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Corona und Fantasy

Begonnen von AlpakaAlex, 31. Juli 2020, 18:51:16

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Nikki

Ich fühle mich nicht angegriffen und hoffe, du ebenso wenig. :)

Eins vorweg:
ZitatDas ein Buch 20-30 Jahre lang aktuell sein wird, bezweifle ich dennoch

Ich glaube, wir verwenden das Wort "aktuell" mit unterschiedlicher Bedeutung. Ich habe den ideellen Anspruch, dass meine Bücher möglichst lange lesbar sind, will heißen, dass selbst nach zehn Jahren nach der Veröffentlichung die Leser*innen keine großen Erklärungen brauchen, um diesen Roman zu verorten, sondern dass er für sich stehen kann. Je mehr (jetzt) aktuelle Zeitmarker eingebaut werden, desto schneller altert er und desto mehr Erklärungen braucht es für ein späteres hypothetisches Publikum.

ZitatMeine Grundaussage ist folgende und die bleibt: Beim Schreiben sollte man wissen, warum man was macht oder auch nicht.

Da sind wir uns einig. Man muss sich aber auch bewusst sein, wie auch Yamuri oder Eluin angemerkt haben, je nachdem wie präsent Corona ist, sei es jetzt Setting oder Motiv, der Roman ganz schnell in ein gewisses Licht gerückt werden kann. Keine Frage, Corona ist jetzt für uns relevant, aber heißt das zwangsläufig, dass das auch für die Literatur ganz allgemein gilt? Natürlich hat Corona andere Auswirkungen als die Dreifachkatastophe bei Fukushima oder die Anschläge auf das World Trade Center, doch die Frage für die Autor*innen damals ist dieselbe, wie sie hier gestellt wird: Wie viel Platz räume ich dem Tagesgeschehen in meinem Roman ein? Erwähne ich das, was eh den meisten bewusst ist, dass es passiert ist, oder lasse ich es außen vor?

Mein Beispiel mit dem Stuhlgang zielt keineswegs auf einen Schmäh ab. Die Ausbreitung des Virus hat ganz klar den Alltag umgekrempelt, aber muss ich das auch extra erwähnen und reicht es nicht, wenn ich den Leser*innen Leerstellen lasse, die sie mit ihren eigenen Erfahrungen füllen können?

Wenn ich das Leben einer Figur 24/7 andeute, wird wohl niemand bezweifeln, dass die Figur am Klo war, auch wenn ich es nicht extra geschrieben habe. Genauso ist theoretisch Platz für Abstandregeln, Maske, Desinfizieren etc., wenn die Leser*innen es so wollen.

Ich meine, Bücher werden gelesen, nicht weil man wissen will, wie die Realität ist, sondern weil man wissen will, wie sie sein könnte. Ich gehe jetzt mal von YA aus und nehme das Beispiel einer unverfänglichen Berührung der Hände der Prota und ihres Love interests. Im Hier und Jetzt werden vielleicht die ersten Gedanken eines Teenagers bei einer solchen Berührung sein, soll ich das wirklich? darf ich das? Hat er/sie die Hände gewaschen? Habe ich mir vorhin ins Gesicht gegriffen? etc. Ist es dann nicht eine nette "Abwechslung", wenn im Buch einfach die Hand ergriffen wird und die Intimität beschrieben wird, anstatt all die Hindernisse und Bedenken, die sich im Moment ergeben?

Elona

#16
Nöö, hatte nur den Eindruck, dass dem so war, und kann deine Argumentation schon nachvollziehen. So ist es ja nicht.  ;D

ZitatIch glaube, wir verwenden das Wort "aktuell" mit unterschiedlicher Bedeutung. Ich habe den ideellen Anspruch, dass meine Bücher möglichst lange lesbar sind, will heißen, dass selbst nach zehn Jahren nach der Veröffentlichung die Leser*innen keine großen Erklärungen brauchen, um diesen Roman zu verorten, sondern dass er für sich stehen kann. Je mehr (jetzt) aktuelle Zeitmarker eingebaut werden, desto schneller altert er und desto mehr Erklärungen braucht es für ein späteres hypothetisches Publikum.
Meinst du nicht, dass du dir da zu viele Gedanken drum machst?
Also wenn ich jetzt von mir als Leserin ausgehe. Wenn ich ein Buch nach 10 Jahren noch mal lese, dann weiß ich eben das es 10 Jahre alt ist. Außerdem habe ich es ja bereits schon mal gelesen und kenne auch die geschichtlichen Fakten. Und (sorry) dass ein neuer Leser nach so langer Zeit noch mal darüber stolpert ... eher unwahrscheinlich.  :D Andererseits könnte man jetzt auch so argumentieren, wenn man Corona einbaut, dass der Leser sich dann erinnert mit einem "ah ja, so war das damals", was u.U. auch ein positiver Effekt sein könnte.
Aber gut. Das ist ja jedem selbst überlassen. Wenn das dein Anspruch ist, alles fein.   

ZitatNatürlich hat Corona andere Auswirkungen als die Dreifachkatastophe bei Fukushima oder die Anschläge auf das World Trade Center, doch die Frage für die Autor*innen damals ist dieselbe, wie sie hier gestellt wird: Wie viel Platz räume ich dem Tagesgeschehen in meinem Roman ein? Erwähne ich das, was eh den meisten bewusst ist, dass es passiert ist, oder lasse ich es außen vor?
Jaein. Also ja, das ist grundsätzlich immer die Frage. Wie detailverliebt bin ich und natürlich können die Leser*innen Lücken auch aus ihrer Erfahrung schließen. Der große Unterschied ist tatsächlich, dass jeder (wirklich jeder) persönlich betroffen ist. Wie du in dem Beispiel schon geschrieben hast, es hat geprägt und tut es auch noch.

