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M.I.C.E. - Millieu, Idea, Charakter, Event - Plotten mit 4 Storyelementen

Begonnen von Alia, 26. Februar 2019, 12:17:34

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Alia

Hi,
ich höre derzeit gern die Writing Excuses. Der Beitrag über Scott Card's M.I.C.E. Quotient beschäftigt mich gerade sehr.
Edit: hier ist noch mehr zu dem Thema: https://storymonster.de/mice-quotient

Kurze Zusammenfassung:
Es gibt vier Storyelemente:
M = Milleu
I = Idea
C = Charakter
E = Event

Es gibt eine übergeordnetes Wlement, das den Charakter des Textes festlegt. In Kurzgeschichten sind insgesamt 2 Elemente vorhanden, in Novellen 3 und in Romanen alle 4.
M-Storys beginnen mit dem Betreten eines Raums und enden mit dem Verlassen. Typische Beispiele: Alice im Wunderland, Gullivers Reisen, Der Hobbit
I-Storys beginnen mit einer Frage und enden mit der Antwort. Riddle-Plots, die klassischen Krimis, etc. wären typische Geschichten.
C-Storys beginnen damit, dass ein Charakter unzufrieden ist und enden wenn er zufrieden ist, weil er entweder das Außen oder seine Einstellung geändert hat.
E-Storys beginnen damit, dass etwas furchtbar schief läuft und enden damit, dass das Problem gelöst wird - oder alle sterben

Szenen oder Kapitel werden jeweils durch eines der vier Elemente zusammengeklammert (Also entweder ein M,I,C oder E - Kapitel) Z.B. Kapitel beginnt mit einer Frage und endet mit der Antwort.
Innerhalb dieser Klammern kann man immer neue aufmachen. Man muss sie aber in der umgekehrten Reihenfolge schließen.
Man kann also entweder Beginn M - Beginn C - Ende C - Ende M oder Beginn M - Ende M -Beginn C - Ende C schreiben. Aber nicht: Beginn M - Beginn C - Ende M - Ende C
Cliffhanger entstehen immer dann, wenn man in einem Kapitel zwar die eine Klammer schließt - aber gleichzeitig eine andere öffnet.

Ich habe mit Felsenkatze gerade im Chat einige Storys auseinandergenommen: Es scheint zu stimmen.

Ich glaube auch, dass bei einem klassischen Drei-Akter jeder der drei Akte wieder eine eigene Klammer und somit ein eigenes Thema hat. Außerdem ist m.E. eine Klammer um den 1. Teil vom zweiten Akt. Die Klammer schließt sich am Zentralenpunkt. Hier wird dem Charakter eine wichtige Sach klar. Dann öffnet sich die zweite Klammer des 2. Aktes und es läuft alles zum 2. Wendepunkt hin. Am zweiten Wendepunkt öffnet sich die Klammer für den finalen Akt. Und dann werden nach und nach alle Klammern geschlossen. Erst die des Aktes, dann die großen, die über den ganzen Roman gehen. Und zwar entgegengesetzt der Reihenfolge, die man anfangs hatte.

Wie seht ihr das? Könnte die Idee stimmen?

Und die andere Frage ist: Wie eignet sich das zum Plotten?
Meine Idee ist:
1) Überlegen, was man für eine Story schreibt - das sind dann die äußeren Klammern. Beginn zB mit einer Frage und Ende mit der Antwort bei einem Rätselplot. Oder Abreise ist der Beginn und Ankunft das Ende.
2) Dann: Was ist die große Klammer in Akt 1/Akt 2/Akt 3
3) Akt 2 hat wie gesagt m.E. noch mal zwei Klammer je um den 1. Teil bis zum Zentralenpunkt und um den zweiten bis zum Wendepunkt zwischen Akt 2 und 3.
4) In die Akte kommen dann die Kapitel. Wobei man jedem zuordnet welches Thema (MICE) dort ist. Die einzelnen Szenen im Kapitel haben dann wieder ihre eigenen Unterthemen.

Ich werde das an einer kleineren Geschichte (Novelle = 3 Haupt-Themen) mal testen und berichten.
Was sagt ihr dazu? Machen meine Gedanken Sinn?

Gizmo

#1
Vielen Dank für deine Ausführungen, vom M.I.C.E-Quotienten hatte ich bisher noch nie gehört.

