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[Geschichte] Unter der Kettenrüstung

Begonnen von Maja, 06. August 2016, 06:00:00

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Maja

Ich stehe gerade historisch auf dem Schlauch. Was trägt man unter einem Kettenhemd/einer Kettenrüstung?

Ich habe das Internet bemüht, um Abbildungen zu finden, aber ich finde nur LARPer in Kettenhemden, Kettenbikins, und einen in Kettenunterhose. Bei den Hemden sieht man, dass sie etwas druntertragen - ehrlich, ich würde das auch nicht auf der blanken Haut tragen wollen! - aber ich finde nichts darüber, aus was für Material das war, ob die Lederpolster, die den Körper vor Scheuerstellen schützen sollen, jetzt auf der Innenseite des Kettenhemdes sind oder auf der Außenseite des Untergewandes, und auch wenn ich es nur für einen Nebensatz brauche, will ich mich nicht in die Nesseln setzen.

Für eure Hilfe bin ich dankbar.
Niemand hantiert gern ungesichert mit kritischen Massen.
Robert Gernhardt

Naudiz

#1
Typischerweise ein Gambeson. Das ist ein extra Kleidungsstück, das wie ein Hemd den ganzen Oberkörper bedeckte und über dem Untergewand getragen wurde. (Wenn man eine Plattenrüstung trug, hat man noch ein Pourpoint dazugenommen, an dem die Beinschienen und Sabatons befestigt wurden, aber das ist für deine Frage nicht wirklich relevant.)

Das ist die Kurzfassung. Ich könnte noch weiter ausholen, aber dazu bin ich gerade viel zu müde. Vielleicht trage ich es später noch nach, aber ich glaube ehrlich gesagt, dass bis dahin schon andere, auf dem Gebiet viel bewandertere Zirkler hier kommentiert haben. :)

Edit: Achja, die Brigantine (Vorsicht: englische Wikipedia, der deutsche Artikel ist leider sehr dürftig) gab es auch noch, so ab dem 14. Jahrhundert.

Fianna

#2
Gambeson ist ja französisch, habe das mit "Textilrüstung" behelfsmässig übersetzt. War damit jedoch nicht zufrieden.
Nur gegen das Scheuern helfen auch andere Kleidungsstücke, so ein Gambeson hatte auch eine gewisse Schutzfunktion und war aufwändig zu fertigen - nichts, was jeder daher Gelaufene besitzen konnte.
Grob gesagt ist das Kettenhemd gegen Schnitte und der Gambeson gegen Pfeile, wobei es von der Qualität des Gambi (in geringerem Maße auch des Kettenhemdes), der Zugkraft des Bogens sowie Entfernung und eventuell Einschusswinkel abhängt, ob der Pfeil im Gambi oder im Fleisch steckt.

Ich kann heute Abend mal nach Waffentests suchen (ich meine, Michael Tegge von den Friesen hat bei Youtube was dazu gepostet), wenn Interesse besteht.
Ich glaube, ich habe auch einen experimentalarchäologischen Link zu der Schutzwirkung von Textil in meiner Lesezeichenliste. (Die Überlegung basiert auf mittelalterlichen Bildquellen.)

KaPunkt

Grob gesagt  ;) @Fianna, hat der Gambeson die Aufgabe, die eintreffende Kraft zu verteilen. Ein Kettengeflecht hält die Schnitte auf, die punktuelle Kraft, die hinter einem Schlag liegt (Sei es nun Schwert, Keule oder Pfeil) sorgt ebenfalls für Verletzungen. Ein Gambeson macht aus einem potentiellen Knochenbruch eine großflächige Prellung.

Ein Gambeson ist vom Prinzip her eine Steppdecke. Zwei Seiten Stoff, dazwischen eine Polsterung, z.B. aus Rosshaar, oder auch einem dickeren Wollstoff, die aufeinander gesteppt werden, damit die Polsterung gleichmäßig bleibt. So ein Gambeson hat sich auch als warmes Kleidungsstück oder wie erwähnt als Basis-Rüstung bewährt.

