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Charaktererstellung mit dem Myer-Briggs-Typenindikator

Begonnen von Jen, 27. Oktober 2017, 17:15:39

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Jen

Der Myer-Briggs-Typenindikator geht davon aus, dass alle Menschen in 16 verschiedene Typen eingeteilt werden können. In der Psychologie ist das umstritten, für uns Autoren kann der MBTI aber ein echter Segen sein.
Achtung, es kommen jetzt einige evtl. verwirrende Buchstaben, die ihr euch aber nicht merken müsst!

1. Was ist der Typenindikator?

Eigentlich ganz simpel: Man macht einen Test, zum Beispiel diesen, und erhält am Ende einen von 16 Persönlichkeitscodes. Diese setzen sich aus je vier unterschiedlichen Eigenschaften zusammen, nämlich


  • I oder E - intro- oder extravertiert
  • N oder S - intuitiv oder sensorisch
  • F oder T - fühlend oder denkend
  • J oder P - beurteilend/planend oder wahrnehmend

Zusätzlich zu der Motivation (I/E), dem Aufmerksamkeitsschwerpunkt (N/S), den Entscheidungen (F/T) oder dem Lebensstil (J/P) gibt es bei einigen Tests das Anhängsel -A oder -T, was für Durchsetzungskraft (A) oder Vorsicht (T) steht.
Ihr könnt beispielsweise ein INFJ-T erhalten (das bin ich, hi) oder ein ESTP-A (das komplette Gegenteil). Die oben verlinkte Seite bietet dann eine Interpretation dazu, welche Charaktereigenschaften dazugehören, was Schwächen und Stärken sind, wie der Alltag in Job, Familie und dem Freundeskreis ausschaut. Auf real existierende Personen treffen die Aussagen vermutlich nicht zu 100% zu, und auch auf unsere Charaktere nicht. Trotzdem können wir uns diesen Test zunutze machen, um unsere Charaktere besser kennenzulernen. Der Test ist also nicht dazu gedacht, einen Charakter in eine Schublade zu zwängen!

2. Wie läuft der Test ab?

Der Test stellt 60 Fragen, die auf einer Skala von +3 bis -3 beantwortet werden sollen. Das Ganze dauert i.d.R. unter 10 Minuten.
Ich gehe wie folgt vor: Erst überlege ich mir, wo ich den Charakter ungefähr hinpacken würde. Mit dem, was ich schon über ihn weiß, kann ich überlegen, ob er intro- oder extravertiert ist, ob er gerne plant und ob er beispielsweise Gefühle nachvollziehen kann. Ich erstelle also vorab schon einen Persönlichkeitscode, was ihr sicherlich auch problemlos schafft, wenn ihr den Test ein paar Mal gemacht habt und wisst, wie die einzelnen Ausprägungen aussehen.
Erst dann öffne ich die Webseite und mache aus Sicht des Charakters den Test. Dabei nehme ich immer Screenshots meiner Antworten auf und kommentiere diese später in OneNote, aber das ist echt nur ein Extraschritt. Ihr könnt euch besonders heikle oder wichtige Fragen auch ganz normal notieren.
Fragen, die vorkommen, lauten beispielsweise:

  • Sie stufen sich als emotional sehr stabil ein
  • Sie haben oft das Gefühl, sich bei anderen rechtfertigen zu müssen
  • Sie tun selten etwas nur aus Neugier
  • Sie lassen nicht zu, dass andere Ihre Handlungen beeinflussen

3. Was mache ich mit der Auswertung?

In Ruhe lesen. :) Die deutsche Version der Webseite ist leider etwas reduzierter, die englische liefert mehr.
Dann: Entspricht das Ergebnis meiner Vorstellung? Falls nicht: Warum und inwiefern weicht es ab? (Eine Abweichung kann z.B. daran liegen, dass ihr aus der Sicht des Charakters geantwortet habt, der am Anfang der Geschichte steht, im Vorhinein habt ihr aber überlegt, wie er am Ende sein soll).
Außerdem könnt ihr, falls ihr schon andere Tests gemacht habt, das jetzige Ergebnis mit anderen Charakteren vergleichen (oder z.B. mit eurem eigenen Ergebnis). Worin unterscheiden sich die Charaktere? Warum könnten sie aneinanderecken/sich trotzdem mögen?
Falls zwei Charaktere denselben Persönlichkeitscode erhalten, was bei 16 Möglichkeiten passieren kann, könnt ihr folgendes tun:

  • Wie stark sind die Charaktermerkmale ausgeprägt? Ist X nur leicht extravertiert, während Y desselben Typs völlig aus sich herausgeht?
  • In welchen Taten, Hobbys und Hintergrundgeschichten äußern sich die Charaktermerkmale?

