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Stilfiguren in Prosatexten?

Begonnen von Shay, 08. Dezember 2007, 17:11:11

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Shay

Ich hoffe, das Thema gab es noch nicht, aber ich hab jetzt wirklich gründlich gesucht und nur etwas zu Metaphern gefunden, sowie zwei Threads, in denen kurz über eine Metonymie bzw. einen Pleonasmus diskutiert wurde.

Wie steht ihr zu Stilfiguren in Prosatexten? Ich bin bei dem Thema ja irgendwie genetisch vorbelastet, denn mein Vater ist Lateinlehrer und ein großes Latinum habe ich auch irgendwann mal gemacht. Irgendwie fand ich Stilfiguren immer lustig, weil die so schöne Namen haben (Hendiadyoin, Homöoteleuton...) und die in Latein erworbenen Kenntnisse haben mir die eine oder andere Deutsch- und Englischnote gerettet. Dann habe ich ein paar Jahre später selbst angefangen zu schreiben und auf einmal festgestellt, daß man das eine oder andere davon ja selbst verwenden kann.

In den oben zitierten Threads gab es dann aber einige, die ungewöhnliche Ausdrücke eher als störend ablehnten. Sind Stilfiguren wirklich nur etwas für Gedichte?
Klar sollte man sie in einem Prosatext eher spärlich verwenden, weil es eben einfach ungewöhnliche Sprache ist (wenn man nicht gerade ein Stilfiguren-Guru ist, dann kann man nämlich jeden Ausdruck als irgendeine Stilfigur klassifizieren ;) ). Aber ich denke, daß die antiken Autoren diese Dinge nicht umsonst erfunden haben, sondern weil man damit ganz bestimmte Wirkungen erzeugen kann. Gerade ungewöhnliche Ausdrücke zwingen doch zum Nachdenken und erzeugen so vielleicht viel klarere Bilder als einfache "gerade" Sprache. Oder verwirrt man damit den "Nicht-Altphilologen" nur grundlos?

saraneth

#1
Hallo Shay!

Nun ja... wie du schon sagtest, würde ich Stilfiguren in Prosatexten wirklich nur selten säen, aber sie sollten auch nicht fehlen. Wenn du zum Beispiel bei der Beschreibung einer Schlacht das Ausmaß der Zerstörung steigern möchtest, dann kannst du wunderbar eine Anapher verwenden.

Aber auch Hyperbeln kommen sehr häufig in Texten vor, immerhin versucht man ja durch gewisse Übertreibungen dem Leser ein Bild zu vermitteln ("Sein Mund stand so weit offen wie ein Scheunentor.").

Ich würde also dazu tendieren die Stilmittel so einzubauen, dass man gar nicht merkt, dass das Stilmittel sind und sie sich somit unauffällig an den Text schmiegen und ihn ergänzen.

Lg
Saraneth


[Edit: Ich bin auch vorbelastet. Meine Mutter unterrichtet ebenfalls Latein. ;) Da kann man meist gar nicht ohne. Ich finde es jedenfalls persönlich sehr schön, wenn das ein oder andere Stilmittel im Text auftaucht.]

Maja

Ich bin auch vorbelastet, mein Freund hat sein Graecum, und mein Herz flog ihm nur so zu, als er mir am Telefon wortreich das (den?) Hendiadyoin erklärt hat.

Ich verwende solche Stilfiguren sehr, sehr gern, auch wenn ich es intuitiv tue und oft nicht weiß, wie sie heißen (das ist der Nachteil mangelnder Bildung - bin leider kein Altsprachler). Mein Stil ist oft sehr phrasenlastig, assoziativ und bildreich, vor allem aber liebe ich ein sprachliches Mittel, dessen Name ich nicht kenne: Hierfür werden zwei Dinge gleichgewichtet, wie in "Nec Laudibus nec Timore", weswegen ich das immer eine Nec-Nec-Formulierung nenne (Beispiel, einer meiner Lieblingssätze: "Ich hatte noch nie einen Toten berührt, und noch nie meinen Vater", oder "Ich wollte nie eine Mörderin sein, und nie eine Mutter"). Wenn mir jemand sagen kann, wie das offiziell heißt, wäre ich dankbar - aber ich bin diesem Prinzip bis jetzt bei anderen Autoren nicht wirklich oder nicht wirklich oft begegnet.

