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Welche Tropes haben noch Potenzial?

Begonnen von Mondfräulein, 28. November 2020, 22:28:56

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Zit

#15
Um Tropes zu wandeln, muss man erstmal wissen, oder darüber nachdenken, woher sie kommen. Die wachsen ja nicht einfach aus dem Boden sondern sind romangewordene Pendants von Lebensrealitäten. Bei vielen Beispielen im Startpost musste ich an Kabale und Liebe denken, weil sie eigentlich nur ,,Liebe bei Standesunterschieden" in Verkleidung sind. Das wirkt nach heutigen Maßstäben aufgesetzt, weil wir an sich keine Standesunterschiede im Sinne von Adel/ Plebus mehr haben, findet sich dann in moderner Variante in den ganzen Millionärsromanen doch wieder zuhauf. Wobei man sicherlich auch sagen kann, dass es ganz allgemein ein Grundkniff ist, Figuren, die zusammen arbeiten müssen/ zusammen kommen müssen, in ihren Grundeigenschaften so zu gestalten, dass Spannung ensteht — und wie geht das besser mit Gegensätzen. Sei es der Gelehrte, der auf den Haudrauf trifft, oder der Prinz, der sich in die Magd verguckt. Alles dasselbe. Also, ich würde sagen, dass man aufhört in Tropes zu denken und anfängt, das Menschliche dahinter zu sehen. Vielleicht findet man dann auch Mittel und Geschichten, die einem selbst neu vorkommen und nicht ausgelutscht.
"I think therefore I am
getting a headache."
Unbekannt

Mondfräulein

Sehr spannende Antworten bisher!

Zitat von: Trippelschritt am 29. November 2020, 13:39:47
Es gibt bezüglich Tropes zwei Typen von Lesern, wenn ich sie nach ihren Erwartungen einteile.
- Die eine Gruppe wünscht sich Geschichten, in denen alle ihre wichtigen Erwartungen erfüllt werden. Davon lebt zum Beispiel der klassische Heftroman.
- Die andere Gruppe möchte immer wieder überrascht werden. Davon lebt z.B. "Das Damengambit". Allerdings muss man hier doch etwas zügeln. Wenn keine einzige Erwartung mehr erfüllt wird, fängt die Handlung an beliebig zu werden und die Leserbindung löst sich auf. Da die Tropes ein gewaltiges Beharrungspotential aufweisen, kann man aber wohl sagen: Im Zweifelsfrall noch eine Windung mehr.

Das klingt erstmal schlüssig. Vielleicht erwarten Leser je nach Genre von Tropes auch unterschiedliche Dinge. Im klassischen Liebesroman haben die Leser meistens sehr strikte Erwartungen und finden Bücher, die diese Erwartungen nicht erfüllen, einfach nicht gut. In einem anderen Genre würde ich aber vielleicht erwarten, dass die Tropes, die im Liebesroman erfüllt werden, dort gerade gebrochen werden, weil das schon so etabliert ist. Beispielsweise Game of Thrones. Da wurde das furchtbare Schicksal der Figuren schon so sehr zu einem Trope, dass ein Happy End überrascht hätte. Selbst die Figuren, die am Ende ein Happy End bekommen haben, mussten dafür furchtbar leiden oder in anderen Bereichen vieles aufgeben.

Oder ein anderes Beispiel: In einem Krimi erwarte ich meistens, dass ich am Ende erfahre, wer der Mörder ist. Was, wenn ich aber ein Buch darüber schreibe, wie Angehöre und Ermittler damit umgehen, dass sie dieses Rätsel nicht lösen können? Das klingt erstmal nach einer richtig spannenden Geschichte, aber als klassischer Krimi vermarktet würde es wahrscheinlich viele Leser enttäuschen, oder?

Insofern hat es vielleicht auch viel damit zu tun, welche Erwartungen ich zu Beginn beim Leser wecke. Arbeite ich das ganze Buch darauf hin endlich zu erfahren, wer der Mörder ist, dann ist der Bruch mit diesem Trope am Ende nicht überraschend sondern eher enttäuschend und unbefriedigend.