Ein Charakter und die Geschichte sind oft kaum voneinander zu trennen, darum kann man den Charakter natürlich nie auf fünf Buchstaben reduzieren. Auch ist ein Testergebnis oft nicht ganz eindeutig, darum lohnt es sich, bei einem knappen Ergebnis andere Möglichkeiten zu erwägen. Z.B.: ISTJ ist nur ganz knapp S, darum schaue ich auch bei INTJ vorbei und kombiniere die beiden.

4. Wann ist der Test hilfreich?

Grundsätzlich glaube ich nicht, dass er irgendwem schadet. Außer, man verschätzt sich wirklich komplett mit seinem Charakter, aber das kann eigentlich nicht passieren. Außerdem könnt ihr den Test machen, wenn ihr ...


  • ... auf die Schnelle einen glaubwürdigen Nebencharakter wollt
  • ... euren nicht-unwichtigen Charakter besser kennenlernen wollt
  • ... nicht einschätzen könnt, woran z.B. die Ehe von XY gescheitert ist (konnte ich mit MBTI beantworten)
  • ... Schwierigkeiten bei Stärken/Schwächen/Konflikten habt
  • ... es mögt, Zeit im Kopf eurer Charaktere zu verbringen

5. Für Profis des MBTI-Tests

Wer gar nicht genug bekommen kann von diesem Test, kann noch einige andere Dinge ausprobieren:


  • Die Ergebnisse in einer Grafik gegenüberstellen und somit alle Charaktere überblicken. In welchem Bereich mangelt es besonders? Sind alle total introvertiert? Gibt es niemanden, der spontan ist? Welcher Typ könnte die Geschichte auflockern?
  • Bekannte aus dem Umfeld einschätzen und sie dann den Test machen lassen. Je nach dem, wie gut die eigene Vermutung zutrifft, kann man sich auch auf die Einschätzungen der eigenen Charaktere verlassen. (Steile These, aber für mich ist das logisch)
  • Tests anderer Webseiten machen und schauen, ob dasselbe Ergebnis herauskommt (trotz anderer Fragen)
  • Das Ergebnis mit anderen Tests wie den Big5 oder dem Teamtest nach Belbin kombinieren
  • Sich mit anderen Autoren austauschen, welche Charaktertypen sie haben und wie sie die Ausprägungen interpretiert haben.

Habt ihr den Test schon einmal gemacht? Für euch selbst oder für eure Charaktere? Wie sehen eure Erfahrungen damit aus, habt ihr eventuell Fragen dazu?
Hier geht es zum Test
Hier geht es zum nicht-ganz-so-schön-aufbereiteten Test, der aus meiner Sicht zu viele Antworten zusammenfasst, wodurch wenig differenziert werden kann. Für die Kontrolle nützlich. Nachtrag: Meine Güte, der hat sogar 32 Typen.
Guilty feet have got no rhythm.

Lukas

#1
Hey, ich denke, dass Meyer-Briggs inzwischen fast jedem ein Begriff ist, aber auf die geniale Idee ihn auf Figuren anzuwenden bin ich, bis dato, noch nirgends gestoßen! Wenn ich am Wochenende Zeit habe, fange ich direkt mal damit an mein neues Projekt durch zu analysieren.  :jau: für die Idee.
Finde auch deine Auswertug wirklich interessant. So viel Arbeit, die da drinnen steckt! Muss ich mir defninitiv mal abkucken! (Weil ich nicht anders kann als so einen Test dann auch selber zu machen: Ich bin Mediator. Hätte ich jetzt so nicht geglaubt, aber hey, laut der Seite bin ich da ja in guter Gesellschaft  ;))


Kuddel

Spannend, ich will demnächst auch ein neues Projekt entwickeln. Da kann ich das direkt drauf anwenden. Neue, technische Spielereien in Bezug auf Figuren ist ja genau meins. ;)

Ich bin ein Kommandeur. ENTJ-A. Spannend, spannend.  :buch:
The first draft of everything is shit - Ernest Hemingway

Aphelion

Ich halte Typen insgesamt nicht sooo sinnvoll, auch nicht für literarische Figuren. Es besteht die Gefahr, zu verallgemeiner und zu sehr nach Schema F zu arbeiten. Natürlich ähneln sich Menschen (fiktive und reale) bis zu einem gewissen Grad, aber der Schwerpunkt sollte nicht auf (vermeintlichen) Gemeinsamkeiten liegen.

