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Perspektivwechsel in einer Kurzgeschichte?

Begonnen von Silvia, 11. Juli 2018, 22:22:04

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Silvia

Seit einiger Zeit probiere ich mich hin und wieder an Kurzgeschichten aus und wollte mal fragen: Kann man in einer Kurzgeschichte eigentlich auch zwei Perspektivträger haben oder sollte man das auf einen einzigen beschränken? Mir schwebt da etwas im Kopf herum, wo die Geschichten von zwei Personen wechselseitig weitererzählt wird. Aber ist sowas üblich oder kickt einen das gleich raus, wenn man so etwas zu einer Ausschreibung schickt?

Sprotte

#1
Wie immer: Es kommt darauf an.

Wie lang ist die Geschichte? Wie lang sollen die Perspektiv"happen" sein?  Wenn Du alle zwei Sätze wechseln willst: Nein, geht für mich nicht. Perspektivwechsel bedeutet ja auch jedes Mal eine Leerzeile zwischen den Absätzen, damit es nachvollziehbar ist.
Ich finde es angesichts der Kürze einer Kurzgeschichte eher ungewöhnlich. Wobei aber gilt: Wenn es gut gemacht ist, ist eigentlich alles möglich.

KaPunkt

Kann man machen. Wenn man einen guten Grund dafür hat.
Ich hab's gemacht in einer meiner Kurzgeschichten. Die hat es seinerzeit immerhin ins Corona Magazin geschafft. Da ist es aber auch der Kern der Geschichte, die Entwicklung aus sich zwei verschiedenen Blickwinkeln zu erzählen. Mit nur einer Perspektive hätte die Geschichte nicht funktioniert.

Liebe Grüße,
KaPunkt
She is serene
with the grace and gentleness of
the warrior
the spear the harp the book the butterfly
are equal
in her hands.
(Diane di Prima)

Churke

Zitat von: Silvia am 11. Juli 2018, 22:22:04
Seit einiger Zeit probiere ich mich hin und wieder an Kurzgeschichten aus und wollte mal fragen: Kann man in einer Kurzgeschichte eigentlich auch zwei Perspektivträger haben oder sollte man das auf einen einzigen beschränken? Mir schwebt da etwas im Kopf herum, wo die Geschichten von zwei Personen wechselseitig weitererzählt wird. Aber ist sowas üblich oder kickt einen das gleich raus, wenn man so etwas zu einer Ausschreibung schickt?

Da gilt wieder meine alte Faustregel "Wisse, warum es die Regel gibt, damit du die Ausnahme erkennst."  ;)
Die übliche Beschränkung auf 1 Perspektivträger ist der Länge (oder besser: Kürze) der Geschichte geschuldet. Ein Story von sagen wir 12 Seiten verlangt eine Fokussierung auf ein einziges Thema. Die Länge reicht meist gerade, um das Thema aus einer Perspektive auszuleuchten. Wenn du mit mehr Erzählstimmen arbeitest, ist die Wahrscheinlichkeit relativ hoch, dass deine Geschichte nicht funktioniert, weil du dich verzettelst und du sie mit der vorgebenen Länge nicht ausarbeiten kannst.

Und nun zur Ausnahme: Ein zweiter POV kann ein Kniff sein, um die Story abzukürzen. Man gibt dem Leser ein paar Infos, ohne die er die Handlung nicht verstehen würde. Das ist legitim und kann sogar geboten sein, denn Platz ist knapp.
Ja, ich habe es schon gemacht und es wurde auch veröffentlicht.
Ich würde es aber auch jeden Fall gewichten, also wirklich nur die Wechsel rein bringen, die wirklich sein müssen.

Silvia

#4
Das mit der Kürze als Gegenargument, Churke, habe ich auch im Kopf. ;-) Ich kann noch nicht genau sagen, wie lang sie werden wird.
Kurzabriss: zwei Leute finden unabhängig voneinander am Rande eines Moores zwei Artefakte, in denen die Seelen zweier Magier eingeschlossen sind, die vor Zeiten gegeneinander gekämpft haben. Als die Wanderer und damit auch die Artefakte sich begegnen, springen diese alten Seelen auf die beiden über, um ihren Kampf endlich zu beenden. Da würde ich halt gern in beide Köpfe schauen - was kriegen die zwei jeweils davon mit? Wehren sie sich oder nicht? Wann und wie können sie da vielleicht wieder ausbrechen?
Das wäre mein Grund, zwei statt einer Perspektive einzunehmen.
Außerdem fände ich es für mich selber ganz spannend, das so zu versuchen. ^^

Fianna

#5
Ich bin ein großer Freund von Symmetrien. Einmal habe ich das auch gemacht mit den zwei Perspektiven, da habe ich jedoch beachtet, dass die Textstücke der verschiedenen Perspektivträger ungefähr gleichlang sind und dass es sich nicht wie beim PingPong abwechselt. Ich hatte nur A - B - A, das erschien mir sinnvoll, weil A der Haupterzähler war.