Zitat von: Siara am 29. November 2020, 14:04:15
Meine Befürchtung ist, dass, wenn man den Tropes ein Kernelement nimmt oder sie verdreht, die Geschichte sich unbefriedigend anfühlt. Das ist kein Gegenargument, aber etwas, das man im Kopf haben muss. Auch damit kann man spielen, auch das kann man benutzen, wenn man sich der Wirkung bewusst ist.
[...]
Meiner Meinung nach kann das Spielen, Verdrehen und Kippen von Tropes wunderbar funktionieren, ohne dass eine klare Grenze gibt, ab der es zu viel wird. Man muss aber immer im Hinterkopf behalten, was man mit der Geschichte bezwecken will und wo der Leser seine "Belohnung" bekommt.

Ich denke ein wichtiger Punkt ist, dass es am Ende irgendetwas gibt, was ich befriedigend anfühlt. Deshalb ist es wie @Zitkalasa schon gesagt hat wichtig erstmal zu verstehen, was das Trope macht und warum es funktioniert. Wenn mein Protagonist am Ende wieder dort landet, wo er am Anfang war und sich nicht verändert hat, dann hat es keine Entwicklung gegeben und wofür habe ich die Geschichte dann erzählt? Allerdings könnte ich in diesem Fall zum Beispiel eine andere Figur einführen, die sich durchaus verändert und die Geschichte nutzen um aufzuzeigen, warum eine Person es nicht schafft, sich zu entwickeln, die andere aber schon. Neben den Möglichkeiten, die du genannt hast, könnte ich zum Beispiel mit einem Trope brechen, aber ein anderes Trope wie gewohnt erfüllen.

FeeamPC

Ist eigentlich egal, ob und mit wie vielen Tropes man schreibt. Man muss nur Spaß an seiner Erzählung haben, in der Regel kommt das dann beim Leser richtig an. Der Leser erwartet einfach eine gut gescrhiebene, überzeugende Geschichte (und manchmal überzeigen selbst Geschichten mit klaffenden Logiklöchern). Ob er diese Geschichte dann mag oder nicht, dass wiederum können wir eh nicht beeinflussen.

Mindi

#18
Zitat von: Mondfräulein am 29. November 2020, 15:26:10
Oder ein anderes Beispiel: In einem Krimi erwarte ich meistens, dass ich am Ende erfahre, wer der Mörder ist. Was, wenn ich aber ein Buch darüber schreibe, wie Angehöre und Ermittler damit umgehen, dass sie dieses Rätsel nicht lösen können? Das klingt erstmal nach einer richtig spannenden Geschichte, aber als klassischer Krimi vermarktet würde es wahrscheinlich viele Leser enttäuschen, oder?

Das würde ich nicht Trope nennen, sonder Genre Konventionen und Erwartungen, die ein Leser an ein Genre hat. In einem Krimi gibt es ein Verbrechen und das wird aufgeklärt. In einem Liebesroman erwartet man eine Liebesgeschichte und im Normalfall ein Happy End. Auch mit den Konventionen kann man brechen, aber das ist noch schwieriger als mit einem Trope wie z.b. dem einsamen Einsiedler-Lehrmeister-goes-Opfer Trope. Und nicht jedes Buch muss zwangsweise Genre sein, aber wenn man Genreromane schreiben will, dann sollte man schon gewisse Erwartungen, die ein Leser hat, erfüllen. Oder sie so bewusst und gut brechen, dass ein Leser dennoch begeistert ist. Aber da würde ich es auch nicht übertreiben, sondern ganz bewusst die Stellschraube auswählen, auf die es ankommt.

