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Software Bestseller-DNA

Begonnen von Chris, 02. Oktober 2017, 15:00:09

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Chris

Als ich das erste Mal davon las, hielt ich das Ganze für einen Aprilscherz, aber es scheint ernstgemeint zu sein.
Mit Hilfe einer Software soll das Bestseller-Potential eines Manuskripts errechnet werden:
https://www.boersenblatt.net/artikel-die_sonntagsfrage.1378618.html
Ist die Verunsicherung in der Branche so groß, dass Computer statt Lektorinnen demnächst entscheiden?  :hmmm:
Liebe Grüße
Chris

Denamio

#1
Zitat von: Chris am 02. Oktober 2017, 15:00:09
Ist die Verunsicherung in der Branche so groß, dass Computer statt Lektorinnen demnächst entscheiden?  :hmmm:

Ich glaube da muss ich ein wenig erklärend einschränken. In meiner Freizeit schreibe ich Python Programme die mittels Maschinenlernen Texte analysieren. Das ist hauptsächlich für meine eigene Schreibe und manchmal für wissenschaftliche Arbeiten gedacht.
Was Maschinenlernen sehr gut kann, sind Muster - aber nicht das Erkennen von Sinn und Inhalt. Das Programm versteht nicht wirklich was der Spannungsbogen ist, sondern schaut auf ihm antrainierte Muster, die da sein können: Dichte an Adjektiven, sind die Adjektive positiv oder negativ konnotiert? Wieviele unbekannte Wörter hat es in diesem Abschnitt? Wie lang sind die Sätze? Wieviel verschiedene Wörter werden benutzt? Und so weiter.

Dann wird das Programm mit Werken vollgestopft, die einen Datensatz bilden. Die Muster in Büchern mit vielen Verkäufen werden dabei als gut gewertet, die in schlecht laufenden als unbrauchbar. Das Programm sieht dann am Ende stark vereinfacht so etwas wie:

17.2% Adjektive in Abschnitt 1 mit Länge 1.871 Wörtern. Positiv konnotierte Wörter 27.1%. Unbekannte Wörter 17
Bestseller Quote: 14.1% Adjektive in Abschnitt 1 mit Länge 1.309 Wörtern. Positiv konnotierte Wörter 19.9% Unbekannte Wörter 21.
Abweichung: xyz Prozent. Bestseller Vermutung: Ungenügend.

Am Ende hat das Programm überhaupt keine Ahnung was in der Geschichte überhaupt passiert ist, sondern sagt nur aus, wie sehr die Muster darin mit dem eines Bestsellers übereinstimmen. Schlussendlich muss am Ende doch der Berufsstamm der Lektoren entscheiden.

---

Soviel zu wie es funktioniert. Jetzt meine persönliche Einschätzung dazu: :rofl:. Maschinenlernen ist momentan in den Nachrichten so eine Wunderdroge, die alles können soll. Tatsächlich ist es einfache Statistik und es kann auch etwa gleich viel. Lektoren wird es nicht ersetzen, weil es schlicht nur Zahlen liefert.
Was mich daran am meisten amüsiert sind drei Aspekte. Der erste Aspekt, wie oft hat Herr Fitzek sein Buch in der Zeit zwischen den Absagen überarbeitet? Der zweite Aspekt, häufig wird hier ja Harry Potter als Wunderbeispiel zitiert - gerade Harry Potter wäre mit der atypischen Struktur eines Rückblicks zu Beginn bei einem Programm rausgeflogen. Am Schluss zeigt sich im letzten Aspekt wie sehr die Bücher sich ähneln, man bestätigt quasi die schematische Einheitskost.

Aphelion

Gab es sowas nicht schonmal?  :hmmm:

Ich sehe allerdings auch viele Probleme... Vor allem hängen Verkaufszahlen nicht nur vom reinen Text ab.

Elona

Zitat von: DenamioDer erste Aspekt, wie oft hat Herr Fitzek sein Buch in der Zeit zwischen den Absagen überarbeitet?
Na ja, dennoch hat eine Person das eventuelle Potenzial des Werkes/der Werke nicht erkannt, weshalb es einem Verlag durch die Lappen ging. Ein Programm löst das Problem natürlich auch nicht, weil es eben so arbeitet, wie von dir beschrieben (wobei ich mich gerade frage, wie sie umsetzen wollen, das ein Programm bewerten kann, was eine starke Hauptperson ist?  :hmhm?: ) und dann wären tatsächlich x-weitere Überarbeitungsschritte wichtig gewesen, um ein besseres Ergebnis zu erzielen.

