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Wenn der Ich-Erzähler stirbt?

Begonnen von Holly, 15. April 2009, 17:52:44

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Holly

Wie geht das, wenn der Ich-Erzähler stirbt? Er kann das was er erzählt ja praktisch nicht erzählen, weil er schon gestorben ist.
Ich habe einen solchen Text in Deutsch geschrieben und es falsch gemacht.
Geht das grundsätzlich nicht?
Oder kann man dieses Problem irgendwie lösen?
Ich hoffe die Frage ist jetzt nicht zu dumm :hmmm:

TheaEvanda

Tja, entweder dein Ich-Erzähler hat ein Leben nach dem Tod und erzählt von Wolke 7 herunter (oder von der kalten Hölle #5 herauf) was passiert...

Oder er wird wiederbelebt und hat einen entsprechend langen Filmriss mit einer passenden Nahtodeserfahrung...

Oder er ist unsterblich (aka Vampire und andere Gesellen) und hat jetzt auch einen Filmriss, eine Todeserfahrung und ein neues Leben.

Oder du musst einen Perspektivenwechsel durchführen. Dann macht halt der beste Freund des Ich-Erzählers weiter. Das ist natürlich ein extremer Bruch, aber der Tod deines Erzählers ist das ja auch und bereitet den Leser sozusagen darauf vor.

Erlaubt ist, was funktioniert. Ob es funktioniert... Erzähle mal, was du angestellt hast, dann können wir ja konkret auf deinen Fall eingehen. Nur dass es dem Lehrer nicht gefällt ist nicht immer ein Ausschlusskriterium. Vielleicht kann man die Sache aber noch verbessern, damit es besser und gefälliger wirkt.

--Thea
Herzogenaurach, Germany

Murphy

Würde spontan auch sagen das es generell möglich sein sollte den ich-erzähler zu töten.
Entweder, in dem man wie Thea sagt, die Perspektive wechselt oder einen gewissen Charatker hat ODER wenn man die Geschichte aus der Gegenwart erzählt und am Ende eben dieser Geschichte der Tot des Charakters steht.
Wenn er die Dinge erzählt in dem Moment wo sie geschehen, kann der Erzähler theoretisch das jemanden berichten, und wenn er stirbt ist Schluss.
Wenn der Erzähler zum Erzählen die Vergangenheit als Stil nutzt (ich ging, ich lief) wird es schwer. Es sei den es gibt gegen Ende einen Zeitwechsel. Sprich: Er steht vor seinem Tot jeden moment passiert es und er reflektiert wie er in diese Situation gekommen ist. Am Ende geht es wieder in die Gegenwart und voila er stirbt.

Wäre meine spontane Meinung dazu, aber werde mir dazu auf jeden fall noch Gedanken machen.
Wäre aber auch interessiert daran wie du es geschrieben hast holly.

Skandra

Hallo Holly,

der Augenblick, in dem das Leben noch einmal am Erzähler vorüberzieht, also kurz bevor er endgültig die Augen schließt, eignet sich doch hervorragend.

Diese Zeitspanne kannst Du als Autorin beliebig in die Länge ziehen. Wenn Du die Geschichte z.B. damit beginnen lässt, dass er von einer Kugel im Kopf getroffen wird, hast Du, wenn Du magst, einen ganzen Roman Zeit, bis er tot zu Boden fällt.

Oder bezieht sich Deine Frage auf Ereignisse, die nach dem tatsächlichen Ableben des Erzählers stattfinden?


Liebe Grüße
Skandra




Tenryu

Das geht schon, nur endet die Ezählung natürlicherweise mit dem Tode des Erzählers. Außerdem sollte sie dann in der Gegenwartsform geschrieben sein.

Prominentes Beispiel: "Ich der Kater" [Wagahai wa neko de aru] von Soseki Natsume. (Ein Buch dessen kurzweilige Lektüre ich jedem anempfehlen kann.)

