, 12:06:21
Bin ja mal gespannt was treogen dazu sagt, der macht ja derzeit auch eine Ausschreibung nach der anderen und dürfte sich somit angesprochen fühlen :)

Och, unsere letzte Antho kam vor 9 Monaten auf den Markt, ist also schon ein Stück weit her.
Und so viele Ausschreibungen sinds ja jetzt wirklich nicht. "Sie finden das Grauen", "Einhörner" und "Der Fluch des Colorado Rivers".

Ich kann jetzt nur von mir reden:
Ich fühle mich ganz wohl mit 2-3 Anthos im Jahr, welche jeweils verschiedene Zielgruppen ansprechen, so dass diese sich nicht gegenseitig kannibalisieren. Mehr möchte ich nicht machen und mehr werde ich nicht machen.
Zum einen möchte ich nebenher noch einige Roman-Autoren aufbauen und brauche dafür Zeit und Geld.
Zum anderen ist mehr auch gar nicht machbar. Jedenfalls nicht, wenn man es nicht hauptberuflich betreibt.

Wer mich schon mal auf einer Convention oder Messe getroffen hat, weiß, wie wichtig mir die Vermarktung der Anthologien ist. Das Geld für Plakate, Postkarten, Lesezeichen investier ich gerne, wenn ich an das Buch glaube. Und wenn ich nicht an das Buch glaube, mache ich es auch nicht. Und in Zukunft werden die neuen Bücher des Verlages auch über Amazon direkt vertrieben - bin seit Januar Libri-Geschäftspartner.
Ich freue mich sehr, wenn meine Autoren selber aktiv werden, Lesungen organisieren oder Bücher zum Autorenrabatt abnehmen. Aber ich verlasse mich nicht darauf und baue systematisch eigene Vertriebskanäle aus.

Es gab durchaus noch mehr Anthos, die mir angeboten wurden. Teilweise nur Konzepte, teilweise schon fertige Anthos, für die "nur noch" ein Verlag gesucht wurde. Aber da konnte mich der Herausgeber nicht überzeugen. Und wenn bei einer Antho nur Schrott käme, würde ich sie lieber streichen, als dass ich Mist herausbringe. Klar - denn ich lege mir tatsächlich eine Auflage auf Lager und arbeite nicht per PoD. Was bedeutet, dass jedes Buchprojekt ein Risiko ist. Damit ist Risikominimierung mein wichtigstes Thema - und eine Möglichkeit der Risikominimierung liegt in der stetigen Verbesserung.

Wichtig war mir von Anfang an, dass meine Autoren sich bei mir gut aufgehoben fühlen. Deswegen mache ich auch Dinge, die von anderen Kleinverlagen manchmal als überflüssig bewertet werden (beispielsweise kriegt der Autor immer ein PDF, welches bereits so formatiert ist, wie es dann auch gedruckt wird - quasi eine "digitale Druckfahne" - mit der Aufforderung, diese in 30 Tagen durchzuarbeiten und notfalls sein Veto einzulegen), manchmal als zusätzliche finanzielle Belastung angesehen werden (KG-Autoren erhalten ein Belegexemplar) oder oftmals als schlichtweg blödsinnige Mehrarbeit angesehen wird (ich zahle - auch an KG-Autoren - ein Honorar ab dem 1. Exemplar).
Dazu gehört auch, dass ich bei Cover und Lektorat / Korrektorat Unterstützung suche.
Trotzdem kann immer noch etwas schief gehen - da bin auch ich nicht gefeit vor. Beispielsweise hat es uns bei den "Geisterhaften Grotesken" wegen eines kurzfristigen Wechsels der Abläufe den Satz teilweise durcheinandergehauen und ein paar Leerzeichen verschluckt. Peinliche Sache, hat mich richtig geärgert, vor allem, weil ich so etwas in der Nachauflage nicht korrigieren kann.
Da muß man dann halt dazu stehen und sagen: "Mei, ist blöd gelaufen. Wird beim nächsten Mal besser. Ich weiß nämlich, was der Fehler war!"

Ich erinnere mich noch, wie ich mit "Lichtbringer" angefangen habe. Da hab ich diverse Autoren angeschrieben, ob sie nicht eine Geschichte dazuliefern würden. Habe damals von allen eine Absage erhalten. Teilweise mit ganz netten Begründungen, aber trotzdem eine Absage. Von den Profis wollte keiner in einer Antho landen, die vielleicht Rotz ist. Und bei den in der Szene bekannten KG-Autoren bin ich genauso abgeblitzt. Eine hat es mir ganz klar gesagt: "Ich beobachte dich. Und wenn mir gefällt, was du machst, komme ICH auf dich zu. Aber bisher bist du ein Niemand."
Wie sehr sich das mittlerweile gewandelt hat, kann man sehen, wenn man auf das Cover der "Geisterhaften Grotesken" schaut.

Inwieweit meine Anthos mehr Fanzines als Bücher sind, mögen gerne die Leser beurteilen. Da ich jedoch mittlerweile einen Kundenstamm haben, die teilweise schon richtige "Anthologie-Abos" abgeschlossen haben, kann es nicht ganz so schlimm sein.

Zur Hauptfrage zurück:
Misstrauen gerechtfertigt?

Ich kenne selber einige Verlage (es gründen sich ja immer mal wieder neue, manche halten kurz durch, manche länger) - und so sehr ich die Aussage der Autorin damals für arrogant gehalten habe, so sehr verstehe ich sie heute. Und bei manchen denke ich mir auch: "Mensch, mach doch wenigstens erstmal eine Antho. Zeig, was du kannst und schreib nicht gleich 4 gleichzeitig aus. Das kannst du doch weder zeit- noch geldmäßig stemmen."

Ach ja - die Autorin, die mir bei "Lichtbringer" einen Korb verpasst hat, kam später tatsächlich auf mich zu und wir haben was gemeinsam auf die Beine gestellt  :)
www.verlag-torsten-low.de

Phantastik vom Feinsten