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Recherche historischer Orte und Begebenheiten

Begonnen von Sanjani, 11. Februar 2011, 00:13:35

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Sanjani

Hi zusammen,

ich hoffe, so etwas gibt's nicht schon, habe jedenfalls nichts gefunden.
Ich habe mich gestern mal wieder flüchtig mit einem älteren Projekt beschäftigt, das während der Zeit der nordischen Kriege spielen soll.
Der Plot steht momentan nur so ungefähr fest. Auf jeden Fall muss es während eines Krieges passieren und ich wollte es nach Schweden verlegen.
Mein Problem ist allerdings gerade, dass ich keine Ahnung habe, wo ich mit der Recherche anfangen soll. Erschwerend kommt wohl noch hinzu, dass ich mich von den historischen Ereignissen evtl. noch inspirieren lassen möchte.

Nun meine Frage: Hat von euch schon mal jemand Fantasy in historischem Setting geschrieben und wenn ja, wie habt ihr die Recherche gestaltet?
Ich habe folgende Ideen:

1. Ersten Überblick verschaffen über geschichtliche Ereignisse, evtl. mittels Wikipedia, dann über Bücher.
2. zeit aussuchen und eingrenzen, darüber dann Geschichtsbücher wälzen.
3. Evtl. auch schon bestehende historische Romane aus dieser Zeit und aus diesem Land lesen.
4. Falls historische Personen vorkommen sollen, Portraits und Biografien u. ä. über sie suchen.
5. Bücher über die politischen Gegebenheiten zu der Zeit suchen um das besser zu verstehen.
6. Alltagsleben studieren (der normale kleine mensch, Kleidung, Lebensgebräuche u. ä.)
7. Und jetzt kommt das Problem: Örtlichkeiten. Wie kommt man von A nach B, was für eine Landschaft ist es, wie lange braucht man zu Pferd oder zu Fuß? Kann man sich einen kleinen Ort auch reinbasteln, den es vllt gar nicht gab (ich bräuchte z. B. ein Dorf, das hinter einer Hügelkuppe liegt und dahinter ist ein Wald - also, auf der anderen Seite des Hügels) oder muss ich ihn mir suchen? Karten kann ich ja keine verwenden. Verwendet ihr alte Karten? Wie fängt man das Flaire von damals ein, das Lebensgefühl? In der Gegenwart fährt man ja am besten hin, aber im Historischen geht das ja nicht :(

Was haltet ihr ansonsten von meinem Plan? Habt ihr noch Ergänzungen oder findet ihr manches überflüssig?

Danke und liebe Grüße

Sanjani
Die einzige blinde Kuh im Tintenzirkel :)

Malinche

Hallo Sanjani,

im Prinzip beschreibst du ziemlich gut mein eigenes Vorgehen. Bei den "Kondorkindern" war das mit dem historischen Setting ein sehr großes Thema. Ich gehe also ziemlich konform mit deiner Liste.

Bei mir wusste ich z.B., dass die Geschichte in der peruanischen Kolonialzeit spielt - also irgendwann zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert. Es hat sich dann das 18. Jahrhundert als genaues Setting heraus kristallisiert, und ich habe mir ziemlich viel Hintergrundinfo angelesen, die hauptsächlich für mich selbst relevant war, im Buch aber nicht unbedingt auftaucht. (Außer zwei Rahmenereignissen, die den historischen Strang einrahmen - da hat mich die Recherche wirklich inspiriert, weil sie total gut zum Plot gepasst haben.)

Gerade deinen Punkt mit den Alltagssachen finde ich sehr wichtig. Darüber kann man schneller stolpern, als man glaubt. Ich hatte gleich am Anfang einen bösen Hänger, weil ich partout nicht wusste, wie haben die damals Licht gemacht? Was hatten die für Lampen und wie hat man Feuer gemacht? Mit Feuersteinen? Mit primitiven Feuerzeugen? Argh.  :wums: Gerade solche Sachen zu recherchieren ist dann aber oft sehr schwierig, denn man muss ja an diese Infos in mühevoller Kleinstarbeit kommen.

