• Willkommen im Forum „Tintenzirkel - das Fantasyautor:innenforum“.
 

Plotten mit der Heldenreise

Begonnen von Hanna, 04. Oktober 2009, 22:16:18

« vorheriges - nächstes »

0 Mitglieder und 3 Gäste betrachten dieses Thema.

HauntingWitch

Hervorkramen... Umhang richten...

Also, ich bin gerade dabei, mich in das Thema einzulesen und schon drängen sich mir fragen auf. Vorweg muss ich sagen, dass ich noch praktisch keine Ahnung habe und gerade erst anfange, Filme und Bücher, die ich kenne, (auch meine eigenen), darauf zu analysieren.

Es ist nun immer die Rede von "dem" Helden, von der einen Hauptfigur. Wenn ich aber nun mehrere Hauptfiguren/Perspektivträger habe, die eine Handlung tragen, sollte dieses Schema dann auf jede einzelne dieser Figuren zutreffen?

Churke

Zitat von: HauntingWitch am 04. November 2013, 16:26:29
Es ist nun immer die Rede von "dem" Helden, von der einen Hauptfigur. Wenn ich aber nun mehrere Hauptfiguren/Perspektivträger habe, die eine Handlung tragen, sollte dieses Schema dann auf jede einzelne dieser Figuren zutreffen?

In 9  von 10 Fällen wahrscheinlich nicht.
Der Held der Heldenreise ist mehr als nur Perspektivträger. Er ist der Held(TM), der seine Bestimmung finden muss. Weshalb man ihn vielfach auch *den Auserwählten* nennt, der eine *Prophezeiung* zu erfüllen hat.
Eine Selbsthilfegruppe auserwählter Helden kann ich mir nur unter satirischem Vorzeichen vorstellen.

Aphelion

Zitat von: HauntingWitch am 04. November 2013, 16:26:29
Es ist nun immer die Rede von "dem" Helden, von der einen Hauptfigur. Wenn ich aber nun mehrere Hauptfiguren/Perspektivträger habe, die eine Handlung tragen, sollte dieses Schema dann auf jede einzelne dieser Figuren zutreffen?
Ich fange mal mit einem Beispiel an: Bei HdR wäre "der" Held Frodo, obwohl es eine ganze Reihe weiterer Helden in der Geschichte gibt. Ohne die anderen wäre die Geschichte trotzedem nicht denkbar - d.h. auch "Neben-Helden" sind nicht redundant, sondern essentiell für die dargestellten Ereignisse. :)

Wenn du mehrere Teile hast, die mehr oder weniger deutlich voneinander getrennt sind, kannst du eventuell mehrere "kleine" Heldenreisen zu einer großen, übergeordneten zusammenfassen. Dann müsste man sich aber fragen, ob es Sinn macht, dass diese Geschichten in einer großen Geschichte vereinigt sind, wenn sie so stark voneinander unabhängig sind, dass dies überhaupt erst in Betracht kommt.

Wenn du wie du es dir vorgenommen hast mehrere Filme/Bücher daraufhin analysierst, wird dir wahrscheinlich auffallen, dass es oft mehrere Helden gibt, aber fast immer nur "den einen" Helden, der im Zentrum steht. Es ist also kein Ausschlusskriterium, wenn du mehrere Perspektivträger hast und mehrere Heldenrollen besetzt werden müssen - nur "der Eine" ist eben nur: Einer. :)

HauntingWitch

Danke euch beiden! Dann werde ich da gleich auch drauf achten.  :)

Zanoni

Ja, stimmt - es ist fast immer eine Figur im Mittelpunkt. Aber es wäre auch eine interessante Idee, mal etwas anderes zu versuchen.

Eine Besonderheit des Heldenreise-Modells ist, dass sich mit Wandlungsprozesse sehr gut strukturieren lassen. Ausgangszustand -> Herausforderung -> Helfer und Hindernisse -> zentrale Konfrontation -> Neuer Zustand

Es könnte möglicherweise reizvoll sein, zwei gleichwertige Helden/innen in das gleiche Abenteuer zu schicken ... vielleicht Zwillinge, weil sie sich sehr ähnlich sind und nahe stehen ... und mit zwei völlig unterschiedliche Herangehensweisen die Herausforderung meistern ... oder vielleicht sogar den einen "gewinnen" und den anderen "verlieren" zu lassen ... aber es dürfte in der Praxis sehr schwer sein, die Sympathie gleichmäßig zu verteilen.

Zit

#50
Wenn es einen großen Cast an Hauptfiguren gibt, habe ich den Eindruck, dass sich aller Schicksal der Welt beugt, in dem die Geschichte spielt. Es geht also nicht in erste Linie um den Helden X, der zum tollen Schwertmeister wird und die pösen Orks in die Flucht schlägt, sondern um den Krieg des Helden Volkes gegen die Orks. Und die Geschichte des Helden steht da nur symptomatisch dafür.
Um jetzt mit Halbwissen aufzuwarten (weil ich nur die dt. Version der TV-Serie kenne), würde ich zumindest George R. R. Martin unterstellen, dass er mehr eine Geschichte um rivalisierende Famlienbande schreibt als eine um John Schnee und Konsorten.
Und auch bei HdR ist Frodo nur eine Schachfigur im Kampf um den Ring und der Gewalten untereinander.
"I think therefore I am
getting a headache."
Unbekannt

Coehoorn

#51
Naja bei den Werken kommt eben dazu, dass da noch sehr viel mehr hintersteckt. Tolkien hat ja gleich mehrere Jahrtausende mit Geschichten und Geschehnissen angefüllt. Der Herr der Ringe ist ja nur ein kleiner Teil.