Außerdem finde ich immer wichtig, dass der Perspektivwechsel nicht zu offensichtlich nur eine einzige Funktion erfüllt.
Mein Perspektivwechsel hatte auch den Zweck der Informationsvermittlung, so dass der Haupterzähler das fatale Ende auch wirklich in vollem Umfang begreift. Gleichzeitig habe ich aber beiden Perspektivträgern denselben persönlichen Konflikt gegeben und sie in ihrem Charakter ansonsten vollkommen gegensätzlich aufgebaut, damit die unterschiedliche Perspektive einen Mehrwert neben der Information der fremdartigen Technologie vermittelt.


Daher fände ich es als Leser nicht ansprechend, wenn bei Dir die ganze Zeit Erzähler A dran ist und erst ganz am Ende kommt es zu mehrfachem Gewechsel in kurzen Abständen. Wahrscheinlich fände ich es auch nicht gut, wenn gar nicht viel gewechselt wird (80 % A, 10 % B, 10 % A), solange die Anteile der Perspektiven sich auffallend in der Länge unterscheiden. Aber das ist nur meine persönliche Meinung. Ich habe schon länger den Verdacht, dass der Wunsch nach Symmetrie und Dualitäten bei mir ein bisschen zwanghaft ausgeprägt sind.  ::)

caity

Gibt es denn signifikante Unterschiede, wie die beiden auf die "Besetzung" reagieren? Und ergeben sich daraus für den Plot wichtige Entscheidungen?

Ich kann zwar verstehen, warum es dir gefallen würde, die Sichtweise beider Charaktere zu beleuchten. Ich würde aber an deiner Stelle die Geschichte nochmal darauf abklopfen, ob du es wirklich brauchst. Bei einer Kurzgeschichte finde ich es noch wichtiger als bei einem Roman, Entscheidungen sehr bewusst im Sinne der Geschichte zu treffen.
Falls du dir da unsicher bist, würde ich raten: Versuche es einfach mal aus.  :)
Wenn ein Autor behauptet, sein Leserkreis habe sich verdoppelt, liegt der Verdacht nahe, daß der Mann geheiratet hat. - William Beaverbrook (1879-1964)

FeeamPC

Manche Szenen funktionieren nur mit einem Perspektivwechsel. Auch bei Kurzgeschichten.

Churke

Silvias Idee ist der klassische Fall, dass eine Geschichte durch einen 2. Perspektivträger wesentlich länger wird, aufgrund der Symmeterie müsste sich die Seitenzahl verdoppeln.


Zitat von: Silvia am 11. Juli 2018, 23:24:58
Ich kann noch nicht genau sagen, wie lang sie werden wird.
Das musst du aber. Ich habe keinen Zweifel, dass deine Idee funktionieren kann. Die Frage ist nur mit welcher Länge. Bei einer Begrenzung auf z.B. 12 Seiten müsstet du die Geschichte eines Perspektivträgers auf 6 Seiten erzählen (erzählen, nicht zusammenfassen!) können. 

Minna

Mich stören schnelle Perspektivwechsel grundsätzlich nicht. Und damit stimme ich Churke zu, solange du weißt warum du die Wechsel vornimmst und wie das die Dynamik deiner Geschichte beeinflusst, probiere es aus. Du hast doch Pratchett in deiner Signatur- der wechselt auch manchmal nach sehr kurzen Abschnitten die Perspektive. Man kann also, wenn man kann.

Eine andere Variante wäre noch, die Geschichte aus der Draufsicht zu erzählen (mir fällt gerade die richtige Erzählperspektive dazu nicht ein- dritte Person, neutral?). Wie die Wanderer auf die Besetzung reagieren, kann man ja auch durch das Verhalten der Besessenen zeigen. (Von Kommentaren der Magier- ,,So viel Platz in diesem Kopf."; über Selbstgespräche -,,Ich helfe dir den Typen da drüben fertig zu machen, wenn du..."; bis hin zum Verhalten –,,Welch schwacher Mensch, so leicht zu beherrschen." höhnte er und verpasste sich selbst einen Kinnhaken.)

Bei mir werden Geschichten, die aus der Draufsicht erzählt sind, immer wesentlich kürzer, als solche, die mit mehr Nähe zum Erzähler geschrieben sind.

Silvia

Hmjaaa, bei der Ausschreibung, bei der mir diese alte Idee wieder in den Kopf gesprungen ist, könnte es von der Länge her für zwei Perspektiven knapp werden (20.000 Zeichen). Ich muss beim Schreiben sehen, wie lang das wird, ich baue ja gerade noch am Grundgerüst. Zumal die Magier ja auch noch eine gewisse Eigenpersönlichkeit mit einbringen wollen bei dieser Sache. Wenns zu lang dafür wird - kommt Zeit, kommt vielleicht andere Chance. Es muss jetzt nicht dort eingereicht werden.