Der größte Kritikpunkt ist aber, dass diese angeblichen Eigenschafts-Cluster gar nicht so eindeutig sind, sondern ziemlich willkürlich. Aber sobald irgendein willkürliches Cluster einmal festgelegt wurde, sind Bestätigungen leichter zugänglich als Widersprüche.

Psychologische Konzepte lassen sich allerdings grundsätzlich gut für die Figurenentwicklung nutzen. Ich halte allerdings andere Ansätze für sinnvoller, bei denen die individuellen Ausprägungen in verschiedenen Dimensionen im Vordergrund stehen, ohne dass versucht wird, Typen daraus abzuleiten.

Typen machen in meinen Augen eigentlich nur in der Forschung Sinn, um Gruppen ganz grob zu vergleichen; selbst da sind sie jedoch problematisch. Dahinter steckt letztlich nur der typisch (;)) menschliche Wunsch, Menschen in Schubladen zu stecken. Und gerade das will ich nicht, auch nicht in meinen Geschichten - denn ich halte es schlicht für falsch (auch schlicht sachlich) und künstlich konstruiert.

Für Nebencharaktere kann ich mir das Vorgehen noch am ehesten vorstellen, weil sie durchaus auch kaum mehr als lebende Pappaufsteller sein dürfen. Dafür wäre mir der Aufwand aber schon wieder zu hoch.

Jen

Moin,
dann hast du nicht ganz verstanden, worauf ich hinauswollte. Es geht in erster Linie darum, sich mehr mit dem Charakter auseinanderzusetzen. Bei den Fragen zu wissen, was der Charakter antwortet und auch zu wissen, ob der Charakter in irgendetwas extreme Ausprägungen hat. Ob er jetzt INFJ oder INFP ist, ist im Einzelnen weniger wichtig als der Prozess dahinter.
Wie ich oben erläutert habe, sollte man sich vorher überlegen, wo man den Charakter einordnet (keinem Typ an sich, sondern den Ausprägungen) und hinterher überprüfen, ob das mit dem Ergebnis übereinstimmt oder nicht. Wenn es nicht passt, heißt das nicht, dass man den Charakter in einen Typen zwängen soll. Es heißt, dass man sich Gedanken machen soll, inwiefern das Ergebnis zutrifft und was davon einem selbst schlüssig ist. Und dann schaut man, wozu man inspiriert wird. Das soll nicht dazu gedacht sein, den kompletten Charakter zu formen und nach Schemata zu konstruieren. Genau das wollte ich sogar mit dem Post vermeiden. Auch, dass der MBTI umstritten ist, habe ich deutlich gesagt.

Dass es andere Verfahren gibt, weiß ich. Welche genau meinst du?
Guilty feet have got no rhythm.

Rajou

Ich finde den Test allein deshalb schon gut, weil man sich dabei noch einmal intensiv mit den Figuren auseinandersetzt. Mich zu fragen, wie meine Figuren auf diese Fragen antworten würden, hat mich ihnen ein ganzes Stück näher gebracht. Und ein paar interessante Seiten an ihnen aufgedeckt. :vibes:
Und hinterher zu sehen, dass ihr Charakter der Kategorie entspricht, in die ich meine Figur am ehesten einordnen würde, fand ich auch irgendwie cool. Dass sie in sich stringent sind. Das gibt mir doch ein zufriedenes Gefühl, weil ich immer ein wenig fürchte, meine Figuren zu wenig oder zu schlecht auszubauen.
Maybe it's not about the happy ending. Maybe it's about the story.