Ich muss dir auch ehrlich sagen, dass ich es schwierig finde, gute Beispiele zu finden. Z.B. bei deinem würde ich ehrlich gesagt nicht so weit gehen. In dem Zusammenhang wird (Unterstellung) jeder Teenager sämtliche Regeln in dem Moment vergessen und sich wie ein Keks freuen. Weil huuii Love Interest und so.  ;D
Bei dem Beispiel könnte man höchstens im Nachgang ein schlechtes Gewissen bekommen und dann sind wir bei folgenden Punkt, was sich auch ein wenig noch auf @Yamuri Post bezieht: Authentizität und Identifikation. Und die bekommt man u.a. auch durch Tiefe und Details.

Das habe ich zuvor versucht zu erklären, alle haben die Coronakrise mitbekommen, alle haben einen Bezug dazu. Sie haben selbst persönliche Erfahrungen gemacht und können sich identifizieren und das ist der große Unterschied zu allen anderen Katastrophen.

In wiefern man das nutzt, oder nicht, und wenn ja, wie tiefgehend, ist ja jedem frei überlassen. Aber, und das möchte ich zu bedenken geben, haben wir nun zwei Manuskripte beide Urban Fantasy, beim einen wird ein Bezug hergestellt beim anderen nicht. Welches wird ein Verlag aller Wahrscheinlichkeit nach nehmen?
Zugegeben, das ist eine Unterstellung. Aber zeitgemäß ist eindeutig das mit Corona. Vor allem, wenn das noch gut umgesetzt ist. Sich also u.U. wirklich mit den Problem der Zielgruppe auseinandergesetzt und damit Identifikation geschaffen wird. Wie gesagt, persönlicher Bezug, von jedem von uns.
Deshalb hat auch das zu anfangs erwähnte Buch Eindruck hinterlassen. Es hat sich eben genau damit auseinandergesetzt. Die Leser haben diesbezüglich Gefühle und die werden genutzt (und sei es nur, dass man es von Nachrichten gehört hat).

Mal folgende Fragen: Was würdet ihr tun, wenn die Coronakrise 5 Jahre her ist? Ignorieren oder nicht? Und dann sind wir bei meinem Beispiel mit dem/der Arzt/in. Es wirkt sich ja auch auf die Charaktere aus. Selbst wenn es abgeschlossen sein sollte. Die haben eine Vergangenheit damit. (Außer wir schaffen eine andere Realität, was man ja machen kann und was auch legitim ist). Wenn ich jetzt also über einen Vampirarzt schreibe, der immun ist, weil Vampir halt, dann kann ich das durchaus reinbringen und wenns nur eine Anspielung und ein Nebensatz ist mit "ja ja, damals und so, musste ich mich auch um alles kümmern". Wenn das nicht passen sollte, weil der Vampir - tja, ehrlich gesagt fällt mir gerade auf Anhieb kein Beruf ein, der nicht betroffen ist ... also, sollten sich die Auswirkungen in der Vergangenheit (2020) im Rahmen halten, muss man da natürlich nichts bringen. Aber anders wüsste ich nicht, warum man so ein gravierendes Ereignis unter den Tisch fallen lassen sollte.

Unabhängig davon: Ganz ehrlich, ich werde das bei Band 2 und 3 auch nicht ausarten lassen und zugegeben, es ist zeitgenössisch und kein Fantasy. Aber Erwähnung müssen die Ereignisse bei mir irgendwo finden. Sonst steigt mir sicherlich auch meine Lektorin aufs Dach.  :rofl:

Yamuri

@Elona: Bei einem zeitgenössischen Werk würde ich auch ganz klar sagen, dann muss Corona mit thematisiert werden. Wobei in kriminellen Kreisen, wenn wir als Beispiel dein Gay Romance Werk nehmen, vermutlich weniger darauf geachtet wird sich an Regeln und Bestimmungen zu halten. Der Polizist würde sich wohl Gedanken machen, aber den meisten andren an die ich mich vom betalesen erinnere, würde ich so einschätzen, dass sie tun würden was ihnen passt. Da stellt sich dann eher die Frage, inwiefern das fahrlässige Verhalten dann eben auch Folgen hat.

Grundsätzlich denke ich, dass Corona thematisieren durchaus interessant sein kann, wobei ich an dieser Stelle dann auch den Fokus auf die Pandemie legen würde und alles andre Beiwerk würde. Einfach weil Corona und die Verschwörungstheorien allein schon genug Potenzial für eigene Geschichten bieten und ein Zuviel an Themen in einer Geschichte den Leser auch überfordern kann.

Bei @Nikkis Urban Fantasy würde ich Corona rauslassen, weil soweit ich das verstanden habe, in dem Projekt das Thema alternative Realitäten ohnehin schon einen gewissen Fokus hat, von dem was ich bei unsren Treffen darüber erfahren habe und durch den letzten Nano Thread. Damit würde ich dem auch mehr Aufmerksamkeit schenken, weil alternative Realitäten als Konzept schon komplex genug sind für die Leser.

