• Willkommen im Forum „Tintenzirkel - das Fantasyautor:innenforum“.
 

Gewalt und Folterei - geht es denn gar nicht mehr ohne?

Begonnen von Alana, 21. Oktober 2009, 21:55:06

« vorheriges - nächstes »

0 Mitglieder und 2 Gäste betrachten dieses Thema.

Alana

Hallo ihr Lieben,

mir fällt in letzter Zeit extrem und sehr unangenehm auf, dass sowohl in Büchern als auch Filmen aller Genres immer mehr der Trend zur Folter geht.

Auch Jugendbücher sind da leider keine Ausnahme, nur wird es da nicht so ausführlich beschrieben.

Ich finde das sehr schade, wenn nicht sogar besorgniserregend.

Warum muss das sein?
Warum kommt ein Roman heutzutage nicht ohne grausame Folter oder anderweitiges Gemetzel aus?


Alhambrana

Maran

... oder mit Ekelhaftem. Einige Filme, die mich sehr interessierten - und auch amüsierten - habe ich nicht zuende sehen können, weil irgendein bis ins Kleinste ausgearbeitete Detail, das wohl komisch sein soll, einen solchen Würgereiz in mir auslöste, der mich völlig aus dem Konzept brachte.

Es scheint mir aber auch so. Nur daß die Bösen eben foltern und die Guten "mit Nachdruck" für Gerechtigkeit sorgen. DAS finde ich viel bedenklicher.

Moa-Bella

Hm, ich habe gerade erst zwei Bücher von Kai Meyer gelesen und wenn ich jetzt den Beitrag hier lese, fällt mir schon auf, dass es da teilweise schon etwas blutrünstig zuging. Ich glaube, vor allem Jugendbücher werden immer härter, mehr "realistische" Schicksale, mehr Blut, mehr Tod. Eigentlich sollte ein Buch auch ohne all das auskommen können, aber vielleicht sagt die breite Masse und somit auch der Verleger etwas anderes. Sorgen machen würde ich mir, wenn Bücher nur noch wegen der Gewalt gekauft werden würde, wenn die Gewalt im Vordergrud  stehen würde. Hoffentlich kommt es nicht so weit und es interessiert sich noch jemand für die Geschichte. Allerdings glaube ich, dass ganz ohne jegliche Gewalt niemandem geholfen wäre, das würde den Büchern auch nicht gut tun.

Nachtblick

Hallo Alana,

das ist mir tatsächlich auch schon aufgefallen, aber eher noch im filmischen Bereich.
Neulich fragt der 13-jährige (!) Kumpel meines Bruders, ob wir auch "brutale Filme haben, aber richtig brutal". Ich, völlig verblüfft, hatte keine schlagfertige Antwort parat und habe verneint, und er starrt mich an, überlegt und sagt dann ebenso verblüfft: "Nicht mal Saw?" *augenreib*

Ich habe wirklich nichts gegen eine gut geschriebene Folterszene in einem Buch, das muss ich ganz ehrlich sagen, solange es sich in Grenzen hält und nicht nur auf den Würgreflex zielt. Aber sich ganze Filme und Bücher reinziehen, in denen Menschen zerhackstückelt werden? Ich kann da irgendwas nicht nachvollziehen. Wenn es für die Story nötig ist, dass ein Charakter gefoltert wird, warum sollte ich die Szenen dann weglassen? Aber solche Szenen künstlich einzubauen... ab und an hat man das Gefühl in Filmen wie Büchern.

Nee. Die tatsächlich üblich gewordene Gewalt in Büchern (auch Jugendbüchern, keine Frage) stört mich nicht groß, aber ich will wenigstens ab und an auch gern mal ein Buch lesen, in dem nicht ständig jemand reißerisch zerlegt wird.

Nox
Nachtblick

LoneRanger

Ich war einmal vor Jahren, als ich jung war (jetzt 48 !!!) in einem Film in dem die "Gremlins" kleine Wesen waren, die nicht in Berührung mit Wasser kommen durften, weil sie sich sonst in blutrünstige Monster verwandelten. Mir ist bei dem Film aufgefallen, das immer dann, wenn eine lustige Szene noch in der Luft hing, im Kino alle lachten, spontan etwas sehr grausames passierte. Es wurde nicht "gezeigt" aber angedeutet. Jeder wußte, was gemeint war.

Mich hat das betroffen gemacht den mir schien es schon damals als eine de-sensibilisierung für Brutalität.

Gipfel war dann vor einem Jahr, als ich "Sumo" von Walter Moers gelesen habe. Immer ein wenig brutaler, als es für den Plot wirklich notwenig ist. Warum? Und was macht so etwas mit uns? Ist das gut, wenn wir so etwas aufnehmen und es normal wird?

Mit nachdenklichen Grüßen

Stefan, der Lone Ranger

Alana

#5
@Stefan: Ja mir fiel das bei Rumo auch unangenehm auf.
Ich fand das Buch zwar wirklich gut, aber auch unglaublich brutal.

