• Willkommen im Forum „Tintenzirkel - das Fantasyautor:innenforum“.
 

Qualitätsanspruch in der Fantasy/Phantastik

Begonnen von Trippelschritt, 23. Oktober 2017, 14:21:13

« vorheriges - nächstes »

0 Mitglieder und 2 Gäste betrachten dieses Thema.

Fianna

#30
Das kommt drauf an. Mit etwas Durchdenken und Erklärung dahinter werden es dir die meisten Leute abnehmen, selbst wenn die Erklärung falsch ist. Für einen Astronom ist das dagegen ein Paradebeispiel, warum er/sie keine Fantasy liest.

Bei anderen Lesern kann ein Buch anecken, weil das Pferd wie ein Moped abgestellt wird.
Wenn man eine wirkliche neue Welt erfindet, die sich von anderen unterscheiden soll, ist die Gefahr grösser, dass man aneckt.

Die Frage ist für mich eher: wie hoch ist dein eigener Anspruch? Kommt es dir eher auf die Masse an und es ist egal, wenn einige Experten die Augen rollen?
Es wissen z.b  sehr viele Gelegenheitsreiter oder Seriengucker, dass ein Pferd aufgewärmt, getrocknet usw werden muss, nicht 10 Stunden am Stück galoppieren kann, das ist also etwas, wo man recherchieren sollte.
Die Frage wäre, ob es dir wichtig ist, auch Leser mit exotischeren Fachkenntnissen zufrieden zu stellen.

Als Leser würde ich danach bewerten, wie zugänglich die Informationen sind. Wenn eine Google-Recherche reicht, finde ich solche Realismus-Schnitzer ärgerlich.
Wenn die Informationen dazu oder entsprechende Bücher nicht ohne Weiteres zugänglich sind oder falsche Informationen gefunden und verwendet wurden, finde ich das nicht so schlimm.
Falls ich es merke ;) mein Spezialwissen verläuft in engen Grenzen.

Alana

Dazu möchte ich nur ein Beispiel eines der größten Fantasyautoren aller Zeiten anführen: Seine Welt ruht auf dem Rücken von vier Elefanten, die auf einer riesigen Schildkröte stehen, die durchs Weltall gleitet. ;D Und allein das sagt einem schon, wie die Geschichten sein werden. Was ich saen will: Das Setting und die Naturgesetze müssen zu deiner Geschichte passen. Ist deine Welt sehr akkurat, vielleicht Soft Science Fiction in eher naher Zukunft wie Der Marsianer, würde sowas wie bei Terry Pratchett nicht passen. Hast du einen fantastisch angehauchten Weltenbau - wer sagt dann, dass das mit den drei Monden nicht geht? Vielleicht folgen sie auch Gesetzen, die wir noch nicht kennen? Deine Welt muss in sich konsistent sein, dann ist alles gut.
Alhambrana

FeeamPC

Viele Monde gehen durchaus. Kommt immer auf die Größe an. Sie müssten definitiv kleiner sein als unserer, dürften dafür aber näher zum Planeten stehen und müssten somit auch nicht unbedingt alle viel kleiner aussehen, wenn man sie des Nachts sieht.
Und man muss immer mit etlichen Lesern rechnen, die tatsächlich so ein Basiswissen haben.

Wenn man aber die Welt gleich so konstruiert, dass sie mit unserer Wissenschaft nicht kompatibel ist (die angesprochene auf der Schildkröte z.B:), dann hat man als Autor völlig freie Hand.

Shedzyala

In der Scifi wäre es für mich ein No-Go soetwas zu ignorieren, auch wenn es "nur" eine Space Opera ist. Aber bei Fantasy kommt ja auch noch Magie und Göttliches ins Spiel, also würde ich dort ansetzen: Sind unsere Naturgesetze die Grundlage deiner Welt oder Magie/göttliches Wirken? Bei ersterem würde es mir als Leserin nicht gefallen, wenn du bei den Himmelskörpern damit brichst, bei Letzterem hast du die absolute Freiheit. Da können die Flüsse auch aufwärts fließen, weil die Wassergöttin gerade Liebeskummer hat ;)
Wenn sie dich hängen wollen, bitte um ein Glas Wasser. Man weiß nie, was passiert, ehe sie es bringen ...
– Andrzej Sapkowski, Die Dame vom See

Zauberfrau

Zitat von: Alana am 01. Juni 2018, 20:52:56
Dazu möchte ich nur ein Beispiel eines der größten Fantasyautoren aller Zeiten anführen: Seine Welt ruht auf dem Rücken von vier Elefanten, die auf einer riesigen Schildkröte stehen, die durchs Weltall gleitet. ;D Und allein das sagt einem schon, wie die Geschichten sein werden. Was ich saen will: Das Setting und die Naturgesetze müssen zu deiner Geschichte passen. Ist deine Welt sehr akkurat, vielleicht Soft Science Fiction in eher naher Zukunft wie Der Marsianer, würde sowas wie bei Terry Pratchett nicht passen. Hast du einen fantastisch angehauchten Weltenbau - wer sagt dann, dass das mit den drei Monden nicht geht? Vielleicht folgen sie auch Gesetzen, die wir noch nicht kennen? Deine Welt muss in sich konsistent sein, dann ist alles gut.

