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Schreiben und soziale Kompetenz...

Begonnen von Alaun, 15. August 2009, 18:34:27

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Alaun

Hallo liebe Tintenzirkler!

Ich weiss ja nicht, wie es euch geht, aber mir ist was aufgefallen: je weiter mein Roman voranschreitet (ich habe jetzt etwas über die Hälfte des Plans geschafft) desto ekliger und sozial unverträglicher werde ich  :darth: Ich scheine einfach nicht mehr dazu in der Lage zu sein, mich auf Gesellschaft einzustellen.
In meinem Kopf ist gerade noch Platz für die täglichen Notwendigkeiten, ansonsten sind da nur noch die Figuren, deren Probleme, deren Gefühle, deren was-auch-immer.

Mich stört das ehrlich gesagt gar nicht soooo sehr, ich sehe das als eine Begleiterscheinung intensiver Arbeit am Skript an. Für mein Umfeld scheint es allerdings nicht ganz so einfach zu sein  ::) Ich sehe ein, dass es wenig prickelnd ist, mich nur noch in Begleitung meiner imaginären Welt zu Gesicht zu bekommen... anscheinend wirke ich auch oft abwesend (dann brüte ich gerade mal wieder über einem Problem) und desinteressiert an alltäglichen Dingen. 

Meine Frage nun: kennt ihr das? Büßt ein Autor während einer intensiven Schreibphase soziale Kompetenz ein?
Ich finde es wie gesagt gar nicht so schlimm, es fällt mir einfach auch nicht so sehr auf. Deshalb bin ich ja auch froh um die ehrliche Rückmeldung von Freunden und Familie. Sollten dies erste Anzeichen von Irrsinn sein, dann führen die wenigstens gut Protokoll über die Stadien  ;D

Ich denke einfach, ab einem gewissen Zeitpunkt nehmen einen die Figuren und Ereignisse so gefangen, dass man nicht mehr wirklich abschalten kann- vor allem wenn man, wie ich gerade, täglich mehrere Stunden schreibt. Ich fühle mich, als wäre zwischen mir und der Welt so etwas wie eine durchsichtige Scheibe aus Plexiglas, oder so. Ich sehe, was bei allen los ist und ich sehe, was bei mir los ist. Und dann richte ich die gesamte Aufmerksamkeit wieder auf mein Projekt und "tauche ab". Das wird wohl so lange so weitergehen, bis endlich die erste Fassung geschrieben ist. Schätzungsweise also noch einen guten Monat. Hoffentlich habe ich dann noch Freunde  ;D

Immerhin habe ich mich zu einem "Opfer" überreden lassen: morgen wird nicht geschrieben, statt dessen steht ein Ausflug ins Grüne an. Ich habs vielleicht auch bitterer nötig, als ich zugeben möchte...

Liebe Grüße von der vorübergehend sozial schwerst inkompetenten
*Alaun

Lomax

Im letzten Jahr habe ich einen Artikel zu einer psychologischen Studie aus den USA gelesen, derzufolge die Mehrheit der an der Erhebung teilnehmenden Autoren (weiß nicht mehr die genauen Prozentzahlen, waren aber beeindruckend) Symptome einer schizophrenen oder depressiven Störung im psychotischen Bereich gezeigt haben. Die Erklärung dazu war, dass das Schreiben eines Romans das Gehirn so überlastet, dass andere Funktionen auf der Strecke bleiben und dass darum Schriftstellerei psychotische Störungen auslösen kann.
  Den empirischen Befund konnte ich nachvollziehen - bei der Erklärung hab ich mich gefragt, ob da nicht Ursache und Wirkung vertauscht werden und nicht einfach Leute zur Schriftstellerei neigen, die schon vorher solche Störungen haben ;)

Ich persönlich kann das jetzt nicht beurteilen. Ich war schon immer sozial unverträglich. Ob ich noch unverträglicher werden, wenn ich schreibe, müssen andere entscheiden ;D

Drachenfeder

Hmm, ich weiß nicht ob das unbedingt nur für Autoren gilt. Ich denke das ist allgemein bei Phasen in denen man wegen etwas bestimmten sehr gestresst oder auch überarbeitet ist.