Minna -  ;D Das würde eine nette Parodie werden, wenn ich das ganze aus dieser Sicht der Magier erzähle, die Du als Beispiel bringst. Könnte mir auch gefallen. Ist nur leider weniger witzig als tragisch, der Hintergrund. Find ich ja fast ein bisschen schade.  ;)
Aber ich denke, ich muss schon im Charakter bleiben, wenigstens in einem. ^^ Ich werde es wohl einfach ausprobieren müssen, mit euren Hinweisen im Hinterkopf, und sehen, ob es am Ende so funktioniert.

Fianna

Wie sind die denn so? Vertreten sie unterschiedliche magische Ansätze oder sind sie charakterlich sehr unterschiedlich? Kenne sie sich, müssen sie zusammen arbeiten oder plant einer vielleicht den Verrat am anderen?

Wenn man es gut plant, könnte man in 20.000 Zeichen vielleicht 6 verschiedene Abschnitte unterbringen, zwei als Vorgeplänkel / Einführung, zwei bis drei für die Auseinandersetzung und eine für den Abschluß der Geschichte. (Im Falle einer anfänglichen zukünftiger-Verrat-Situation würde es sich anbieten, dem Verräter-in-spe die Abschlußperspektive zu geben, der sich idealerweise gewandelt hat - vielleicht auch nicht aus moralischen Gründen sondern nur, weil er glaubt, daraus erhebliche Nachteile zu ziehen).

Es ist nur eine planerische Kleinstarbeit, weil vor dem Schreiben jeden Abschnittes klar sein muss, was der Zweck dieses Textstückes ist, durch wen und wie man es erzählt, wie man es dem Leser am besten vermittelt, und so weiter.
Das könnte aber, auch atmosphärisch, sehr gut wirken, wenn zwei gegensätzliche Typen von Beginn an durch die Erzählung geleiten (nicht erst während des Kampfes).

Trippelschritt

Sicher kann man mehrere Perspektivträger in einer Kurzgeschichte haben, auch wenn das ein wenig ungewöhnlich ist. Da braucht man sich nur eine Situation vorzustellen, in denen sich zwei Menschen gegenübersitzen und die Kurzgeschichte vorwiegend einen Dialog zwischen den beiden behandelt. Und zu den Worten wird jedes Mal hinzugefüht, was der jeweilig Sprechende (oder Zuhörende) sieht, hört und das bewertet. Spannend wird es sofort, wenn bei dieselben Worte hören und sie anders werten. Die Spannung einer solchen geschichte entsteht also nicht aus einer Perspektive mit großer Nähe, sondern aus dem Spannungsfeld zwischen zwei unterschiedlichen Sichtweisen.

Liebe Grüße
Trippelschritt

Nebula

Ich denke auch, dass man mehrere Perspektivträger haben kann. Solange es für den Leser nicht verwirrend wird dem Verlauf der Handlung bzw. den Sprüngen zwischen den Perspektiven zu folgen, andernfalls wäre es schon nervig. Selbst bei einer kürzeren Kurzgeschichte würde ich sagen, dass man verschiedene Perspektiven haben kann, das würde ich nicht von der Wortzahl abhängig machen. Und bei Ausschreibungen gefallen ihnen ja meist die Geschichten, die in irgendeiner Weise ungewöhnlich sind und aus der Masse hervorstechen, also würde ich mich da ruhig austoben. :)

Mia Nordstern

Hallo Silvia!

Ich habe ja echt schon viele Anthologien gelesen und selbst auch einige eher unkonventionelle Kurzgeschichten geschrieben. Das kann funktionieren. Natürlich dürfen es nicht zu viele Perspektiven sein, aber du möchtest ja nur zwei. Wichtig finde ich dabei gutes Plotting. Der Weg sollte sehr geradlinig zum Ziel führen. Es sollte eben vorangehen. Eine Kurzgeschichte muss zielgerichtet sein, egal wie viele Perspektiven sie hat. Man muss in KGs immer straff und zielgerichtet arbeiten. Man hat weniger Spielraum, aber das macht es auch sehr spannend. Natürlich sollten sich die beiden Personen auch nicht zusammen auf dem Weg befinden, sondern sich aus zwei Richtungen dem Ziel nähern. Das können auch unterschiedliche Herangehensweisen sein, das muss man natürlich nicht wörtlich verstehen.

Ich würde es vielleicht einfach mal probieren, du kannst nur daraus lernen. Eventuell überarbeitest du die Geschichte dann, dass sie in die Anthologie passt, eventuell musst du eine Perspektive doch wieder rauskürzen. Aber dann hast du doch etwas über diese Figur gelernt und lässt sie vielleicht anders aus dem Hintergrund agieren. Ich persönlich finde es spannend, zu experimentieren. Auch wenn die Geschichte dann nicht in die Anthologie passt. Du hast dich darin verwirklicht.

LG MN
So we beat on, boats against the current, borne back ceaselessly into the past. (F. Scot Fitzgerald, The Great Gatsby)