In meinem Nano habe ich eine Love Triangel, klassisch für Romance, wobei das bei mir nicht der Hauptplot ist. Bei einer Triangel gibt es immer eine bessere und eine schlechtere Wahl und am Ende entscheidet die Figur in der Mitte sich für die eine oder andere Möglichkeit. Aber ich mochte das noch nie, also haben beide ihre Fehler, beide fühlen sich auf andere Weise mit ihr verbunden und am Ende (so der Plan) werden sie eine ehrliche Dreierbeziehung führen. Keine Ahnung, ob das gut ausgeht und wie das auf einen Leser wirkt, der es gewohnt ist, dass die mittlere Figur sich für einen von beiden entscheidet. Wenn sie beide will, weil sie beide liebt. Damit erfinde ich auch kein Rad neu, auch das gab es schon, wie so ziemlich alles.
"When we are asleep in this world, we are awake in another." - Salvador Dalí

Linda

#19
Zitat von: Mondfräulein am 29. November 2020, 12:28:42

Meiner Meinung nach kann das Spielen, Verdrehen und Kippen von Tropes wunderbar funktionieren, ohne dass eine klare Grenze gibt, ab der es zu viel wird. Man muss aber immer im Hinterkopf behalten, was man mit der Geschichte bezwecken will und wo der Leser seine "Belohnung" bekommt.

In einem Romantasy/Mystery-Auftragsroman, der einen "Gaslicht"-(die Heftromanreihe, nicht der Film)-Plot haben sollte, habe ich eine (nicht ganz so naive) junge Frau in klassischem Frauenberuf zu einem geheimnisvollen Herrenhaus mit geheimnisvoll düsterdräuendem Love Interest (ihn auch noch "Wolf" genannt) und biestiger Mutter desselben gesteckt :-)
  Hauptfigur fühlt sich hingezogen und zurückgestoßen zugleich, Wolf ist auch seltsam 'übergriffig/patriachal'. Die Erwartungen wurden in die übliche Werwolf/Vampir/Rebecca-Schiene gelenkt, (und irgendwie verlieben sie sich auch) nur:
  am Ende kommt dann raus, Wolf stammt (wie seine biestige Frau, angeblich seine Mutter) aus dem letzten Jahrhundert, nur ist ihr Unsterblichkeitselixier alle und er braucht für den Ersatz das Blut genau dieser Krankenpflegerin (Nachfahrin der Familie). Er bleibt seiner Frau treu, und will die Pflegerin opfern, also nix mit Aschenputtel heiratet Prinzen.
Doch auf den letzten Metern, durchschaut sie das Spiel, entliebt sich von Wolf und tut sich stattdessen mit einem Burschen zusammen, um ihr Leben zu retten und das 'böse' Ehepaar zu stoppen. Dabei findet sie in ihm einen besser geeigneten, richtigen Partner (das ist die Belohnung fürs Herz)
Mein kontroversestes Werk bisher. Die einen sind enttäuscht, dass die lange angedeutete Dunkel-Lovestory-Nummer nicht aufgegangen ist, die anderen freuen sich über den Twist.

Churke

Zitat von: Mondfräulein am 29. November 2020, 15:26:10
Wenn mein Protagonist am Ende wieder dort landet, wo er am Anfang war und sich nicht verändert hat, dann hat es keine Entwicklung gegeben und wofür habe ich die Geschichte dann erzählt?

Die Rückkehr zum Ausgangspunkt ist ein klassisches Muster bei Kurzgeschichten. Beim Roman hingegen nicht, denn es bedeutet, dass sich auf 300+ Seiten weder die Figur noch die Welt irgendwie verändert. Unter diesen Bedingungen überhaupt eine Geschichte zu erzählen, ist zumindest schwierig.