Ein anderes Hobby von mir sind Metaphern, die auf den ersten Blick keinen Sinn machen, aber verstanden werden: "Sein Lächeln war ein leiser Abgrund" oder erläuertungsbedürftige Similen: "Seine Stimme war wie junges Eis: Kalt, aber zugleich dünn und brüchig" [wenn das keine Simile war, korrigiert mich - mich hat im Deutschunterricht nie interessiert, wie etwas hieß, ich wollte nur wissen, was man damit anfangen kann]. Und ich mag Alliterationen, Hendiadyoine und ähnlich klingende Worte ["Ihr seid ungerecht!" - "Ich bin ungerächt, das ist etwas anderes."] Das habe ich mir angeeignet, als wir in der Schule Rhetorik und Argumentationen durchgenommen haben, und es ist mir in Fleisch und Blut übergegangen.

Stilmittel müssen zurückhaltend dosiert werden, sonst nutzen sie ab und verlieren ihre Wirkung. Dann bleibt nur noch Stil als Selbstzweck, und wann man das Gefühl bekommt, der Autor hat sich nach jedem Satz die Finger geleckt und gesagt "So, und der nächste wird noch toller", dann liest man am Ende nur noch Wörter statt Worte, und der Autor ist bei mir unten durch.
Niemand hantiert gern ungesichert mit kritischen Massen.
Robert Gernhardt

Ary

Wohldosiert liebe ich solche Stilmittel. Majas Beispiel mit der Eisstimme gefällt mir sehr gut. Ich denke, mit Stilmitteln ist es wie mit allem - allzu viel ist ungesund! :)
Einfach mal machen. Könnte ja gut werden.

Shay

Ah, schön daß es noch mehr Leuten so geht :)

@Maja
Ich hab gerade in meinem "Lexikon der Sprachkunst" (J.D. Harjung) gestöbert. Das beste, was ich für deine nec-nec-Form gefunden habe, ist ein "Parallelismus mit Konduplikation". Das Buch ist eine Fundgrube für komplizierte Fachbegriffe ;)
Und es heißt das Hediadyoin (steht da auch drin)

Meine Lieblingsfiguren sind das asyndetische Tricolon, wenn ich Tempo in eine Szene bringen will, und als Gegenstück das Polysyndeton, wenn ich Überfluß oder Reichtum beschreiben will. Aber auch ein gut platziertes Oxymoron oder eine schöne Metonymie mag ich gerne. Bei Metaphern hängt es von der Situation ab. Die empfinde ich eher als blumig, und das muß zur Situation und zur Person passen.

Hr. Kürbis

Zitat von: Shay am 08. Dezember 2007, 18:55:13
Oxymoron

Hah! Ein bekanntes Wort! Vielleicht gebt ihr mal Beispiele für andere ungebildete Mitleser? Ein Oxymoron auf jeden Fall ist "heißer Schnee", aber auch "virtuelle Realität". ;D

Shay

Ich versuch mich mal an einer kurzen Erklärung. Ich bitte etwaige kitschige Beispiele zu entschuldigen ;)

Metapher: wie ein Vergleich nur ohne das Wort "wie"
Sie war ein junger Baum, schlank und biegsam.

Metonymie: es wird nicht das richtige Wort verwendet, sondern ein nah verwandtes oder das richtige Wort an der falschen Stelle. on der Metonymie gibt es zig Unterarten, die dann alle auch eigene Namen haben.
Washington verhält sich abwartend statt die amerikanische Regierung...
Das rote Lächeln ihrer Lippen statt Das Lächeln ihrer roten Lippen

Pleonasmus:Wort (meist ein Adjektiv), das keinen neuen Inhalt bringt
weißer Schimmel

Hendidyoin: Eins-durch-zwei. Statt einem Wort werden zwei gleichbedeutende neben einandergestellt und durch "und" verbunden
gut und schön, Recht und Gesetz...

Homöoteleuton: "Gleichklang", nichts anderes als ein schnöder Reim, meist aber nicht auf gedichte, sondern auf Worte in Prosa-Texten bezogen

Anapher: Zwei aufeinanderfolgende Sätze fangen mit dem gleichen Wort an


Hyperbel: Übertreibung. Saraneth hat schon den "Mund wie ein Scheunentor" genannt

asyndetisch/Asyndeton: "unverbunden" Eine Aufzählung ohne "und"
höher, schneller weiter

Tricolon: eine dreigliedrige Aufzählung
ebenfalls höher, schneller, weiter aber auch höher, schneller und weiter

Polysyndeton: eine Aufzählung mit mehr als einem "und"
Gold und Silber und Edelsteine und Perlen und feines Leinen und Purpur... (Offenbarung nach Luther)

Parallelismus: zwei Sätze/Teilsätze haben die gleiche Abfolge der Satzteile
Sie ging in die Kirche. Er verschwand in der Kneipe.

