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Unsere Wahrnehmung und unsere Texte

Begonnen von Elona, 07. März 2018, 07:11:31

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Elona

Die Suche habe ich zwar bemüht, aber kein ähnliches Thema gefunden (oder falsch gesucht  :hmhm?: ). Nach langem Überlegen, wohin ich diesen Thread packen soll, stecke ich ihn mal hierhin.

Im Augenblick bin ich ja in Überarbeitungen versumpft und dabei ist mir folgendes aufgefallen:

Wenn ich mir den Text szenenübergreifend betrachte (haha), stelle ich fest, dass ganz oft visuelle Hinweise erscheinen. Ich also wirklich Wörter/Tätigkeiten wie sehen, betrachten (...), blicken, mustern usw. verwende.

Das ist an sich ja erst mal nichts Besonderes, nur bin ich ein vollkommen visueller Mensch und als ich so darüber nachdachte, erinnerte ich mich an Texte, in denen recht häufig haptische Hinweise vorkamen. Oder was ich als Leser auch immer toll finde, zu lesen/erleben, wie die Stimme von jemanden klingt (auditiver Reiz). Ich selbst habe dazu leider keinerlei Zugang. Zumindest nicht in dem Umfang, wie es andere scheinbar haben.
Von daher wäre meine Theorie nun, dass wir diese Eigenschaft, welcher Typ wir selbst sind, in unsere Texte einfließen lassen. Natürlich kann es auch einfach nur ein Zufall gewesen sein, aber sollte dem so sein, schadet es sicherlich nicht, bewusst darauf zu achten. So, wie ich es nun auch tun werde.

Kurz zur Erinnerung der Wahrnehmungstypen/Lerntypen:
Auditiver Typ: Akustische Reize = Hörsinn
Visueller Typ: Visuelle Reize = Sehsinn
Haptischer Typ: Haptische Reize = Tastsinn

(Ansonsten gibt es natürlich noch: Olfaktorische Reize = Geruchssinn & Gustatorische Reize = Geschmackssinn)


Wie sieht es bei euch aus? Habt ihr schon mal solche Parallelen gefunden?

Frau S.

Ich glaube, dass du hier im Endeffekt ein ganz generelles Problem ansprichst:
Wer und wie wir sind, beeinflusst unglaublich unsere Texte.
Du als visueller Mensch beziehst dich stärker auf diesen Sinn als vielleicht ein Musiker es tun würde.
Die Menschen in meinen Texten tun auch eher Dinge, mit denen ich mich irgendwie identifizieren kann, als Dinge, die mir völlig fremd sind. Das fängt beim Beruf an und hört bei der Freizeitgestaltung auf.
Beispiel: Wir haben drei Katzen. Ich neige eher dazu, einem Charakter ebenfalls eine Katze oder einen Hund an die Seite zu stellen, als eine Schildkröte, da ich von Terrarientieren keine Ahnung habe und mir selbst wahrscheinlich keines anschaffen würde (hat ja kein Fell  ;)).
Wenn man sich dieses Problems bewusst ist, kann man es aber wahrscheinlich ganz gut umgehen.  :)

Silvia

Zitat von: Frau S. am 07. März 2018, 10:37:16
Beispiel: Wir haben drei Katzen. Ich neige eher dazu, einem Charakter ebenfalls eine Katze oder einen Hund an die Seite zu stellen, als eine Schildkröte, da ich von Terrarientieren keine Ahnung habe und mir selbst wahrscheinlich keines anschaffen würde (hat ja kein Fell  ;)).

:rofl: Jetzt habe ich gerade eine ziemlich pelzige Schildkröte vor Augen, weil mein Kopf sich sofort vorstellen musste, wie die mit Fell wohl aussehen würde. ^^ Manchmal muss man etwas noch nicht mal beschreiben, um anderen ein Bild dazu vor Augen zu zaubern.