Lomax

Zitat von: Holly am 15. April 2009, 17:52:44Wie geht das, wenn der Ich-Erzähler stirbt? Er kann das was er erzählt ja praktisch nicht erzählen, weil er schon gestorben ist.
Ich habe einen solchen Text in Deutsch geschrieben und es falsch gemacht.
Geht das grundsätzlich nicht?
Och, das ist gar kein Problem. Denk an King Arthus - den Film: Da stirbt ja auch irgendwann der Ich-Erzähler einfach weg, der alles aus dem Rückblick erzählt. Aber der Film geht da einfach weiter und tut so, als wär nix geschehen ;D

Nein, im ernst: Wenn man so was macht, sollte man schon irgendwo deutlich machen, von welchem Standpunkt aus der Ich-Erzähler die Geschichte eigentlich erzählt, und warum er
1. Die Dinge noch erzählen kann, die vor seinem Tod geschehen
2. Möglicherweise noch von seinem Tod und der Zeit danach berichten kann, und
3. Warum er Dinge erzählt, die er vor seinem Tod gar nicht mitbekommen hat (denn auch das kann geschehen).

Die Lösungen dafür können vielfältig sein. "Wolke #7" ist da nicht ungewöhnlich und liefert sogar eine Erklärung für den "allwissenden Ich-Erzähler". Es sollte halt nur irgendwann gesagt werden, und sei es durch implizite Andeutung des Erzählers zwischendurch, damit es nicht nach einem Unfall des Autors beim Schreiben aussieht ;)
  Aber nicht umsonst gilt der Ich-Erzähler als schwierig und als unglückliche Wahl für den Schreibanfänger. Wenn man mit dem Ich-Erzähler an sich umgehen kann, kann man auch mit dem Tod der Figur spielen. Wenn man über solche und andere Probleme des Ich-Erzählers stolpert, sollte man grundsätzlich ein anderes Erzählverhalten wählen.

Steffi

Kennst du den Film "American Beauty"? Der Film fängt damit an, dass die Stimme des Erzählers aus dem Off sein Leben kommentiert und schon von Anfang an klarstellt, dass er sehr bald tot sein wird ;)
Sic parvis magna

Linda

Zitat von: Holly am 15. April 2009, 17:52:44
Wie geht das, wenn der Ich-Erzähler stirbt? Er kann das was er erzählt ja praktisch nicht erzählen, weil er schon gestorben ist.
Ich habe einen solchen Text in Deutsch geschrieben und es falsch gemacht.
Geht das grundsätzlich nicht?
Oder kann man dieses Problem irgendwie lösen?

Deutschunterricht und kreatives Schreiben geht nicht immer gut zusammen... will sagen, was in den engen Schulkanon nicht reinpasst muss nicht unbedingt falsch oder schlecht sein...

Wenn der Ich-Erzähler am Ende stirbt, ist das schon eine klassische Pointe. Wenn die Geschichte danach weitergeht, tja, dafür muss eine Erklärung (Wolke 7 etc.) rein.
Aber literarische Experimente würde ich trotzdem an Schule oder Uni sein lassen, weil es sehr vom Lehrer abhängt, wie das ankommt.

Gruß,
Linda

Hanna

Du könntest auch ganz einfach Tagebuchaufzeichnungen nehmen, die jemand anderes findet. Dann würden die Einträge irgendwann einfach enden und dann wissen entweder alle, dass er tot ist ...

z.B.: Liebes Tagebuch!

Dies wird vermutlich mein letzter Eintrag sein, denn der Feind hat mich umzingelt. Ich höre schon das Kratzen der Krallen des Todes an der tür dieser Besenkammer, in die ich mich geflüchtet habe.

Oder ein andere erzählt in einem Prolog, dass der Autor des Tagebuchs gestorben ist.

Ein Briefroman könnte sich auch eignen. Etwas aus der Mode gekommen, aber vielleicht doch ganz reizvoll.
#notdeadyet

Mogwied

Wie wäre es denn mit Gegenwart? Also die ganze Story in der Gegenwart. (Fände ich selbst unglaublich schwierig und ungewohnt)
Wenns passt, könnte man dann mit dem Tod die Geschichte enden lassen.
Eine Geschichte aus Sicht des Bösen, in der Gegenwart erzählt, endet mit einem Happy End, ganz plötzlich, durch das Ableben des fiesen Protagonisten. Hätte mal was.
Ansonsten ist, wie Gathanna schon sagte, das Tagebuch der Klassiker. Aber dann braucht man eine Rahmen-Story, ddie oft aufgesetzt wirkt.