Dem LARP-Anfänger wird als Rüstung meist ein Helm, Handschuhe und Gambeson empfohlen. Die gibt es übrigens nicht nur als Jacke (mit oder ohne Ärmeln), sondern auch als Beinlinge, oder Haube, wenn auch dort Kettenzeug getragen wird.

Da wir gerade bei Kettenhemden sind: Vergiß nicht die Mütze, es sei denn, dein Held trägt Glatze.
Es ist unglaublich, wie eklig sich auch recht kurze Haare schon beim An- und Ausziehen im Kettengeflecht verheddern können, weshalb zum Kettenhemd gern z.B. Bunthaube getragen wird, oder Kopftuch.

... aber wir können ja auch einfach warten, was die anderen noch zeigen.  ;D

Liebe Grüße,
KaPunkt
She is serene
with the grace and gentleness of
the warrior
the spear the harp the book the butterfly
are equal
in her hands.
(Diane di Prima)

Churke

Ich möchte noch anmerken, dass der Gambeson nicht notwendigerweise unter dem Kettenhemd getragen wird. Das war in Europa Standard, aber man kann ihn auch über dem Kettenhemd tragen, was ich persönlich grundsätzlich bevorzugen würde. Oder man verzichtet ganz darauf, auch wenn das nicht immer ratsam ist.

Und das "Scheuern" ist für einen trainierten Krieger irrelevant. Das ist wie Fisherman's Friend: Sind sie zu hart, bist du zu weich.  :engel:

Ary

Gambeson über dem Kettenhemd verhindert auf jeden Fall lästiges Klirren, falls der Held sich mal leise bewegen will. Aber auf der blanken Haut würde ich es auch nicht tragen wollen. Ich kenne einige Schaukämpfer und Reenactors, die unter ihren Kettenhemden dicke Leinen-oder Baumwollhemden getragen haben und dann die "Steppdecke" noch da drüber.
Einfach mal machen. Könnte ja gut werden.

Churke

Auf der Haut wird das Kettenhemd zum Rosthemd. Das macht man genau einmal. Man sollte immer etwas darunter tragen, das den Schweiß aufnimmt.

Sprotte

Zum Thema Kettenhemd auch noch: Das war obere Luxuslinie. Wenn Du Dir all die vielen kleinen, handgeschmiedeten Ringe ansiehst, die zusammengeknibbelt werden mussten - teuer! Hängt also wirklich vom Setting ab, ob nicht Gambeson oder Lederschuppenpanzer wahrscheinlicher sind.

Fianna

#8
Lederschuppen sind ja auch ordentlich aufwändig / teuer. Als ganz einfach würde ich eher gehärtetes Leder nehmen...

Das ist auch etwas, @Sprotte  was ausser bei Bernard Cornwell immer unterschlagen wird: ein Mann im Kettenhemd trägt praktisch Geld am Körper. Eigentlich müsste in einem phantastischen Setting ein Krieger immer denken: 1. Oh, der trägt ein Kettenhemd, ein Profi. 2. Ist der wirklich so gut (oder einfach nur reich), passt die Rüstung zu den restlichen Waffen / Erscheinungsbild, oder besteht die Möglichkeit, dass ich ihn überwältigen und das Zeug klauen kann?
;D

KaPunkt

*kicher* ich habe gerade so ein massives LARP-Forum deja vu ... (und vermutlich helfen wir Maja nur bedingt weiter), aber um die heilige Dreifaltigkeit noch komplett zu machen: Hast du schon mal über Linothorax nachgedacht?  :rofl:

Nein. Ich denke, Maja, du kannst sehr gern ein Kettenhemd nehmen, und was das Unterzeug angeht, sind wir uns hier ja auch Recht einig. (und ein Gambeson mag ein teures Kleidungsstück sein, ist aber, wie beschrieben, immer noch deutlich billiger ein Kettenhemd, daher sollte er bei jedem Kettenträger finanziell mit drin sein, oder eben beim aufstrebenden Söldner als erstes Rüstungsteil angeschafft werden - kann ja später ein upgrade bekommen)

Liebe Grüße,
KaPunkt
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in her hands.
(Diane di Prima)

Churke

Zitat von: Sprotte am 06. August 2016, 11:07:50
Zum Thema Kettenhemd auch noch: Das war obere Luxuslinie.