Franziska

Danke für den Tipp, Jen! Ich habe es als ich es in deinem Thread gesehen habe schon gleich ausprobiert. Früher hae ich manchmal die Big 5 für meine Figuren festgelegt. Aber ich finde diese Typenbeschreibung schon interessant. Klar entspricht nicht jeder 100 % diesen Typen. Aber sie geben eben interessante Anhaltspunkte. Ich neige zum Beispiel dazu bestimmte Typen immer wieder zu benutzen. Da hat mich der Test mal auf andere Gedanken gebracht.
Auch die Beschreibung von den Beziehungen und möglichen Problemen finde ich da spannend. Meine Figuren, die sich verlieben sollen sind zum Beispiel Logiker und Abenteurer (zuerst kam Entertainer raus, aber das passte nicht  so, also fand ich Abenteurer passt besser) Da gibt es einiges Konfliktpotential, was ich benutzten könnte.
Außerdem interessant die Beschreibung vom Erziehungsstil, da mein Prota eine Tochter hat. Nach dem Test sollte er streng sein und weniger emotional. Ganz so passt es nicht zu ihm bzw. der Situation, weil die Tochter erst seit kurzem bei ihm lebt und er weiß, dass sie abhaut, wenn er zu streng ist. Also man muss das ja nicht Wort für Wort nehmen. Es kommt ja auch immer auf die Geschichte der Figuren an. Aber gerade so kann man das dann ja individualisieren.
Ich finde mich in meiner Beschreibung (angeblich Mediator) auch nicht 100 % wieder.

Was ich allerdings etwas nervig finde, wenn jetzt alle nur diese Buchstabenkombi nennen, ich kann mir da nicht in kurzer Zeit die ganzen Bedeutungen zu merken.

Jen

Mit der Buchstabenkombi geht es mir auch so, darum lasse ich die in meinem Autorenthread auch nicht unkommentiert so stehen. Muss auch regelmäßig die Buchstabenbedeutungen nachschauen, damit ich nichts durcheinanderhaue und andere verwirre. Die Eigenschaften dazu kann ich mir eher merken, mit einem Screenshot von den Ausprägungen ist mir sowieso mehr geholfen als mit den Buchstaben.

Die Tests können sehr unakkurat sein, aber auch ziemlich gruselig genau.
Bei einer meiner Figuren ist es so, dass sie im Laufe der Geschichte eine andere Person hypnotisiert. Aus dem Test kam heraus: "Sieht, was andere Menschen antreibt und kann dies benutzen, um sie zu manipulieren." Das war schon ein seltsamer Zufall, der über dieses horoskopische Flair hinausgeht.
Bei einer anderen Figur stand extra im Beziehungsteil, welche Charakterausprägung der Partner haben sollte. S, also realistisch. Tja, sie ist nun intuitiv, sie werden trotzdem glücklich. :rofl: (Hoffe ich zumindest). Es gibt eh oft Aspekte, die ich streiche, als Konfliktpotenzial markiere oder mit einem schlichten "nope" kommentiere. Trotzdem bleibt bei mir schließlich das gute Gefühl zurück, meinen Charakter besser zu kennen.  ::) Bevor er mir beim Schreiben mit seinem eigenwilligen Verhalten ein Plotloch in den Rücken sticht, natürlich.
Guilty feet have got no rhythm.

July

Schöner Thread. Ich nutze diesen Test bzw. die 16personalities-Seite auch sehr gerne, um meine Figuren näher kennenzulernen und mich zu Fragen, wie sie in bestimmten Situationen reagieren würden.

Was ich noch gerne ergänzen möchte: Seit einiger Zeit findet sich nach der Auswertung unter jedem Typenprofil auch ein Button, der zu den "Strengths and Weaknesses" des jeweiligen Typen weiterleitet. Diese Unterseiten sind zwar (noch?) nur auf Englisch vorhanden, geben aber einen netten Überblick über mögliche Stärken und Schwächen unserer Figuren. Natürlich sollte man auch hier darauf achten, seine Figuren nicht zu 100% dem Schema anzugleichen. Aber ich picke mir besonders bei Figuren, die ich noch nicht ganz so gut kenne, gerne ein oder zwei Merkmale aus dieser Liste heraus und definiere sie dann als größte Stärke/Schwäche. Das Rauspicken hilft unter Umständen auch dabei, zwei Figuren mit demselben Persönlichkeitstypen stärker zu unterscheiden.