Sowohl Tolkien als auch Martin haben Welten kreiert, die weit über die Grenzen der eigentlichen Geschichte hinweggehen. Dass die Heldenreise da etwas in den Hintergrund rückt, ist sicherlich nur natürlich. Trotzdem nimmt sie nach wie vor das Groß der Geschichte ein, auch wenn man es nicht aktiv merkt.

Das man diese nicht mit der Heldenreise wie bei der Herkules-Saga und Co. vergleichen kann, versteht sich natürlich von selbst

Pygmalion

Naja, bei Lied von Eis und Feuer verschiebt sich die Gewichtung der "Helden" in jedem Buch. Im ersten ist Ned der "Held", würde ich sagen, dann aber tot.
Später bekommen Arya, Tyrion und Daenaerys (und vielleicht auch noch Jon) die meiste Aufmerksamkeit, wobei die alle tatsächlich eine Reise unternehmen, aber kaum zu gewichten ist, wer jetzt "der" Held von denen sein soll? Alle haben ihre Sympathien, aber sind aber gleichzeitig innerhalb der Geschichte Antagonisten.
Ich glaube, dass sich dieses Modell nicht unbedingt auf jedes Buch und jeden möglichen Plot 1 zu 1 anwenden lässt. Dafür ist Lied von Eis und Feuer viel zu komplex und verwoben und damit ziemlich nah an der Realität, wo es auch eher selten klassisch "böse" Menschen gibt, die es zu besiegen gilt, sondern eher unterschiedliche Interessen, Wünsche, Machtkonstellationen, die dann letztlich zu Ereignissen führen.

Bei HdR sehe ich das aber anders... da gibt es schon das "böse", das es zu besiegen gilt und Hauptheld ist da eben Frodo, der die größte Last zu stemmen hat. Alle anderen würden ja auch an dem Ring zerbrechen, nur er eben nicht. Ohne Frodo geht die Welt unter. Bei Lied von Eis und Feuer ist eigentlich jeder Charakter entbehrlich, davon hört da die Welt nicht auf, zu existieren, sondern höchstens die einzelnen Häuser.

HauntingWitch

Zitat von: Zitkalasa am 20. November 2013, 00:23:33
Wenn es einen großen Cast an Hauptfiguren gibt, habe ich den Eindruck, dass sich aller Schicksal der Welt beugt, in dem die Geschichte spielt. Es geht also nicht in erste Linie um den Helden X, der zum tollen Schwertmeister wird und die pösen Orks in die Flucht schlägt, sondern um den Krieg des Helden Volkes gegen die Orks. Und die Geschichte des Helden steht da nur symptomatisch dafür.

Ich verstehe, was du meinst. Nur gerade bei HdR habe ich das Gefühl, dass dassselbe neben Frodo auch auf andere Charaktere zutrifft, z.B. Aragorn?

Mittlerweile habe ich auch einige Filme gefunden, bei denen das Prinzip sehr eindeutig herauszulesen ist.

Coehoorn

Ich denke schon, dass sich der Herr der Ringe in erster Linie um Frodo dreht und nicht um das Schicksal von Mittelerde. Die Geschichte beginnt ja praktisch mit Frodo und endet auch praktisch mit ihm, als er mit den Elben übers Meer fährt. Auf Frodo trifft einfach jeder Punkt der Heldenreise zu, das ist bei keinem anderen Gefährten der Fall. Sam zögert nicht sich auf den Weg zu machen und er verändert sich auch nicht. Pippin und Merry verändern sich zwar, sind aber auch ohne zu zögern mit dabei. Aragorns Heldenreise beginnt lange vor der Geschichte und ist nicht die Thematik. Im Herrn der Ringe zögert er nicht, hat keinen Mentor und die Reise verändert ihn auch nicht.
Ein Beleg dafür ist auch, dass die Kämpfe im Norden Mittelerdes praktisch gar nicht thematisiert werden. Sie finden eine kurze Erwähnung in einem Gespräch zwischen Gimli und Legolas aber das ist glaube ich auch die einzige Stelle.

HauntingWitch

Zitat von: Coehoorn am 21. November 2013, 09:48:33
Aragorns Heldenreise beginnt lange vor der Geschichte und ist nicht die Thematik. Im Herrn der Ringe zögert er nicht, hat keinen Mentor und die Reise verändert ihn auch nicht.