Ich habe mich jetzt aus Interesse mal hingesetzt und eine Szene analysiert, bei der mir ein Testleser sagte, sie 'zieht sich nach dem Ende hin'. Sprich, er hatte das Gefühl, die Szene sei zu Ende, aber dann ginge es einfach noch weiter.
Tatsächlich war es nun so, dass ich die 'Klammern' nicht wie in deinem Beitrag beschrieben in der richtigen Reihenfolge geschlossen hatte. Die Szene endete nicht mit der Klammer, mit der sie aufgemacht wurde, aber eben auch nicht mit einer gänzlich neuen. Daher ergab sich wohl auch kein Cliffhanger, und die enthaltenen Informationen mögen relevant sein, aber an der falschen Stelle stehen.
Allein dafür war diese Methode bereits hilfreich. Bisher hatte ich auch das Gefühl, mit der Szene stimmt etwas nicht, konnte aber nicht sagen was.

Ich werde die Szene jetzt mal umschreiben und sehen, ob sich das Problem so lösen lässt!

ZitatUnd die andere Frage ist: Wie eignet sich das zum Plotten?
Da ich immer recht chaotisch plotte (bedingt durch meinen kreativen Prozess), kann ich nicht sagen, wie deine Herangehensweise dabei funktionieren würde. Sie klingt auf jeden Fall logisch und gut durchdacht.
Ich bin aber sicher, dass ich M.I.C.E dazu verwenden könnte, meinen Plot auf Schwachstellen zu überprüfen.
"Appears we just got here in the nick of time. What does that make us?"
"Big damn heroes, sir!"
- Joss Whedon's "Firefly", Episode 5, "Safe"

John Gold

Hi Alia,
Ich finde, die Theorie macht Sinn und ist, wie Gizmo sagt, vermutlich ganz praktisch, wenn man auf Fehlersuche bei  schwierigen Szenen geht.
Ich glaube, das meiste davon macht man aber automatisch und wenn es mal nicht so passt, dann würde ich auch nicht versuchen, die Story in dieses System zu zwingen. Wenn ich mein aktuelles Manuskript in dieses System einordnen wollen würde, wäre es am ehesten ein E-Roman. Vor dem Event ist aber erstmal noch eine Weile alles gut, was glaube ich ganz wichtig ist, um sich die "Fallhöhe" bewusst zu machen. Hätte ich den Plot direkt nach dem MICE Prinzip aufgebaut, hätte ich das evtl übersehen?
Ingesamt ist das Konzept also mMn vielleicht ganz hilfreich, aber - wie eigentlich alle Theorien - nicht absolut.
LG und Danke für die interessante Einführung in das Konzept

Yamuri

Also bewusst achte ich nicht darauf, aber einen gewissen Kreislauf versuche ich beizubehalten. Gewissermaßen beginnen manche meiner Projekte mit Fragen oder der Ankunft von Charakteren und enden mit Antworten und dem Verlassen der Charaktere dieses Settings, wenn ich mir manche meiner Projekte so ansehe. Beim Plotten habe ich mir aber keine bewussten Gedanken dazu gemacht, da ich in erster Linie die Geschichte niederschreibe, die mir meine Charaktere erzählen. Ich sehe ihr Leben, ich sehe was sie erleben, ich fühle was sie erleben, was sie denken, sehen und tun, und ich verstehe mich selbst als Bote und weniger als Gott, obwohl Autoren gewissermaßen Schöpfer ihrer Welten sind, aber ich betrachte mich mehr als der Bote, der von diesen Welten berichtet, die in mir sind, der von den Erlebnissen der Charaktere berichtet. Interessanterweise kann ich aber durchaus ein gewisses System erkennen, vielleicht weil unser Leben auch so einem System folgt. Wir kommen durch Geburt ins Leben und verlassen es durch den Tod. Alles in der Natur folgt einem Kreislauf, und da ich diese Kreisläufe als eine Grundessenz betrachte, bringe ich sie wohl automatisch unter, manche deutlicher sichtbar, andere weniger deutlich. Finde solche Analysen im Nachhinein aber immer interessnt und könnte mir schon vorstellen, dass es nützlich ist fürs plotten sich das bewusst zu mache. :)
"Every great dream begins with a dreamer. Always remember, you have within you the strength, the patience, and the passion to reach for the stars to change the world."
- Harriet Tubman