Und, nebenbei gesagt finde ich den Test auch für sich selbst ganz witzig, weil man sich selbst ein bisschen besser kennenlernen kann. Vor zwei oder drei Jahren war ich ein INTP-T. Mal sehen, ob sich in der Zwischenzeit etwas geändert hat. :D

Aphelion

@Jen

Wir sind immerhin derselben Meinung, die jeweils andere habe nicht verstanden, worauf wir hinauswollten. Das ist doch auch etwas. ;D

Es gibt viele dimensionsbasierte Persönlichkeitskonzepte, die keine Typen postulieren bzw. voraussetzen. Ich dachte an kein bestimmtes; es gib sehr viele sehr unterschiedliche, die alle ihre Vor- und Nachteile haben.

Du kannst den Test ja nutzen, wenn er dir hilft - ich habe lediglich geschrieben, warum ich das Vorgehen nicht für sinnvoll halte. :)

Archetypen haben zumindest in der Literatur durchaus ihre Berechtigung oder sind zumindest eine grobe Orientierung - aber sie können das Denken auch in (zu) feste Bahnen lenken. Selbst dann, wenn das gar nicht das Ziel ist. Dabei ist und bleibt das größte Problem, dass diese Archetypen nicht objektiv aus der Realität abgeleitet wurden und dadurch sogar die falschen Bahnen vorgeben können.

Fynja

#10
Beim Myer-Briggs-Test werden ja am Ende nicht einfach nur die Typen angezeigt, sondern, wie Jen gesagt hat, die verschiedenen Werte auf allen Dimensionen. :) Die sind etwas aussagekräftiger und erlauben schön viel Varianz auch zwischen den einzelnen Typen. Typologisierungen mag ich selbst nämlich auch nicht so gerne, aber den Überblick zu den einzelnen Skalen zu haben finde ich sehr praktisch, gerade auch, um Entwicklungen während des Romans darzustellen.
Für meine Charakterentwicklung war der Test dieses Mal tatsächlich sehr sinnvoll, weil es wirklich eine super Übung war, sich in die Figur hineinzuversetzen, während man die Fragen beantwortet. So merkt man auch, welche Aspekte man bei der Charakterisierung noch nicht bedacht hatte und weiß genauer, wie die Figur in welcher Situation reagieren würde. Die Fragen geben einen guten Überblick über die Dynamik zwischen der Prota und der Umwelt, und durch das Herauspicken bei den Stärken und Schwächen nachher, wie July beschrieben hat, habe ich tatsächlich viel Inspiration für die Konflikte zwischen meinen Protas sammeln können.  :darth: Übrigens habe ich die Myer-Briggs-Ergebnisse nachher einfach mit den Big 5 noch kombiniert, wobei Extraversion ja bei beidem vorkommt.

Aphelion

#11
Ach, Leute... :D

Also erstmal, hört bitte auf mir mangelndes Wissen oder Verständnis zu unterstellen, nur weil ich nicht eurer Meinung bin, ja? :) Ich habe mit dem MBTI schon gearbeitet. Und ich meine wirklich: gearbeitet.

Der MBTI basiert auf der Archetypenlehre von Jung. Die Archetypen wurden angenommen und anschließend "überprüft". Das ist, ganz kurz gesagt, u.a. wegen des Bestätigungsfehlers sehr problematisch. Ganz konkret können nicht einmal nachträgliche Überprüfungen des MBTI halbwegs solide Belege für diese Theorie finden, auch nicht für die angenommenen Persönlichkeitsdimensionen.

Die Big Five fallen in eine ganz andere Kategorie von Tests, weil diese Dimensionen nicht einfach theoretisch angenommen wurden. Stattdessen wurden sie (relativ) objektiv aus der Realität abgeleitet, mithilfe einer explorativen Faktorenanalyse. Die Forscher haben also nicht gesagt: Wir haben hier fünf Faktoren, die wir untersuchen wollen. Stattdessen haben sie einer großen Stichprobe von Menschen Listen mit Adjektiven vorgelegt und die Probanden gebeten, sich anhand dieser Adjektive einzuschätzen. Anschließend haben die Forscher mithilfe eines statistischen Verfahrens geschaut, ob sich daraus Eigenschafts-Gruppen ableiten lassen. (Aber keine Typen, die sich aus unterschiedlichen Eigenschaften zusammensetzen, sondern nur Ausprägungen innerhalb einer Dimension.) Das Ergebnis waren eben jene fünf Faktoren, aber die standen nicht im Voraus fest - im Gegensatz zu den Archetypen und den Dimensionen im MBTI.