Das Problem in meinen Augen ist einfach, dass die Verlage nicht investieren wollen oder können. Selbst wenn ein Lektor Potenzial erkennen würde, ist die Wahrscheinlichkeit recht hoch, dass dieses bei einer Kosten-Nutzen Rechnung hintenrunter fällt. Außerdem ist Lektor auch nicht gleich Lektor.

In meinen Augen ist das Programm vor allem eins: eine Hilfestellung. Was dann daraus gemacht wird, ist und bleibt eine menschliche Entscheidung. 

Eine denkbare Umsetzung wäre z.B. um die Mitarbeiter zu entlasten, dass nur Manuskripte auf dem Tisch eines Lektors landen, die eine gewisse Prozentzahl erreicht haben oder die irgendein Merkmal aufweisen, auf das das Programm aufmerksam macht.

Kerstin

#4
Zitat von: Elona am 02. Oktober 2017, 20:08:53
Na ja, dennoch hat eine Person das eventuelle Potenzial des Werkes/der Werke nicht erkannt, weshalb es einem Verlag durch die Lappen ging.
Das kann man, wie bei (fast) allen diesen Geschichten so pauschal nicht sagen. Fitzek war einer der ersten deutschen Thriller-Autoren und meines Wissens nach der erste Autor von Psychothrillern. Das war ein Genre, das von Deutschen gar nicht besetzt war und zu einer Zeit, als die Vorurteile deutschen Autoren gegenüber noch viel größer waren.
Natürlich hat es da ein Buch besonders schwer.
Dass er dann so erfolgreich war, lag vor allem daran (sagt er auch selbst), dass im gleichen Jahr von Katzenbach "Der Patient" und "Die Anstalt" extrem erfolgreich waren und Fitzek da mit "Die Therapie" die pefekte Lektüre für alle Fans bot.
Ansonsten hatten die Verlage durchaus recht, denn die Vorbestellungen von dem Buch waren bei den Buchhändlern alles andere als grandios und der Erfolg zunächst eher online.

Und damit kommen wir auch zu dem Problem mit diesem Programm. Es mag zwar ein gewisses Potential erkennen, aber es kennt den Markt nicht.


Marta

@Aphelion : Ja, das gab es schon mal. Ein Buch namens "The Bestseller Code", das letztes Jahr herauskam und das ich zufällig gerade gelesen habe.  ;D Darin wird genau das Gleiche erzählt.

Ich frage mich bei dem sowie bei dem Artikel, was mit den 20% Bestsellern passiert, die das Programm nicht als solche erkennt. Werden die in Zukunft keine Chance mehr haben, weil alle Verlage die eingesandten Manuskripte erst mal durch das Programm jagen? Werden mehr Bestseller erkannt oder weniger?

Elona

Auf Fitzek mag das zutreffen, allgemein bleibe ich jedoch bei meiner Aussage, da sind mir zu viele Berichte diesbezüglich über den Weg gelaufen (unabhängig, ob es Besteller wurden, "nur" erfolgreiche Bücher sind davon ja auch betroffen). Von Verlagssicht macht es durchaus Sinn zu sagen, schauen wir erst mal was daraus wird (z.B. SP) und dann können wir immer noch ein Angebot unterbreiten. Das hat weder etwas mit Marktkenntnis oder (wie im Artikel erwähnt) Wagnis zu tun, sondern ist rein wirtschaftlich gedacht. Das sich dann aber ein Verlag unter Umständen im Nachhinein ärgert, weil ihm Geld durch die Lappen gegangen ist, ist denke ich auch normal. Und je größer der Erfolg, desto ärgerlicher ist es. 

Sehen wir mal wie es ist, das Programm soll erfolgversprechende Bücher finden bzw. bei der Suche danach helfen. Das ganze nun "Bestseller-DNA" zu nennen, ist nichts anderes als Marketing. Denkbar für mich wäre, dass es eine Range und Noten geben wird. 90% + wären dann Bestseller-Potenzial (wohlgemerkt Potenzial, weil es einfach von zu vielen Faktoren abhängig ist, die weder ein Programm noch teilweise eine Person vorhersehen kann), darunter kommen dann gute Manuskripte usw.
Menschen lieben Prognosen und Vorhersagen und Unternehmen noch viel mehr.
Aber um in diesem Zusammenhang doch noch mal auf das konkrete Beispiel von Fitzek zurückzukommen:
ZitatDass er dann so erfolgreich war, lag vor allem daran (sagt er auch selbst), dass im gleichen Jahr von Katzenbach "Der Patient" und "Die Anstalt" extrem erfolgreich waren und Fitzek da mit "Die Therapie" die pefekte Lektüre für alle Fans bot.
Ein Verlag bzw. eine Person hätte das im Blick haben können. Und ja, es wäre ein Wagnis geblieben, welches sie nicht eingehen wollten. Das ist aber die Entscheidung einer Person, keines Programmes.