Alia

Ich glaube, dass man aus fast allen Tropes gute Geschichten basteln kann. Es sind m.E. weniger Werkzeuge, als viel mehr wiederkehrende Bilder.
Wenn man mal in die Malerei schaut: Wie viele Pferde sind schon gemalt worden? Und doch ist das blaue Pferde von Marc einzigartig. Wie viele Frauenportraits gibt es? Und doch verzaubert die Mona Lisa auch heute noch. Es gibt Künstler, die eine komplett neue Stilrichtung entwickeln. Aber das bedeutet nicht, dass die dargestellten Sachen unbedingt so neu sein müssen. Teich mit Seerosen? Sonnenblumen? Frau mit Hut? War alles schon vorher einmal da. Aber dennoch haben es einige herausragenden Künstler geschafft, das Dargestellte komplett neu zu erfinden und einmalige Kunstwerke zu erschaffen. Ich glaube, dass das "was" dargestellt wird, viel unwichtiger ist, als "wie" es dargestellt wird.
In jedem wirklich großen Werk schwingt m.E. ganz viel Seele des Künstlers mit. Und ich glaube, dass da auch das Geheimnis liegt: Man muss sich trauen, dem Werk seinen eigenen Stempel aufzudrücken. Es soll eben keine 0815 dabei herauskommen, sondern etwas, das lebt und atmet. Das bekommen wir Schriftsteller über unsere ganz eigene Art zu erzählen, die Figuren, etc. hin. Nur weil man 2 Sachen miteinander verbindet, die es so noch nicht oft gab, bedeutet das nicht, dass es "neu" oder "gut" ist. Man kann auch eine altbekannte Geschichte so erzählen, dass sie vollkommen neu und unglaublich gut ist. Aber das ist nichts, das einfach ist und das nur wenige schaffen.
Ich sehe mich nicht ganz oben am Himmel der Schriftsteller, die so etwas können. Ich mache, wenn man es mal mit Essen vergleicht, Currywurst mit Pommes - kein 5-Sterne-Gourmet-Menü.  ;)
Aber man kann auch Pommes echt lecker machen und wer mag sie nicht ab und an mal ;D. Die müssen nicht mal besonders sein. Einfach gut gemacht reicht da schon.

Tropes benutze ich gern. Ich spiele manchmal mit ihnen und manchmal nehm ich sie einfach unverändert. Eigentlich habe ich in jedem meiner Romane einen Trope, aber ich versuche immer, dass nicht der Trope, sondern die Charaktere im Vordergrund stehen und sie die Handlung vorantreiben. (Betonung auf versuche ...)

Von meinen drei Rockstarromance-Romanen kommt lustigerweise derjenige am Besten an, den ich gar nicht mit einem Romanceplot als Hauptplot geschrieben habe.  :rofl:
Ich habe den Trope "Er verliebt sich in die kleine Schwester des besten Freundes". Ich habe allerdings den Schwerpunkt anders gesetzt. Bei mir stehen nicht die beiden Liebenden im Vordergrund, sondern der Hauptplot ist der um die beiden Freunde. Frage ist also nicht "kommen die beiden Liebenden zusammen?" - das tun sie schon nach dem halben Buch -, sondern "wie können die beiden Männer danach noch befreundet sein?"
Grob gesagt ist der Plot im Buch:
Sie sind beste Freunde, aber ein Geheimnis (C liebt Rs kleine Schwester A) steht zwischen Ihnen.
C ist zwischen der Liebe zu A und der Freundschaft zu R hin und hergerissen.
Er entscheidet sich für die Liebe.
R bekommt das ganze raus und die Freundschaft zerbricht.
C kämpft um die Freundschaft.
C beweist R, dass er A wirklich liebt und R immer ein guter Freund sein wird.
C und R sind beste Freunde, ohne Geheimnis zwischen ihnen.

Band 1 der Rockies ist der "Aschenputtel-Trope". Sie hat nichts - er hat alles. Außerdem kommt noch eine Prise "Verbotene Liebe" dazu, weil der Bandvertrag feste Beziehungen verbietet.

Den Dreieckstrope habe ich in Band 3. Sie steht zwischen 2 Männern und muss sich entscheiden. Soweit so üblich. Allerdings sind es eher drei Dreiecke, denn auch die beiden Kerle stehen jeweils zwischen ihr und dem anderen. Denn im Laufe des Buches erkennen die zwei, dass da nicht nur Freundschaft zwischen ihnen ist ...
Und wie Mindi löse ich ihn nicht wie üblich auf. Das geht bei der Konstellation auch gar nicht. Am Ende sind sie zu dritt glücklich und es gibt ein echtes Love-Triangle. (Wobei eigentlich zu viert, weil da noch Nachwuchs kommt.)