Ich gehe mal von meinem Job aus. Wenn ich mal wieder ein großes, kompliziertes Projekt habe und mit wochenlang den ganzen Tag mit befassen muss und für nichts anderes mehr Zeit ist bin ich mit meiner sozialen Kompetenz ebenfalls am Ende.

Beim Schreiben ist mir das auch schon passiert. Als ich den ersten Roman zu einem bestimmten Zeitpunkt beenden musste. Ich musste mich echt ranhalten und war in dieser Zeit einfach unausstehlich.



Smaragd

So ähnlich ging`s mir letztes Jahr im November beim nano, da habe ich auch zum ersten und bisher einzigen Mal einen Monat lang jeden Tag mehrere Stunden geschrieben. Im Nachinein betrachtet bin ich doch sehr froh, dass ich allein lebe, dadurch konnte sich niemand über meine mangelnde Hilfe beim Haushalt oder darüber, wie mein Zimmer aussah beschweren ;)

Sozial hat sich das bei mir zum Glück nicht allzu sehr ausgewirkt, wenn jemand was machen wollte, habe ich mir Zeit genommen und konnte dann auch tatsächlich abschalten, aber ich hab auch definitiv niemanden dazu gedrängt, sich mit mir zu treffen. Mit dem Ergebnis, dass der Monat sozial wohl wirklich etwas unterbelichtet war, wenn ich so darüber nachdenke... :-[
Ansonsten hab ich aber auch häufig an die Figuren und die Story gedacht, wenn ich eingekauft hab oder sonst irgendwas gemacht habe, was nicht zu viel Konzentration erfordert hat.

Generell finde ich das aber auch durchaus gefährlich, weil man sich dadurch so sehr aus allem anderen rauszieht und ein Stück weit auch isoliert. Wenn das nicht nur ausnahmsweise ist, sondern absehbar über einen längeren Zeitraum, muss man da glaube ich wirklich aufpassen, gerade auch weil man selbst so sehr mit der Geschichte beschäftigt ist, dass man es nicht so mitbekommt. Deswegen finde ich das echt gut, dass deine Familie und Freunde dich dann auch mal ins Grüne zerren, Alaun :)
(Und vom Sozialen mal ganz abgesehen, wenn man immer nur im stillen Kämmerlein hockt, wo soll denn dann Inspiration herkommen? Das kann doch nur kurzfristig gut gehen...)

Alaun

Das ist ja wirklich sehr spannend, danke für den Hinweis auf die Studie! Wenn es dazu eine Studie gibt, scheint es ja wirklich ein Thema zu sein, das aufgefallen ist. Ob den Autoren selbst (oder eher deren Umfeld) sei mal dahingestellt...

Hm. Ich fühle mich eigentlich gar nicht gestört, im Gegenteil. Ich fühle mich an sich sehr wohl bei der Arbeit (bis auf die gelegentlichen Zweifel, aber naja). Das Problem damit haben die anderen  ;D

Ich kann mir aber wirklich gut vorstellen, dass die Arbeit an einem Roman das Gehirn immens fordert und überlasten kann. Zum Glück schreibt man ja nicht ewig an einem Roman, es kommen ja dann wieder Zeiten , in denen die Arbeit nicht so vereinnahmend ist. Hoffe ich...

ChaldZ

Ich wäre froh, mich auf meinen Roman so konzentrieren zu können.
Bei mir ist es genau anders herum... Alles andere lenkt mich zu sehr von meinem Roman und der Fantasy Welt ab, sodass ich nur noch sehr selten wirklichen Zugang dazu habe.
Was die soziale Kompetenz angeht, hat es aber ähnliche Auswirkungen. Mir geht es immer so "naja... geht halt so" und bin oft deprimiert.
Dann doch lieber schreiben, glücklich sein und eben ein wenig mangelnde soziale Komponenten.

Tenryu

Ich fürchte, ich bin eine zutiefst asoziale Persönlichkeit (oder sagt man "dissozial?") Wie auch immer, ich gehöre zu den Zeitgenossen, die auch ohne gerade an einem Roman zu schreiben, das Leben einer Auster führen.

Ich merke nur gelegentlich, wenn sich ein Bakannter beklagt, daß ich, ohne ihn eines Blickes zu würdigen, auf der Straße an ihm vorbeigegangen sei, daß ich anscheinend gerade ein wenig zerstreut gewesen sein muß.