Auch die Big Five haben allerdings ihre Nachteile. (Z.B. waren eigentlich nur drei Faktoren wirklich eindeutig, deckten aber zusammen zu wenig ab, weshalb noch mehr Faktoren dazugenommen werden mussten - es hätte aber auch eine andere Anzahl sein können. Fünf Faktoren zu wählen war schlicht ein Kompromiss. Außerdem lässt sich die Annahme hinterfragen, ob sich Eigenschaften wirklich ausreichend in der Sprache widerspiegeln.) Letztlich ist dieser Ansatz allerdings viel näher an der Realität, weil das Ergebnis nicht im Voraus feststand und erst dann nach Belegen gesucht wurde. Darüber hinaus lassen sich für die Big Five deutlich mehr und deutlich bessere Belege finden.

Natürlich kommen bei beiden Ansätzen am Ende irgendwelche Tests heraus, die irgendwelche Dimensionen messen und darstellen. Aber "irgendwas" heißt noch nicht, dass überhaupt etwas Reales betrachtet wird.

Daran schließt sich jetzt eine schriftstellerische Grundsatzfrage an: Woran möchte sich ein Autor eher orientieren? Worauf liegt für die Autorin der Schwerpunkt - denn neben den Figuren gibt es natürlich noch andere wichtige Punkte wie Weltenbau, Handlung, interne Logik, sachliche Korrektheit usw.? Und diese Fragen kann letztlich nur jede Person für sich beantworten.

Es gibt noch viele andere Kritikpunkte an MBTI, aber ich habe mich bewusst nur auf die bezogen, die für das Schreiben relevant sind. Hier im Forum kommt immer wieder der Wunsch zum Ausdruck, nicht nur Klischees zu schreiben, sondern "echte" Personen darzustellen. Dafür eignet sich der MBTI allerdings nicht, weil bei der Entwicklung echte Menschen außen vor waren und sich keine ausreichenden Belege dafür finden lassen, dass auch nur seine Persönlichkeitsdimensionen in dieser Form existieren.

Bei fiktiven Figuren halte ich das aber noch für recht harmlos und wie gesagt: vor allem bei Nebenfiguren.

Ich finde es auch nicht schlimm, wenn jemand andere Schwerpunkte beim Schreiben setzt als ich. Nur: Ich weiß sehr genau, warum ich dieses Konzept ablehne und habe nicht einfach nur etwas nicht verstanden. ;)

Gwee

@Aphelion Ehrlich gesagt klingt das für mich grade, als würdest du dem Test unterstellen, dass er durch die Wand nur in Schubladen steckt. Blöd gesagt: Wenn ich den Test mache und zugeordnet werde, bin ich dann nicht realistisch, nur weil ich mich in der Beschreibung ein bisschen wiederfinde? Wenn ich einen Charakter ausarbeite und ihn anschließend zur Überprüfung mal den Test machen lasse, ist er automatisch stereotyp? Ich finde den Test als Stütze sehr praktisch, aber vor allem wegen der Fragen, an die ich zwar beim Charakter erstellen grob denke, aber eher im Sinne von groben Gebieten und nicht so kleinkariert wie die Fragen teilweise gestellt sind. Das Ergebnis ist eher eine Art Bonus, bei dem man gucken kann, ob man da was nützliches für den eigenen Charakter draus ziehen kann.
Ich verstehe, dass du den Test missbilligst, aber uns allen vorzuwerfen, wir würden damit jetzt alle durch die Wand nur unrealistische Charaktere produzieren, ist auch nicht richtig. (Und übrigens finde ich das argumentieren mit Wikipedia-Links immer sehr auf unterster Schiene...Wikipedia ist keine Quelle.) Ich denke, jedem ist klar, dass man - wie der Titel schon sagt - nur nach Typen einteilt und keinen fertigen Charakter hat, wenn man diesen Test als Vorlage nimmt. Aber wie gesagt: Ich finde, ich bin durchaus ein realistischer Mensch, denn ich lebe ja - und ich lasse mich auch in einen der Typen pressen. Es geht doch auch gar nicht darum, dass ein Charakter immer ganz fest so ist wie sein Typ sagt. Ich kann gleichzeitig mega chaotisch, aber auch mega aufgeräumt sein. Ich stehe nicht gerne im Mittelpunkt, fühle mich in einer Gruppe aber durchaus wohl. Trotzdem ist eine Tendenz bei jedem Menschen da. Ich glaube jedenfalls kaum, dass jemand sich den kompletten Text des Typen nimmt und als fertige Figur für den eigenen Roman nutzt. Innerhalb eines Typs ist man ja auch noch unterschiedlich und ich verstehe ohnehin die ganze Aufregung nicht.
Es ist so eine Art Obsession, glaube ich. Das Schreiben fasziniert mich so sehr,
daß, wenn es mir verboten würde, ich langsam daran sterben würde.
Johannes Mario Simmel