Und ich denke, bzgl. Elonas Frage. Nicht die Einbeziehung von Corona wäre ausschlaggebend, sondern die Stimmigkeit. Denn wenn Corona einbezogen wird, dadurch aber von der Geschichte ablenkt und sie verworrener macht, wäre das keinesfalls besser als eine Geschichte ohne Corona. Nur wenn es stimmig ist, hätte die Corona Geschichte auch mehr Chancen beim Verlag, einfach weil Corona sich gut anbietet momentan als Thema. Wobei eine Geschichte, in der es Hauptthema ist, sicher am besten ankommen würde.
"Every great dream begins with a dreamer. Always remember, you have within you the strength, the patience, and the passion to reach for the stars to change the world."
- Harriet Tubman

Churke

Zitat von: Elona am 01. August 2020, 20:34:58
Und man sollte sich vor Augen führen, dass Corona nun einmal geschichtlich relevant ist.

Das ist alles andere als sicher. Die Gegenwart pflegt ihre Aufmerksamkeit den Fußnoten zuzuwenden und Ereignisse von historischer Tragweite zu übersehen. Ob der Brand von Notre Dame ein einschneidendes Ereignis oder ein No-Event gewesen sein wird, hängt von der Zukkunft ab. Vielleicht baut man sie 1:1 wieder auf und in 50 Jahren weiß niemand mehr, dass sie je gebrannt hat. Vielleicht reißt man die Ruine aber auch ab und baut ein Parkhaus für Elektroautos. Das wissen wir einfach nicht und wenn ich mich als Autor festlege, laufe ich Gefahr, dass mich die Wirklichkeit überholt.

Bei Corona ist die Sache noch verworrener. Corona ist eine Fußnote. Von historischer Tragweite ist die politische Reaktion darauf - deren Ausgang indes völlig offen ist. Den müsste man aber kennen, um Corona zu bewerten. Vielleicht wird man die Politiker in 5 Jahren für eben die Maßnahmen verfluchen, die man heute beklatscht. Warum soll ich mich da als Autor mit einer Prognose aus dem Fenster hängen?

Tintenteufel

#19
Zitat von: Elona am 01. August 2020, 19:10:04
Grundsätzlich an alle die sagen, sie würden es außenvorlassen:
Wenn es hier in Europa jetzt beispielsweise einen Krieg gegeben hätte, würdet ihr ihn auch nicht erwähnen? So gar nicht?
Und hätte die Notre Dame bei euch gebrannt oder nicht, wenn sie in eurer Geschichte vorgekommen würde?

Joa, würde ich nicht erwähnen. Das heißt tue ich bislang auch nicht. Jugoslawien-Kriege, die ganzen Sachen in Georgien - tauchen bei mir nicht auf. Nichtmal der Krimkrieg. Weil es mir nicht darum geht, eine möglichst realitätsgetreue Alltagswelt darzustellen.
Dein zweites Beispiel finde ich ist ein guter Punkt, um das Problem zu erläutern: In meinem Berlin stehen noch das Stadtschloss (nicht dieses widerliche Humboldt-Forum) und die alte Garnisonkirche.Deren Zerbombung und anschließende Sprengung sind in der Realität wichtige Marker für die Geschichte der Stadt. für den zweiten Weltkrieg, den Umgang mit dem Kaiserreich, die Mauer und die SED Regierung und jetzt den architektonischen Revisionismus der Bundesrepublik, die alles nach 1930 auch lieber vergessen würde. Diese Ruinen sind Architektur gewordene Geschichte.
Und in meiner Fantasy-Version meiner Stadt gibt es die nicht. Die stehen da wie am 22. November 1944 und keinen Tag älter. Aus dem schlichten Grund, weil es mir nicht um ein realistisches und naturgetreues Bild der Geschichte oder der Alltagswelt geht, sondern ein expressionistisches. Mir geht's nicht um die Überformung und Veränderung von Stadt durch Bewohner, sondern um die Kontinuität zwischen damals und heute. Die für mich relevanten Charaktere sind die exakt selben Monster, die seit dreihundert Jahren im Schatten auf uns lauern (buchstäblich, weil alles Vampire). Ergo weniger sichtbare Bombenschäden in Berlin, obwohl der zweite Weltkrieg selbstverständlich statt gefunden hat.

Gerade was du, Elona, als settingrelevant beschreibst - und ich stimme dir völlig darin zu, dass es eine bewusste Entscheidung dafür sein sollte - ist doch meine künstlerische Freiheit. Ich entwerfe das Setting so, dass es zu den von mir gewählten Themen passt, dass es meiner Vision entgegen kommt und die sich da nahtlos einfügt. Gerade bei einem zeitgenössischen Setting. Was für mein Setting relevant ist, das wähle ich aus, um eine bestimmte Stimmung, ein bestimmtes Gefühl zu erzeugen. Da lasse ich mir weder von ner Seuche noch von den sozialen Problemen der Amerikaner reinquatschen.