In Band vier habe ich den "Zwillings-Trope". Er verliebt sich in die eine Zwillingsschwester, kommt aber dann mit der "Falschen" zusammen. Hauptplot ist hier aber wieder nicht die Liebesgeschichte, sondern ihr Kampf um ein selbstbestimmtes Leben.

Insgesamt lässt sich wohl sagen, dass alles schon einmal da war. Aber jeder von uns so einzigartig ist, dass es anders wird, wenn er es auf seine Weise erzählt. Wichtig ist halt, dass man es wirklich "auf seine Weise" macht. Es ist halt immer ein Balanceakt zwischen guter Technik und Individualität.

Churke

Zitat von: Alia am 01. Dezember 2020, 09:35:26
Ich glaube, dass man aus fast allen Tropes gute Geschichten basteln kann.

Darum gibt es sie ja. Das arme Waisenmädchen, der weiße Ritter, der schwarze Ritter, der traumatisierte Finsterling, die böse Schwiegermutter, der böse Bruder, der einsame Wolf, der vernarbte Ex-Kämpfer, der letzte Bankraub, der lustige Quoten-Schwarze, der kolumbianische Großdealer, das blonde Gift, der Bulle und das Mädchen, Nazi (I), Nazi (II), Nazi (III), der edle Wilde, der chinesische Meister, der russische Mafioso, die kleine Diebin usw.. Die Bühne ist frei.

Man sollte allerdings nie (nie!) ein Klischee verwursten, das gerade out ist. Das fällt dann richtig unangenehm auf.   

Phlox

Zitat von: Churke am 01. Dezember 2020, 14:01:42
Man sollte allerdings nie (nie!) ein Klischee verwursten, das gerade out ist. Das fällt dann richtig unangenehm auf. 

Welche wären das denn deiner Meinung nach? Das würde mich interessieren!
Und wer hätte vor ein paar Jahren gedacht, dass selbst so ein ausgelutschter Topos wie "tugendhafte Jungfrau erlöst in Not geratenen Helden" so einschlägt, ich denke an die "Fifty Shades"....  ::)   

Ixys

Ich glaube, (wie auch schon gesagt wurde), dass Tropes vor allem dann gut ankommen, wenn man dahinter Motive wiedererkennt, die sich auch in Beziehungen im Alltag wiederfinden lassen. Dass sich zum Beispiel jemand für eine Geschichte, in der das Trope Prinz verliebt sich in Bauernmädchen vorkommt interessiert, der in seinem Umfeld jemanden hat, der gerade Gefühl für seinen Chef (oder als Chef für seinen Angestellen) entwickelt. Ich lese die Geschichte vom ich-will-einfach-nur-Spaß-haben Außenseiter, der plötzlich Verantwortung für Andere übernehmen muss nicht deshalb gerne, weil sie mir ein erwartetes Ergebnis liefert oder irgendwelche Stereotypen bedient, sondern weil ich sehen möchte, wie jemand zb mit hohem Erwartungsdruck umgeht. Es geht mir (persönlich) beim Lesen also gar nicht so sehr darum, welches Trope gerade verwendet wird, sondern eher darum, wie dieses Muster benutzt wird, um etwas über die Charaktere aufzudecken oder was dadurch gezeigt wird, also vielmehr um das "wie" als das "was".

@Churke und @Phlox : Meine Meinung wäre also, dass sich eigentlich jedes Klischee oder Trope, egal wie ausgelutscht oder "out" es erscheint, benutzen lässt um etwas spannendes über eine Beziehung oder Person zu zeigen. Je nach Genre gibt es da aber bestimmt Sachen, mit denen man sich das Leben leichter machen kann als mit anderen.

Stones taught me to fly
Love taught me to lie
         Damien Rice, "Cannonball"

Churke

Zitat von: Phlox am 03. Dezember 2020, 16:39:56
Welche wären das denn deiner Meinung nach? Das würde mich interessieren!

Sicher?