@Nachtblick: Mich stört es deshalb, weil es kaum noch möglich ist, solche Bücher bewusst zu umgehen.
Diese Szenen tauchen ohne Vorwarnung und in meinen Augen auch meist ohne größeren Sinn für den Plot mitten im Buch auf.

Und es stört mich auch deshalb, weil es den Eindruck erweckt, dass Unterhaltung ohne ein gewisses Maß an Gewalt nicht möglich ist.
Was mich insbesondere an Folterszenen stört, ist die unglaubliche Grausamkeit, mit der Menschen sich gegenseitig die schlimmsten Dinge antun.
Da geht es nicht um seelenlose Orks, nein, es geht um Menschen.
Warum muss das sein?
Warum gerade Folter?

@Moa-Bella: Klar, ohne Gewalt geht es nicht und das wäre auch ein verzerrtes Bild von der Welt.
Aber früher sind die Bücher immerhin ohne derlei grausame Schilderungen ausgekommen.
Ich denke da an Die unendliche Geschichte und viele andere.
Alhambrana

Steffi

#6
Ich denke, das liegt zum Teil daran, dass Jugendliche heute in den Medien (und damit meine ich Zeitungen, Nachrichten usw.) einfach zwangsläufiger mit Gewalt und Brutalität konfrontiert werden.  Ich glaube nicht, dass unsere Zeit brutaler ist als - sagen wir 1650 - aber es wird alles schlichtweg besser dokumentiert. Kein Tag vergeht, ohne dass irgendwo jemand einen Selbstmordanschlag verübt und die Nachrichten sind dann voll von Bildern Verwundeter und Toter. Oder von Geiseln irgendwo in Afrika.

Vielleicht wird Gewalt in Büchern einfach nötiger, um das Gesehene in den Medien Gesehene zu verarbeiten.

Die Gothic Novel geschrieben, die Urversion des Horrorromans,  tauchte auch ziemlich zeitgleich mit den Greueln der Französischen Revolution auf, und wurden dann im Laufe der Zeit immer härter.  Dieser Zusammenhang ist nicht zufällig.
Sic parvis magna

Feuertraum

Leider hat sich die Hemmschwelle zur Gewalt immer mehr gesenkt. Wenn man bedenkt, dass Jugendliche schon halb zu Tode prügeln, was auch noch mit dem Handy aufgenommen und im Internet verbreitet wird, dann denke ich bleibt er nicht aus, der nächste Kick, der noch intensivere Kick.
Und wenn Splatterfilme den einen oder anderen auf Ideen bringen... :'(
Ich mag mir gar nicht ausmalen, was noch alles passieren kann, wenn Fantasien auf dies Art ausgelebt werden. Und ich werde auch keine Szenen, in denen gefoltert wird, schreiben.

Traurige Grüße
Feuertraum
Was hat eigentlich He-Man studiert, dass er einen Master of the universe hat?

Churke

Zitat von: Alana am 21. Oktober 2009, 21:55:06
Warum muss das sein?
Warum kommt ein Roman heutzutage nicht ohne grausame Folter oder anderweitiges Gemetzel aus?

Vielleicht, weil es zum Setting passt?
Ich sage es ganz offen: Bei mir wird auch gefoltert. Ganz einfach deshalb, weil etwas faul im Staate ist. Vergangene Gesetze sind die reinsten Splatterorgien. Und das fand man gut und richtig.

http://de.wikisource.org/wiki/Datei:Bamebergensis_34r.jpg
Wo du Geduld hast in der Pein/ So wird sie dir gar nützlich sein / darum gib dich willig darein

http://de.wikisource.org/wiki/Datei:Bamebergensis_35v.jpg
Wem trewe straff nit bringet frucht
Der kumpt dick in des meysters zucht
Des werck vnd zeug wirt hie anzeygt
Wol dem der sich zu tugent neygt

Man beachte den generalpräventiven Ansatz. Abschreckung durch Folter.  ::)
Solche Quellen inspirieren mich. Ich will hier keine sinnlosen Folterszenen verteidigen, aber wenn sie zum Setting gehören, dann gehören sie dazu. Und ich kann auch nicht finden, dass im Vergleich zu *ganz* früher irgendwelche Hemmschwellen gesunken sind. Die meisten Heiligengeschichten wären heute auf dem Index. 