Fynja

#13
Ich wollte nur anmerken, dass mein Posting eigentlich losgelöst von irgendwelchen anderen Beiträgen gedacht war und eher Jens Einleitung ergänzen sollte, ich habe mich absolut nicht auf dich bezogen, Aphelion, und weiß gerade wirklich nicht, wo du da eine Unterstellung herausgelesen hast. Ich wollte einfach nur erzählen, wie ich den Test zur Figurenerstellung genutzt habe, mehr nicht.

Ich weiß ganz gut, dass es bei der Persönlichkeitsdiagnostik empirische Probleme mit dem Test gibt, dazu hatte ich genug Persönlichkeitspsychologie und aus wissenschaftlicher Sicht halte ich allgemein von Typologisierungen wenig, wie erwähnt. Ich denke trotzdem, dass es etwas anderes ist, irgendwo einfach nur Inspiration für mögliche Konflikte o.Ä. zu sammeln oder eben die Skalen zu benutzen, um eine Entwicklung der Protas darzustellen. Man kann ja sogar auf die Skalen, Typen usw. ganz verzichten und einfach nur ein paar Fragen zu den Figuren beantworten, um ihre Reaktionen besser kennenzulernen, um mehr geht es ja gar nicht. Da finde ich schon, dass die Fragen viele Situationen, die in Romanen auftauchen können, gut abdecken. Ich denke, kein Tintenzirkler würde sich da nur stur an das halten, was ein Test ausspuckt und es dabei belassen. Lebendig werden die Figuren dann ohnehin erst durch den Kontext des Romans und die Dynamik zwischen den Figuren, aber ich finde es jetzt gar nicht verwerflich, einen solchen Test als Basis zu benutzen und sich eben ein paar Eigenschaften, die es ja ohnehin gibt, herauszupicken, wenn sie zu den Figuren passen. Ich hatte beispielsweise bei meinem Nano-Roman große Probleme, an meine Figuren heranzukommen, und das in-sie-Hineinversetzen mithilfe der Fragen hat mir da geholfen. Nicht mehr und nicht weniger. :)

Fianna

#14
Ich habs mal mit meinen 3 Perspektivträgern ausprobiert. Bei einer passte es gar nicht. Bei den anderen beiden war es durchaus in einigen Fällen zutreffend.

Ich habe mir die ausführlicheren Erläuterungen abgespeichert und schaue morgen nochmal durch, ob ich etwas verwenden mag oder ob das Lesen andere Ideen anstößt. Außerdem ist mir durch den Test ein großer Gegensatz zwischen den beiden wichtigsten Figuren klar geworden - beide werden von mir im Laufe der Zeit zu Reformatoren aufgebaut, aber bei der einen ist das quasi betriebsimmanent und die andere agiert nur widerwillig gegen das Alterhergebrachte.
Dieser Widerwille war mir vor dem Durchführen der Tests und dem Durchlesen der Erläuterungen nicht klar. Aber irgendein Satz bezüglich Autorität und Traditionen, der bei Figur A nicht zutreffend war, hat in meinem Kopf um drei Ecken zu dieser Erkenntnis für Figur B geführt...
... also, danke @Jen für die Erklärung. Sonst hätte ich den Test nicht gemacht.

Ich verwende ihn auch noch bei dem nächsten Projekt zum Plotten (allerdings wette ich, dass da nichts passen wird zu den Figuren - schau mer mal!)