Okay. Beispiele:

Aus Vergewaltigung wird Liebe. Der vielleicht erfolgreichste Vertreter dieses Topos ist "The Sheik". 1921 verfilmt als Kassenknüller.
https://de.wikipedia.org/wiki/Der_Scheich

Der Bestseller und Megahit "Birth of a Nation" schwelgt in (heute) politisch unkorrekten Mythen und rassistischen Klischees.
https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Geburt_einer_Nation

"Frau im Mond" bedient antiamerikanische Klischees der Weimarer Republik.
https://de.wikipedia.org/wiki/Frau_im_Mond

Ich weiß auch nicht, ob man einen Film wie "Public Enemies" heute noch so drehen könnte. Gibt freilich auch immer wieder den Fall, dass Leute etwas gut finden, weil sie nicht verstehen, wie es gemeint ist.


Tropes sind aber nicht im luftleeren Raum, sondern stehen in Beziehung zu einem Setting und/oder der Lebensrealität. Das Sein bestimmt das Bewusstsein. Und so werden aus der Lebensrealität der Autoren wie auch der Leser immer neue Variationen und Interpretationen entstehen. Was vor 100 Jahren unvorstellbar war, ist heute politisch korrekt, und was damals politisch korrekt war, ist heute unvorstellbar. So gesehen ist das Potenzial praktisch unbegrenzt.



Soly

Wenn ich so über die Titelfrage nachdenke und die bisherigen Antworten lese, fällt mir auf, dass der Begriff "Trope" kein bisschen trennscharf, sondern ziemlich verwaschen ist. Ich finde, es lohnt sich, verschiedene Arten von Tropes verschieden zu behandeln.

Zum einen sind da Sachen wie das von @Volker angesprochene "alter eremitischer Lehrmeister bringt Held alles bei und wird dann umgenietet"-Trope. Das bezieht sich ja explizit auf eine einzelne Szene beziehungsweise einige direkt aneinander anknüpfende Szenen, die immer nach diesem Schema ablaufen. Wenn dieses Trope verwendet wird, sorgt das dafür, dass ich gelangweilt sage: "Du stirbst, und zwar - 3... 2... 1... - genau jetzt."
Mit anderen Worten, der genaue Ablauf der Ereignisse ist vorhersehbar und damit langweilig, wenn er exakt nach Schema F abgearbeitet wird. Was man aber nicht tun muss, denn dieses Trope existiert ja nicht aus Spaß, sondern weil es zwei wichtige Dinge für die Story erreicht:
Lehrmeisters Unterricht sorgt dafür, dass Held die eigenen Fähigkeiten exploriert und festigt, und die damit einhergehende Verantwortung begreift. Lehrmeisters Tod sorgt dafür, dass Held die Grenzen der eigenen Fähigkeiten erkennt.
Aber beides kann man auch anders erreichen, ohne den eremitischen Lehrmeister, so dass das implizit Erzählte gleich bleibt, aber der Ablauf der Ereignisse neu und (zumindest ein bisschen) unvorhersehbar ist.

Auf der anderen Seite sind da Tropes wie das von @Phlox erwähnte mit der "tugendhaften Jungfrau" und dem "Held in Nöten". Das wiederum bezieht sich auf den Aufbau der ganzen Story, aber nicht auf detaillierte Abläufe. Wenn dieses Trope verwendet wird, weiß ich zwar grob, worauf es wahrscheinlich letzten Endes hinauslaufen wird, aber ich kann nicht automatisch jede Szene voraussagen und kann - wenn es halbwegs kompetent geschrieben ist - immer noch überrascht werden.
Ich denke, man kann solche Tropes ganz gut mit den "4-Chord-Songs" vergleichen, die von den Axis of Awesome populär gemacht wurden (Klick). Ein fast schon erschreckend großer Teil der modernen Musik basiert auf den exakt gleichen vier Akkorden in der exakt selben Reihenfolge. Und trotz dieser Tatsache, dass immer das gleiche Schema zugrunde liegt, klingt zum Beispiel Hulapalu von Andreas Gabalier völlig anders als das Kernthema aus Thor 2 von Brian Tyler - weil über Rhythmus, Melodie und Klangfarbe so viel Spielraum herrscht, dass man mit etwas Einfallsreichtum immer noch etwas Neues auf derselben Grundlage entwickeln kann.
Genauso haben wir beim Schreiben über Charaktere, Setting, Plot und Atmosphäre die Möglichkeiten, mit ein und demselben Trope als Grundlage tausende Geschichten in hunderten Genres zu schreiben, von denen einige sich sicher ähneln, andere aber als neu, verschieden und überraschend gelesen werden können.