Punkt 7: Tja, das ist so eine Sache. Ich hatte bei den "Kondorkindern" das Glück, dass ich das Setting kenne - und sich bestimmte Sachen auch nicht groß geändert haben. Bei ein paar von meinen zukünftigen Projekten ist das ähnlich. Eines wird in Prag spielen, und ich kenne Prag und denke, dass man da auch viel historisches Ambiente beschreiben kann, wenn man von eigenen Erfahrungen ausgeht.

Natürlich geht das nicht immer. Dann muss man wieder auf "geborgte" Erfahrungen zurückgreifen. Reiseberichte von anderen halte ich für eine gute Wahl. Auch, wenn das Setting sich natürlich verändert hat, aber wenn du über Schweden schreibst, kann es sicher nicht schaden, wenn du weißt, wie Schweden und speziell die Region, die dich dann interessiert, auf Reisende der Jetzt-Zeit wirkt.

Und: Eigene Erfahrungen umsiedeln. Kennt man Orte, die so ähnlich sind, wie man sich die fiktiven Orte oder das historische Setting vorstellt? Das kann sehr hilfreich sein, glaube ich. Und ansonsten natürlich auch die eigene Phantasie. Je genauer das Bild ist, das man sich von den allgemeinen Rahmenbedingungen gemacht hat, desto leichter kann man in seinen eigenen Vorstellungen spazieren gehen und quasi seinen persönlichen Reisebericht schreiben.

Entfernungen etc. sind natürlich tricky. Aber es lässt sich auch oft herausfinden, wie lange man von A nach B gebraucht hat, bevor es die Autobahn, die Landstraße oder den Zug gab, und wenn nicht, sucht man sich Richtwerte für ähnliche Entfernungen, bei denen man es rausfindet.

Fiktive Orte einzubauen finde ich legitim, habe ich bei mir auch so gemacht.

Ich denke, deine Liste ist schon ziemlich gut. Fantasy in historischem Setting ist anstrengend, keine Frage, und ich find's toll, wenn du dich da ziemlich neu in die Thematik einarbeiten willst - Respekt. Ich hatte ja Vorwissen und selbst da hab ich noch einige Zeit mit Recherchen verbracht (und war vor bösen Überraschungen à la Feuer machen nicht gefeit).

Das wird nicht wenig Arbeit, wenn es eine runde Sache werden soll, aber ich bin sicher, du schaffst das. Viel Erfolg!
»Be suspicious of the lemons.« (Roxi Horror)

Maran

#2
Es gibt noch die Möglichkeit, eine Anfrage an Museen oder Universitäten zu schicken. Wenn die selbst keine genauen Antworten wissen, dann können sie zumindest jemanden benennen, an den Du Dich wenden kannst.

Altes Kartenmaterial dürfte in begrenztem Umfang zu bekommen sein, selbst im Internet.

Bei historischen Romanen wäre ich vorsichtig, wenn ich nicht beurteilen kann, wie genau der Autor selbst recherchiert hat.

Fiktive Orte kann man immer erstellen. Viele Autoren vermerken dies in einem Vorwort. (Verweis auf Dorothy L. Sayers, die es tatsächlich geschafft hat, das Oxforder Universtitätsviertel in (mindestens) einem ihrer Krimis ein wenig umzubauen. Da befindet sich im Vorwort doch tatsächlich eine Karte. :D)

Heimatkundevereine dürften auch gute bis sehr gute Auskunftsquellen sein, da die sich regional sehr gut auskennen, was sehr hilfreich bei den kleinen, aber wichtigen Details ist, die für das Ambiente unentbehrlich sind. Sicher können die auch etwas über Transport und Wege erzählen.