Araluen

#20
Ich denke, die Pandemie gehört vorläufig erst einmal dazu, nicht weil sie ein wichtiges und dramatisches Ereignis für uns darstellt, sondern weil durch die Pandemie viele neue Dinge Einzug in unseren Alltag gehalten haben, von denen ich annehme, dass sie noch länger Bestand haben werden.
- wer krank ist, geht nicht zur Arbeit, wurde noch nie so rigoros durchgesetzt wie jetzt. Ich bin sogar mit einem einfachen Schnupfen daheim im Home Office geblieben. Vor der Pandemie bin ich noch mit beginnender Lungenentzündung dort aufgeschlagen.
- Büroleute arbeiten viel mehr von zuhause aus
- in Schulen ist digitales Lernen und Fernunterricht kein Ding der Unmöglichkeit mehr (nur nicht immer ei fach und wünschenswert umgesetzt). Prota kann also durchaus mal zuhause bleiben, weil ihre Gruppe in der virtuellen Woche ist eine Stunde Mathe via Zoom machen und dann von einem Werwolf entführt werden direkt aus ihrem Zimmer.
- wir tragen Mundschutz im öffentlichen Raum und desinfizieren uns mehr oder minder regelmäßig die Hände
- wir halten größeren Abstand voneinander, wenn wir uns auf offener Straße treffen und unterhalten
- Outdoorsport boomt
- Virtuelle Treffen boomen
- der Ellenbogencheck löst zunehmend andere Grußformen wie Händedruck und Umarmung ab. Ich fühlte nich erst letztens wie ein Verräter als ich meine Freundin zur Begrüßung umarmte, als wir uns nach einem Jahr zum ersren Mal wieder sahen. Es steckt schon tief drin in unseren Köpfen.
Das sind Details, die man gut einbauen kann, um der Geschichte mehr Aktualität zu geben. Den Namen Corona oder Covid-19 würde ich dabei gar nicht fallen lassen - neuer Winter neues Virus.
Aber all diese Sachen gehören zu unserem neuen Lifestyle, genauso wie  Smartphones, soziale Netzwerke, Suchmaschine und Chats wie Whatsapp. Diese Dinge finden auch Eingang in die Urban Fantasy. Und ich wäre sehr befremdet, wenn Prota statt ins Internetcafe zu gehen und zu googlen im ersten Impuls zur Bibliothek geht. Dass Protagonisten über Whatsapp in Verbindung bleiben ist auch völlig normal. Nur konkrete Namen fallen meist nicht, weil man eben nicht weiß, was morgen noch in ist und man ja auch keine falsche Werbung machen möchte.

In meinen Augen kommt es da wirklich drauf an, wie sehr diese Dinge den Alltag der Protas beeinflussen können. Blacklifematter ist eine wichtige, politische Bewegung. Doch wie sehr hat sie den Lifestyle und Alltag der Massen beeinflusst? Kommt halt auch drauf an, wo es spielt und was wir für Protas haben (die gleiche Frage sollte man sich auch bei der Pandemie stellen). Urban Fantasy in Amerika würde ich darauf prüfen und entsprechend einbauen. Urban Fantasy in Prag... vielleicht mal als Schlagzeile, wenn Prota Zeitung liest, aber ansonsten vernachlässigbar.
Fukushima hat den Alltag vieler Japaner sicher stark beeinflusst. Aber außerhalb von Japan? Nach dem Schock über die Schlagzeile hat sich hier nichts verändert. Man kann es also mal als Schlagzeile erwähnen, nur die Art wie die Protas in der Geschichte agieren hat es vermutlich nicht beeinflusst. Bei der Pandemie sieht das anders aus. Unser Alltag hat sich sehr dadurch verändert.

Natürlich kann man sich bewusst dagegen entscheiden, wenn man für sich einen Grund hat und dieser nicht Bequemlichkeit heißt. Ich selbst habe auch noch ein Urban Fantasy Projekt in der Warteschlange und die Veränderungen durch die Pandemie werden Teil davon sein. So werden die Protas im Schulbus wohl Communitymasken tragen oder vielleicht auch Präsenzunterricht im Wechselmodel haben. Das kann plotrelevante Punkte sagar vereinfachen ;)

Amanita

#21
Über dieses Thema habe ich mir auch schon Gedanken gemacht und sogar überlegt, einen Thread zu eröffnen, allerdings immer morgens im Zug und bis abends hatte ich es wieder vergessen. ;)
Bei meiner Pferdegeschichte wird Corona nicht thematisiert. Die versuche ich aber auch bewusst nicht zu datieren, weil es darin auch einige Reitsportfunktionäre und bekannte Sportler gibt, die es halt in Wirklichkeit nicht gibt, wegen Persönlichkeitsrechten und so. Das wäre dann schwierig, wenn explizit gesagt würde, dass die Geschichte 2020 spielen soll. Außerdem wäre es mit monatelanger Unterrichtspause und ohne Turniere auch ein bisschen doof.
Auch bei meinen Unikrimis lässt es sich eher schwer einbauen, denn wenn die Protas nur zuhause sitzen und sich Online-Vorlesungen anhören, habe ich keinen Plot. ;)

Bei Urban Fantasy kommt es meiner Meinung nach darauf an, ob einem die genaue Datierung wichtig ist und ob man Corona und die Auswirkungen in die Geschichte einbauen möchte, oder nicht. Der Lockdown Anfang des Jahres würde beispielsweise einige Möglichkeiten bieten, wie jemand oder etwas diese Situation für seine Zwecke ausnutzen könnte und wäre sicherlich auch eine spannende, eine düstere Stimmung erzeugende Kulisse.
Die aktuelle Situation in Deutschland hätte meiner Meinung nach aber keine großen Auswirkungen auf einen Fantasyplot, wenn dort nicht gerade Großveranstaltungen eine zentrale Rolle spielen. Oder der Prota jetzt zum Einkaufen die Maske überzieht oder nicht, ist tatsächlich ein Thema, das man wie schon von anderen geschrieben ähnlich wie andere Alltagsdinge auch ignorieren und der Fantasie des Lesers überlassen könnte.
Bei Harry Potter legen ja viele Fans einen großen Wert auf die Datierung, aber wenn man sich die Details anschaut, passt das auch nicht immer. Beispielsweise hat der Premierminister von 1996 einen männlichen Vorgänger, obwohl es eigentlich Margaret Thatcher gewesen wäre. Gerade im Hinblick auf den Wunsch nach Eskapismus würde ich es wohl eher ambivalent lassen.
(Wobei ich mir sowieso nicht zutrauen würde, eine Geschichte zu schreiben, die in den USA spielt, weil ich das mangels detailliertem Wisesn genauso schwierig finde wie die viel diskutieren Geschichten über PoC und deren Lebenswirklichkeit. Dort wäre es dann auch noch deutlich schwieriger die aktuellen Ereignisse auszuklammern.