Also um die Titelfrage abschließend zu beantworten: Meiner Meinung nach sind es genau diese Tropes, die sich auf Anfangs- und Endpunkt der Geschichte beziehen, aber keine Details vorgeben, die Potential für viele schöne Geschichten haben.
Veränderungen stehen vor der Tür. Lassen Sie sie zu.

Phlox

#27
Solmorn hat das so schön formuliert, dass ich jetzt irgendwie ein schlechtes Gewissen habe, noch mal dazwischen zu hüpfen... Aber Churkes Negativbeispiele haben mich inspiriert, und Mondfräulein hatte ja nach konkreten Beispielen gefragt - diese sind mir dazu noch eingefallen:

- "Edler 'Wilder'" trifft auf degenerierten, abgebrühten 'Zivilisierten'". Ich könnte mir vorstellen, dass uns dieses Motiv angesichts aktueller ökologischer Krisen in neuem Gewand bald mal wieder begegnen könnte. (Ist vielleicht schon passiert, was TV & Co angeht, bin ich nie auf dem neuesten Stand.)

- Familie. Antigone, Ödipus & Co. - alles, was schon rund um Troia und bei den alten Griechen "passiert ist", wird nie aus der Mode kommen, solange es Familienbande gibt...

- religiöse Mythen und Motive. So etwas wie Hesses "Siddharta" in... Neu. Ich habe keine klare Vorstellung, wie so etwas aussehen könnte - vielleicht mit mehr Betonung auf Gemeinschaft statt auf Individuum - aber Potenzial? Durchaus, denke ich! Aber mag sein, damit habe ich den Bereich der "Tropes" endgültig verlassen und bin bei den Genres angekommen.

AlpakaAlex

Einer der Tropes, den ich wirklich sehr liebe, ist Friends to Lovers. Das liegt einfach daran, dass der Wert von Freundschaft als Grundlage für Romanzen in meinen Augen total unterschätzt wird. Zu oft ist es in Romancen entweder der mysteriöse Fremde oder wir haben irgendeine Form von Enemies to Lovers, aber allgemein haben oft die romantischen Partner*innen so selten ein gutes Verhältnis zueinander, ehe sie zusammenkommen. Das finde ich einfach nur extrem schade.

Ich finde es außerdem spannend, was man technisch gesehen mit dem Auserwählten Trope machen kann. Ich selbst subvertiere diesen Trope einfach unglaublich gerne auf verschiedene Arten. In meiner Urban Fantasy Welt ist es so, dass Gottheiten alle Auserwählte haben, die aber bei einigen Gottheiten sehr austauschbar sind. Außerdem dienen sie nicht dazu, die Welt zu retten oder so, sondern die persönlichen Ziele der Gottheiten

Ich habe außerdem einen riesigen Faible für den Trope Strong Girl, Smart Boy. Sprich: Eine Mann-Frau-Kombi, in dem der Mann ein schwacher Nerd ist, während die Frau Badass ist. Das würde ich gerne auch häufiger sehen.

Außerdem liebe ich den Mama Bear Trope unglaublich gern. Das ist einfach eine Art von Charakter, von der ich gerne deutlich mehr sehen würde.



Zitat von: Phlox am 05. Dezember 2020, 12:29:46
- "Edler 'Wilder'" trifft auf degenerierten, abgebrühten 'Zivilisierten'". Ich könnte mir vorstellen, dass uns dieses Motiv angesichts aktueller ökologischer Krisen in neuem Gewand bald mal wieder begegnen könnte. (Ist vielleicht schon passiert, was TV & Co angeht, bin ich nie auf dem neuesten Stand.)
Ich möchte an der stelle anmerken, dass "Der edle Wilde" ein rassistischer Stereotyp ist - auch wenn er subvertiert wird.