Hihi, Alana war schneller. Die Scheibenwelt hatte ich auch gerade im Kopf. Aber Terry ist nun mal oft sehr ironisch gewesen und hat uns in machen Dingen den Spiegel vorgehalten. Da verzeiht man ihm schon im Großen und Ganzen seine überdrehten Einfälle. Aber ich denke, wenn man High Fantasy zum Beispiel schreiben möchte, dann sollte die Physik - oder die Astrophysik - da drin schon stimmen. Zumindest ist das mein Anspruch, den ich meinen Geschichten gegenüber erhebe. Deswegen kann ich das schon verstehen, wenn Zweifel aufkommen, ob das mit den 3 Monden überhaupt in irgendeiner Realität möglich wäre.

Ich habe mir mal eine Geschichte ausgedacht, in der die Gestirne wirklich Götter sind. Und wenn es ihnen in den Kram passt, dann wandern sie an einem Tag mal eben anders über den Himmel. Und damit sie das nicht tun, kümmern sich die Weltbewohner eben sehr darum, dass die Götter zufrieden sind und ihrem Alltagstrott folgen. In meiner Geschichte will das der Mond nicht mehr und verschwindet einfach. Da brauche ich keine Physik mehr, weil die Gestirne eh eine andere Grundlage haben. Vielleicht wäre das auch eine Idee für die 3 Monde, die vielleicht 3 Schwestern oder sowas sind. Keine Ahnung, ob das so passt, ich mach einfach nur ein bisschen Brainstorming.

Kurz und schnell: Ich bevorzuge nachvollziehbare Physik in meinen Romanen und mach mir da immer einen ziemlichen Kopf. Das gilt auch für das Alltagsleben (z.B. im Mittelalter) oder Phantasietiere (die auch ihre Gesetzmäßigkeiten bekommen). Wenn ich 3 Monde bräuchte, würde ich wahrscheinlich wirklich 3 Göttinnen draus machen.

Zit

Also der Mars hat zwei Monde und Jupiter 69 (wobei nur vier davon wirklich riesig sind). Da geht also trotz oder gerade wegen der Physik so einiges. Fee hat da auch schon eine Lösung gebracht. Wenn du drei Monde haben willst und den Anspruch an dich hast, dass es physikalisch stimmig ist, dann recherchier eben und schuster es dir so zusammen dass es passt. ;) Der Punkt ist auch wie sich die drei Monde in deiner Geschichte darstellen. Wenn sie nur am Himmel cool aussehen sollen, dann musst du vielleicht nicht Kommastellen genau berechnen wie groß oder klein sie sind sondern nur gucken ob drei Monde weitere/ andere Einflüsse auf deine Planetenmeere haben. Vielleicht gibt es auch keine Meere, da, wo die Geschichte spielt, dann musst du selbst das nicht recherchieren. Drei Monde sind jetzt nicht so fantastischer Weltenbau als eine Eiswüste direkt neben einer Sandwüste.
"I think therefore I am
getting a headache."
Unbekannt

Lightnik

Wow, danke für die vielen und schnellen Antworten!
Ich sehe, eure Tendenz ist ähnlich zu meiner. Ich ärgere mich ebenfalls immer, wenn ich allzu leicht Logikfehler finde, aber Magie folgt ja auch keine wirklichen Logik.
Ich habe die Problematik mit den Monden tatsächlich schon anders gelöst, aber die generelle Frage dahinter hat mich trotzdem interessiert - auch für zukünftige
Projekte.
(Ich brauchte den Mond als Motiv zwingend, es mussten aber nicht zwangsläufig 3 Monde sein).

Shedzyala

Zitat von: Lightnik am 01. Juni 2018, 21:29:33
Wow, danke für die vielen und schnellen Antworten!
Ich sehe, eure Tendenz ist ähnlich zu meiner. Ich ärgere mich ebenfalls immer, wenn ich allzu leicht Logikfehler finde, aber Magie folgt ja auch keine wirklichen Logik.

