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Füllwörter und Adjektive

Begonnen von Ary, 05. Dezember 2007, 16:34:15

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Julia

#15
Mal als kleines Experiment:
Wie empfindet ihr (ganz unvoreingenommen) den folgenden Text (es geht mir jetzt nicht um richtig oder falsch, sondern nur, wie das Zitat auf Euch wirkt):

"So kam es denn, dass außer von Möwen und den anderen Vögeln, die am Strand fliegen, und etwa einmal von einem Fischadler, dort kein Besuch mehr stattfand; und an mondhellen Abenden sah man vom Deiche aus nur die Nebeldünste leichter oder schwerer darüber hinziehen. Ein paar weißgebleichte Knochengerüste ertrunkener Schafe und das Gerippe eines Pferdes, von dem freilich niemand begriff, wie es dahin gekommen sei ..."

Liebe Grüße,

Julia


Coppelia

#16
Vor allem der vordere Teil des Satzes ist mir vom Zusammenhang her erst beim 4. Durchlesen klar geworden.
Klingt nach Theodor Storm, ein bisschen ... aber meines Erachtens viel zu kompliziert, zu verschachtelt, zusammengehörige Satzteile sind unnötigerweise getrennt, außerdem Tempusfehler? Viel verständlicher müsste es heißen:

"So kam es, dass dort kein Besuch mehr stattfand, außer von Möwen und anderen Strandvögeln/Vögeln, die am Strand flogen, und vielleicht einmal von einem Fischadler."

Außerdem ist unklar, ob sich "leichter/schwerer" auf die Dünste bezieht oder ob es ein Adverb ist (d. h. manchmal sieht man die Dünste besser und manchmal schlechter  ???). Dativ auf e ist veraltet, daher wohl meine Assoziation mit Theodor Storm. Und beim letzten Satz fehlt das Prädikat und es müsste "war" statt "sei" heißen ...

Bei meinem momentanen Romanprojekt verwende ich öfter so etwas wie Füllwörter, weil ich einen sarkastischen Ich-Erzähler habe, der gern untertreibt oder ironisch spricht. Ich bin auch nicht sicher, ob es echte Füllwörter sind oder ob die Wörter nötig sind, um Distanz zu schaffen. Ich glaube fast, das letzte.

Hr. Kürbis

Jau, das Zitat ist wohl nicht ganz neu, aber ich mag den Rhythmus und auch die Stimmung, die der Text erzeugt. Für mich durchaus im grünen Bereich.

Ich bekenne mich nebenbei auch zum Füllwortnutzer, allerdings kann ich mich hier von den meisten trennen, nur meine Adjektive gebe ich schweren Herzens wieder aus der Hand. Aber ich hab ja genug davon! ;D
Ganz auf beides verzichten geht jedoch für mich überhaupt nicht!

Linda

Hi,

mir gefällt das maritime Beispiel, den Stil von Tolkien im anderen Beispiel mag ich auch. Find' beides auch nicht schwierig zu lesen, ist allerdings etwas literarischer als die übliche Feld-, Wald- und Wiesenfantasy (viele erfolgreiche Bücher verwenden heute quasi Heftromanstil. Ganz neutral beobachtet von einer, die auch mal in der Heftromansparte veröffentlicht hat und die Kriterien dafür kennt.)
Zum Thema kann ich sonst nicht viel beitragen, ich habe gemeinhin eine recht schlanke Prosa und auch das kann ein Problem sein, wenn Leser sich ohne Wälder von Adjektiven nichts (mehr) vorstellen mögen.

Gruß,

Linda

saraneth

Also Tolkien fand ich zwar nicht schwer zu lesen, bin sogar teils Anhänger seiner seitenlangen Beschreibungen eines Baums ;D, aber an manchen (zumeist spannenden Stellen) hat mich das Beschreiben unwichtiger Details mit unwichtigen Füllwörtern schon sehr gestört.

Ich bin also dafür zwar welche zu verwenden, dies aber auch nicht ausarten zu lassen. Wobei ich selbst dazu neige alles ein wenig farbiger zu illustrieren und dazu benutze ich gerne überflüssige Adjektive und Füllwörter.
Meine Betaleser korrigieren dies allerdings immer und dafür bin ich auch dankbar. ;)

Lomax

Zitat von: Linda am 08. Dezember 2007, 12:40:31... auch das kann ein Problem sein, wenn Leser sich ohne Wälder von Adjektiven nichts (mehr) vorstellen mögen.
Oh ja. Man sollte nicht meinen, ein adjektivreicher Stil wäre "nicht mehr zeitgemäß", oder so. Die Ablehnung von Adjektiven, vor allem von wertenden Adjektiven, ist unter Laien in Internet-Schreibwerkstätten, und auch unter Profischreibern, die gern was "Besseres" schreiben würden, deutlich verbreiteter als unter Lesern und in verkauften Büchern ;)

Mir ist, ehrlich gesagt, in meinem ganzen Berufsleben noch nie ein Leser untergekommen, der sich über zu viele Adjektive beschwert hätte - es sei denn, dieser "Leser" schrieb auch selbst oder hatte eine wie auch immer geartete literarische Ausbildung.
  Dafür habe ich eine Menge Leser erlebt, die sich beschwert haben, dass "zu wenig beschrieben wird", "dass sie sich etwas nicht vorstellen konnten" etc. - auch wenn diese Leser in der Regel nicht genau sagen können, woran es liegt.

saraneth

@ Lomax: Ja, da stellt sich dann die Frage, wen man beeindrucken will: Den Verlag oder die Leser.