Nach meiner Meinung bleibt am Ende im Großen und Ganzen alles wie gehabt. Eine gewisse Verschiebung kann und wird vermutlich dabei stattfinden, stellt sich die Frage, in wiefern man diese überhaupt mitbekommt. Vielleicht wäre sie auch einfach positiv, weil ein Programm den Text beurteilt und dabei beispiesweise ein "gut" rauskommt, wo eine Person nur gesehen hätte, "keine Veröffentlichungen bisher" und die Sache wäre gleich erledigt gewesen. So wäre das dann erst der zweite Schritt.  :rofl:  Nein, quatsch.

Aber das ist natürlich nur meine persönliche Meinung.  :)

Kerstin

Zitat von: Elona am 03. Oktober 2017, 08:32:19
Auf Fitzek mag das zutreffen, allgemein bleibe ich jedoch bei meiner Aussage, da sind mir zu viele Berichte diesbezüglich über den Weg gelaufen (unabhängig, ob es Besteller wurden, "nur" erfolgreiche Bücher sind davon ja auch betroffen).
Da werden wir uns wohl nicht einig werden, da es bei mir umgekehrt ist. :) Für jede dieser Geschichten habe ich bei Recherche einen ähnlichen Hintergrund gefunden.

Zitat von: Elona am 03. Oktober 2017, 08:32:19
ZitatDass er dann so erfolgreich war, lag vor allem daran (sagt er auch selbst), dass im gleichen Jahr von Katzenbach "Der Patient" und "Die Anstalt" extrem erfolgreich waren und Fitzek da mit "Die Therapie" die pefekte Lektüre für alle Fans bot.
Ein Verlag bzw. eine Person hätte das im Blick haben können.
Nich wirklich, da keiner wissen kann, welches Buch einschlägt und welches nicht (wenn das so einfach wäre, bestünde ja kein Interesse an diesem Programm). Verlagsprogramme werden ein bis anderthalb Jahre im Voraus geplant. Dementsprechend war da keine spontane Reaktion möglich. Es war nur das übliche Pokerspiel, da genausogut auch hätte schiefgehen können.


Alana

#8
Ich glaube auch nicht, dass sowas auf dem aktuellen Stand der Technik funktioniert. Und auch später nicht, denn die echten Bestseller sind Bücher, die oft gar nicht so anders aufgebaut oder geschrieben sind, aber einen Nerv treffen. Und diese Bücher sind gleichzeitig so unterschiedlich, dass sie schon keine gute gemischte Datenbasis ergeben. Außerdem weiß das Programm nicht, wonach sich Menschen gerade sehnen. Es nutzt zudem eine höchst unfertige Vorlektoratsversion des späteren Buches zur Analyse, was schon allein das ganze sinnlos macht. Denn auch und gerade Bestseller haben oft ein sehr hartes Lektorat durchlaufen, das die Werte hervorbringt, mit denen das Programm arbeitet. Es ist also für den Zweck, für den die Verlage es einsetzen wollen, schon aus rein wissenschaftlicher Sicht nicht einsetzbar. Vom künstlerischen Aspekt rede ich mal jetzt nicht. Hilfreich könnte ich mir sowas für den Arbeitsprozess von Autor und Lektor vorstellen, um Spannungsfehler etc. zu erkennen und zu beheben.
Alhambrana

Carolina

Ich stimme @Alana zu.

Ich fände so ein Programm zur Analyse meines eigenen Textes ganz spannend. Man kann ja kritisch hinterfragen, ob das Programm eine Schwäche aufgedeckt hat, oder ob man es anders sieht.

Den Ansatz "Software benutzen statt lesen" halte ich jedoch für Unsinn. Zur Auswahl von Manuskripten wird dieses Programm sicher nichts taugen. Eine Geschichte mit einer genialen Idee könnte untergehen, weil die Form noch nicht stimmt. Und ein perfekt "getrimmtes" Manuskript könnte trotzdem stinklangweilig sein, weil die Idee schon tausend Mal verwendet wurde.