Kommt wie du richtig sagst aufs Setting an. Man kann Kettenhemden auch industriell herstellen wie die alten Römer.

Leinenpanzer ist in Mitteleuropa übrigens keine gute Idee. Der löst sich bei Regen nämlich auf. 

Fianna

Zitat von: KaPunkt am 06. August 2016, 11:21:44
*kicher* ich habe gerade so ein massives LARP-Forum deja vu ... (und vermutlich helfen wir Maja nur bedingt weiter), aber um die heilige Dreifaltigkeit noch komplett zu machen: Hast du schon mal über Linothorax nachgedacht?  :rofl:
Zufällig bin ich ein großer Anhänger des Linothorax. *beleidigt guck* Sobald ich lästige Minus-Posten wie Umzug und Chiropraktiker rausgewirtschaftet habe, steht ein aufwändiger Rüstungsnachbau/-test an.

Sternsaphir

Zitat von: Fianna am 06. August 2016, 11:11:52

Das ist auch etwas, @Sprotte  was ausser bei Bernard Cornwell immer unterschlagen wird: ein Mann im Kettenhemd trägt praktisch Geld am Körper. Eigentlich müsste in einem phantastischen Setting ein Krieger immer denken: 1. Oh, der trägt ein Kettenhemd, ein Profi. 2. Ist der wirklich so gut (oder einfach nur reich), passt die Rüstung zu den restlichen Waffen / Erscheinungsbild, oder besteht die Möglichkeit, dass ich ihn überwältigen und das Zeug klauen kann?
;D

:rofl: Das stimme ich zu. Und Kettenhemden sind schwer, das darf man auch nicht vergessen. Auch wenn sie leichter und flexibler als eine Plattenrüstung sind, merkt man ihr Gewicht spätestens nach einem Tag im Rücken. Man muss also schon ziemlich trainiert sein, um damit ausdauernd zu laufen und zu kämpfen.
Unter das Kettenhemd kann man alles tragen, was das Gewicht abpolstert und den Körper isoliert. (Metall +Winter = guter Wärmeleiter): also mehrlagige Wollsachen o.ä.
Mir hat beim LARP, als ich noch Kette trug, im Sommer ein Longsleeve aus Baumwolle gereicht und im Winter war es ein dicker Wollpullover und eine Lederweste.
Es sollte kein zu empfindlicher Stoff sein, denn ein Kettenhemd scheuert über den Stoff und verschleißt ihn. Hinzu kommen ungewünschte Abfärbungen und Ölreste. Damals gab es ja noch keinen verzinkten Stahl, der rostfrei blieb.

Fianna

#13
So, hier ist der versprochene Beleg von einem Blog über Geschichte und Reenactment.
Ausgehend von einer Darstellung aus dem 11. Jahrhundert auf einem Teppich aus Bayeux wurde ein Waffentest mit scharfen Waffen vorgenommen. Die Abbildung enthielt eine Art Wollwickel als Unterarm-Schutz und es ergab sich die Frage, inwiefern so etwas eine (preisgünstigere) Alternative zu einem Gambeson darstellt.

Fazit: Ja, es ist ein wirksamer Schutz gegen Stiche und Schnitte, allerdings eher bei Treffern "in action" als bei einem starr bewegungslos gehaltenen Arm.
Link

Churke

Zitat von: Sternsaphir am 09. August 2016, 16:16:58
Man muss also schon ziemlich trainiert sein, um damit ausdauernd zu laufen und zu kämpfen.
Würde ich nicht überbewerten. Ein Kettenhemd wiegt nicht einmal halb so viel wie die 30 Kilo Marschgepäck, mit denen unsere (Ur-)Großväter nach Moskau und zurück marschiert sind. Man muss auch die anderen Maßstäbe sehen. Das ist wie Sense + kaufmännischer Angestellter. Nach 1 Stunde kann man den vom Boden abkratzen.