Schwieriger Zwist, wobei ich eher an Letztere denke... immerhin soll meine Geschichte ja spannend sein und vor allem denjenigen gefallen, die sie lesen. Das Problem dabei besteht dann nur darin, dass man ja erstmal veröffentlichen muss, bevor man überhaupt eine höhere Anzahl an Lesern besitzt...

Lomax

Zitat von: saraneth am 08. Dezember 2007, 15:32:53Schwieriger Zwist, wobei ich eher an Letztere denke... immerhin soll meine Geschichte ja spannend sein und vor allem denjenigen gefallen, die sie lesen. Das Problem dabei besteht dann nur darin, dass man ja erstmal veröffentlichen muss, bevor man überhaupt eine höhere Anzahl an Lesern besitzt...
Oh, keine Sorge. Da gibt es keinen Zwist. Verlage kaufen bevorzugt das, von dem sie denken, dass es genug zahlende Leser dafür gibt. Und wenn man sich einfach an den Büchern orientiert, die bei den Lesern erfolgreich sind, kann man auch in Bezug auf die Verlage nichts falsch machen - immerhin sind all diese Bücher zuvor ja auch von den Verlagen genommen worden ;)

saraneth

Na gut, das stimmt auch wieder. :) Wobei hinter vorgehaltener Hand aber doch noch über schlechten Stil getuschelt wird, oder nicht?

Grey

Vermutlich, aber hauptsächlich wahrscheinlich von Leuten, die selbst schreiben und es *natürlich* besser gekonnt hätten ;)

saraneth

Nach wie vor bin ich immer noch dafür zwar Füllwörter zu benutzen, aber nicht unbedingt so viele, dass man erschlagen wird. Ein gutes Mittelding sollte es tun, denke ich.

Wobei ich aber auch gerade bei der Beschreibung einer neuen Stadt ziemlich viele Adjektive verwende, wie mir auffällt... :hmmm:

Lomax

Zitat von: saraneth am 08. Dezember 2007, 16:18:23Wobei hinter vorgehaltener Hand aber doch noch über schlechten Stil getuschelt wird, oder nicht?
... und manchmal auch hinter gar nicht mal so vorgehaltener Hand ;D Am besten ist es also natürlich, wenn man es allen gleichermaßen Recht machen kann. Wenn man es kann.
  Aber ansonsten, wenn ich mich entscheiden müsste, ob mein Manuskript gelobt oder gekauft werden soll, dann wüsste ich, was ich wähle ;)

Julia

#27
Macht noch jemand mit?

Ich habe jetzt aus meinem Beispiel oben mal alles rausgeschmissen, was nach unnötigen Füllwörtern/Adjektiven oder unnötigen Wiederholungen aussieht:

"So kam es, dass außer von Möwen und anderen Vögeln, und einmal von einem Fischadler, dort kein Besuch mehr stattfand; an mondhellen Abenden sah man vom Deich aus die Nebeldünste darüber hinziehen. Ein paar Knochengerüste ertrunkener Schafe und das Gerippe eines Pferdes, von dem niemand begriff, wie es dahin gekommen sei ..."

Wie wirkt das jetzt? Okay, moderner - aber ist es immer noch dieselbe Atmosphäre? (Wie gesagt, es geht nicht um richtig oder falsch, sondern um den subjektiven Eindruck)

Liebe Grüße,

Julia

Hr. Kürbis

Ich würde sagen "nüchterner", aber nicht unbedingt besser. Die Nebeldünste fand ich vorher stimmungsvoller.

Lord Bane

Meiner Ansicht nach kommt es gar nicht mal auf die Quantität der Adjektive an, sondern auf ihren richtigen und sinnvollen Einsatz. Von einer "finsteren" Dunkelheit zu schreiben erzeugt nur Gelächter, unter einem "rostigen" Schwert kann man sich aber natürlich etwas vorstellen.

Übrigens können Geschehnisse oder Landschaften ja nicht nur über Adjektive beschrieben werden. So ist es, denke ich, besser zu schildern, warum ein Wald unheimlich ist, als dass der Autor einfach nur schreibt "Und sie gingen durch einen unheimlichen Wald".

Mir gefällt übrigens das modernere Beispiel besser, rein subjektiv.