Sicherlich gäbe es auch einige Möglichkeiten, Corona tatsächlich zum Teil der Geschichte zu machen und manche Reaktionen der Leute auf die Einwirkung finsterer Mächte zurückzuführen, oder sogar das Virus selbst, aber das wäre auch ziemlich heikel und kontrovers, würde aber vermutlich gleichzeitig die Chance mit sich bringen, Aufmerksamkeit zu erregen.
Wenn man sich manche Aktionen von Trump so anschaut (Desinfektionsmittel injizieren...) könnte man ja wirklich meinen, dass der unter dem Imperiusfluch oder dem Confundus-Zauebr steht, um mal in der Harry Potter-Terminologie zu bleiben.

ZitatAber außerhalb von Japan? Nach dem Schock über die Schlagzeile hat sich hier nichts verändert.
Das stimmt nicht so ganz. Immerhin hat sich Merkel deswegen dafür entschieden, die Atomkraftwerke doch zeitnah abschalten zu lassen. Für Fantasygeschichten dürfte das aber zugegebenermaßen eher weniger relevant sein.

Anj

ZitatNatürlich kann man sich bewusst dagegen entscheiden, wenn man für sich einen Grund hat und dieser nicht Bequemlichkeit heißt.
Warum darf es denn eigentlich nicht Bequemlichkeit sein? Für den Leser macht es ggf. gar keinen Unterschied und wer bestimmt, dass ich es mir als Autor nicht auch einfach machen darf?
Ich kann ja verstehen, dass das zu eigenen Autorenehre irgendwann dazugehört, aber wenn die Geschichten trotzdem gelesen, vielleicht sogar gemocht werden, warum nicht mit Bequemlichkeit als Grund?

Davon abgesehen: Dass ein Buch über viele Jahre hinweg lesbar ist, hängt meiner Meinung nach eher von der Story an sich ab, als von spezifischen Merkmalen aus der Entstehungszeit. Ich habe gerade eine Buchserie aus dem 90ern gelesen, in der die Prota einen Pager hat. Total aus der heutigen Zeit raus, aber für mich funktioniert es sehr gut. Vielleicht auch deswegen, weil die hier nie so verbreitet waren wie in den USA. Aber viel wichtiger ist für mich die Story und die Konsistenz in der Story. Und dann finde ich es sogar schön, wenn es eindeutig aus früheren Zeiten stammt. Zumal alleine der technische Fortschritt heutzutage das Buch ratzfatz veralten lässt. Ob ich ein Handy aufschiebe, aufklappe oder damit im Internet surfe, ist nahezu genauso zeitspezifisch wie Corona.

Ich lese ja nahezu ausschließlich Urbanfantasy, aber ich bräuchte Corona jetzt nicht unbedingt. Vielleicht in 2-3 Jahren, wenn wir dann immer noch Masken tragen und immer noch Restaurantbesuche nachzuhalten sind, wir ggf. sogar zwangsweise eine (Corona-)App installieren müssten, Grenzen langfristig wieder dicht wären, usw. Dann irgendwann fände ich es vielleicht wirklich merkwürdig. Aber jetzt bräuchte ich das noch nicht. Zumal wir ja noch nicht absehen können was langfristige Folgen sein werden. Im Zweifel würde ich eher eine klare Alternative Zeitlinie etablieren, wenn ich Corona einbauen wollen würde und davon ausgehe, dass das Buch erst in 1-2 Jahren erscheinen wird. Für SP könnte man das dann ja deutlich schneller und flexibler planen.
Immerhin ist jetzt auch seit 2015 nicht unbedingt massenhaft Urbanfantasy mit massenhaft Flüchtlingsthematik erschienen obwohl ich finde, dass das gerade in Kleinstädten stark präsent war, einfach weil das Straßenbild plötzlich sehr viel diverser war und seither zum Beispiel auch in Kleinstädten die Shisha-Bars boomen. Und ich persönlich fühle mich nur peripher betroffen. Klar - virtuelle Seminare statt Präsenztrainings und Masken im Laden - aber davon abgesehen hat sich bei mir im Grunde nichts geändert. Im Straßenbild fällt es immer noch kaum auf, wenn ich nicht grad indoor unterwegs bin und die wegfallende Umarmerei begrüße ich sehr (die war in Romanen aber auch nie repräsentiert^^).

Kurz gesagt: Wenn ich als Autorin den Impuls hätte, Corona einzubauen, würde ich das tun. Wenn nicht, würde ich es lassen, einfach, weil ich denke, dass es nicht richtig oder falsch gibt und beides Leser findet.
"Wenn du andere Leute ansiehst, frage dich, ob du sie wirklich siehst, oder ob du nur deine Gedanken über sie siehst."
Jon Kabat-Zinn.

Nikki

ZitatFukushima hat den Alltag vieler Japaner sicher stark beeinflusst. Aber außerhalb von Japan?

Ich habe Fukushima auch nicht unter dem eurozentrischen Blickwinkel reingebracht, sondern unter dem japanischen. Da mussten Autor*innen, deren Umfeld unmittelbar von der Dreifachkatastrophe betroffen war, sich auch bei jedem einzelnen Buch bzw. bei ihrem allgemeinen Narrativ entscheiden, inwiefern sie diese Begebenheiten berücksichtigen.

