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Intrigen

Begonnen von Lastalda, 01. Januar 1970, 01:00:00

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Gizmo

Ich habe mich in meinem Projekt ein wenig um das Problem gedrückt. Durch wechselnde Perspektiven weiß der Leser, dass eine Intrige im Hintergrund abläuft und kennt auch die meisten der Beteiligten. Das Interessante (hoffe ich zumindest) ist also nicht die Frage, ob es eine Intrige gibt, sondern ob, wann und wie sie aufgedeckt wird bzw. welchen Schaden sie anrichtet.
Ich weiß nicht, ob ich die Fähigkeit hätte, subtile Hinweise im Text zu platzieren, ohne alles sofort zu verraten. Der Idealfall wäre, dass der Leser beim zweiten Lesen sagt: "Natürlich, wie konnte ich das nur übersehen?"

Wie viele Leute müssen daran beteiligt sein? Ich habe versucht, aus Sicht des Intriganten zu denken: Je mehr Leute davon wissen, desto höher ist das Risiko, entdeckt zu werden. Leute können sich verquatschen oder Fehler begehen, und jeder Beteiligte erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass dies passiert. Ein Lösung ist, seine Gruppe in Zellen zu organisieren, in denen jeder nur über seinen Aufgabenbereich bescheid weiß, aber nicht das Gesamtbild kennt. Das geht jedoch nur begrenzt, denn bei komplexen Intrigen kann der 'Hauptintrigant' dennoch nicht alles alleine koordinieren.
Dennoch hat es einen Vorteil, viele Mittelspersonen zu benutzen: Je mehr Mittelspersonen es gibt, desto weiter kann sich der Intrigant vom Geschehen distanzieren. Unter Umständen kann er ein Netz von Sündenböcken schaffen, die jeder für sich gute Gründe für ihr Handeln hätten und auf die er die Schuld abwälzen kann.

Ich bin dabei aber ein wenig zu weit gegangen. In meinem ersten Versuch war ich mit meinem Intriganten so gründlich, dass er praktisch nicht zu fassen war. Die einzige Möglichkeit wäre gewesen, ihn eine Dummheit begehen zu lassen, die weder seinem bisherigen Verhalten entsprochen noch in seinem Charakter gelegen hätte.
Nur nebenbei: Dafür habe ich einmal einen schönen Ausdruck gehört - Third Act Stupidity:)
"Appears we just got here in the nick of time. What does that make us?"
"Big damn heroes, sir!"
- Joss Whedon's "Firefly", Episode 5, "Safe"

cryphos

Zitat von: Churke am 16. Mai 2018, 09:23:20
[...]
Das Opfer braucht also nicht naiv zu sein, da Opfer und Getäuschter sind identisch zu sein müssen!
Da bin ich anderer Meinung. Erklärung folgt in Bezug auf Einzelpersonen, statt dessen kann man aber auch Gruppen nutzen:

Bei einer Intrige gibt es den Intriganten, den Rädelsführer.
Es gibt das (primäre) Schadens-Ziel der Intrige, also jemanden dem geschadet werden soll. Bei Bedarf auch sekundäre, etc. Ziele.
Es gibt das Benefit-Ziel, also jemanden dem die Intrige in erster Instanz von Nutzen sein soll. Das kann, muss aber nicht zwingend der Intrigant sein. Meist hat der Intrigant auch einen Eigennutzen an der Intrige, auch wenn er nicht das Benefit-Ziel in erster Instanz ist. In diesem Fall wäre eine Intrige in der Intrige möglich.

Dann kann es noch diverse Mittelspersonen geben. Mittelspersonen sind Wesen die wissentlich oder unwissentlich Teil der Intrige sind. Mittelspersonen können so zu Getäuschten/Opfern oder selbst zu Intriganten werden. Auch wenn Mittelspersonen zu Getäuschten/Opfern werden, sind sie nicht das (primäre) Schadens-Ziel der Intrige. Im Gegensatz zu Churke unterscheide ich also zwischen Schadensziel-Ziel und sonstigen Opfern, statt beides in einen Topf zu werfen.



Christian M.

Ui, Intrigen. Ich liebe Intrigen. :buch:
Hoffe es wird nicht zu trocken, wenn ich nun schreibe. Obwohl "Lied und Eis und Feuer" auch ein gutes Beispiel für Intrigen ist, spoilere ich nicht von dort, sondern von Kate Elliotts "Sternenkrone". Aber eher mild gespoilert.

Zitat von: Gizmo am 16. Mai 2018, 11:36:28
Dennoch hat es einen Vorteil, viele Mittelspersonen zu benutzen: Je mehr Mittelspersonen es gibt, desto weiter kann sich der Intrigant vom Geschehen distanzieren. Unter Umständen kann er ein Netz von Sündenböcken schaffen, die jeder für sich gute Gründe für ihr Handeln hätten und auf die er die Schuld abwälzen kann.