Lomax

Zitat von: Tenryu am 15. August 2009, 20:07:40Ich merke nur gelegentlich, wenn sich ein Bakannter beklagt, daß ich, ohne ihn eines Blickes zu würdigen, auf der Straße an ihm vorbeigegangen sei, ...
Die haben auch eine illusorische Erwartenshaltung, diese Bekannten. Ich erinnere mich, noch zu Schulzeiten, dass eine Klassenkameradin sich mal beschwert hat, dass ich sie nicht grüße, wenn ich bei MacDonalds bin und sie dort gerade als Nebenjob bedient. Aber eigentlich kann ja niemand erwarten, dass man Leute wiedererkennt, die sich außerhalb der ihnen zugeordneten Umgebung aufhalten >:(
  Aber schlimmer sind letztlich die Leute, die man zufällig trifft, mit denen man sich eine Viertelstunde über gemeinsame Bekannte unterhält - und danach immer noch nicht weiß, mit wem man jetzt eigentlich redet :-\ Aber reden wir nicht darüber. Das hat ja nix mit Schreiben zu tun, sondern ist der ganz normale Alltag. Obwohl mir das zu Schulzeiten vermutlich öfter passiert ist als heute; da hab ich nämlich eine Zeitlang trainiert, um das zu verbessern.

Nagi Naoe

Hmm ... An und für sich bin ich sehr gerne allein und halte auch Einsamkeit im Grunde für ein wahnsinnig schönes Gefühl - trotzdem merke ich, besonders im Moment, dass mich der Umgang mit den richtigen Leuten total kreativ macht und mir fast so etwas wie neue Kanäle zu meinen eigenen Geschichten öffnet.
Auch oder vielleicht gerade weil ich mich an den Abenden nicht bewusst mit dem Schreiben beschäftige, hat das ganze Zeit, im Unterbewusstsein zu reifen.

Menschen mit der Sensibilität eines Teelöffels, die genau bei der Szene ins Zimmer platzen, auf die ich mich schon seit Tagen freue, sind mit trotzdem ein Dorn im Auge. Die richtige Stimmung ist dann nämlich zieeemlich kaputt.

Abakus

#9
Also ich weiß nicht, ob man seine soziale Kompetenz einbüßt...  :hmmm:

Als ich im letzten Jahr an meinem Romanprojekt gearbeitet habe, ist es mir auf der Arbeit sehr oft passiert, dass ich am Schreibtisch saß, geistesabwesend in eine Richtung schaute und plötzlich anfing zu nicken. Meine Kollegin hat mich stets ausgelacht, obwohl sie immer behauptete, dass sie mich nur anlachte. Wenn ich in so eine Phase verfiel, dachte ich stets über ein Problem nach, vor dem ich im Romanprojekt stand. Das Kopfnicken ist ein Zeichen dafür gewesen, dass ich eine Lösung bzw. einen Lösungsansatz gefunden habe.

Aber das ich Freunde bzw. Bekannte auf der Straße nicht beachte oder mich von ihnen zurückziehe, ist mir, seitdem ich schreibe, noch nie passiert. :)

Ergänzung: Viele Freunde, im Sinne von falschen Freunden, haben mich öfters als Freak bezeichnet. Aber das bin ich mittlerweile gewöhnt. Es gibt einen Menschen, der mich heute nicht mehr beachtet. Keine Ahnung warum. Ich verspüre keine Aggressionen gegen ihn, aber er wahrscheinlich sehr viele gegen mich. Das Gespräch kann ich nicht suchen, da er sich gegen jede vernünftige Konservation wehrt.  ::)

Coppelia

#10
Schreiben verbessert meine Stimmung, und ich habe dann mehr Lust, mit anderen Menschen umzugehen und bin netter zu ihnen. Praktischerweise sogar bei Auftragsarbeiten. Stinkig bin ich eher, wenn ich wenig schreibe und es schlecht läuft.