Ich habe ein bisschen Bauchweh, wenn Black Lives Matter als Beispiel in diesen Diskurs mit reingebracht wird. Ein kurzer Blick in Wikipedia lässt wissen, dass es diese Bewegung schon seit 2013 gibt. Sie ist eine Reaktion auf systematischen Rassismus, der v.a. in Amerika kumuliert. Systematischer Rassismus ist allerdings allgegenwärtig, auch wenn das viele nicht so sehen bzw. wahrnehmen. Die Darstellung von diversen Figuren ist ein Teil dieses Diskurses. Auch wenn BLM als Schlagwort nicht im Roman vorkommt, sollte dem Diskurs zumindest im Subtext Rechnung getragen werden und nicht schlichtweg ignoriert werden.

ZitatImmerhin ist jetzt auch seit 2015 nicht unbedingt massenhaft Urbanfantasy mit massenhaft Flüchtlingsthematik erschienen obwohl ich finde, dass das gerade in Kleinstädten stark präsent war, einfach weil das Straßenbild plötzlich sehr viel diverser war und seither zum Beispiel auch in Kleinstädten die Shisha-Bars boomen.

Ich habe ehrlich gesagt nur darauf gewartet, dass jemand auch dieses Beispiel anspricht unter dem Aspekt, wie "aktuell"/"realitätsgetreu" soll/muss mein Roman sein. Hier wird argumentiert, Corona hätte den Alltag verändert, aber das hat das Jahr 2015 auch in Europa (vermutlich auch anderswo, aber ich kann nur von meinen eigenen Beobachtungen und Erfahrungen sprechen) getan. Ausländer*innenfeindlichkeit hat spürbar zugenommen und das Miteinander gravierend verändert, sonst hätten es Trump, Johnson, Kurz und andere populistische Konsorten nie an die Spitze geschafft. Wo war da die Diskussion, inwiefern auf diese Ereignisse in Fiktion Bezug genommen werden sollte? (Falls es hier eine gab, bitte ich um die Verlinkung)

Eine ganz naive Frage, die sich mir stellt: Kann Corona und alle, was damit zusammenhängt, zum jetzigen Zeitpunkt überhaupt neutral, und sei es jetzt nur vom Setting her, in einen Roman eingebaut werden, ohne ihn damit unweigerlich in einen Diskurs zu setzen, der nichts mit dem eigentlichen Romanthema zu tun hat? Wenn ich mir den Thread bzgl. Corona im realen Alltag anschaue, wo immer wieder über die Sturheit von Leuten, die sich gegen das Tragen von Masken aussprechen, über Verschwörungstheorien über den Ursprung und noch vieles mehr diskutiert, dann frage ich mich, inwiefern allein nur vom Setting her Corona auch nur angedeutet werden kann, ohne ein Fass aufzumachen, das man nie aufmachen wollte?

Zitat- wer krank ist, geht nicht zur Arbeit, wurde noch nie so rigoros durchgesetzt wie jetzt. Ich bin sogar mit einem einfachen Schnupfen daheim im Home Office geblieben. Vor der Pandemie bin ich noch mit beginnender Lungenentzündung dort aufgeschlagen.
- Büroleute arbeiten viel mehr von zuhause aus
- in Schulen ist digitales Lernen und Fernunterricht kein Ding der Unmöglichkeit mehr (nur nicht immer ei fach und wünschenswert umgesetzt). Prota kann also durchaus mal zuhause bleiben, weil ihre Gruppe in der virtuellen Woche ist eine Stunde Mathe via Zoom machen und dann von einem Werwolf entführt werden direkt aus ihrem Zimmer.
- wir tragen Mundschutz im öffentlichen Raum und desinfizieren uns mehr oder minder regelmäßig die Hände
- wir halten größeren Abstand voneinander, wenn wir uns auf offener Straße treffen und unterhalten
- Outdoorsport boomt
- Virtuelle Treffen boomen
- der Ellenbogencheck löst zunehmend andere Grußformen wie Händedruck und Umarmung ab. Ich fühlte nich erst letztens wie ein Verräter als ich meine Freundin zur Begrüßung umarmte, als wir uns nach einem Jahr zum ersren Mal wieder sahen. Es steckt schon tief drin in unseren Köpfen.

Das sind teilweise aber Begebenheiten, die sich auch ohne Corona erklären lassen könnten, je nachdem wie die Charaktere und Handlung ausgelegt sind. Gerade das Beispiel mit dem größeren Abstand würde ich persönlich nicht unweigerlich mit Corona in Verbindung bringen, wenn es nicht explizit erwähnt wird. Ich würde mir denken, die zwei Figuren mögen sich nicht, haben sich gestritten, die eine stinkt, whatever, wenn da ohne Erklärung steht, dass ein möglichst großer Abstand eingehalten wird. Und wenn dann die Erklärung mit Corona (oder einem unbenannten Virus etc.) kommt, dann geht in meinem Kopf automatisch der aktuelle Diskurs um Corona los und der Roman liest sich für mich - obwohl Corona nur ein Teil des Settings ist - ganz anders als ohne Corona, weil ich damit viel stärker im Hier und Jetzt verankert bin, was nicht unbedingt positiv ist. Ich schreibe einen Romankomplex, der in Wien beginnt, und würde nie auf die Idee kommen, die FPÖ oder Kurz zu erwähnen, auch wenn diese maßgeblich das Leben in Österreich und Wien die letzten Jahren beeinflusst haben. Nicht alles, was uns jetzt bewegt, muss Eingang in Romane finden, deren primäres Thema ein anderes ist.