Also kommt drauf an, ich denke eher - Klasse schlägt Masse. Je weniger falsche Spuren (ohne das es zu einfach wird natürlich), desto besser. Lieber 1-2 gute "Sündenböcke", als ein Dutzend eher mittelmäßige. Auch zu viele Mittelspersonen sollte er - zumindest nicht direkt - einschalten, denn je mehr von einer Intrige wissen, umso höher auch das Risiko. Besser ist es manchmal, wenn man andere dazu bringt, in der Intrige mitzumachen, ohne dass sie es wissen - also das man sie indirekt so steuert, dass sie einem entweder bewusst helfen oder sogar nicht einmal mitbekommen, wenn sie die Intrige unterstützen. Oder wenn sie es erst bemerken, wenn es zu spät ist und "das Spiel" schon vorbei ist. Durch gute Menschenkenntnis könnte der Intrigant einige andere Menschen so dazu bringen zu handeln, wie er möchte. Gut ist ebenfalls, wenn einer der "Sündenböcke" glaubt, er würde in Wirklichkeit den Intriganten für seine eigenen Zwecke/ Intrigen benutzen.

ZitatEin Lösung ist, seine Gruppe in Zellen zu organisieren, in denen jeder nur über seinen Aufgabenbereich bescheid weiß, aber nicht das Gesamtbild kennt. Das geht jedoch nur begrenzt, denn bei komplexen Intrigen kann der 'Hauptintrigant' dennoch nicht alles alleine koordinieren.
Ich denke, der gute Intrigant - deswegen braucht er oft die Intrige als eher indirekte, unauffällige Art der Beeinflussung - kann oft gar nicht alles direkt beeinflussen und nur schwer koordinieren. Besser ist es, durch gute Menschenkenntnis z.B. das Handeln anderer oder auch allgemeine Geschehnisse (einen sich anbahnenden Krieg, Streitigkeiten) voraussehen zu können oder sehr schnell darauf reagieren zu können. Der Intrigant sollte oft nur hier und da, dann aber durchaus entscheidend, die Dinge in die richtige Richtung leiten. Vielleicht kennt er auch starke Motive seiner Umgebung und kann die Menschen so beeinflussen zu handeln, wie er will.


ZitatDas Interessante (hoffe ich zumindest) ist also nicht die Frage, ob es eine Intrige gibt, sondern ob, wann und wie sie aufgedeckt wird bzw. welchen Schaden sie anrichtet.
Ja, das auch, unter Umständen aber durchaus auch die Frage nach der Motivation, also das "warum". Oft haben gute Intriganten mehrere starke Motive. Jetzt kommt der Spoiler aus "Sternenkrone" (mittelalterliche Fantasywelt mit Kirche, Königen etc.). Da gibt es einen Geistlichen namens Frater Hugh. Er ist loyal zu seiner adeligen Familie und seinem König, will aber auch Karriere machen und ist gleichzeitig wie besessen von einer Frau, die er haben will, aber nicht haben kann. Zudem erwirbt er sich noch im Laufe der Bücher 1-2 ernsthafte Feinde, die er vernichten will (z.B. den Ehemann seiner Traumfrau). Da gelegentlich aus Sicht Frater Hugh geschrieben wird, kann der Leser ihn einigermaßen einschätzen, weiß aber auch oft nicht welche Motivation ihn gerade am stärksten antreibt (bzw. manchmal hat er mehrere Intrigen parallel aus verschiedenen Gründen, oder eine Intrige unterstützt sogar zwei seiner Motive unterschiedlich stark). So eine vielfältige Motivation macht sich auch gut nicht nur beim Intriganten, sondern auch bei anderen, damit es nicht zu eindimensional und vorhersehbar ist.

ZitatDer Idealfall wäre, dass der Leser beim zweiten Lesen sagt: "Natürlich, wie konnte ich das nur übersehen?"
Ja, das ist sehr wesentlich finde ich. Hat zum Beispiel das "Lied von Eis und Feuer" ganz gut, da kann man beim zweiten Lesen überall Hinweise entdecken, die man beim ersten Lesen übersah oder falsch deutete. Finde der Leser muss nicht alles 100% rausfinden, aber das Wichtigste sollte nicht aus heiterem Himmel kommen. Ist sonst wie bei den Krimis, wo man hinterher merkt - ich als Leser hatte keine Chance, den Täter zu erkennen, weil der Detektiv plötzlich Informationen hat, die nie vorher erwähnt wurden. Sherlock Holmes (also die alten Bücher) ist da z.B. groß drin, Puzzleteile für den Leser sichtbar auszukippen und diese dann richtig zum Gesamtbild zusammen zu setzen.

Beste Grüße

Christian

Christian M.

#18
Ich gebe nochmal ein bisschen Senf nach. Alles natürlich nur meine Meinung. :versteck:

Zitat von: Turiken am 16. Mai 2018, 08:10:45
Ein Punkt, über den ich z.B. schon stolpere, ist: Wie viele Leute braucht es eigentlich für eine gute Intrige?
Ich glaube, die Frage ist gar nicht so wichtig - zwei "Parteien" (können ja sowohl Einzelpersonen als auch Gruppen sein, z.B. verfeindete Adelsfamilien gegeneinander), nämlich Intrigant und "Opfer". Man braucht dann eventuell noch "falsche Fährten", aber ich finde auch nicht zwingend. Solange z.B. die Motivation, das Ziel der Intrige und ähnliche Dinge offen sind, könnte es sogar ohne falsche Fährten gehen. Vielleicht ist man auch nicht sicher, wer Intrigant und wer Opfer ist, vielleicht sind auch beide beides. Am Ende gibt es dann natürlich nur einen "echten" Verlierer. Aber so ein "Wettrennen" der Intriganten kann auch spannend sein.