Elona

Vielleicht war ich darüber auch einfach nur so baff, weil ich geglaubt hatte, eigentlich frei davon zu sein.

@Silvia Das ist tatsächlich ein lustiges Bild.  :rofl:

Frau S.

Zitat von: Elona am 07. März 2018, 12:18:19
Vielleicht war ich darüber auch einfach nur so baff, weil ich geglaubt hatte, eigentlich frei davon zu sein.
Das sind wir alle nicht - das ist wie mit den Vorurteilen.  ;) Da diese Vorgänge in unseren Köpfen aber unbewusst ablaufen, dauert es mitunter recht lange, es zu bemerken.

Silvia:
ZitatJetzt habe ich gerade eine ziemlich pelzige Schildkröte vor Augen, weil mein Kopf sich sofort vorstellen musste, wie die mit Fell wohl aussehen würde.
:ätsch:
Auf die Idee, mir das vorzustellen, bin ich auch noch nicht gekommen.  ;D

Ary

Ich arbeite in meinen Texten sehr viel mit Gerüchen und Geräuschen. Ich bin Synästhetin und verbinde oft Gerüche und Geräusche miteinander oder Farben mit Gerüchen oder Geschmack (Broccoli oder Grüner Veltiner schmecken für mich "grün"). Ich merke, dass ich mit Düften/Gerüchen oder mit Geräuschen besser arbeiten kann als mit visuellen Bildern, weil ich mit diesen Sinnen sehr viel Gefühle verbinde. Wenn ich versuche, mit Worten Bilder zu malen, wirkt das meist eher aufgesetzt und übertrieben.
Einfach mal machen. Könnte ja gut werden.

Ixys

@ Aryana: mir hat mal jemand auf einem Workshop erzählt, dass zumindest die allermeisten Menschen mit Gerüchen stärkere Emotionen verbinden als mit anderen Reizen, und dass Gerüche aber gleichzeitig das sind, was in den allermeisten Texten kaum beschrieben wird. Seitdem versuche ich immer darauf zu achten an passenden Stellen auch Gerüche mit einzubauen.

Ich bin auch ein großer Fan der Synästhesie. Ich verbinde am liebsten Klänge mit Bildern oder Gefühlen.
Stones taught me to fly
Love taught me to lie
         Damien Rice, "Cannonball"

Liliane

#7
Wirklich interessantes Thema... Ich selbst bin ein vollkommen visueller Mensch beim Lernen, auch wenn ich von dem her was ich angenehm finde auch sehr viel mit, beispielsweise, Musik anfangen kann.
Und, mir ist bevor du es jetzt gesagt hast, gar nicht aufgefallen, wie sehr ich eigentlich immer versuche, Farben zu differenzieren. Bei mir ist niemals etwas bloß blau oder grün, sondern wenn z.B. tief dunkelblau oder wässrig flaschengrün. Ich beschreibe schon auch Geräusche oder Gerüche sehr genau, aber irgendwie sehr viel seltener, und ich glaube auch ungenauer, als Farben oder allgemein visuelles. Dass das einen Zusammenhang zu dem allgemeinen Typ hat, der man ist, kam mir nie in den Sinn, aber ist offensichtlich so.

Ich denke aber auch, dass @Frau S. auf jeden Fall recht hat, dass wir dazu tendieren, das einzubauen, was uns selbst am nächsten ist. Wir schreiben schließlich oft auch das, was wir gerne lesen würden und wir lesen häufig gerne, was wir gerne in unserem Leben hätten oder in Folge dessen bereits haben.

Carla Gabrielis

Hmm... Ich musste mir erst mal einen groben Überblick verschaffen, aber du hast recht! Ich verwende tatsächlich meistens Wörter we hören, lauschen und so weiter, was zu mir passt, weil ich eher der auditive Lerntyp bin. Außerdem ist mir noch aufgefallen, dass ich häufig die Stimmen meiner Figuren in verschiedenen Situationen beschreibe und den Klang der Stimme dann mit einem Gefühl verbinde.
Mir war gar nicht klar, dass der Lerntyp damit zusammenhängen könnte!

HauntingWitch

Zitat von: Elona am 07. März 2018, 12:18:19
Vielleicht war ich darüber auch einfach nur so baff, weil ich geglaubt hatte, eigentlich frei davon zu sein.

Das ist niemand. Wenn man diversen Büchern über Körpersprache etc. glauben darf, ist das sogar vollkommen natürlich. Im Prinzip kann man am Text von jemandem ablesen, was für ein Wahrnehmungstyp er ist. Ich finde, man muss sich da auch nicht dafür schämen oder sich krampfhaft versuchen zu verstellen. Das ist eben so. Der Leser ist auch ein bestimmter Typ und wenn das nicht kongruent ist, gefällt ihm je nachdem einfach das Buch nicht. Aber du kannst auch darauf achten, alle Wahrnehmungskanäle in deinen Beschreibungen zu berücksichtigen (was ja gerne empfohlen wird) und es trotzdem nicht allen recht machen. ;) Insofern würde ich mich nicht verrückt machen deswegen.
Spannend ist es aber allemal. Es gibt ja auch noch weitere "Typen" (natürlich immer unter dem Vorbehalt, dass Menschen individuell und meistens eine komplexe Mischung aus ganz viel Verschiedenem sind), wie z.B. der Erfolgs-, Macht-, oder Beziehungstyp. Je nachdem, wonach man sich am ehesten orientiert, bevorzugt man andere Worte. Ich habe mal eine Geschichte gelesen, die ich total schlecht fand, obwohl sie eigentlich alles hatte, was gut wäre. Spannung, gute Story, interessanter Hauptcharakter und so weiter. Irgendwann später habe ich herausgefunden, dass die Geschichte voller "Beziehungsworte" steckte und ich bin überhaupt kein Beziehungstyp, sondern eher irgendwo zwischen den anderen beiden. Das muss der Grund gewesen sein, warum mir die Geschichte nicht gefallen hat.

@Aryana: Lustig, ich verbinde immer Klänge mit Farben, habe das aber nur bei Klängen und Farben.

Zitat von: Frau S. am 07. März 2018, 10:37:16
Du als visueller Mensch beziehst dich stärker auf diesen Sinn als vielleicht ein Musiker es tun würde.

Auch Musiker können stark visuelle Wahrnehmungstypen sein. ;) Da greift eben dann die individuelle Mischung.

Jen

#10
Zitat von: Ixys am 07. März 2018, 12:59:23
@ Aryana: mir hat mal jemand auf einem Workshop erzählt, dass zumindest die allermeisten Menschen mit Gerüchen stärkere Emotionen verbinden als mit anderen Reizen

Sowas Ähnliches habe ich auch im Hinterkopf ... dass Gerüche unser Erinnerungsvermögen am schnellsten ansprechen.

Zitat von: Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation
Aus wissenschaftlicher Sicht gibt es bisher keine endgültige Erklärung für dieses Phänomen. Neurowissenschaftler weisen jedoch oft auf den Weg hin, den Geruchsinformationen in unserem Gehirn durchlaufen: Einige dieser Nervenpfade führen direkt von unserer Nase zur Gedächtnisschaltzentrale unseres Gehirns, dem Hippocampus. Andere Sinneswahrnehmungen durchlaufen hingegen zunächst noch eine Zwischenstation, den Thalamus. Der Geruchssinn scheint in dieser Hinsicht eine Sonderstellung einzunehmen.

Zudem ist der Geruchssinn wahrscheinlich evolutionär der älteste unserer Sinne. Es ist deshalb in der Tat möglich, dass der Geruchssinn enger mit der Gedächtnisschaltzentrale verknüpft ist. Möglicherweise ist diese Verknüpfung zudem in jungen Jahren besonders ausgeprägt.

Psychologen argumentieren häufig, dass die Verbindung einer Erinnerung mit starken Gefühlen hilfreich für das spätere Erinnern sein kann. So nimmt etwa ein Kind bei einer innigen Umarmung mit einem Elternteil auch bestimmte Gerüche wahr. Diese helfen, die Erinnerung abzuspeichern und später im Leben abzurufen.
Link

Kann mir vorstellen, dass Gerüche im Roman etwas schwierig zu beschreiben sind, weil sie vielleicht eher wirken, wenn man sie tatsächlich in der Nase hat. Genauso kann ich mir schwer Wärme und Kälte vorstellen, wenn ich gerade nicht schwitze oder fröstele. Visuelle Reize sind da aber kein Problem, und als allgemein eher auditiver Typ habe ich auch kein Problem mit schrillem Quietschen, warmen Stimmen und einem gluckernden Tümpel. Das sitzt meines Erachtens besser in meiner Vorstellungskraft als Geschmack, Geruch und Wärmeempfinden.

Ich persönlich bin beim Lernen vor allem visuell. Als ich gerade darüber nachgedacht habe, ob ich beim Schreiben auch visuell bin, bin ich zu einer anderen Einsicht gekommen: Ich lege meinen Fokus gerne auf Emotionen und Körpersprache. Heißt: Mein visueller Teil ist ein bisschen fokussierter auf Gestik und Mimik statt beispielsweise auf Beschreibungen von Gebäuden. Das ist mir nämlich schon häufig aufgefallen ... in Sachen Weltenbau lasse ich lieber Lücken sprechen. :rofl:
Danke für dieses spannende Thema!

Guilty feet have got no rhythm.

Frau S.

Spontan muss ich an die berühmte Szene mit der Madeleine bei Marcel Proust denken, deren Geruch beim Erzähler so viele Erinnerungen auslöst.  :hmmm:
Das Phänomen taucht also schon länger in der Literatur auf und wird von Schriftstellern dementsprechend verwendet.

Jen

Genau diese Szene wird sogar in meiner verlinkten Quelle zitiert. :rofl:
Guilty feet have got no rhythm.

Frau S.

Zitat von: Jen am 07. März 2018, 16:53:05
Genau diese Szene wird sogar in meiner verlinkten Quelle zitiert. :rofl:
Shame on me, den Link habe ich nicht angeklickt.  ::)

KaPunkt

Ganz allgemein gesprochen halte ich es für einen grundlegenden Teil unseres Handwerks, alle Sinne anzusprechen. Wir haben alle bevorzugte Sinne, die wir bewusster wahrnehmen, was allein schon als Grund ausreichen sollte, keinen der Sinne zu vernachlässigen. Schließlich schreiben wir nicht nur für Augen- oder nur für Ohren-Menschen. Gleichzeitig macht es einen Text aber auch viel dichter und lebendiger, wenn er eben nicht nur wie ein Film vor mir abläuft. Das mit den Gerüchen würde ja schon erwähnt. Gerüche sind wahnsinnig gut, Erinnerungen zu transportieren. Ich finde auch den Tast-Sinn unglaublich wichtig, weil er genauso unmittelbar ist und wir ihn nicht bewusst abschalten können. Dabei geht es nicht nur darum, wie sich etwas anfühlt, dass wir berühren, sondern auch um Dinge wie: Ist die Luft stickig? Drückend? Fühle ich mich auf einem großen, leeren Platz schutzlos?
Und manche Dinge lasse sich über ein Geräusch, über einen Geruch, ein Gefühl, viel kürzer und prägnanter ausdrücken als über 'ich sehe was, was du nicht siehst'

Sinnliche Texte!
(Auch super geeignet für Schreibübungen, und Aufmerksamkeitsübungen im Alltag.)

Liebe Grüße,
KaPunkt
She is serene
with the grace and gentleness of
the warrior
the spear the harp the book the butterfly
are equal
in her hands.
(Diane di Prima)