Konduplikation:Wiederholung des gleichen Wortes, unterbrochen durch anderen Text
Ich habe dich nicht genug geliebt, dir nicht genug vertraut (ETA Hoffmann)

Oxymoron: zwei Wörter stehen "zusammengeleimt", die sich widersprechen. Das kanntest du ja schon
heißes Eis, runde Ecke...

Hr. Kürbis


Lennard

Ey das haben wir doch alle auch so gewusst, oder?  ;D

Grey

Öhm ... nein, ich hätte die ganzen Fachbegriffe jetzt nicht so runterbeten können - vielen Dank dafür! :)

Kalderon

#10
Hm... ich muss zugeben, ich verwende so einige davon recht häufig: asyndetisch/Asyndeton, Tricolon, Polysyndeton, Parallelismus, Konduplikation, etc.
Aber ich wusste nicht, dass es dafür Bezeichnungen gibt.

Lennard

@Grey

Das war auch ironisch gemeint.
Auch mir waren diese Fachbegriffe völlig unbekannt. Der erklärende Beitrag von Shay ist natürlich sehr aufschlussreich und habe ich mir sogleich archiviert  ;)

Coppelia

#12
Wenn es schon um die richtigen Ausdrücke geht: Diese spezielle Stilfigur
ZitatDas rote Lächeln ihrer Lippen statt Das Lächeln ihrer roten Lippen
heißt Enallagé: Bei zwei Substantiven wird das Adjektiv zu dem Substantiv gezogen, zu dem es vom Sinn her nicht gehört. Die Enallagé ist eher "undeutsch", aber in lateinischer Dichtung sehr häufig.

Ich lese ja gerade de oratore von Cicero und bin mitten im Absatz über Stilfiguren. Cicero nennt die Stilfiguren in diesem Werk nicht beim Namen, sondern umschreibt sie, damit sie für alle Leser verständlich sind. Ich denke auch, man muss die Fachausdrücke nicht kennen, um die Stilfiguren zu verwenden.

Jedenfalls findet Cicero wieder mal schöne Worte für die Verwendung von Stilfiguren in Prosatexten: Sie sollen dem Text "Glanzlichter" verleihen und so sein wie Sterne am Nachthimmel. Den Vergleich finde ich im Verhältnis Text - Stilmittel sehr passend. Wir halten zwar keine Reden und kommen vielleicht auch mit weniger Stilmitteln aus, aber um der Effekte willen würde ich bestummt nicht auf sie verzichten wollen. :)

Shay

Klar ist es im Prinzip egal, wie die Sachen heißen. Irgendwie ist es ja auch wiedersinnig, daß wir uns da total komplizierte Begriffe merken müssen. Für die alten Griechen und Römer (wo jeder halbwegs Gebildete Griechich sprach) waren diese Namen ja "Klartext". Hendiadyoin heißt "Eins durch Zwei", Homöoteleuton "Gleichklang", pars pro toto einfach "ein Teil für das Ganze".
Aber mir zumindest hilft es, zu wissen, was es überhaupt gibt. Nur leider habe ich bis jetzt immer nur Aufstellungen gefunden, wie man die Stilfiguren in einem vorhandenen Text klassifiziert, aber noch nie etwas, wie man sie sinnvoll einsetzt.

@Coppelia
Laut meinem Lexikon ist die Enallage eine Unterform der Metonymie und ich dachte, ich komme da jetzt nicht noch mit 20 Unterbegriffen ;)

Aber sag mal, lohnt sich De Oratore? Auf Lateinisch würde ic mir das vielleicht nicht antun, aber es gibt ja zweisprachige Ausgaben. Was du da zitiert hast, klingt jedenfalls sehr schön und passend. Das ist genau meine Meinung.


Coppelia

#14
Du hast Recht, Shay. Wo ich im Lauf des Tags noch mal drüber nachgedacht hab ... ;)

De oratore kann ich nicht wirklich empfehlen, wenn man sich unterhalten oder etwas Handfestes lernen will, denn der "Lernstandard" ist natürlich nicht wirklich aktuell. Gut geeignet ist es natürlich zur Recherche oder wenn man generell über Sprache nachdenken will. Die orange Reclam-Übersetzung ist gut.
Ich hab auch gemerkt, dass es mir beim Romanschreiben geholfen hat, wenn ich eine Gerichtsszene schreiben wollte oder etwas in der Art. Falls ich mal eine Rede halten müsste - tja, wer weiß.
Leider ist auch die Distanz zwischen den Kulturen so groß, dass nicht mehr alles verstanden oder nachvollzogen werden kann, nicht mal mehr von Fachleuten. :( Was andererseits auch wieder lustig sein kann, wenn man davorsteht wie der Ochs vor'm Berg.