Hier muss ich kurz einhaken: Selbstverständlich folgt Magie einer Logik, aber eben ihrer eigenen. Nichts ist frustrierender als ein Magiesystem, über das man sich keine Gedanken gemacht hat, denn dann verkommt Magie sehr schnell zu einer Deus Ex Machina: Sie kann alles zur rechten Zeit, ohne dass man als Leser*in einen Sinn darin sehen kann.
Wenn sie dich hängen wollen, bitte um ein Glas Wasser. Man weiß nie, was passiert, ehe sie es bringen ...
– Andrzej Sapkowski, Die Dame vom See

Alana

ZitatIn der Scifi wäre es für mich ein No-Go soetwas zu ignorieren, auch wenn es "nur" eine Space Opera ist.

Ich finde, das kommt drauf an, wie es gemacht ist. Es ist ja eigentlich mehr als denkbar, dass wir nicht alle Materialien und physikalischen Vorgänge kennen, die im Weltraum existieren. Wenn man es schlüssig verkaufen kann, muss man sich nicht auf unser irdischen Wissen beschränken, damit realistische SF glaubwürdig ist.
Alhambrana

Fianna

#39
Ich bin auch sehr perfektionistisch und ändere sogar meine Plots, wenn die Fakten gegen mich sind.
Bei einem komplizierten Mordfall habe ich übersehen, dass sich Gift nicht gleichermaßen in allen Körperteilen anlagert. Ich war sehr dankbar für einen Expertenrat, auch wenn ich geflucht habe, wie meine Fantasyermittler in einer Welt ohne moderne Medizin dann auf die Lösung kommen können...

Wenn meine Informationen oder Ratschläge überholt und damit falsch sind, wäre es mir sehr unangenehm, wenn ich dafür kritisiert werde. Aber wenn ich etwas, das streng genommen unseren irdischen Gesetzen folgt, falsch dargestellt hätte, weil ich nicht mal auf die Idee gekommen bin zu recherchieren - ich würde mich in Grund und Boden schämen.

Ich bin ein radikaler Gegner von der "Weil - ach, das ist Fantasy!"-Einstellung.
Ich habe mich mal mit einigen historischen Autoren unterhalten, als eine erzählte, die Agentur (oder der Verlag) hätten gefragt, ob sie nicht mal Fantasy probieren will. Vorteil: geht schneller, null Recherche.
Ich ärgere mich heute noch, Jahre später, dass mir keine besseren Beispiele eingefallen sind. Die Gruppe wirkte sehr unüberzeugt von meiner Argumentation, dass Fantasy ebenfalls Recherche braucht (und manchmal nicht gerade wenig) und hat höflich das Thema gewechselt.   :wums:

Zit

Fantasy fordert halt nicht immer die Art von Recherche, die beim historischen Roman klar zu erkennen und auszumachen ist. Gerade wenn wir von der inneren Logik der Magie reden, die so in dem Maße nicht im historischen Roman vorkommt. (Und Leute, die historische Romane schreiben, sind sowieso eine penible Sorte, scheint mir.)
Ansonsten habe ich es aufgegeben, da irgendwie gegen-argumentieren zu müssen – weil ich da eh verloren habe bevor ich auch nur etwas sagen könnte. Jedesfalls sagt mir die Erfahrung, dass man Leute, die Fantasy selbst nicht ernst nehmen, nicht zur Einsicht einbringen kann. Aber was solls. Es sind nicht meine Leser also muss ich mich denen ja auch nicht beweisen.
"I think therefore I am
getting a headache."
Unbekannt

Fianna

Wenn diese Nicht-Leser Autoren werden wollen in einem Genre, dass sie weder kennen noch wertschätzen, das finde ich problematisch.
Anders wäre es gewesen, wenn sie gesagt hätte "Ich muss da nicht recherchieren (weil ich die relevanten Fragen bereits bei der Recherche für meine Historienromane berackert habe)".
Es war aber pauschal auf jedermann bezogen.


Bei manchen von mir als schlecht empfundenen Büchern hatte ich den Eindruck, die haben niemals einen Fantasyroman gelesen (oder sich über notwendigen Realismus Gedanken gemacht) bevor sie selbst einen schrieben...