Ich glaub, ich bin auch von Natur aus nicht so der Auf-andere-Zugeher. Das kommt wohl auch, weil ich wohl so wenig oberflächlich bin (wenn ich mich mal positiv darstellen darf ;D). Einfacher Smalltalk gibt mir überhaupt nichts, und ich finde schwer Leute, mit denen ich über Themen sprechen kann, die mich interessieren. Leute, mit denen ich gute Gespräche führen kann. Wenn man redet, um die Zeit totzuschlagen, fühle ich mich unwohl. Und dabei rede ich gern und liebe Gesellschaft und kann gar nicht gut allein sein ...
Insgesamt glaube ich, dass Schreiben mir hilft und gut für mich ist. Ich setze mich darin schließlich auch mit den Problemen auseinander, die es immer zu bewältigen gilt.

Ich muss aber sagen, den Zustand, dass man keine Geschichten erfindet, kenne ich nicht. Selbst als ich 3 war, hab ich das schon ständig getan. Insofern bin ich nicht "anders", wenn ich viel schreibe, nur besser gelaunt. Wenn es irgendjemanden stört, dass ich ständig Geschichten erfinde, auch wenn ich nicht darüber spreche (hat es auch schon gegeben, dass das Leute gestört hat), kann ich das auch nicht ändern, es ist halt so.

Lomax

Zitat von: Markus am 15. August 2009, 20:33:05Aber das ich Freunde bzw. Bekannte auf der Straße nicht beachte oder mich von ihnen zurückziehe, ist mir, seitdem ich schreibe, noch nie passiert. :)
Ich sag ja - das hat nichts mit Schreiben zu tun. Das ist einfach normal. Irgendwie find ich Leute, die einfach so andere Leute auf der Straße erkennen, merkwürdig ::)
Zitat von: Markus am 15. August 2009, 20:33:05da er sich gegen jede vernünftige Konservation wehrt.
:o
Ehrlich gesagt, das kann ich verstehen. Dagegen würd ich mich auch wehren. Tut mir ja leid, Markus, dass ich das feststellen muss: Aber es ist freakig, wenn man einfach so andere Leute konservieren möchte!

Abakus

Ja!!!! Ich habe mich endlich mal wieder verschrieben. Konservation! Coole Sache, das kommt auf meine Homepage, wenn sie denn bald mal fertig wird.  ;D

Wobei ich glaube, dass man ihn in der Tat konservieren sollte. Psychologen hätten an seinen Verhaltensmustern wohl noch in 100 Jahren ihre wahre Freude! Okay, der war böse...  :darth:

Junipera

Hallo!

Erinnert mich ein wenig an die Frage , ob schreiben Realitätsflucht sei.

Ja ich glaube ich vernachlässige mein Umfeld. Die meisten sind es zum Glück gewohnt, das ich mich unregelmäßig melde, was an meinen Arbeitszeiten liegt. Ich telefoniere sehr oft mit meinem Umfeld, ich habe regelrechte Telefon Phasen, eine Stunde mit Mutti, dann eine Stunde mit der Freundin, zwei Stunden mit meiner Schwester.usw. Da geht gerne mal ein ganzer Nachmittag bei drauf.
Da ich Verheiratet bin, hält mein lieber Mann mich wohl davon ab ganz in meiner erfundenen Welt zu versinken.
Es erfordert halt doch etwas Disziplin, zwischen dem disziplinierten schreiben, auch in die Realität und somit zu seiner sozialen Kompetenz zurück zu kehren.

Liebe Grüße Juni

Rune

Ich kann nicht bestätigen, das meine soziale Kompetenz unter der Schreiberei leidet. Im Gegenteil, mir geht es wie Coppi, das ich eher ausgeglichener und kommunikativer werde, je mehr ich schreiben kann.
In der Zeit, als ich wegen Schwangerschaftsübelkeit und generellem Unwohlsein nicht zum Schreiben kam, war für mich und meine Beziehungen die schlimmste Zeit meines Lebens.
Einige Beziehungen sind daran gescheitert, aber die wirklich wichtigen haben es zum Glück überstanden.

Ich gebe aber auch zu, das ich meine Schreiberei ausblende, wenn ich mich irgendwie unter Menschen begebe. Gebrütet und gegrübelt wird nur, wenn ich allein am Sandkasten hocke mit den Kids, oder abends, wenn der Mann beim Training ist und die Kinder schlafen.