ZitatDer Intrigant sollte in den meisten Fällen einen logischen oder zumindest nachvollziehbaren Grund für seine Intrige haben.
Richtig, und ich sage noch mehr - klassische schwarz/ weiß Charaktere sind nicht so gut geeignet für Intrigen bzw. haben selten eine spannende und vielschichtige Motivation oder differenzierte Ziele, die sie erreichen wollen. Widersprüche oder zumindest Vielschichtigkeit in den Personen sind hilfreich.

Beispiel aus "Lied von Eis und Feuer", Achtung Spoiler.
Sorry but you are not allowed to view spoiler contents.


Oder Beispiel Fernsehserie "Sons of Anarchy" Achtung Spoiler.
Sorry but you are not allowed to view spoiler contents.


Ebenso kann es spannend sein, wenn sich mitten in einer Intrige die Situation verändert, oder auch die Motivation des Intriganten - so dass man nicht sicher sein kann, ob er wirklich noch bei seinem ursprünglichen Plan und Ziel ist, oder nun doch etwas anderes vorhat.

Beste Grüße

Christian


Marandris

#19
Spontan habe ich bei Intrigen Cersei Baratheon von Game of Thrones vor Augen. Sie ist wirklich das beste Beispiel dafür und ich finde sie einfach genial :) Ich schreibe selten über Intrigen, sondern verwende lieber brutalere und offene Methoden. Intrigen kann ich mir auch sehr gut für weibliche Antagonisten vorstellen, während die männlichen Bösewichte bei mir eher direkt sind. Ich hatte nur ein einziges Mal einen männlichen Intriganten in meinem Buch. Der Antagonist, in diesem Fall ein Gestaltwandler, benutzte die Gemeinschaft der Vampirjäger für seine eigenen Zwecke. Er war der Anführer und verheimlichte seinen Leuten die Tatsache, dass auch er kein Mensch war. Der Hass der Vampirjäger kam ihm gelegen um die Vampire auszurotten und er schreckte noch nicht einmal davor zurück seine Untergebenen zu opfern.
Das war jetzt eher eine kleine Intrige und kein Intrigengespinst, das würde mich bei meinem Buch wahrscheinlich in den Wahnsinn treiben. Daher ist es interessant zu erfahren ob es gute Bücher gibt, die das Thema behandeln, außer Game of Thrones  :)

Christian M.

#20
***spoilerfrei***
Ja, Cersei macht das schon ganz gut, wie auch die ganze Reihe "Das Lied von Eis und Feuer" sicherlich in Hinblick auf Intrigen ganz weit vorne mitspielt. Neben Cersei fallen mir da vor allem Tyrion Lannister, Varys und Tywin Lannister ein. Mit Petyr Baelish als Intrigant bin ich nicht so ganz warm geworden, ich finde er wird sehr oft vom "Drehbuch" unterstützt. Zudem hat er doch sehr oft eher Opfer als Gegner. Mein Favorit für die coolste Intrige ist aber Doran Martell.  :wolke: Als Intrigen-Anschauungsmaterial fast schon ein "muss" die Reihe.

Vergleichbar sehe ich da am ehesten die Reihe "Sternenkrone" von Kate Elliott, leider oft vergriffen inzwischen. Da sind auch einige herausragende Intrigen und Intriganten am Werk.

Von dem Autor des "Lied von Eis und Feuer" gibt es noch die 3 Kurzgeschichten zum "Heckenritter", bis auf die erste Geschichte auch tauglich in kleinerem Maßstab was Intrigen angeht. Außerhalb des Fantasy noch "Der Pate".

Von noch älteren Büchern - kann man manchmal mit Glück schießen - wären da noch "Krieg der Träume" oder "Meister der Einsamkeit", zwei von den guten alten Silberbänden vom Moewig Verlag.

Ansonsten fallen mir da am ehesten Fernsehserien wie "Sons of Anarchy" ein, wo auch viele schöne Intrigen dabei sein. Interessant finde ich hier oft den Ansatz, dass die Protagonisten Jackson und Clay oft die Wünsche und Bedürfnisse von diversen verfeindeten Gangs, der Polizei und ihren eigenen Leuten in Einklang bringen müssen. Diese Wünsche sind oft so gegensätzlich, dass es völlig unmöglich ist, dass alle am Ende zufrieden sind. Meistens versuchen sie dann zu erreichen, dass möglichst alle einigermaßen oder "gerade so eben" zufrieden sind und niemand so unzufrieden, dass er zum Feind wird. 

Finde da auch die Fernsehserie "Black Sails" gelungen in dieser Richtung; als Film - wenn auch kein Fantasy - fällt mir als erstes "Training Day" ein.

Beste Grüße

Christian