Steffi

Zitat von: Gothanna am 15. April 2009, 20:46:27


Ein Briefroman könnte sich auch eignen. Etwas aus der Mode gekommen, aber vielleicht doch ganz reizvoll.

Mir ist zu dem Thema auch als erstes "Die Leiden des jungen Werther" eingefallen ;)
Sic parvis magna

Mogwied

Zitat von: Steffi am 15. April 2009, 23:18:38
Mir ist zu dem Thema auch als erstes "Die Leiden des jungen Werther" eingefallen ;)

Jetzt wo du es sagst: War da bei "Dracula" von Stoker nicht auch einiges mit Briefen?

Möchtegernautorin

Einen rein subjektiven Kommentar zum Ich-Erzähler kann ich mir nun nicht verkneifen:
Ich-Erzähler sind bei mir immer während des Erzählens völlig außerhalb von Raum und Zeit. Ich habe mir noch nie einen Ich-Erzähler auf der Polizeistation, in seiner Wohnung oder ähnlichem vorgestellt, wenn es nicht explizit so beschrieben wurde <lächel> Mir tut sich meistens eher die Vorstellung auf, dass er es einer meiner Figuren erzählt, irgendwo im Nichts. Mich interessiert dabei auch nicht die Umgebung, sondern die Stimme des Ich-Erzählers. Die ist dann immer die Essenz des Ganzen.

@ Mogwied
Ja, "Dracula" ist auch in Briefen und Tagebucheinträgen verfasst :)
Her plants and flowers, they're never the same - Blue and silver, it's all her gain
flying dragons, an enchanted would - She decides, she creates
It's her reality
Within Temptation - "World of Make Believe"

Mogwied

@ Drachenelfe: Außerhalb von Raum und Zeit ;-) Klingt interessant.

Zwei Dinge sind mir noch eingefallen.

1. Was spricht eigentlich dagegen den Leser nachdenken zu lassen? Ich meine damit: Man schreibt einfach die Geschichte in der ersten Person, lässt die Person am Ende sterben und hört dann auf, oder wechselt die Perspektive und jemand anderes erzählt weiter (dann vorzugsweise 3. Person). Soll der Leser doch selbst überlegen wie das möglich ist. Wir reden hier ja auch über Fantasy. Da braucht auch der Leser Fantasie.

2. Einen tollen Ich-Erzähler fand ich übrigens Bartimäus in Stroud's gleichnamiger Trilogie. Fand es sehr gelungen, dass Nathanael und Kitty immer 3. Person waren, und Bartimäus ein Ich-Erzähler. Immer wenn Bartimäus Gestalt beschrieben wurde, war er hingegen plötzlich übergangslos 3. Person. Sehr gelungen. Das einzige was nicht passt, ist, das er überlebt.
Worauf ich hinaus will: Man kann die Perspektive bei einer Person wechseln. Man braucht nur einen guten Aufhänger, warum das passiert. Bei einem schizophrenen Charakter kann ich mir das sehr gut vorstellen. Dann kann der eine, den Tod des anderen schildern.  ;D

So, dass sind sehr spezielle Möglichkeiten, das ist mir bewusst. Aber es ist ja auch schon sehr speziell, seinen Ich-Erzähler sterben zu lassen, oder?

Antigone

Zitat von: Linda am 15. April 2009, 20:22:05
Deutschunterricht und kreatives Schreiben geht nicht immer gut zusammen... will sagen, was in den engen Schulkanon nicht reinpasst muss nicht unbedingt falsch oder schlecht sein...


DAS unterschreibe ich sofort... ;D Und obwohl ich prinzipiell mit den anderen Meinungen einverstanden bin (ich seh  überhaupt kein Problem in eine sterbendem Ich-Erzähler), will ich dir von einer Erfahrung meinerseits erzählen:

ich hab mal eine Kurzgeschichte in der Ich-Form geschrieben, so was ganz Dramatisches mit Waldbrand und so. Allerdings hab ich als Feedback bekommen, dass das Ding überhaupt nicht spannend war, weil eh jeder gewusst hat, dass es gut ausgehen wird. Weil: der Ich-Erzähler schließlich nicht sterben kann/darf.

dh. von Schreiber-Seiter spricht vielleicht nichts dagegen, aber es kann sein, dass dus dir mit der Leser-Erwartungs-Seite verscherztst.

lg, A.