Gizmo

#42
Ich halte es mit Realismus so wie die meisten meiner Vorposter: Zu allererst kommt es auf das Setting an. Je realistischer das Setting dargestellt ist, desto mehr Realismus erwarte ich in der Handlung.
Physikalische Gesetze sind eine Sache, wobei mich die bloße Existenz von drei Monden am wenigsten stören würden. Ich würde sie eher unter 'Kulisse' verbuchen, es sei denn, sie haben wirklich Bedeutung für die Geschichte. Interessanter sind für mich die Konsequenzen, wenn der Autor z.B. eine 'mondlose Nacht' beschreiben würde - das stelle ich mir bei gleich 3 Monden schwer vor.
Bedeutender ist für mich, ob physikalische Gesetze insgesamt gelten. Ist die Geschichte sehr realistisch, stößt es mir auf, wenn jemand bei voller Fahrt aus einem Wagen springt und nur ein paar Kratzer hat. Oder er wird von einem Pfeil durchbohrt, kämpft aber einfach weiter, weil es 'nur eine Fleischwunde' ist. Man sieht dann sehr schnell, ob ein Autor wirklich recherchiert hat oder sich zur 'Recherche' eine beliebte TV-Serie mit all den gängigen Clichés angesehen hat.

Logik ist dagegen in keinem Setting aufgehoben. Drachen und Magie in einer Geschichte zu haben, ist kein Freibrief, logische Zusammenhänge zu ignorieren. Wie Shedzyala schrieb, muss ein Magiesystem einer Logik folgen und Regeln haben, obwohl es frei erfunden ist.
Übel aufgefallen ist mir das Fehlen von Logik z.B. in dem Film 'Bright'. Wer es nicht gesehen hat: Der Film spielt (behauptet er zumindest) in einer alternativen heutigen Welt, in der der Fantasiegeschöpfe wie Orks, Elfen usw. existieren, und zwar bereits seit tausenden von Jahren. Es gibt unzählige Probleme mit dem Worldbuilding in diesem Film, daher nur zwei kurze Beispiele:
In einer Szene sieht man einen Centauren, aber nirgendwo kann man Dinge entdecken, die logischerweise existieren müssten. Öffentliche Transportmittel für Centauren (oder müssen die immer laufen?), größere Eingänge in öffentliche Gebäude usw.
In einer anderen Szene fliegt ein Drache im Hintergrund über der Stadt. Die bloße Existenz von Drachen (und das ist ein großer) müsste Konsequenzen haben. Gibt es aber nicht, man hört nie wieder etwas davon. Die Filmemacher haben ihn nur dort platziert, weil sie dachten: 'Hey, Fantasy, das heißt Drachen. Und es geht sowieso alles, wen interessiert's?'. Ich fand diesen Film allein deshalb unheimlich frustrierend und lege auch Bücher sofort weg, die so geschrieben sind.
"Appears we just got here in the nick of time. What does that make us?"
"Big damn heroes, sir!"
- Joss Whedon's "Firefly", Episode 5, "Safe"

FeeamPC

Drachen sind immer, zu 100%, magische Geschöpfe, wenn sie fliegen können. Denn in jeder Welt, die der unseren auch nur annähernd ähnlich ist, reicht die Kombination aus Körpermasse, möglicher Flügelschlaggeschwindigkeit, vorhandener Energie und Luftdichte nicht aus, dass ein Drachen fliegen kann, rein physikalisch, er braucht also zwingend Magie.
Wenn die nicht vorhanden ist, muss der Drachen entweder sehr klein sein, oder die Welt entspricht der unseren bereits in ihren Basiswerten nicht (dichtere Luft, geringere Schwerkraft usw.
Und es gibt IMMER Leser, die so etwas wissen und übelnehmen, wenn der Weltenbau nicht stimmt.

Trippelschritt

Ich denke, dass es bei fantastischer Literatur nicht um das Gegensatzpaar Realismus - Irrealisus geht. Gerade in der Phantasie ist grundsätzlich alles möglich. Das ist doch der Reiz dieses Genres. Die Gefahr liegt in der Beliebigkeit. Wenn alles in der Geschichte beliebig ist, dann ist sie dumme Spinnerei. In der Phantasie sind Dinge möglich, von denen man glaubt, dass sie in der wirklichen Welt nicht vorkommen können. Aber wenn sie dann doch vorkommen, was ist denn dann? Und wenn sie dann doch vorkommen, wie kann man sich das dann erklären?

Der Kerngebriff, um den alles geht ist die Plausbilität. Der Autor denkt sich etwas aus, das dem Leser als Erklärung genügen kann. Das ist die Ursachenseite. Unf dann erzählst er von den Konsequenzen, die eintreten, weil ...  Und es geht dann immer (meistens), um etwas das zutiefst menschlich ist. Um Werte wie das Gute und das Böse, um Rachsucht und Neid, Großherzigkeit und Verzeihen. Oder es geht um eine Perspektive, die kein Mensch jemals einnehmen kann (Gulliver).

Für mich ist phantastische Literatur der Blick durch eine Linse, die mene rationale Weltsicht verzerrt. Die Rationalität schaut immer noch durch. Aber anders. Phantastisch.

Liebe Grüße
Trippelschritt