Trippelschritt

S.O. Card ist ein begnadeter Autor, und der von dir zitierte Schreibratgeber (er hat zwei geschrieben, glaue ich) ist exzellent. nicht nur wegen des Mice-Konzeptes, sondern auch wegen seiner Verknüpfung von Perpektive und der Frage von Nähe. Aber Du hattest nach dem MICE-Konzept gefragt:

Dieses Konzept ist schwieriger zu verstehen, als es auf den ersten Blick aussieht. Um damit zu arbeiten, muss man seine eigene Geschichte bereits sehr gut kennen, und es hilft, wenn man ein Planschreiber ist. Für Bauchschreiber wird es noch schwieriger. Aber das liegt nicht an Card, sondern an der Materie. Ich kann nur empfehlen, dieses Konzept gründlich zu prüfen und zu durchdenken und eigene Erfahrungen damit zu sammeln. Das dauert.

Dass eines von den aufgeführten vier Elementen eine Geschichte bestimmt, trifft wohl in den meisten Fällen zu. Wichtiger ist aber zu verstehen, dass das auch auf allen Maßstabsebenen gilt.
1 Es gilt für die gesamte Geschichte.
2 Es gilft für jedes einzelne Großelement wie Akt oder Kapitel
3. Es gilt für einzelne Plotfäden oder Szenenfolgen
4 und es gilt auch für einzelne Szenen, wenn man szenisch schreibt.

Dem zu folgen, ist bei einachen Geschichten nicht si shwierig, kann aber ein Albtraum werden, wenn die Geschichte umfangreich und kompliziert wird.
Versuche mal das Lied von Eis und Feuer mit dem MICE-Konzept zu verstehen, und Du wirst sehen, wo die Herausfordungen liegen.
Dort gibt es zwei Großkonflikte (Der Winter kommt; und die Thronnachfolge beim Drachenthron.)
Gleichzeitig können einige Figuren auf eine komplette Charakterentwicklung zurückschauen. (Beispiele Sansa oder Jon Snow)
Wer will da so einfach beantworten können, ob es eine C oder E-Story ist?

In jedem Fall lohnt es sich, darüber nachzudenken, weil es die oft intuitiv gesetzten Strukturmerkmale wieder an die Oberfläche holt.

Liebe Grüße
Trippelschritt

Aphelion

Kürzlich bin ich ebenfalls auf diesen Ansatz gestoßen. Ich finde ihn interessant, aber ich persönlich würde nicht gezielt danach plotten - bzw. das, was du daraus als Plothilfe ableitest (die Klammern), kenne ich schon hinreichend in allgemeinerer Form ("nicht alle Fragen am Ende eines Kapitels beantworten").

Ein Gedanke zur Novelle: Das Event (E) ist doch per definitionem immer ein (Haupt-)Element von Novellen, weil es sonst keine Novelle ist? ???

Alia

Zitat von: Trippelschritt am 09. März 2019, 10:08:34
Versuche mal das Lied von Eis und Feuer mit dem MICE-Konzept zu verstehen, und Du wirst sehen, wo die Herausfordungen liegen.
Dort gibt es zwei Großkonflikte (Der Winter kommt; und die Thronnachfolge beim Drachenthron.)
Gleichzeitig können einige Figuren auf eine komplette Charakterentwicklung zurückschauen. (Beispiele Sansa oder Jon Snow)
Wer will da so einfach beantworten können, ob es eine C oder E-Story ist?
Jedes der Elemente existiert in einer komplexeren Geschichte. Und dieses Monsterwerk Lied von Eis und Feuer hat zig Charakterentwicklungen, Ereignisse, Fragen oder Settings. Meines Erachtens ist das auch nicht "eine" Geschichte, sondern so eine Art Sammelband mit Geschichten rund um den Drachenthron. Letztlich müsste man da die verschiedenen Handlungsstränge auseinanderpflücken. Innerhalb der Handlungsstränge hat man dann immer kleine Untereinheiten, die in sich abgeschlossene Geschichten bilden. Bei der Drachenmutter ist m.E.  ein abgeschlossener Teil die Geschichte rund um die Heirat mit dem Reiterfürsten. Beginnt mit der Zwangsheirat - endet mit dem Tod des Gatten und der Geburt der Drachen. Aber so Gesamtwerke mit mehreren tausdend Seiten sind ja eher nicht die Regel...