Sorry but you are not allowed to view spoiler contents.

Amanita

Thema Flüchtlingskrise: Kommt bei mir tatsächlich vor, ich finde aber trotzdem, dass es im Gegensatz zu Corona ein Thema ist, was den Alltag vieler Menschen nicht wesentlich beeinflusst. Gut, da laufen jetzt ein paar mehr "südländisch" aussehende Leute rum und im Bus sitzt auch öfter mal eine schwarze Familie, aber den Alltag beeinflusst das ja nur für diejenigen, die das als Bedrohung empfinden. Und aus der Sicht von so jemandem zu schreiben, ist dann auch wieder nicht unbedingt erwünscht.
Corona beeinflusst aber schlichtweg den Alltag von jedem und teilweise auch nicht unerheblich.

Churke

Zitat von: Nikki am 02. August 2020, 18:13:00
Kann Corona und alle, was damit zusammenhängt, zum jetzigen Zeitpunkt überhaupt neutral, und sei es jetzt nur vom Setting her, in einen Roman eingebaut werden, ohne ihn damit unweigerlich in einen Diskurs zu setzen, der nichts mit dem eigentlichen Romanthema zu tun hat?

Warum nicht? Corona ist in der Popkultur angekommen. Das kann man zur Kenntnis nehmen, ohne es kommentieren zu müssen.


Nikki

#26
Zitat von: Amanita am 02. August 2020, 19:41:18
Thema Flüchtlingskrise: Kommt bei mir tatsächlich vor, ich finde aber trotzdem, dass es im Gegensatz zu Corona ein Thema ist, was den Alltag vieler Menschen nicht wesentlich beeinflusst. Gut, da laufen jetzt ein paar mehr "südländisch" aussehende Leute rum und im Bus sitzt auch öfter mal eine schwarze Familie, aber den Alltag beeinflusst das ja nur für diejenigen, die das als Bedrohung empfinden. Und aus der Sicht von so jemandem zu schreiben, ist dann auch wieder nicht unbedingt erwünscht.
Corona beeinflusst aber schlichtweg den Alltag von jedem und teilweise auch nicht unerheblich.

Ich bin weiß, Wienerin/Österreicherin (was immer das auch heißen mag - habe zwar schon gesagt bekommen, ich sähe "tschechisch" oder "türkisch" aus, was auch immer das heißen mag) und ich bekomme sehr wohl mit, wie salonfähig Rassismus, Diskriminierung, Othering, schlichtweg alles, was auf "die gegen uns" runtergebrochen werden kann, in den letzten Jahren geworden ist. Dass Regierungsmitglieder offen gegen Personengruppen hetzen dürfen und die Medien das munter unterstützen, schlägt sich sehr wohl im Alltag nieder, auch wenn es nicht so offensichtlich wie Mundschutz oder Desinfektionsmittel ist. Hetzparolen, die früher noch hinter der Hand ausgetauscht werden, werden ganz offen zum Besten gegeben.
Der Unterschied zu einem Virus wie Corona und der "Flüchtlingskrise" von 2015 ist, dass Letzteres an den persönlichen Werten und Moralvorstellungen rührt und je nachdem, wie sensibel/politisch aktiv/etc. man ist, man einen Abstand dazu schaffen kann, auch wenn das nur vermeintlich der Fall ist. 2015 hat einen super Nährboden für Populismus geboten, die den Diskurs um Flüchtlinge (ist Asyl suchende Personen die adäquate Bezeichung?) nach ihrem Gutdünken geformt haben. Die Folge sind Wahlergebnisse zugunsten von Personen, deren lautestes (oder sogar einziges) Argument war, die bösen Anderen, wir die armen Inländer, die geschützt werden müssen.

Ich will hier wirklich nicht politisieren, aber wenn man den Anspruch an sich und die eigenen Werke stellt, das aktuelle Tagesgeschehen, sei es jetzt als Thema oder als Setting, zu verarbeiten, dann sollte man sich die Frage stellen, wo ziehe ich die Grenzen (was erwähne ich und was nicht) und wieso ziehe ich sie genau dort?

Müssen Ereignisse, die mich als real existierende Person beeinflussen, aktiv meine Figuren und meine Geschichten beeinflussen? Ich sage grundsätzlich nein, weil für mich persönlich immer die Geschichte Vorrang hat und wenn da die Verbreitung eines Virus und dessen Einschränkung keinen Platz hat, dann ist das eben so. Wenn ich aber meine, ja, das sollte eine Rolle spielen, muss ich auch absehen können, was das für meine Geschichte bedeutet. Im Fall von meinem Romankomplex hat @Yamuri ein Argument dagegen gebracht, nämlich, dass es der bereits bestehenden Komplexität nicht gerecht wird. Denn Corona ist an sich schon komplex genug. Es ist nicht nur ein Virus mit so und so vielen Todesfällen, es hat wirtschaftliche, soziale und kulturelle Folgen, die sich auf so vielen unterschiedlichen Ebenen abspielen. Auch wenn jetzt, wenn ich diesen Beitrag schreibe, Corona scheinbar das häufigste Wort in den Tageszeitungen ist, ist es als "Konzept", das man nebenher so streifen könnte, noch nicht in den Köpfen der Leser*innen etabliert, dass diese einfach so drüber lesen könnten. Der Diskurs um Mund-Nasen-Schutz wird als ein Machtsymbol zwischen Regierung und Bürger*innen geführt, der Ursprung des Virus dient als Ausrede, um rassistisch geprägte Anfeindungen gegen Personen mit asiatischem Phänotyp anzubringen, (willkürliche) Grenzschließungen mit Corona als Begründung durchgeführt, um sich die Lieblingshandelspartner herauszupicken etc. All das und noch viel mehr schwingt bei der Etablierung von Corona im Romanuniversum mit. Und selbst wenn ich das Virus namenlos lasse, werden alle Leser*innen im Kopf "Corona" lesen.