Einspruch. Das Ziel seiner Reise ist es, König von Gondor zu werden. Er zögert, diese Bestimmung zu akzeptieren. Sein Mentor könnte vielleicht Elrond sein, wobei man darüber jetzt streiten kann. Auf jeden Fall verändert er sich sehr wohl: Vom eigenbrötlerischen Streicher, den die Belange anderer eigentlich nur bedingt interessieren zum edelmütigen König, dem etwas am Schicksal seines Volkes liegt. Das ist eine ziemlich grosse Veränderung, wenn du mich fragst.

Coehoorn

#56
Die Belange anderer interessieren ihn sehr wohl, schließlich ist es die Aufgabe der Waldläufer die Bewohner in ihren Gebieten zu verteidigen. Dies lässt sich auch damit belegen was er zu Boromir während des Rates von Elrond sagt
[Zitat aus Erinnerung, Original kann abweichen, ich habe das Buch leider gerade nicht zur Hand]
ZitatUnd dank ernten wir weniger als ihr. In den Dörfern sieht man uns scheel an und gibt uns abfällige Namen. "Streicher" heiße ich für einen dicken Gastwirt [...] Aber wir wollen es nicht anders.
Zum Zeitpunkt des Herrn der Ringe befindet Aragorn sich bereits auf seinem Pfad und kündigt den Hobbits in Bree an, dass Narsil neu geschmiedet wird. Und ja er wird zwar König, aber jetzt bin ich davon ausgegangen, dass eine Veränderung des Protas nicht mit seiner Position sondern mit seinem Character zu tun haben müsste und der bleibt bei Aragorn ja unverändert, während Frodo regelrecht gebrochen wird.

Also ja, Aragorns Geschichte fußt in der Tat auf der Heldenreise aber nein, diese kommt im Herrn der Ringe nicht zum tragen sondern verbleibt einzig bei Frodo.

Adam_Charvelll

#57
Ich glaube so eine ähnliche Diskussion hatten wir bereits. Frodo durchlebt zwar die Heldenreise und ist scheinbarer Mittelpunkt von HdR, allerdings ist er ein richtiger Anti-Held.
Mach mal eine Umfrage im Freundeskreis, mit welcher Figur aus Herr der Ringe sich deine Freunde am meisten identifizieren konnten. Da wirst du zu 95% nur Nebenfiguren wie Aragorn, Legolas, Sam, etc. zu hören bekommen.
Daher würde ich sagen, dass Frodo zwar der augenscheinliche Leitfaden ist, die Erlebnisse und Entwicklungen der anderen Figuren aber weitaus spannender ist und die Heldenreise somit ein strukturierendes Element ist, ein Faden, an dem kleinere Fäden angeknüpft werden, aber kein identifizierendes.


Edit: Natürlich gibts auch zahlreiche Belege für Antihelden, mit denen man sich identifizieren kann. Warum das bei HdR zumindest bei mir nicht so war, kann ich auch nicht wirklich erklären.

HauntingWitch

Zitat von: Coehoorn am 21. November 2013, 17:09:50
Die Belange anderer interessieren ihn sehr wohl, schließlich ist es die Aufgabe der Waldläufer die Bewohner in ihren Gebieten zu verteidigen. Dies lässt sich auch damit belegen was er zu Boromir während des Rates von Elrond sagt
[Zitat aus Erinnerung, Original kann abweichen, ich habe das Buch leider gerade nicht zur Hand] Zum Zeitpunkt des Herrn der Ringe befindet Aragorn sich bereits auf seinem Pfad und kündigt den Hobbits in Bree an, dass Narsil neu geschmiedet wird. Und ja er wird zwar König, aber jetzt bin ich davon ausgegangen, dass eine Veränderung des Protas nicht mit seiner Position sondern mit seinem Character zu tun haben müsste und der bleibt bei Aragorn ja unverändert, während Frodo regelrecht gebrochen wird.

Okay, da versagt meine Erinnerung, danke.  ;) Obwohl ich gerade erst vor einem halben Jahr einen Re-Read gemacht habe.

Zit

Zitat von: Coehoorn am 21. November 2013, 09:48:33
Ich denke schon, dass sich der Herr der Ringe in erster Linie um Frodo dreht und nicht um das Schicksal von Mittelerde. Die Geschichte beginnt ja praktisch mit Frodo und endet auch praktisch mit ihm, als er mit den Elben übers Meer fährt.

Frodo ist der Perspektivträger, ja. Aber er ist nicht Kern der Geschichte. Tatsächlich ist er sogar sehr austauschbar, was man aber der Geschichte nicht nehmen kann, ohne dass sie zerfällt, ist seine Rolle als Ringträger. Zusätzlich kommt Frodo auch nur vorwärts, weil er Sam hat; er ist sein Gewissen und seine Vernunft, in gewissen Dingen sicher auch die innere Barriere, die er überwinden muss, aber letztlich gibt Sam ihm Kraft. Was man Frodo vll. anrechnen kann, ist seine Entschlossenheit. Aber für den unglaublichen Helden(TM) ist das etwas mager. Zumal er der Macht des Rings ja auch nach gibt, sich nur schwerlich davon lösen kann und auch noch auf Gollum herein fällt.
"I think therefore I am
getting a headache."
Unbekannt