Silvia

Hm, ist mir letztens leider auch extrem aufgefallen, wenn auch vor allem bei Filmen. Ich war neugierig auf "Der Aufstand der Lykaner", und hinterher hätte ich mich dafür treten können. So ein sinnloses Gemetzel! Ich hatte am Ende nur noch das Gefühl - der Sinn dieses und ähnlicher Filme ist: Wer nicht genauso ist wie ich (Werwolfwesen oder Vampir), der gehört samt seiner Sippe zu Tode gemetzelt. Und zwar alle und zwar sofort.
Meine Güte. Hinterher bin ich in der Buffy-Serie, die ich eigentlich ganz gern mag, auch noch über eine Folge gestolpert, in der der Bösewicht sowas von nebensächlich sein Messer in ein, zwei junge NSCs sticht, dass ich die Folge nicht mehr weiterschauen mochte und jetzt eine derartige Abneigung gegen solche geistlose Töterei habe, dass es schon nicht mehr schön ist.  :(

Bei Büchern ist es mir eher selten untergekommen, außer bei Kai Meyers Sturmkönigen schon im ersten Teil ... und bei einigen Fantasy-Romanen. Ich sortier das gern vor, weil ich auch keine Lust auf zu viel Geschnetzel zwischen den Buchdeckeln habe. Das ist wohl auch ein Grund, warum ich gern Jugendfantasy lese  ;) Da ist dieser Trend noch nicht so extrem.
Ich weiß auch nicht, warum manches Buch schon mit Leichen anfängt und Konflikte so oft mit der Waffe oder einer Schlacht gelöst werden müssen? Man könnte es ja auch mal mit dem Endziel gegenseitiger Verständigung versuchen?
Aber anscheinend bringt das nicht genug Quote oder Adrenalinschübe beim Anschauen und Lesen.

Steffi

Zitat von: Silvia am 22. Oktober 2009, 00:36:28

Aber anscheinend bringt das nicht genug Quote oder Adrenalinschübe beim Anschauen und Lesen.

Ich finde es ziemlich schade, dass Gewalt in Büchern und Filmen gleich als "Blutgeilheit" gleichgesetzt wird anstatt zu überlegen, woher das Bedürfnis über Gewalt zu schreiben und zu lesen wohl herkommt.
Sic parvis magna

HeiligeSandale

Wenn Gewalt drastischer und offensiver geschildert wird trägt das doch eigentlich nur dazu bei, dass sie bewusster ist. Wenn ein Autor schreibt "Der Held kämpfte sich bis zum bösen König vor" klingt das nett. Was tatsächlich aber passiert ist, dass der "Held" sein Schwert in andere Menschen rammt, ihr Blut durch die Gegend spritzt, er Körperteile abtrennt und Leben beendet. Das ist hässlich und sicher nicht nett. Wenn der Autor es drastisch beschreibt ruft er also eher zu einem kritisch reflektierenden Umgang mit Gewalt auf als wenn er es weglässt. Das nämlich wäre im Grunde eigentlich nichts weiter als Verharmlosung und Verharmlosung von Gewalt ist quasi Verherrlichung von Gewalt. Was könnte die Hemmschwelle weiter senken als der Glaube, dass das "alles nicht so schlimm" sei?
Physische Gewalt ist hässlich, böse und real (jede andere auch, aber hier geht's ja um Gemetzel). Ich denke, wenn man ein gewalthaltiges Szenario beschreibt, dann doch wenigstens so angemessen dass es sich nicht liest wie ein Kindergeburtstag. Gewalt muss dem Leser sauer aufstoßen, sonst bringt es nichts, sie zu erwähnen. Und dass sie sauer aufstößt sieht man ja an den Reaktionen.
Sicherlich sollte eine Schilderung von Gewalt nicht sinnlos passieren, nur um den Text interessanter zu machen.  Aber niedere Instinkte der Quote wegen ansprechen ist eine "Kunst" die schon im altgriechischen Theater zu finden ist. Und schon damals wurde das scharf kritisiert, als demoralisierend und verrohend. Seit es Unterhaltung gibt, haben Kritiker Angst vor ihrer Wirkung. Die alten Griechen waren trotzdem eine Hochkultur. Und bis heute ist die Menschheit nicht an Unterhaltungsmedien, in welcher Form auch immer, zugrunde gegangen.

Tenryu

#12
Ich denke, die heutigen Kinder und Jugendlichen sind durch das Fernsehen und Computerspiele schon derart an visuelle Gewalt gewöhnt und entsprechend abgestumpft. Und viele der jüngeren Autoren gehören ebenfalls bereits der TV- und Spielegeneration an.

Und Folter ist schließlich heutzutage auch nichts mehr, was so schlimm angesehen wird, da ja auch die Guten sie anwenden. Nicht umsonst heißen Folterknechte heute "Verhörspezialisten".

Außerdem nach der Abschaffung von Moral und Sitten können die modernen Menschen viel ungezwungener ihrer natürlichen Lieblingsbeschäftigung nachgehen: sich gegenseitig umbringen oder Zuschauen, wie andere umgebracht werden.
Ob Zirkusspiele in Rom, oder Kriegsfilme und Splattergemetzel im TV. Die Menschen lieben es solche Dinge zu sehen. Das liegt in ihrer Natur. 

HeiligeSandale

ZitatAußerdem nach der Abschaffung von Moral und Sitten können die modernen Menschen viel ungezwungener ihrer natürlichen Lieblingsbeschäftigung nachgehen: sich gegenseitig umbringen oder Zuschauen, wie andere umgebracht werden.

Na na na ... Die natürliche Lieblingsbeschäftigung des Menschen ist glaube ich etwas anderes, viel weniger düsteres ...  ;)

Tenryu