Ich will niemandem ausreden, Corona im eigenen Universum zu etablieren oder zu thematisieren, aber man sollte sich darüber bewusst sein, dass ein ganzer Rattenschwanz an Überlegungen folgen muss, um der Thematik gerecht zu werden und nicht nur "mit dem Trend" zu gehen.

Ein "Gutes" an der jetzigen Situation ist die Bewusstwerdung von Hygienestandards, deren Einhaltung meiner Meinung nach, weder in der Realität noch in der Fiktion, oft genug beachtet wird. Das wäre ein Punkt, den man nebenbei etwas mehr Beachtung schenken könnte, ohne das Fass namens Corona aufzumachen, aus dem man gar nicht schöpfen möchte (außer man möchte einen "Corona-Roman" schreiben).

EDIT

ZitatCorona ist in der Popkultur angekommen.

Wie meinst du das? Mir wäre noch kein Beispiel untergekommen, außerhalb von "Corona-Romanen", die das Virus explizit zum Thema hätten, dass Corona als fester Bestandteil der (Pop-)Kultur angesehen wird. Die Coronasongs auf YT haben Memecharakter und sind eine Bewältigungsstrategie, eine eigene Textsorte für sich.

Anj

Naja also es kommt darauf an, was als Beeinflussung empfunden wird. Das Thena an sich ist präsenter, egal ob über Annäherung oder Angst. Und auch das optische Straßenbild finde ich eine starke Beeinflussung. Vielleicht subtiler als Masken, aber allein die optische Repräsentation im Alltag ist anders als vor 2015 - zumindest in Kleinstädten und Dörfern. Mich beeinflusst es Beispielsweise insofern als dass ich nicht nur öfter versuche fremde Sprachen zuzuordnen, ich achte auch vielmehr auf die Reaktionen, bzw. das Verhalten aller Umstehenden.
Und zugegebenermaßen gab es Phasen in denen ein verwaiste Koffer oder eine verwaiste Tasche in den Öffis mir aufgefallen sind und eine gewisse Nervosität hervorgerufen haben. Hat sich wieder gelegt, war aber durchaus eine einschneidende Erfahrung.

Und wieso ist es nicht erwünscht aus der Sicht derer zu schreiben, die Angst haben? Wenn damit auf vernünftige Weise Verständnis geschaffen würde für die Effekte, die Ängste auslösen, könnte vielleicht von mehr Menschen konstruktiv und wissensvermittelnd oder wenigstens empathisch abholend darauf reagiert werden. Was die Chance bergen könnte, die Angstspiralen zu durchbrechen.
"Wenn du andere Leute ansiehst, frage dich, ob du sie wirklich siehst, oder ob du nur deine Gedanken über sie siehst."
Jon Kabat-Zinn.

Nikki

#28
NACHTRAG Wer natürlich will, dass der Roman erkennbar in 2020 und in den Folgejahren spielt, der kommt nicht darum herum, Corona zu erwähnen.

Sorry but you are not allowed to view spoiler contents.


Nochmal EDIT Ich glaube, ich würde, wenn es sich nicht explizit um einen Corona-Roman handelt oder aus dem Klappentext nicht hervorgeht, dass der Roman ab 2020 spielt, etwas wie eine Triggerwarnung setzen, wenn Corona im Setting etabliert wird. Corona ist aus den oben genannten Gründen mittlerweile ein rotes Tuch für viele und ich kann mir vorstellen, dass viele so etwas in Fiktion, wie Fantasy es ist, nicht lesen wollen.

Elona

@Tintenteufel da stimme ich vollkommen mit dir überein. Das was du nennst sind ja Gründe, warum du es halt so machst, wie du es machst.  :)
Und im Zweifel kann man alles unter "künstlerischer Freiheit" verbuchen.  :rofl:

Ich glaube das Hauptproblem ist wirklich, dass jeder einen anderen persönlichen Bezug zu Corona hat. Ich für meinen Teil glaube nicht, dass das Thema in den nächsten Jahren erledigt sein wird. Kann mich natürlich auch täuschen. Klar. Ein geschichtliches Ereignis bleibt es trotzdem und am Ende ist es die gleiche Frage wie: Wenn ich einen Urban Fantasyroman im Mittelalter ansetze - Pest, ja oder nein? Muss jeder für sich selbst entscheiden. Auch, in welchem Umfang er es dann (wenn) einfließen lässt. Und jaaa, ich wiederhole mich. Ist auch mein letzter Post zu dem Thema.

Zitat von: AnjanaDavon abgesehen: Dass ein Buch über viele Jahre hinweg lesbar ist, hängt meiner Meinung nach eher von der Story an sich ab, als von spezifischen Merkmalen aus der Entstehungszeit.
Sehe ich genauso!

Und deshalb finde ich es persönlich auch nicht schlimm Details für ein Setting zu verwenden. Dann steht da halt ein Röhrenfernseher oder ein Flachbildschirm. 2030 tragen wir alle Brillen, mit denen wir Fernsehen, während wir mit dem Hund Gassi gehen und damit ist alles, was ich bis dahin (nach besten Wissen) geschrieben habe hinfällig.  :engel: