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Schreibkollektive

Begonnen von Aphelion, 21. Dezember 2017, 20:42:58

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Aphelion

Damit wir von derselben Sache reden, definiere ich erstmal, was ich mit Schreibkollektiv meine.

Ein Schreibkollektiv...

  • arbeitet unter einem gemeinsamen Namen
  • schreibt zumindest teilweise Bücher, die in derselben Welt spielen – nicht zwingend eine zusammenhängende Reihe, aber auch das ist möglich
  • kann auch einzelne Bücher gemeinsam schreiben
  • teilt sich dementsprechend bestimmte Arbeitsschritte, zum Beispiel den Weltenbau
  • muss sich deshalb eng absprechen und an die "gemeinsamen Spielregeln" der Welt halten
  • tritt nach außen hin geschlossen auf
  • ist auf kontinuierliche Zusammenarbeit ausgelegt (keine einmaligen Projekte)

Der größte Unterschied zu anderen Formen der Zusammenarbeit ist vor allem der gemeinsame Name und das geschlossene Auftreten, denke ich.

Die interne finanzielle Abrechnung kann variieren, d.h. nicht jedes Kollektivmitglied erhält automatisch gleich viel Geld – sinnvoll finde ich zum Beispiel eine Aufteilung nach tatsächlicher Leistung. Hintergrundarbeit ist ausrücklich auch eingeschlossen, also beispielsweise Weltenbau, Coverdesign (bei Selfpublishern) oder Marketing.

Vorteile:

  • die Schreibleistung wird gebündelt
  • es erscheinen mehr/regelmäßiger Bücher unter demselben Namen
  • auch die Marketingarbeit wird gebündelt und kann geteilt werden
  • Spezialisierung ist möglich – jeder macht das, was er gut kann
  • mehr Druck durch gegenseitige Abhängigkeit und ggf. interne Verträge
  • es formt sich eine Art "kollektive Persönlichkeit", die nach außen hin auftritt
  • die einzelne Person steht weniger im Vordergrund als das Werk

Nachteile:

  • siehe letzter Punkt bei den Vorteilen: wer seinen Namen auf dem Buchcover sehen will, kann das in diesem Fall nicht
  • die Organisation ist mit Aufwand verbunden
  • Streitpotenzial, durch formale Porbleme, aber auch durch inhaltliche Differenzen
  • wenn gemeinsam an einem Buch geschrieben wird oder verschiedene Bücher stark voneinander abhängen, gibt es schnell Probleme, sobald ein Mitglied in Verzug gerät
  • unbeliebte Aufgaben, die niemand will oder gut kann, bleiben trotzdem an jemandem hängen
  • zusätzlicher Druck kann beim Schreiben auch schaden
  • wenn das Kollektiv nicht als solches bekannt ist und unter einem normalen Namen agiert, ist das ein bisschen Betrug am Leser
  • einzelne Mitglieder fühlen sich mit der "kollektiven Persönlichkeit" vielleicht nicht wohl

Mich würde interessieren, ob jemand Erfahrungen mit solchen eng zusammenarbeitenden Schreibkollektiven hat.

Was haltet ihr allgemein davon? :)

zDatze

Über das Thema habe ich in letzter Zeit auch öfter nachgedacht, allerdings habe ich selbst noch keine Erfahrungen damit gemacht, daher kann ich von dieser Seite leider nichts berichten.

Meine Recherchen zu kollaboratives Schreiben haben auch einige verschiedene Herangehensweisen hervorgebracht. So kann es durchaus sein, dass es es eine Person gibt, die sozusagen die Grundidee und Welt entwickelt und auch Entscheidungen trifft, ob neue Elemente nun in dieses Setting passen oder nicht. Oder es gibt eine Person, die primär den Rohentwurf von Szenen/Kapiteln/Plotsträngen schreibt. Ich denke, das ist auch ein durchaus sinnvolles Vorgehen, um zumindest den Stil und Grundton konsistent zu halten.

Das ist, glaube ich, auch der schwierigste Punkte, wenn im Kollektiv geschrieben wird: Man bringt seinen eigenen Stil. Es kann schwierig sein, sich da so gut abzustimmen, dass der Unterschied nicht mehr so großartig auffällt, entweder weil sich die Stile sehr ähnlich sind, oder weil gegenseitig so viel korrigiert wurde, dass es vereinheitlicht wurde. Natürlich können unterschiedliche Stile auch vorteilhaft genutzt werden. z.B. kann man Figuren/Plotstränge damit eine "eigene Stimme" geben, die sich gut von den anderen Figuren unterscheidet. So sind dann auch die Unterschiede zumindest nicht ganz so holprig beim Lesen.

Auch beim finanziellen Teil gibt es verschiedene Ansätze, da es oft am Ende nicht mehr so einfach nachzuvollziehen ist, wer was wann wo geändert hat. Klar gibt es Software, die Changelogs bereitstellt, aber nur weil man mehr geschrieben hat, heißt das ja nicht unbedingt, dass nicht auch jemand anderes viel Arbeit investiert hat (indem z.B. zu viel Geschwafel wieder gestrichen wird). Also, alleine nach Menge/Zeitaufwand bewerten ist auch nicht immer der richtige Weg.
Eine schöne Methode ist, dass z.B. alle Beteiligten angeben, wie viele % der Arbeit ihrer Meinung nach die anderen geleistet haben. Daraus wird dann ein Schnitt errechnet und zur Abrechnung herangezogen. Basiert natürlich darauf, dass alle Beteiligten fair bewerten.

Eine andere Frage wird auch noch aufgeworfen: Wie sieht die rechtliche Seite aus? Wem gehört der Text, wenn x Personen daran geschrieben haben? Was passiet, wenn jemand aus dem Team ausscheidet? Was passiert mit meiner Figur, wenn ich selbst nicht mehr an dem Projekt schreibe? Darf ich die dann einfach zurückziehen/verschwinden lassen?
Sorry, wenn ich jetzt noch mehr Fragen aufwerfe, aber ich finde das Thema sehr spannend und mich würde eure Meinung dazu interessieren.

Koboldkind

Ja, ein überaus spannendes Thema. Ich selbst habe in einem Forum mit zwei Freundinnen unsere Story zu einer größeren Story beigesteuert (ich empfand es als Roman-schreiben, anders als die Foren-RPGs, wobei ich bei denen nicht weiß, wie sie funktionieren) und auch mit einer an einer längeren Sache geschrieben, mit einer anderen eine Geschichte angefangen und dazu viel geplottet. Kollaborativ würde ich immer wieder schreiben, denn ich muss gestehen, dass ich im Team einfach mehr Motivation habe, zu schreiben. Wäre für mich (von den rechtlichen Fragen abgesehen) auch eine Form, in der ich mir Veröffentlichung gut vorstellen kann.

Auf dem Markt fallen mir aber kaum solche Romane ein. Ich weiß nur von Iny Lorenz, dass es zwei Frauen sind (richtig?), und habe einen Roman von drei Herren, die aber alle einzeln vermerkt sind (Der Kristallpalast mit Oliver Plaschka). Auch Pratchett hat Kollab-Romane veröffentlicht, wo beide Autoren namentlich auftauchten. Ich bin eher dafür, entweder auf dem Cover oer im "zu den Autoren" die Namen aufzuführen - als Leser finde ich es dann spannend, herauszufinden, wer was geschrieben hat, wenn denn große Unterschiede herauszulesen sind.
Kennt ihr Kollab-Romane?

Die Vorteile finde ich auch überwiegend, wobei Hauptvoraussetzung natürlich ist, dass es ein Team mit gleichen Anteilen/Sprachrecht und guter Zusammenarbeit ist. Wahrscheinlich ist jeder von seinen Ideen überzeugt, und es gleicht dann doch einem Basar im Ploten, wenn man seine Ideen versucht unterzubringen oder aus den Ideen der Anderen noch einiges von sich daraus zu machen. Da ich so einen Roman noch nciht bis zum Ende geschrieben habe, interessiert mich, wie die Beziehung der Autoren über die Seiten sich verändert. Eine klare Aufgabenteilung zu Anfang wäre sinnvoll, aber ich kann mir aus meiner Warte auch nicht vorstellen, z.B. nur das Worldbuilding zu übernehmen. Auch und vor allen geht es ja nicht, seinen Charakter von vorne bis hinten durchzuentwickeln, da es (wenn jeder seinen eigenen Chara schreibt) doch Züge eines Foren-RPGs annimmt, kann ich mir vorstellen.
Wer jetzt nicht wahnsinnig wird, muss verrückt sein.

zDatze

Hinter dem Namen Iny Lorentz stehen nicht zwei Frauen, sondern Iny Klocke und Elmar Wohlrath. (Wikipedia gibt da gerne Auskunft.)
Es gibt noch ein deutschsprachiges Autorenpaar, das Fantasy schreibt, allerdings ist mir der Name im Moment entfallen.

Ansonsten fällt mir als Beispiel eines kollaborativen Romans noch Steamtown ein, das auch von drei Autoren verfasst wurde. Ich habe mal in den ersten Teil reingelesen und da schon deutliche Unterschiede bemerkt. Wenn ich es noch richtig im Kopf hatte, dann hatte jeder Autor seine eigene Figur und Plotstrang, die sich im Laufe der Geschichte gekreuzt haben.

Trippelschritt

Die Beispiele, die ich kenne, sind Ehepaare oder Vater & Sohn.
Anne Golon mit ihrem Mann damals oder heute die Autorin vom Lavendelzimmer (oh, mein Namensgedächtnis) schreibt Krimis mit ihrem Mann. Dick Frahncis schrieb einige ände mit seinem Sohn. Später wurde der als zweiter Autor genannt und jetzt ist der vater ja bereits ein paar Jahre tot. Alle drei Beispiele sind aber keine Fantasy.

Liebe Grüße
Trippelschritt

Aphelion

Eure Gedanken dazu finde ich spannend. :) Ich sehe bei solchen Formen der Zusammenarbeit auch sehr viele Variationsmöglichkeiten.

Zitat von: zDatze am 22. Dezember 2017, 00:43:05
Eine andere Frage wird auch noch aufgeworfen: Wie sieht die rechtliche Seite aus? Wem gehört der Text, wenn x Personen daran geschrieben haben? Was passiet, wenn jemand aus dem Team ausscheidet? Was passiert mit meiner Figur, wenn ich selbst nicht mehr an dem Projekt schreibe? Darf ich die dann einfach zurückziehen/verschwinden lassen?
So wie ich das verstehe, sind alle nur Miturheber - wenn das Kollektiv wirklich so eng zusammenarbeitet, wie ich das meinte. Im Urheberrecht steht dazu (§8):

Zitat(1) Haben mehrere ein Werk gemeinsam geschaffen, ohne daß sich ihre Anteile gesondert verwerten lassen, so sind sie Miturheber des Werkes.
(2) Das Recht zur Veröffentlichung und zur Verwertung des Werkes steht den Miturhebern zur gesamten Hand zu; Änderungen des Werkes sind nur mit Einwilligung der Miturheber zulässig. Ein Miturheber darf jedoch seine Einwilligung zur Veröffentlichung, Verwertung oder Änderung nicht wider Treu und Glauben verweigern.[...]
(3) Die Erträgnisse aus der Nutzung des Werkes gebühren den Miturhebern nach dem Umfang ihrer Mitwirkung an der Schöpfung des Werkes, wenn nichts anderes zwischen den Miturhebern vereinbart ist.
[...]
(Quelle)

Eine einzelne Figur entsteht ja meistens nicht "einfach so", sondern ihre Backstory hängt mit dem Weltenbau zusammen, ihr Charakter entwickelt sich oft erst durch die Interaktion mit anderen Figuren usw. Ich denke deshalb nicht, dass man im Zweifelsfall darauf bestehen könnte, dass einem die Figur noch wirklich "gehört". Theoretisch lässt sich natürlich jede Figur weiterverwenden, wenn sie einen neuen Namen bekommt, einige Details geändert werden und sie in ein neues Umfeld geworfen wird.

Ich denke, dass so eine Zusammenarbeit erst dann richtig funktionieren kann, wenn es nicht mehr um Meins-Deins geht, sondern das gemeinsame Werk im Vordergrund steht. Das erfordert natürlich Vertrauen und Loslassen - auf allen Seiten. Deshalb denke ich auch, dass die Beteiligten nicht zu unterschiedlich sein dürfen, sondern einen gemeinsamen Nenner brauchen - sowohl sprachlich als auch inhaltlich.

Auf jeden Fall muss sehr viel Formales vorher festgelegt werden - auch solche unangenehme Fragen, was passiert, wenn jemand austritt oder sogar gegen seinen Willen ausgeschlossen werden soll.

Was in dem Zitat unter (3) steht, finde ich schön schwammig. :rofl: Eine solche gegenseitige Einschätzung, wie du sie vorgeschlagen hast, ist vielleicht gar nicht so schlecht. Ab drei Personen kann ich mir das vorstellen, bei zweien würde es vermutlich nicht funktionieren.

Zitat von: Koboldkind am 24. Dezember 2017, 13:16:33
Da ich so einen Roman noch nciht bis zum Ende geschrieben habe, interessiert mich, wie die Beziehung der Autoren über die Seiten sich verändert. Eine klare Aufgabenteilung zu Anfang wäre sinnvoll, aber ich kann mir aus meiner Warte auch nicht vorstellen, z.B. nur das Worldbuilding zu übernehmen. Auch und vor allen geht es ja nicht, seinen Charakter von vorne bis hinten durchzuentwickeln, da es (wenn jeder seinen eigenen Chara schreibt) doch Züge eines Foren-RPGs annimmt, kann ich mir vorstellen.
Ich denke, die Aufgabenteilung kommt auch auf den Typ an. Ich kenne sehr viele Personen, die allein kein Buch schreiben können oder wollen, obwohl sie das "Gefühl haben, alles schon im Kopf zu haben". Aber das ist bei manchen eben leider nur ein Gefühl und sobald es konkret wird, gerät alles ins Wanken.

Bei mir ist es immer sehr unterschiedlich. Manchmal habe ich "nur" eine Welt im Kopf und muss dann das suchen, was jemand treffend als "Excuse Plot" bezeichnet hat: Eigentlich brauche ich nur irgendeinen Plot, der möglichst anschaulich zeigt, wie cool meine Welt ist. 8) Praktisch lasse ich solche Ideen meist mehrere Monate/Jahre lang liegen, bis ich eine echte Plotidee habe.

Bei komplexeren Projekten bevorzuge ich einen (halbwegs) fertigen Plan, der zu Beginn feststeht. So einen Plan kann man natürlich auch gemeinsam entwickeln. Dazu gehört für mich das, was zum Beispiel auch in der Schneeflockenmethode aufgegriffen wird: Eine Outline oder Szenentabelle mit der gesamten Handlung von Anfang bis Ende, eine Auflistung der wichtigsten Charaktere und das Setting. Aber die Feinheiten müssen sich erst aus dem Zusammenspiel ergeben, das sehe ich genauso.

Aljana

ZitatMich würde interessieren, ob jemand Erfahrungen mit solchen eng zusammenarbeitenden Schreibkollektiven hat.

Da können glaube ich wir aus der 'Märchenspinnerei' ein bisschen Erfahrung zu beitragen. Wir haben uns ja hier im Zirkel gegründet und arbeiten im Unterforum der Plotschmiede zusammen.
Was wir nicht haben, ist die gemeinsame Welt. Wir haben 'nur' eine gemeinsame Prämisse. Dafür gehen wir aber über das reine Schreiben noch hinaus. Denn wirwollen nicht nur diese Buchreihe gemeinsam schreiben, wir wollen sie auch veröffentlichen.
Einige haben das ja schon mitbekommen. 9 Romane und eine anthologie hat die Märchenspinnerei im letzten Jahr rausgebracht. Und auch, wenn über unsere social Media Kanäle immer nur Positives flirrt, so kann ich sagen: Es ist harte Arbeit. Aber bisher auch: Ja es klappt. Es dauert eine Weile, bis alle ihre Stärken und Schwächen ausgelotet haben und natürlich gibt es immer wieder Hochphasen, in denen sich die Arbeit einfach staut. Wie in jedem Kollektiv gibt es Aktive und weniger Aktive und am Anfang ist es viel Try und Error. Bisher mussten wir allerdings nur einen einzigen geplanten Titel wegen Nichtfertigwerden komplett verschieben und dafür entstand dann ein völlig ungeplantes Buch.
Der Kreative Prozess wird also nicht unbedingt durch diesen Druck unterbunden. Er wird teilweise in andere Bahnen gelenkt.

Von mir also ein: Ja, Schreibkollektive mit hochgesteckten Zielen können funktionieren. Man braucht aber immer einen wirklich passionierten Kern, der auch in kritischen Phasen so ein Projekt hochhält. Und es muss einem ganz klar sein, dass andere Projekt dabei dann auf der Strecke bleiben. Denn ein Gemeinschaftsprojekt frisst sehr viel Zeit schon in der Absprache und Organisation.

Aphelion

Eure Geschichten sind ja komplett voneinander getrennt, so wie du es beschreibst. Das ist zwar auch eine Art der Unterstützung, aber das geht in meinen Augen eher in Richtung Verlagskollektiv. Hier ist dazu ein theoretischer Thread, hier ein Beispiel. :)

Aljana

Ja. Das kommt ziemlich gut hin. Aber ich denke, die Bandbreite an gegenseitiger Unterstützung und Zusammenarbeit ist so groß, wie man es sich nur vorstellen kann. Zusammenarbeiten gab es ja schon immer. Nimm Bernhard Hennen und Robert Corvus mit Phileasson. Nimm Projekte wie Levity (was leider nicht an den Autoren scheiterte). Ich denke auch da ist es, wie bei allen Arten des Kollektivs: Es muss feste Spielregeln geben, es muss mit Ernst an die Sache gegangen werden. Es muss klar sein, was alle wollen und was wer geben kann/zu geben bereit ist. Es muss Grenzen geben. Dann kann das funktionieren.