Sanjani

Hallo ihr zwei,

vielen Dank für die zusätzlichen tollen Tipps. Auf Reiseberichte und Museen wäre ich gar nicht gekommen und auf Vereine erst recht nicht. Ich kann zwar kein schwedisch, aber in Deutschland gibt es ja bestimmt auch Schwedenvereine. Und Englisch können die im Zweifelsfal ja auch.

Das wird auf jeden Fall ein Langzeitprojekt, allein schon aufgrund der Tatsache, dass ich die ganzen Bücher erst einmal bekommen und einscannen muss, aber es könnte eine interessante Herausforderung werden, zumal mich der Hauptprotagonist schon sehr fasziniert.
Und wenn das Recherchieren und Schreiben länger dauert, komme ich vielleicht auch noch dazu mal nach Schweden zu reisen :)
Liebe Grüße

Sanjani
Die einzige blinde Kuh im Tintenzirkel :)

Churke

#4
Ich habe es gemacht und beide Mal mit höchsten Ansprüchen an die Authentizität. Das ist nicht einfach, aber sehr lehrreich. Wenn man von der Epoche nur weiß, dass es sie gab, ist das schon mal ein guter Einstieg.  ;D Dann weiß man nämlich, wo man weiter lesen muss.

Ich denke, man kann diese Dinge auf zwei Arten aufziehen: Entweder hat man bereits einen Plot, der aus Gründen der Authentizität historisch sein sollte. Dann kann man sich ausgehend von diesen historischen Ereignissen in die Epoche hinein arbeiten. Man weiß ja, wo man anfängt.

Der andere Weg ist der, eine Epoche zu kennen und aus dieser Kenntnis heraus einen Plot zu entwickeln. Diesen zweiten Weg halte ich für den Königsweg, denn da ja bereits auf profunde Kenntnisse aufbaut, ist das Risiko, Fehler zu machen, erheblich geringer.

Bei historischen Romanen bin ich vorsichtig, da man hier die Fehler anderer abschreiben kann. Überhaupt bin ich ein absoluter Fan von Pirmärquellen! In einem Buch kaut dir der Autor was vor, aber Primärquellen eröffnen die Perspektive eines Zeitzeugen. Du kannst selbst auswerten und interpretieren - wobei dir vielleicht auch ganz andere Einfälle kommen.
Erst das Studium von Primärquellen eröffnet die Möglichkeit, sich bei widerstreitenden Thesen für eine Seite zu entscheiden. Hier haben wissenschaftliche Veröffentlichungen den Vorteil, dass über Fußnoten Quellen angegeben sind - man kann also nachlesen. Ich habe vom Demandt ("Die Spätantike") leider die Volksausgabe, wo die Fußnoten fehlen. Die musste ich mir zum Teil mühsam erarbeiten. (Demandt zitiert einen Autor und ich suche die Stelle)

Sehr interesant - und von Autoren viel zu wenig beachtet - sind Rechtsquellen. Weil sich in Gesetzen und Prozessen Alltag und Lebensgefühl der Menschen zeigen.

Örtlichkeiten: Im Zweifel einfach anschauen. Sehr inspierierend.

Was gibt's noch? Ja, Studium vom Gemälden.

Sanjani

Hallo Churke,

auch dir vielen Dank für deine Ausführungen.

Nun, die historischen Romane würden auch eher dazu dienen zu schauen, was andere aus der Zeit und dem Ort gemacht haben und ob sich das mit dem deckt, was ich mir vorstelle (also bzgl. Korrektheit und Authentizität).

Mein Plot würde, glaube ich, in unsere schnelllebige "moderne" Welt nicht wirklich reinpassen, v. a. weil Dinge, die früher ein Problem waren, heute kein so großes mehr sind, z. B. uneheliche Kinder. Und mein naturverbundener Prota passt auch nicht hier rein :)

Rechtsquelen sind auch ein sehr guter Hinweis, vielen Dank dafür. Bekommt man so was in Bibliotheken?

Mit Primärquellen muss ich mal sehen. Ist das da nicht so, dass die häufig noch in alten Schriften oder teilweise sogar handschriftlich geschrieben sind? Das kann ich ja dann gar nicht lesbar machen.
Bei Gemälden ist es ähnlich. Die kann ich ja selbst nicht sehen und Erklärungen von anderen sind ja dann wieder Interpretationen.

Mal schauen, was sich machen lässt.

Liebe Grüße

Sanjani
Die einzige blinde Kuh im Tintenzirkel :)

Sonnenblumenfee

Zitat von: Sanjani am 11. Februar 2011, 11:18:06
Mit Primärquellen muss ich mal sehen. Ist das da nicht so, dass die häufig noch in alten Schriften oder teilweise sogar handschriftlich geschrieben sind? Das kann ich ja dann gar nicht lesbar machen.

Viele Primärquellen sind mittlerweile abgetippt und häufig auch im Internet zu finden. Da muss man mitunter allerdings ein bisschen aufpassen, weil auch das reine abschreiben manchmal an Interpretation grenzt (wenn eine Handschrift zum beispiel nur sehr schwer lesbar ist). Und bei Übersetzungen sollte man auch ein bisschen Vorsicht walten lassen. Grundsätzlich dürfte das aber bei den "gängigen" Quellen kein problem sein.
Hinweise auf Primärquellen gitb es übrigens auch in der entsprechenden Literatur, die Historiker beziehen sich ja auch darauf.
"Discipline is my freedom" - Gretchen Rubin

Churke

Zitat von: Sanjani am 11. Februar 2011, 11:18:06
Nun, die historischen Romane würden auch eher dazu dienen zu schauen, was andere aus der Zeit und dem Ort gemacht haben und ob sich das mit dem deckt, was ich mir vorstelle (also bzgl. Korrektheit und Authentizität).

Dies wirklich beurteilen zu können, erfordert Ahnung von der Materie. Fehlt es daran, sehe ich das Risiko, sich falsche Vorstellungen zu Eigen zu machen. Im Einzelnen wirklich grauenhaft falsch sind die Hexenprozesse in Tanja Kinkels "Die Puppenspieler." Vom Rechts- und Gerichtswesen des Mittelalters hat die Dame ja mal gar keine Ahnung...  ::)

Mit den Bildern ist das so: Wenn du z.B. die Niederländer des Barock nimmst, dann kannst du daraus ableiten, wie die Landschaft ausgesehen hat, die Städte, die Gebäude, selbst das Klima. (Kleine Eiszeit) Du siehst die Mode, das Innere von Wirtshäusern und Spelunken, die Einrichtung reicher Häuser, Schiffe, Seestücke etc..
In Dresden hängt das Gemälde einer Jagdgesellschaft des frühen 18. Jh.. Unter den Reitern ist eine Dame in Hose (!) mit einem Jagdspieß. So etwas sagt mehr als tausend Worte.

Sanjani

@Churke: Fein. Wenn ich die genaue Zeit ausgesucht habe, darf ich mich dann mit Gemälden an dich wenden, damit du sie mir beschreibst? ;-)
Aber ist trotzdem ein guter Tipp, kann ich nix gegen sagen.

LG Sanjani
Die einzige blinde Kuh im Tintenzirkel :)

Chris

Zitat von: Sanjani am 11. Februar 2011, 11:18:06
Mit Primärquellen muss ich mal sehen. Ist das da nicht so, dass die häufig noch in alten Schriften oder teilweise sogar handschriftlich geschrieben sind? Das kann ich ja dann gar nicht lesbar machen.

Hallo Sanjani,
häufig gibt es die Primärquellen bereits zusammengestellt und gesammelt in einem Buch. Für Dich leider nicht interessant, aber ein Beispiel:
Régine Pernoud (Hg.): Die Kreuzzüge in Augenzeugenberichten.

Ich finde Universitätsbibliotheken zur Suche hilfreich, aber das weißt Du wahrscheinlich selbst  ;).

Viel Glück und frohes Recherchieren
Chris