Zitat von: Aphelion am 09. März 2019, 12:10:40
Ein Gedanke zur Novelle: Das Event (E) ist doch per definitionem immer ein (Haupt-)Element von Novellen, weil es sonst keine Novelle ist? ???
Du beziehst dich auf ,,eine sich ereignete unerhörte Begebenheit", bzw. ,,seltsamen, unerhörten Ereignis", was Goethe als typisch für die Novelle bezeichnete? Stimmt. Davon gibt es viele.
Es gibt aber auch viele C-Geschichten. Fritz Martini schrieb, dass sich der Schwerpunkt im 19. Jhd. auf den ,,psychologisch besonderen Charakter, seiner inneren seelischen Bewegung und seinem Geschick" verschoben hätte. Das zeigt ganz eindeutig auf dominierende C-Elemente hin.
"Aus dem Leben eines Taugenichts" ist für mich am ehesten eine M-Story. Erzählt wird eine Reise. Vom Aufbruch Zuhause, bis zur erneuten Ankunft in Deutschland, wo dann in dem kleinen weißen Schlösschen ein neues Heim gefunden wird.
Eine I-Story wäre zB "Das Fräulein von Scuderi". Zentrale Frage ist: Wer bringt die ganzen Liebhaber um?

Aphelion

@Alia

Nein, ich beziehe mich nicht nur auf Goethe. :) Ehrlich gesagt kenne ich keine Definition von Novelle, in der nicht ein umwälzendes Ereignis als Merkmal erwähnt wird. Was nicht bedeutet, dass es solche Definitionen nicht auch gibt, aber das Merkmal lässt sich nicht auf Goethe beschränken.

Nach deiner Ausführung im ersten Post beinhaltet eine Novelle 3 der MICE-Elemente. Mein Punkt ist, dass mindestens eines davon E sein muss (bzw. das ich das vermute), weil es sonst keine Novelle mehr ist. Natürlich kann es daneben – laut dem, was du im ersten Post geschrieben hast – noch zwei weitere Elemente geben. Insofern passen deine Beispiele für mich nicht, weil die von dir angeführten Co-Schwerpunkte ein E-Element nicht ausschließen.

Im Gegenteil, denn eine Reise ist das Ereignis, und ein Fokus auf die Psyche wird in der Novelle auch "nur" durch das Ereignis hergestellt (bzw. kann dadurch hergestellt werden, wenn der psych. Fokus gelegt wird). Wenn eine Geschichte ohne Ereignis vor sich hin psychologisiert, ist es mMn eine Erzählung im engeren Sinne, keine Novelle.

Also, ich wollte nicht darauf hinaus, dass Novellen reine E-Geschichten sind, sondern dass sie auch ein E-Element beinhalten. :)

Trippelschritt

#8
Jein, Alia,

ich gebe gern zu, dass ich mit dem Lied von Eis und Feuer ein Extrembeispiel gewählt habe, aber gerade im Genre Fantasy sind Gesamtwerke gar nicht mal so selten. Tolkien, Steven Erikson (Spiel der Götter), Weel of Time. Und diese Gesamtwerke erzählen immer eine Geschichte. Und dann noch einmal zurück zu Orson Scott Card. Er hat den MICE-Quotient in seinem Schreibratgeber ja nicht als ein eigenständiges Plothandwerkzeug vorgestellt, sondern sieht es als eine Voraussetzung zur Beantwortung seines Schreibratgeberthemas "Characters and Viewpoint". Nicht jeder Typ Geschichte braucht eine dezidierte Figurenerarbeitung. Eigentlich nur das C und, wenn der Autor es so will, noch das E.

Card geht es zum zwei Dinge: Den Vertrag mit dem Leser und die Frage der Subplots (oder der Prioritäten. Und da liegen auch die Schwierigkeiten, die es ratsam erscheinen lassen, sich wirklich einmal ernsthaft mit MICE auseinanderzusetzen. Nämlich bei gemischten Typen und komplexen Geschichten. Bei einfachen Strukturen hat man es schnell heraus. Da bietet MICE nicht viel an. Aber bei komplexen Geschichten sieht es gleich ganz anders aus. Egal. Es ist durchaus hilfreich, sich damit zu beschäftigen.

Liebe Grüße
Trippelschritt

EDIT: Überschnitten